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AUGUSTA P. HOSE FUND
THE MUSIC LIBRARY
OF THE
HARVARD COLLEGE
LIBRARY
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COMPENDIÜM
DER GESCHICHTE
DER
KIRCHENMUSIK
MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG
DES KIRCHLICHEN GESANGES.
Von ambrosius zur Neuzeit.
Von
V
JOSEF SITTARD
LEHRER AM CONSERVATORIUM ZU STUTTGART.
STUTTGAET.
VERLAG VON LEW & MÜLLER
1881.
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y)i
itö ^ /o , ^o
HARVA" : '"/iRSITY
SEP "'■ 1960
EDA KUHN LüLD ... JSiC LIBRARY
Alle Rechte vorbehalten.
HARVARD UNIVERSn^^
SEP 26 1960
:nA ;iÜHN LOEB MUSIC I. .
Druck von L. Fr. Fues in Tübingen.
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SEINER MAJESTÄT
DEM
KÖNIG KARL
VON WÜRTTEMBERG,
DEM ERHABENEN GÖNNER UND FÖRDERER El^NSTLERISCHEN
UND WISSENSCHAFTLICHEN STREBENS
IN TIEFSTER EHRFURCHT
GEWIDMET
VOM VERFASSER,
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Vorrede.
-A-ls vor einiger Zeit die Anfrage der hiesigen Ver-
lagshandlung Levy & Müller an den Verfasser erging,
ob derselbe nicht geneigt wäre, ein Compendium der Gre-
schichte der Kirchenmusik und des Kirchengesangs des
christlichen Abendlandes zu verfassen, glaubte derselbe um
so weniger der Aufforderung sich entziehen zu sollen, als
ein solches Handbuch namentlich für Geistliche, Lehrer,
Organisten, Seminarien, Musikinstitute und sonstige höhere
Lehranstalten, überhaupt für Solche, welche für den Gregen-
stand Interesse haben, sich jedoch nicht speciell mit musik-
historischen Studien beschäftigen können, wohl als ein
Bedürfniss bezeichnet werden dürfte, da die wenigen Werke,
welche diesen Zweig der Musikgeschichte in allgemein über-
sichtlicher Darstellungsweise behandeln, ihren eigentlichen
Zweck nicht erfüllen. So z. B. die „Geschichte der Kirchen-
musik^ von Raymund Schlecht, Regensburg 1871 bei Coppen-
rath, welches sonst so vortreffliche Werk, abgesehen davon,
däss dasselbe das evangelische Kirchenlied zu wenig be-
rücksichtigt und den Stoff überhaupt in etwas zusammen-
hangloser Weise behandelt, durch den hohen Preis auf
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— VI —
einen grösseren Leserkreis unter den musikalischen Laien
kaum wird rechnen dürfen; oder die ^Q-eschichte des
Kirchengesangs und der Kirchenmusik'^ von J. E. Häuser,
Quedlinburg und Leipzig 1834, welche im Q-egensat^ zu
Schlecht das evangelische Kirchenlied zu sehr in den Vor-
dergrund drängt, über wichtige Epochen kurz hinweg geht
und durch die Masse von Citaten, die fast so viel Raum
als der Text selbst einnehmen, das in manchen Beziehungen
äusserst lehrreiche, wenn auch den neuesten historischen
Forschungen und Ergebnissen gegenüber etwas veraltete
Werk für den Laien fast ungeniessbar ist. Das einzige
Werk der Neuzeit, welches dem eigentlichen Zwecke näher
kommt, ist die „Uebersichtliche Darstellung der kirchlichen
Dichtung und geistlichen Musik'' von H. M. Schletterer,
Nördlingen 1866, C. H. Beck. Aber dadurch, dass die kirch-
liche Dichtung mit hereingezogen wurde, musste bei dem
massigen Umfang desselben Vieles kurz behandelt werden,
was einer eingehenderen Darstellung und Ausführung be-
durft hätte. Die Verlagshandlung wie der Verfasser glauben
desshalb einem wirklichen Bedürfnisse durch die Heraus-
gabe des vorliegenden Compendiums entgegen zu kommen.
Der Verfasser beschränkte sich jedoch nicht darauf,
eine bloss chronologische Zusammenstellung zu bieten, son-
dern er wollte in pragmatischer Weise den tieferen Zu-
sammenhang der einzelnen Perioden der Musikgeschichte
und ihren Einfluss auf die kirchliche Tonkunst klarlegen.
Manches musste immerhin, da das Werk im Interesse einer
allgemeinen Verbreitung eine bestimmte Bogenzahl nicht
überschreiten sollte, kürzer behandelt werden, als es in der
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— VII —
Absicht des Autors lag; ebenso musste auf Notenbeilagen
verzichtet werden, da der Preis dadurch ein zu hoher ge-
worden wäre. Doch entschliesst sich vielleicht die Ver-
lagshandlung später zu der Herausgabe eines Supplements,
welches die entsprechenden Notenbeispiele enthalten würde.
Auf Zuführung ganz neuen, bis jetzt dem musikalischen
Fachhistoriker unbekannten Materials erhebt das Buch um
so weniger Anspruch, als dasselbe ja nicht für den gelehrten
Kenner der Geschichte geschrieben ist, wenn demselben
auch nicht entgehen dürfte, dass die neuesten historischen
Forschungen und deren Ergebnisse überall berücksichtigt
worden äind und durch gewissenhafte Anführung der Quel-
len- und Hülfswerke, welche der Verfasser zu seiner Arbeit
benützte, denjenigen, welche Müsse und Interesse für die
Sache haben, G-elegenheit gegeben ist, dieselben selbst zur
Hand zu nehmen.
Da vorliegendes Compendium, wie schon bemerkt, sich
nicht an den historischen Fachmann wendet, so musste der
Verfasser es sich angelegen sein lassen, den in mancher
Beziehung etwas trockenen Stoff in eine möglichst popu-
läre und gefällige Darstellungsweise zu kleiden, ohne sich
übrigens von der Sache selbst zu entfernen und gewisse
Seitengänge einzuschlagen, da an Stelle der historischen
Erzählung die schillernde Phrase, die schöngeistige Red-
seligkeit tritt, vielmehr ging der Verfasser von dem festen
Grundsatz aus, dass die Geschichte für emstdenkende Köpfe
ist, welche nicht unterhalten sondern belehrt sein wollen.
Zum Schluss darf der Unterzeichnete sich das Zeugniss
geben, dass er mit Ernst und Liebe an seine Arbeit ge-
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— vm —
gangen. Doch ist er weit davon entfernt, auf Vollendung
derselben Anspruch zu erheben und wird jede sachliche, ob-
jective KJritik, jede Ergänzung und Berichtigung mit Dank
entgegennehmen.
Stuttgart, 1. November 1880.
Josef Sittard.
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Einleitung.
Die Musik ist jene tief in das Menschenleben eingreifende
Macht, die mehr als jede andere Kunst es vermag, das tiefste
Innere des Gemtithslebens zu ergreifen und zugleich von der
idealen Anlage, der höhern, geistigen Natur des Menschen
das beredteste Zeugniss ablegt. Keine andere Kunst ist auch
vermöge ihrer innersten Natur so geeignet, die zartesten Re-
gungen der Seele und des Gemüths so auszusprechen wie die
Tonkunst; sie ist der unmittelbarste Ausdruck des Innern,
und es können sich auch jene ihrem gewaltigen Einfluss nicht
entziehen, welche es sich angelegen sein lassen, die höhere,
geistige Natur des Menschen zu leugnen.
Und wo können sich .unsere Gefühle und Empfindungen
schöner und reiner austönen als im Gesang, welcher die-
selben gleichsam veranschaulicht und den Ton zum ausdrucks-
vollen Symbol gestaltet? Im Gesang erlauschen wir die Volks-
seele und aus den Gesängen des Volkes schliessen wir auf
dessen inneres Fühlen und Empfinden, auf sein sittliches Streben
und Wollen. Somit wohnt dem Gesang eine seelische Kraft
bei; er ist eine dem Menschen eingeborne Gabe und kein
aus Nachahmung von Naturlauten entstandenes Product. Wie
derselbe nun von jeher dazu diente, einen seelischen Vorgang
zum Bewusstsein zu bringen, so versteht sich eigentlich von
selbst, dass derselbe namentlich da nicht fehlen konnte und
durfte, wo es sich um die Lobpreisung des Höchsten handelte.
Waren doch Kunst und Religion von jeher untrennbare
Schwestern, die Formen der Gottesverehrung die Wiege jeder
Kunst, und wie namentlich die Tonkunst von der Religion resp.
der Kirche gleichsam gross gezogen wurde, so bildete sie auch
von jeher einen wesentlichen Bestandtheil des religiösen Cultus.
^Ist das Reich der Töne* , sagt eben so trefi'end als schön
S i 1 1 a r d , Compendinzn. 1
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Staudenmaier ^), „ein Reich der unsichtbaren Schönheit,
welche Schönheit nur der Geist zu fassen vermag; wohnt in
ihnen ein inneres, mit Worten nicht aussprechbares Leben;
graben sie sich tiefer als alles Andere in das Gemüth ein,
das sie mit Ahnung erfüllen; beherrschen sie die Gefühle,
welche sich wunderbar zur Harmonie hinneigen, so ist von
selbst verständlich, was die Musik einer Religion werden kann,
welche die höchste Harmonie darstellt, die Versöhnung der
Welt mit Gott, in welcher Versöhnung sich die grosse alte
Dissonanz auflöst.^
Gesang und Musik finden wir beim Gottesdienst fast aller
Religionen; aber hauptsächlich ist es unter den alten Völkern
das israelitische Volk, bei welchem die Tonkunst gleich der
Poesie hauptsächlich zum Lobe Gottes bestimmt war; denn
wie der Inhalt der Poesie, so war auch jener der Musik kein
anderer als ein heiliger.
Dass schon zu David's ^) Zeit der Gesang einen wesent-
lichen Bestandtheil des israelitischen Gottesdienstes bildete,
beweist Chronik I Kapitel 16, 18 — 22, Kap. 25 und 26 sowie
Chronik II Kap. 5, 13. Wie der Tempelgesang der Hebräer
beschaffen war, wissen wir nicht; es bestehen hierüber blosse
Vermuthungen, da aus den heute noch üblichen Melodien,
nach welchen bei ihrem Gottesdienst die Psalmen gesungen
werden, keine Rückschlüsse auf den alten Tempelgesang ge-
zogen werden können und mit Bestimmtheit angenommen
werden dürfte, dass bei der erstaunlichen Assimilationskraft
des israelitischen Volkes mit Anderer Sitten und Gebräuchen
auch dessen Gesang von jenem der Völker, unter welchen
dasselbe lebte, nicht unberührt geblieben sein wird. Die von
einem Pastor Speidel ') aus Waiblingen in Württemberg her-
1) Encyklopädie S. 616.
2) Der Sänger und Musiker waren es 4000 , welche von David in
24 Klassen eingetheilt wurden und abwechselnd im Tempel ihr Aint ver-
richten mussten.
3) Speidel: Unverwerfliche Spuren von der alten David'schen Sing-
kunst nach ihren deutlich unterschiedenen Stimmen, Tönen, Noten, Takt (?)
und Repetitionen, mit einem Exempel zur Probe. Stuttgart. Metzler und
Erhardt 1740.
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ausgegebene Schrift, in welcher derselbe ganz genau und be-
stimmt nachzuweisen versucht, wie der alte Tempelgesang des
israelitischen Volkes beschaflFen gewesen sei, verdient desshalb,
wie Ambros mit Recht bemerkt, einen Platz in dem von Lichten-
berg vorgeschlagenen Bedlam, denn wir sind völlig ausser
Stande, uns über die wirkliche BeschaflFenheit der israelitischen
Musik ein positives Urtheil zu bilden, zumal wir in der Bibel
selbst nichts hierüber erfahren.
Was den Gesang beim israelitischen Gottesdienst betrifft,
so wird derselbe höchstens in einem einfachen Psalmodiren ^)
bestanden haben; auf einer hohen Stufe kann er schon dess-
wegen nicht gestanden sein, weil die Israeliten nicht fähig
waren, ihre Melodien — wenn von solchen hier überhaupt
gesprochen werden kann -^ zu fixiren. Nach Forkel *) besassen
sie bloss gewisse Accentzeichen. Stand ein solches über dem
Wort, so bedeutete dies, dass die Stimme sich zu erheben,
stand dasselbe unter dem Wort, dass die Stimme zu fallen
habe. Ein solches Accentzeichen soll aber nicht einen be-
stimmten Ton, sondern eine ganze melodische Phrase bezeichnet
haben. Doch scheinen diese Accentzeichen einer späteren
Periode anzugehören und wie Dommer ^) annimmt, von den
Masoreten in den letzten beiden Jahrhunderten vor Christo
herzustammen. Auch Dommer glaubt aus den verschiedenen
Psalmüberschriften, wie z. B. derjenigen zum 9. Psalm:
^Von der schönen Jugend vorzusingen*, oder jener zum
22. Psalm: ,, Vorzusingen von der Hindin, die früh gejagt wird*
u. s. w., den Schluss ziehen zu dürfen, dass es immerhin all-
gemein bekannte Tonweisen gewesen sein mögen, nach welchen
die betreffenden Psalmen gesungen wurden. Doch sind dies
blosse Vermuthungen , da diese Ueberschriften auch eine an-
dere Bedeutung haben konnten und z. B. jene des 9. Psalms
eben so gut besagen kann, dass derselbe von den Jungfrauen
zu singen sei.
1) Hierunter versteht man ein singendes Lesen und zwar auf einem
bestimmten Ton, wobei nur der Schlusstakt durch verschiedene abweichende
Intervallschritte hervorgehoben wird,
2) Forkel: Allgemeine Greschichte der Musik. Bd. I. S. 140 u. ff.
3)ArreyvonDommer: Handbuch der Musikgeschichte. Leipzig 1868. S. 1 1,
1*
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— 4 —
Ueber den Gesang der Christen in den ersten Jahrhun-
derten wissen wir ebenfalls nichts Zuverlässiges, wenn auch
mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden kann, dass die
Psalmodie die Grundlage des abendländischen christlich-kirch-
lichen Gesanges war, zumal die Psalmen wegen ihrer Ein-
fachheit populär waren und die ganze Gemeinde sich daran
betheiligen konnte.
Diese Art von Responsorialgesang (cantus responsorius
psalmi) darf wohl als die älteste Gesangsweise betrachtet
werden, in welcher die Psalmen vom Volke mitgesungen, resp.
psalmodirt wurden, neben welchem man später, im vierten
oder fünften Jahrhundert, die Psalmen in der abendländischen
Kirche in Wechselgesängen, d. h. versweise mit einander ab-
wechselnden Chören zu singen anfiesg.
Von den Aposteln wurde der Gesang der Psalmen und
Loblieder angelegentlich empfohlen. So schreibt der Apostel
Paulus in seiner ersten Epistel an die Epheser, Kap. 5, V. 19 :
35 Und redet unter einander von Psalmen und Lobgesängen und
geistlichen Liedern, singet und spielet dem Herrn in eurem
Herzen^; und im Briefe des Jakobus Kap. 5 V. 13 heisst es:
,jLeidet jemand unter euch, der bete; ist jemand gutes Muths,
der singe Psalmen* ^). Auch mochten wohl Einzelne selbst-
verfasste Lobgesänge in den gottesdienstlichen Versammlungen
vortragen 2); ebenso berichtet der jüngere Plinius ^) in dem
Briefe, welchen er als Statthalter in Bithynien (Kleinasien) an
Trajan schrieb, dass die Christen an bestimmten Tagen vor
Aufgang der Sonne zusammenkommen, um Christo als einem
Gott zu. Ehren ein Lied untereinander zu singen.
Bei der Abendmahlfeier wurde der 23. Psalm angestimmt,
bei und unter der Kommunion bediente man sich des 33. Psalms *).
Ausser den Psalmen wurden auch die in der heiligen Schrift
enthaltenen Psalmlieder — cantica, auch Hymnen, später nach
1) Siehe auch Col. 3, 16. Cor. I 14 V. 15—16. Apostelgeschichte 2, 47
u. s. w.
2) Erster Brief an die Corinther 14, 26.
3) Plin. epist., lib. X.
4) Dr. Ferdinand Probst, Liturgie der drei ersten christlichen
Jahrhunderte. Tübingen 1870. S. 363.
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dem Vorgang des Hilarius und Ambrosius strophisch verfasste
Kirchenlieder, so dass Hymne in diesem Sinne als gleich-
bedeutend mit Kirchenlied erscheint — gesungen; so z. B. der
Triumphgesang Moses (Exod. 15), der Gesang der drei Jüng-
linge im Feuerofen (Daniel 3), der Gesang des Zacharias
(Lucas I, 68), der Lobgesang Maria's (Lucas I, 46), das
-Danklied des Ezechias (Isai. 38), das Lied Simeon's (Luc. II 29)
u. 8. w.
Dass die Gesänge der ersten Christen, wie manche be-
haupten , aus der griechischen Musik zum Theil herüber-
genommen sein sollten , bestreitet Kiesewetter ^), da er jenen
j^guten Leuten" die Fähigkeit abspricht, griechische Melodien
zu fassen und mit ihren wenig geübten Organen nachzusingen;
zudem sei ihr Abscheu gegen Alles, was nur entfernt an
Heidenthum erinnerte, zu gross gewesen, als dass sie Gesänge
aus den Tempeln oder Theatern der Heiden zugelassen hätten.
Es sei ihnen vielmehr darum zu thun gewesen, eine von den
Weisen jedes andern Cultus verschiedene Art des Gesanges
zu stiften. Dem gegenüber macht Ambros ^) geltend, dass wo
eine Kunst emporblüht, sie geworden und nicht gemacht worden
sei und man desshalb auch von der Musik der ersten christ-
lichen Zeit annehmen dürfe, dass sie auf Art und Weise der
gleichzeitigen antiken Tonkunst gegründeter , aber von dem
neuen Geist durchdrungener und gehobener Volksgesang ge-
wesen sei.
Wir halten es auch für einen Irrthum, den Gesang
der christlichen Kirche in den ersten Jahrhunderten aus der
griechischen Musik abzuleiten, glauben vielmehr, dass der
Kesponsorien- und Antiphonengesang aus dem Cultus des isra-
elitischen Volkes in denjenigen der christlichen Kirche über-
gieng ^). Die Annahme liegt wenigstens ganz nahe, dass der
1) Kiesewetter: Geschichte der europ. abendl. Musik. 2. Auf-
lage S, 2.
2) Ambros: Geschichte der Musik Bd. II. S. 11.
3) Siehe hierüber auch Neander: Allgemeine Geschichte der Religion.
Hamburg 1826. Band I, 2. Abtheilung S. 351; sowie D elitsch: Com-
mentar zum Psalter Bd. II, S. 399; und Luft: Liturgik. Mainz 1847. Bd. II,
8. 204.
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Psalmengesang von den ersten Judenchristen aus dem jüdischen
Gottesdienst in die christliche Kirche herübergenommen wurde
und der Gesang gemeinschaftlich von der ganzen Gemeinde
stattfand. In der griechischen Kirche bestand der Gebrauch,
dass das ganze Volk an der Psalmodie Theil nahm, noch zur
Zeit des heiligen Chrysostomus, und erst im Jahr 379 verbot
die Synode von Antiochien das Singen der Weiber in der
Kirche, da einige Bischöfe die Stelle bei Paulus: „Eure
Weiber lasset schweigen in der Kirche*, dahin auslegten, dass
der Apostel damit den Weibern auch das Mitsingen in der
Kirche verboten habe.
Diesem sogenannten symphonischen Gesang steht der
responsorische Psalmengesang (cantus responsorius) gegenüber,
welcher darin bestand, dass wenn der Vorsänger, welcher
gegen Osten gekehrt auf einem erhöhten Platze stand, einen
Psalm gesungen hatte, die Gemeinde denselben oder den letzten
Theil des Anfangverses bei der Fortsetzung des Psalms wieder-
holte, oder mit dem Gesang eines Amen ihre Zustimmung
ausdrückte *). Der antiphonische oder alternirende Gesang
(Wechselgesang zwischen mehreren Chören) soll nach F^tis ^)
seine Wiege in Syrien haben. Ignatius, Bischof zu Antiochien
(f 116), soll diese Gesangsweise eingeführt haben. Zunächst
wurden die Wechselgesänge zwischen den Männern einerseits
und den Frauen und Kindern andererseits ausgeführt; dann
theilte man die ganze Gemeinde in zwei Theile und Bischof
Simeon von Seleucia soll Davidische Psalmen von einander
gegenüberstehenden Chören, welche miteinander abwechselten,
haben singen lassen.. Vom Orient aus verbreitete sich die
antiphonische Singweise ^) in die occidentaliache Kirche; die
Arianer brachten dieselbe nach Constantinopel, woselbst Chry-
sostomus sie nach der Art und Weise der Kirche in Antiochien
einführte, später Ambrosius in die Mailänder, Cölestin I. in
die römische Kirche.
1) I. Cor. 14, 16.
2) F^tis: Histoire de la musique. Tome IV p. 68.
3) Antiphon im engeren Sinne ist ein Psalm vers, welcher auch vor
und nach einem alternirend zu singenden Psalm vom ganzen Chor ge-
sungen wurde.
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— 7 —
Den Wechselgesang zwischen Priester und Volk nannte
man ebenfalls Kesponsorialgesang. So sangen die Leviten z. B.
einen Psalm allein und das Volk fiel nach dem ersten Satz mit
dessen Wiederholung, nach dem folgenden aber mit Halleluja ^)
ein. In der ersten christlichen Zeit wurde nach der Lesung
irgend eines Kapitels des alten oder neuen Testaments ein
Responsorialpsalm abgesungen; später wurden daraus nur einige
Verse gewählt, welche in der lateinischen Liturgie Responsorien
genannt wurden. Es soll dies schon unter Papst Gelasius
(492 — 496) eingeführt worden sein; später nahm man auch
andere Schrifttexte hinzu *).
Es werden übrigens nur wenige Töne gewesen sein, in
welchen der Gesang der ersten Christen sich bewegte und
wohl ausschliesslich in dem sogenannten Psalmodiren bestanden
haben, was von TertuUian *), Origines und Chrysostomus be-
1) HaUelaja (Lobet den Herrn) ist ein Jubelruf, welcher höchst wahr-
scheinlich ebenfalls aus dem jüdischen Gottesdienste stammt, woselbst er in
der Psalmodie vorkommt. Zum ersten Male erscheint derselbe im 104.
Psalm, dann weiter in den Psalmen 106, 110—118, 134, 136, 145-— 150,
welche Psalmen auch psalmi allelujatici genannt werden.
2) Vom neunten Jahrhundert an wurde das Gradualresponsorium (siehe
unten) noch weiter abgekürzt und schliesslich auf einen Vers beschränkt, und
statt der öfteren Wiederholungen derselben bei feierlichen Messen das Alle-
luja oder der Tractus — ein Gesang während der Fastenzeit an Stelle des
dem Graduale folgenden AUeluja, dessen Text meistens den Psalmen ent-
nommen war — gesungen.
Graduale oder Stufenpsalm war eine Art von Responsorialpsalm, welcher
nach Vorlesung der Epistel vom Vorsänger an der unteren Stufe des Am-
bons, eines hohen Pultes, auf welchem der Lektor die Epistel zu verlesen
pflegte, intonirt und vom Chor weitergesungen wurde. In der Markuskirche
zu Venedig^ befinden sich noch heute auf beiden Seiten des Hochaltars zwei
erhabene Bühnen — ambones — zu denen Stufen hinanfähren. Der Diacon,
wenn er die Epistel von der einen Bühne verlesen, tritt zu dem Hochaltar, und
nachdem er das Evangelienbuch von dessen Mitte geholt, besteigt er die andere,
um von ihr das Evangelium zu verkünden. Während dessen ertönt das Gra-
duale, angestimmt von dem Sängerchor auf den Stufen des Ambon. Siehe Win-
terfeld: Johann Gabrieli und sein Zeitalter. 3 Bände. Berlin 1834. I. S. 28.
3) Nach Probst a. a. O. S. 362 ist Tertullian der Erste, welcher des
Psalmengesangs zwischen der Lesung und der Predigt erwähnt. Das zweite
Buch der apostolischen Constitutionen präcisirt seine Angaben dahin, dass
dieser Psalmengesang zwischen der Lesung der alt- und neutestamentlichen
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— 8 -
stätigt wird; die betreffenden Verse oder Abschnitte wurden
also singend gelesen und nur die Schlussworte oder Schluss-
silben derselben durch steigende oder fallende Intervallschritte
ausgezeichnet. Schelle ^) glaubt, dass der kirchliche Gesang
der Christen in den ersten Jahrhunderten hauptsächlich wohl
in einer fortlaufenden Modulation der Stimme bestanden habe,
welche aus dem Klange der Lautsilben hervorgieng, aber sich
innerhalb bestimmter Tonverhältnisse musikalisch gestaltete und
die musikalische Empfindung in innigster Wechselbeziehung
mit der Bedeutung und dem Inhalt der Wörter hielt.
L
Der Kirchengesang vom 4.— 11. Jahrhundert.
Es dürfte wohl keinem Zweifel mehr unterliegen , dass
wir den Bemühungen der römischen Kirche sowie deren sorg-
fältiger Pflege der kirchlichen Tonkunst die ganze Entwick-
lung der Musik als Kunst zu verdanken haben. Fand doch
dieselbe nicht sowohl in den Päbsten als in jenen Männern,
welche, ihr Leben dem Dienste der Kirche weihend, in ihren
stillen Klosterräumen so viel zur Förderung der Künste und
der Wissenschaften beigetragen haben, eifrige Freunde und
Gönner, ohne deren rastlose und unermüdliche Arbeit und
Weiterpflanzung des Gewonnenen , Erlernten und Selbst-
geschaffenen sowohl durch mündliche als schriftliche Lehr-
thätigkeit die Tonkunst im Abendlande vielleicht noch auf
jener primitiven Stufe stehen würde, welche dieselbe heute noch
im Orient einnimmt. Während dort der Kirchengesang immer
mehr zur einförmigen Cantillation heruntersank, nahm derselbe
einen um so grösseren Aufschwung im Abendlande, woselbst
der Gottesdienst mit der Zeit eine bestimmtere und reichere
Schriften stattgefunden habe. Was die Art und Weise des Vortrags anbe-
lange, so habe der vom Lektor verschiedene Sänger die Psalmen gesprochen
und das Volk je den letzten Vers wiederholt.
1) E. Schelle: Die päbstliche Sängerschule in Rom. Wien 1872.
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— 9 —
Ausbildung Vhielt und in Folge dessen sich auch die Auf-
merksamkeit mehr auf das bis jetzt mehr oder minder gering-
schätzig behandelte Cantorat lenken musste, während das Volk
oder die Gemeinde sich auf die schon in der Urkirche üblich
gewesenen refrainartigen Wiederholungen gewisser Gebete oder
Gesänge der Priester beantwortenden Zu- oder Ausrufe, die
sogenannten liturgischen Formeln wie Kyrie eleison, Halle-
luja oder Amen, beschränken musste. So soll schon das Concil
von Laodicea gegen Ende des vierten Jahrhunderts verordnet
haben, dass Niemand ausser den zur Geistlichkeit gehörigen
Sängern, welche den für sie bestimmten höheren Platz ein-
zunehmen hatten, zu singen berechtigt sei.
Der Mangel an den nöthigen geschulten Sängern gab
den ersten Anstoss zur Gründung von Anstalten, in welchen
zunächst wohl Vorsänger zu ihrem Amt vorbereitet wurden.
So soll bereits zu Anfang des vierten Jahrhunderts Pabst
Sylvester (314 — 335) zu Kom eine solche Singschule errichtet
haben, was Schelle ^) bestreitet, und zwar schon aus dem
Grunde, weil vor dem 16. Jahrhundert dieser Thatsache von
keinem Schriftsteller erwähnt wird und auch der Biograph
Gregor I., Johann Diaconus nichts hie von berichtet; auch
erscheinen iu der ersten Zeit nach Sylvester die Sänger nicht
unter den Klassen der römischen Geistlichkeit. Nach Gerbert *)
soll Pabst Hilarius im fünften Jahrhundert eine solche Schule
gegründet haben. Mag dem sein wie ihm wolle, auf jeden
Fall hatten diese Schulen weder den Einfluss noch die Be-
deutung der später errichteten Anstalten, von welchen noch
die Kede sein wird, sondern deren Wirksamkeit blieb eine
beschränkte.
Die der alten griechischen Üctavengattung entnommene
Scala: defgahcd war die Grundscala, in welcher der
Kirchengesang damals sich bewegt zu haben scheint *). Da
jedoch diese acht Töne die Thätigkeit der Sänger zu sehr
beschränkten und einengten, so wurden in Rücksicht auf den
1) Schelle a. a. O. S. 35 und ff. widerlegt in erschöpfender Weise
diese Annahme.
2) Gerb er t: De mus. et cant. I.
3) Ambros a. a. O. II.
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— 10 —
Character der menschlichen Stimme die drei nächst höhern
Octavreihen dazu genommen und finden wir vom vierten Jahr-
hundert an folgende vier Tonreihen: ^
D E^F G A H^C D
E-^F G A H^C D E
F G A H^C D E^F
G A H^C D E^F G
Diese vier Tonreihen wurden später die authentischen
(ächten) auch die Ambrosianischen Kirchentöne genannt.
Aus den Bezeichnungen Protos, Deuteros, Tritos und Tetratos
für diese vier Tonreihen schliesst Schelle ^), dass dieser Akt
sich in Byzanz vollzogen und von Ambrosius oder sonst einem
musikkundigen Bischof nach ihm für Italien in Praxis gebracht
worden sei.
Ambrosius, Kirchenlehrer und Bischof zu Mailand,
wurde im Jahr 333 zu Trier, nach andern zu Arles geboren
und starb 397 zu Mailand. Derselbe hat sich Verdienste um
die Hebung und Erweiterung des abendländischen Kirchen-
gesangs erworben, indem er den Gesang der Hymnen und
Psalmen nach der Art und Weise der morgenländischen Kirche
einführte. Wenn auch die Erfolge seiner Thätigkeit zunächst
auf Mailand beschränkt blieben, so wurde der dortige Kirchen-
gesang doch bald ein Vorbild für andere Kirchen, woselbst
er Beifall und Nachahmung fand.
Unter Ambrosianischem Gesang — Cantus Ambrosianus —
versteht man also den von Ambrosius gegen das Jahr 380
in Italien, vorzugsweise in die Mailänderkirche, eingeführten
Hymnengesang. Die Annahme, dass dieser Hymnengesang
von Ambrosius selbst herrühren soll, entbehrt jeder berechtigten
Unterlage, derselbe war vielmehr von ihm, wie schon bemerkt,
aus der morgenländischen Kirche herübergenommen. So be-
richtet der Zeitgenosse des Ambrosius, der Kirchenvater Augu-
stinus *), dass Ambrosius sich den Hass der Mutter des noch
unmündigen Kaisers Valentinian, welche der arianischen Lehre
zugethan war, zugezogen habe; in Gefahr, durch dieselbe
1) Schelle a. a. O. S. 52; siehe auch Forkel a. a. O. II S. 163.
2) August. Confess. 9. Buch.
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— 11 —
seiner Gemeinde entrissen zu werden, verbrachte er mit
Letzterer mehrere Tage und Nächte in der Kirche, und um
sie zu trösten, liess er dieselbe Hymnen in Wechselchören
nach der Weise des Morgenlandes singen. Weiter berichtet
uns Augustinus, dass dieser Gesang sich von Mailand aus in
die Kirchen des Abendlandes verbreitet habe.
Ambros ^) bestreitet auch die von F^tis *) ausgesprochene
Annahme, dass Ambrosius die Tonalität und die Art der Aus-
führung der Psalmen und Hymnen selbst geregelt habe; er
•bezweifelt weiter, dass der Antiphonengesang auf keinem an-
deren Wege als durch Ambrosius in die abendländische Kirche
gelangt sei. Derselbe sei vielmehr von Antiochien nach Kon-
stantinopel gedrungen, woselbst ihn 398 Chrysostomus ange-
ordnet habe; von hier aus wäre er dann durch Hilarius von
Poitiers an letzterm Orte eingeführt worden und es sei sogar
zweifelhaft, ob Pabst Cölestin ihn für die römische Kirche über
Poitiers oder über Mailand erhalten habe. So viel scheint nun
gewiss zu sein, dass Hilarius (f 368), vom griechisch-kirchlichen
Ritus angeregt, christliche Gesänge dichtete und den Gebrauch
derselben in Gallien einführte. Ambrosius hat jedoch unzweifel-
haft das Verdienst, den Gesang in Wechselchören sowie den
Hymnengesang, welcher im Gegensatz zur Psalmodie sich durch
seine melodisch -modulatorische und rythmische Beschaffenheit
ausgezeichnet haben soll, in die Mailänder Kirche eingeführt
zu haben. Er sei auch der Erste gewesen , welcher die ganze
Gemeinde an den gottesdienstlichen Gesängen sich habe bethei-
ligen lassen, da vor ihm der Kirchengesang in Italien eine
blosse monotone Cantillation gewesen sei. Doch sind dies blosse
Vermuthungen , da wir über die rituellen Gebräuche und Ge-
sänge der abendländischen Kirche in den ersten Jahrhunderten
eigentlich nichts Zuverlässiges wissen.
Diese Hymnen besassen nicht den volksthümlichen Cha-
rakter des Psalmengesangs. Wenn dieselben auch das Ge-
präge christlich volksthümlicher Denk- und Sprechweise an sich
trugen, so lag ihnen doch die heidnisch klassische Kunst-
1) Ambros II S. 14 u. 15.
2) F^tis: Biogr. univers. 2. ddit. art. Ambrosius.
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poesie zu Grunde; ihr Inhalt war mehr dogmatischer Natur
und wurde des Missbrauchs wegen, welchen die Häretiker da-
von machten, von der Kirchenversammlung von Laodicea den
biblischen Psalmen untergeordnet und ihr Gebrauch beim öffent-
lichen Gottesdienst sogar verboten. Erst als einige Kirchen-
väter wie Hilarius, Ambrosius, Augustinus und A., um den
häretischen Hymnen entgegen zu wirken, selbst Hymnen dich-
teten, wurden diese Gesänge für den Gebrauch beim öffent-
lichen Gottesdienst zugelassen; jedoch nicht in allen Kirchen,
zu Kom sogar erst im zwölften Jahrhundert. Weil diese Hym-
nen ihres dogmatischen und polemischen Inhalts wegen über
die Fassungskraft des gemeinen Volkes giengen, so waren sie
auch zunächst nicht zum Absingen für die ganze Gemeinde
bestimmt, vielmehr wurden gerade diese Hymnen die Veran-
lassung zur Einführung jenes kunstmässigen Kirchengesangs,
welcher der Ambrosianische genannt wurde ^).
Thierfelder ^), welcher dem Ambrosius die Hymnen: 39 Ae-
terno verum conditor*, „Jam surget hora tertia*, ,jDeus creator
omnium* sowie den von Luther übersetzten Hymnus ,jVeni re^
demptor gentium^' (Nun kommt der Heiden Heiland) — welcher
im Jahr 1524 die heutige Gestalt des in der evangelischen
Kirche gesungenen Chorals erhielt — zuschreibt, zieht aus der
Structur der Hymnentexte und aus verschiedenen Schriftsteller-
zeugnissen den Schluss, dass Ambrosius sich bei der musikali-
schen Behandlung seiner Hymnen streng an den ßythmus und
das Metrum des Textes hielt und dieselben im dreitheiligen
Takt (jambischem Versmass) gesungen worden seien und den
einzelnen Versen entsprechend viertaktige Perioden — je vier
eine Strophe — gebildet hätten. Der Monotonie, welche bei
solcher rythmischer Gestaltung nicht ausbleiben konnte, sei
dadurch abgeholfen worden, dass lange Silben anstatt mit einem,
mit zwei Tönen, für einen langen Ton also zwei kurze einge-
setzt wurden.
Vorausgesetzt dass diese Conclusionen richtig, so gienge
1) Wolf F.: üeber die Lais , Sequenzen und Leiche. Heidelberg 1841.
S. 86.
2) Thierfelder: De christianorum psalmis et hymnis usque ad Am-
brosii tempora 1 868 ; siehe auch dessen Aufsatz bei Mendel.
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— 13 —
daraus hervor, dass die Ambrosianischen Gesänge einen be-
stimmten Rythmus (den dreitheiligen Takt), strenges Metrum
(viertaktige Periode), sonach symmetrisch gegliederte Melodien
gehabt hätten. Auch nach Wolf waren diese Hymnen metrisch,
nach antiken Mustern in gleichmässigen Strophen gebaut, die
alle nach derselben Melodie abgesungen worden seien. „Die
meisten und ältesten Hymnen sind in Strophen von vier jam-
bischen vierfüssigen oder achtsilbigen Versen , dem für die schon
mehr accentuirende als quantitirende Sprache und für den volks-
mässigen Choralgesang passendsten Versmass der Alten, ab-
gefasst^^ *).
Ob der sogenannte Ambrosianische Lobgesang: „Te deum
laudamus" (Herr Gott dich loben wir) von Ambrosius selbst
herrührt, ist sehr zweifelhaft. Thierfelder nimmt an, dass, da
griechische Lieder aus älterer Zeit existiren, welche mit dem
Tedeum Aehnlichkeit besitzen und zum grössten Theil mit dem-
selben übereinstimmen sollen, der sogenannte Ambrosianische
Lobgesang eine freie Uebersetzung aus dem Griechischen sei ^),
Auch Luft ^) spricht demselben ein höheres Alter zu.
Durch die von Ambrosius, wie gewöhnlich angenommen
1) Wolf a. a. O. S. 87.
Der jetzige Ritus, nach welchem die strophisch-metrischen Hymnen auf
die mannigfachste Weise in die Tagzeiten verweht sind, reicht nicht üher
das zwölfte Jahrhundert. Früher fanden sie vor und nach denselben statt;
ein Beweis, dass diese Hymnen erst entstanden sind, als die Psalmodie schon
eine gewisse Ausdehnung erlangt hatte. Bei dem eigentlichen Volksgottes-
dienste kamen sie bei der Vesper vor. Bei der Messe begegnet uns aus
dem eben angeführten Grunde dieselbe Erscheinung und zwar hier in noch
höherem Grade, weil der Messritus bei der Entstehung der strophisch-met-
rischen Hymnen schon sehr ausgebildet war, so dass diese Hymnen lange
dem Messritus nicht einverleibt waren. Die Messe hatte nach uraltem Ge-
brauch ihre prosenartigen Gesänge. Die Einverleibung der strophisch-met-
rischen Hymnen geschah erst mit der Entstehung der Sequenzen (siehe
unten) und diese waren daher anfangs gleichfalls Eythmen. Dagegen giengen
die strophischen Hymnen oft dem Messgottesdienste bei besonderen Gelegen-
heiten voran, wie der Hymnus Veni creator spiritus und kehrten ebenso
bei Umgängen, bei Ertheilung des Segens und anderen Theilen der Liturgie
häufig wieder. Luft a. a. O. II. 164.
2) Siehe auch H. A. Daniel: Thesaurus hymnologicus 1. und 2. Bd.
Halle 1841/44. 3. u. 4. Bd. Leipzig 1846/55.
3) Luft a. a. O. H S. 145.
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— 14 —
wird, doch historisch nicht erwiesen werden kann, eingeführ-
ten sogenannten vier authentischen Kirchentöne war die Dia-
tonik gegenüber der Chromatik und Enharmonik der Grie-
chen als allein massgebend und gültig auf lange Zeit in der
abendländischen Kirche anerkannt. F^tis will zwar die Ei-
genheit des Ambrosianischen Gesanges in der * Anwendung
von Halbtönen und chromatischen Ornamenten finden. Doch
dürfte ein stricter Beweis hiefür wie für die Thierfelder'sche
Hypothese um so schwerer zu erbringen sein, als über die
wirkliche Beschafifenheit des Ambrosianischen Gesanges, wie wir
sahen, nur Vermuthungen herrschen und die sogenannten Ambro-
sianischen Gesangbücher aus einer viel späteren Zeit stammen^).
Während im Abendlande der Kirchengesang durch die Be-
strebungen eines Ambrosiüs, Augustinus, sowie der Päbste Leo
des Grossen 440—461, Gelasius 492—496, Johannes I. 523—
526, eines Gregor von Tours u. A. eine gedeihliche Weiter-
entwicklung erfuhr, artete derselbe in der orientalischen Kirche
immer mehr aus. Der Patriarch Theophylactos von Con-
stantinopel brachte sogar weltliche Gesänge in die Kirche.
Demselben lag überhaupt sein Marstall, in welchem er mehrere
hundert kostbare Pferde hielt, mehr am Herzen als die Pflege
der Kirchenmusik und schon Kaiser Justinian 527 — 565 sah
sich genöthigt eine Verordnung zu erlassen, wonach alle Kleriker,
welche bei den einzeln Kirchen angestellt waren, „ungeheissen
die Nacht-, Morgen- und Abendgesänge absingen sollen, damit
man nicht aus ihrem blossen Zehren an den Kirchengütern
merke, dass sie Cleriker sind, während sie ihre Pflicht beim
Gottesdienst nicht erfüllen" ^),
Dem Kirchengesang der abendländischen Kirche erstand
unterdessen ein weiterer bedeutender Pfleger und Reformator
in Gregor I.
Gregor der Erste, auch der Grosse genannt, wurde
zu Rom im Jahr 540 geboren, woselbst er sich ursprünglich
juristischen Studien widmete und das Amt eines römischen
Prätors ausübte. Nach dem Tode seines Vaters im Jahr 570
1) Forkel II §. 77.
2) Ambros II.
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— 15 —
legte er sein Amt nieder und gieng in ein Kloster; unter
Pabst Benedict wurde er 577 Diacon, unter Pelagius II. Ge-
sandter in Constantinopel, woselbst er auf jeden Fall Gelegen-
heit hatte, die dortige Liturgie und den Kirchengesang
kennen zu lernen. Er zog sich jedoch bald wieder in das von
ihm gegründete Kloster zurück, bis er nach dem Tode Pela-
gius' einstimmig zum römischen Bischof erwählt wurde.
Gregor ist ein um die Kirchenmusik des frühen Mittel-
alters hoch verdienter Mann, da er zweifelsohne das Verdienst
hat, den Gesang der abendländisch christlichen Kirche einheitlich
geregelt und geordnet, denselben den verschiedenen nationalen
Einflüssen, welchen er unterworfen war, entzogen und in be-
stimmte Bahnen gelenkt zu haben. Die von ihm aus den ver-
schiedenen Liturgien gesammelten und durch ihn vermehrten
kirchlichen Weisen ordnete er nach den Zeiten des Kirchen-
jahrs und gab damit dem Kirchengesang jene Gestalt, welche
heute noch in den Ritualgesängen der katholischen Kirche
„Gregorianischer Gesang" genannt wird ^). Diese S0.mmlung
erhielt den Namen Antiphonar. Dieses Antiphonar, in wel-
chem auch ohne Zweifel Ambrosianische Gesänge aufgenommen
waren, wurde vor dem Altar des heiligen Petrus in der Peters-
kirche zu Rom, an einer Kette befestigt, niedergelegt.
Die Gesänge erhielten die Bezeichung Cantus Grego-
rianus, auch Cantus planus (piain chant, gleichförmiger
Gesang) , weil derselbe in lauter gleichwerthigen Noten bestan-
den haben soll, was, wie wir noch sehen werden, nicht
ganz zutreffend ist, da die Entstehung des sogenannten Cantus
planus in eine spätere Zeit fallt. Nach Schlecht ^) erhielt der
Gregorianische Gesang diese Bezeichung daher , dass die Con-
trapunktisten der niederländischen Schule — wie wir ebenfalls
weiter unten noch erfahren werden — ihren polyphonen Ar-
beiten sehr oft eine gregorianische Weise zu Grunde legten,
welche gewöhnlich in Noten von gleichmässiger Länge als
Breves oder Semibreves notirt wurde. Der Gregorianische
1) Die Choralweise „Allein Gott in der Höh' sei Ehr" soll gregorianisch
sein, ebenso die Grundlage des Chorals „O Lamm Gottes unschuldig."
2) Schlecht: Geschichte der Kirchenmusik. Eegensburg 1871. Al-
fred Coppenrath B. 14.
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— 16 —
Gesang wurde auch Cantus choralis genannt, weil er im
Chor vom Sängerchor, welcher aus Klerikern bestand, gesungen
wurde. Gregor beschränkte nämlich den Gesang, für welchen
in der griechischen Kirche schon das Concil von Laodicea im
Jahr 381 die Bestimmung getroffen hatte, dass nur die eigens
dazu aufgestellten Psalmensänger In der Kirche singen dürften,
vollends auf den Priesterchor. Er hiess auch Cantus usalis^
weil er durch die Tradition sich fortpflanzte , da die damalige
Notenschrift — die sogenannten Neumen, jene Punkte,
Häckelchen, Strichelchen, Schnörkel, Halbkreise und Quer-
striche, welche durch ihre Stellung und Gestalt dem Sänger
das Steigen oder Fallen der Stimme bezeichneten — ein vom
Blatt Singen unmöglich machten.
Es geht hieraus hervor, dass jene Ansicht, die Gregor
eine vereinfachte Notenschrift zuschreibt, eine irrige ist. Er
setzte vielmehr an die Stelle der schwerfälligen Benennungen
der griechischen Musik die sieben ersten Buchataben des Al-
phabets, .wobei freilich zu verwundern ist, dass er diese zur
Bezeichnung der Töne gewählten Buchstaben nicht auch zu-
gleich als Tonschrift benützte. Bis jetzt ist auch ein mit diesen
Buchstaben notirter Codex der römischen Liturgie nicht auf-
gefunden worden , und das zu St. Gallen verwahrte , dem
römischen Original nachgebildet sein sollende Antiphonar
Gregorys ^) ist ebenfalls mit den sogenannten Neumen, welche
bis in das 14. Jahrhundert die einzig übliche Notenschrift In
den liturgischen Büchern bildeten, versehen.
Ambroslus gab die alte sprachliche ßythmik nicht voll-
ständig auf und dies war auch der Grund, warum die Melodik
sich nicht frei und selbständig entwickeln und entfalten konnte,
da sie dazu eines selbständigeren Rythmus bedarf. Die gre-
gorianischen Melodien, bei welchen jede Silbe nicht nur einen,
sondern auch mehrere Töne enthalten konnte, zeichnen sich
hauptsächlich dadurch aus, dass dieselben die Töne zu kleinern
Einheiten verbanden und diese wiederum zu grössern, gleich
1) Siehe hierüber Kiesewette r's Untersuchungen in Nr. 25, 26
und 27 der Leipziger Allg. Musik. Zeitung vom Jahr 1828 sowie Schu-
biger: Die Sängerschule von St. Gallen, Einsiedeln und New- York 1858.
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— 17 —
dem Verbundensein der Silben und Worte zu metrischen
Versen und diese zu Zeilen. j^In der antiken Musik war die
Prosodie *) das dominirende Element. Die Musik hatte Sie
prosodische Geltung der Silben zum Ausdruck zu bringen.
In der gregorianischen Gesangsweise ist die Prosodie verdrängt,
und der Vortrag richtet sich nur nach dem rhetorischen Ryth-
mus allein, nach den Gesetzen, die wir jetzt im Lesen der la-
teinischen Sprache beobachten, wo es sich bloss um die Quan-
tität der vorletzten Silben handelt, während die der übrigen
unberücksichtigt bleibt* *).
Diese Befreiung der Melodie von den Fesseln der Pro-
sodie machte die Musik von der Wortdichtung unabhängig
und ermöglichte dem Ton, sich auf den einzelnen, nach Belieben
dehnbaren Textsilben', in bunter Mannigfaltigkeit zu reichen
Gängen, zu Coloraturen und Figurationen zu gestalten. „Der
plastischen Gemessenheit der antiken Tonkunst widersprach
dieses , man könnte sagen malerische , bunt -phantastische
Wesen, wogegen die barbarischen, d. i. nichtgriechischen,
asiatischen Völker so gewiss schon damals an solchen Verbrä-
mungen der Melodie ihr Wohlgefallen hatten , als sie es heute
noch haben. In den asiatischen und afrikanischen Kirchen
mögen sich also vielleicht zuerst jene reichen Tongänge heraus-
gebildet haben, die hernach auch in den Gregorianischen
Gesang der abendländischen Kirche aufgenommen wurden und
hier eine sehr wesentliche Geltung erlangten" *).
Doch gab es auch im Gregorianischen Gesang noch Ge-
sänge, bei welchen die Qualität der Silben und deren Accen-
tuation genau beobachtet wurde. So wurden beim rituellen Ge-
sang z. B. das „Vater unser", das „Glaubensbekenntnisse, die
„Collecten" *), die Evangelien und die Epistel wie die Litaneien
1) Griechisch prosödia. Zugesang von pros zu und ode Gesang, daher
ursprünglich der Silbenton, Accent, dann das Tonzeichen sowie sonstige
die Aussprache bestimmende Zeichen; hauptsächlich verstand man darunter
die metrische Bezeichnung der Länge und Kürze der Silben.
2) Schlecht a. a. O. sowie Krause: Darstellungen aus der Ge-
schichte der Musik. Göttingen 1827. S. 97.
3) Ambros II S. 61.
4) Kurze Gebete, welche der Vorlesung der heiligen Schrift vorangingen.
2
Sittard, Compendium.
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— 18 —
auf einem Ton , unter Berücksichtigung der Silbenquantität ge-
sungen, und nur die Schlussfalle und Interpunktionen durch
besondere Intervallschritte ausgezeichnet. So wurde später
auch der Gregorianische Gesang in den theoretischen Schriften
iK*^ zwei Klassen, den Colicentus und Accentus eingetheilt. Der
Concentus bildete die Gesänge mit zusammenhängender Melo-
die , wie die Antiphonien, Hymnen , die Messgesänge des Ge-
sammtchors, während zum Accentus der CoUectenton (Tonus
orationum), der Epistolar- und Evangelienton (Tonus Episto-
larum et Evangelii), der Lectionston (Tonus lectionum) u. s. w.
gehörten, welche mehr gesprochen als gesungen wurden, und
ein geringer Tonfall nur auf den Endsilben an den Bedeein-
schnitten stattfand.
Gregor soll auch die vier sogenannten Ambrosianischen
Kirchentöne oder Kirchentonarten um vier vermehrt haben,
welche aus der Versetzung der ersteren in die ünterquarte
hervorgiengen und im Gegensatz zu den authentischen, die
plagalischen (von schief, seitlich, weil sie ohne selbstän-
digen Halt an die authentischen sich anlehnten) Kirchentöne
genannt wurden ^).
Diese acht Kirchentöne , welche heute noch im liturgischen
Gesang der römischen Kirche fortleben, sind folgende :
Erster authentischer Kirchenton DEFGAHcd
Zweiter plagalischer „ A BTO D E'F G A
Dritter authentischer „ EFGAHcde
Vierter plagalischer „ BTG D EF G A H
Fünfter authentischer „ F G A BTc d ef
Sechster plagalischer „ CD E^ G A ETc
Siebter authentischer „ G A Hc d ef g
Achter plagalischer „ D E^F G A H^ d
Diese Kirchentöne wurden auch Toni oder Modi, auch
Tenor es genannt, weil sie als eine festbestinmite und genau ein-
1) F^tis in seiner Hißtoire de la musique IV S. 158 sucht zwar durch
Gründe, welche beachtenswerth sind, zu beweisen, dass Gr^or den Gebrauch
der acht Kirchentöne schon vorfand und er die schon bestehende Tonalität
nicht veränderte, zumal er die verschiedenen Gesänge seines Antiphonars
nicht selbst componirt, sondern nur gesammelt habe.
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— 19 —
•
zuhaltende Norm (Tenores) galten ; letztere Bezeichnung wurde
nicht mehr gebraucht, als im späteren mehrstimmigen Gesang
der Cantus firmus Tenor genannt wurde, weil dem Tenor in
der Regel derselbe zugetheilt wurde.
Hiemit war mit dem System des griechischen Tetrachords
gebrochen und jenes der Octave zu Grunde gelegt. Der authen-
tische Ton erhielt die Bedeutung unse^rer Tonica, der Plagalton
jene der Dominante.
Die Merkmale, an welchen die Tonarten erkannt wurden,
waren zunächst ihr Ambitus (Umfang) und die Reper-,
cussion.
Derjenige Kirchenton nämlich, welcher bis zu einer Octave
stieg, war authentisch, und jener, welcher aufwärts nur bis zur
Quinte, abwärts bis zur Quarte stieg, plagal. Diese Regel
galt auch dann noch, als der Octave, die nicht überschritten
werden sollte, noch ein oder mehrere Töne angereiht wurden.
Stieg der authentische Ton bis zur Octave, None oder Decime
und fiel er unter den Finalton nur um eine Secunde, so war
er authentisch; fiel er dagegen um eine Quarte oder Quinte
und stieg zur Sexte oder Septime, so war er plagal.
Man erkannte die Tonart oder den Kirchenton weiter an
der Repercussion, worunter man das in jedem Modus am ge-
bräuchlichste Intervall , die sogenannte Choralnote ver-
stand. Im ersten, dritten, fünften und siebten Kirchenton
war dies die Quinte, im zweiten und sechsten die Terz, im
vierten und achten die Quart. Ferner erkannte man sie an den
Tropen^), kurze melodische Formeln, welche den Sehluss-
1) Martini in seiner Storia dell. mus. I S. 386 glaubt, dass das Wort
Tropus alle acht Kirchentöne bedeutet habe, dass also jeder einzelne Kirchen-
ton ein Tropus gewesen sei. Bei den mittelalterlichen Schriftstellera hatten
Tropus und Modus die gleiche Bedeutung; andere wieder verstanden hier-
unter die Melodien der Psalmen und der Dozologie sowie die Yersetten beim
Responsoriengesang. Wolf a. a. O. ist der Ansicht, dass Tropus und
Prosa (Prosen) anfänglich gleichbedeutend waren und man unter beiden
Ausdrücken entweder eine bestimmte Art des Kirchengesangs oder die zwischen
anderen Kirchengesängen eingeschalteten Texte — versus intercalares , die
späteren Farcies , auf welche wir noch zurückkommen werden — verstand.
„Da die Prosen als Gesangsweise zur volksmässigen Psalmodie gehörten, so
erhielt dieselbe im Gegensatz zu der kunstmässig-metrischen oder ambrosi-
2*
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— 20 —
versen der Eesponsorien und des Irftroitus, dem Graduale so
wie dem AUeluja auf den Vocalen Euouae (Seculorum amen)
angehängt wurden. Da deren Länge^ welche später oft mehrere
Linien umfasste, öfteres Athemholen bedingte, so wurden sie
auch Pneuma (Hauch, Athem, Fortsetzung der Stimme, so
lange der Athem aushalten kann) genannt, aus welcher die
Jubilus und noch später wie wir sehen werden, die Sequenzen
entstanden.
Solcher Tropen besass jeder Kirchenton mehrere, oft
vier bis fünf, welche wegen ihrer Abweichung vom ursprüng-
lichen Schluss Differenzen genannt wurden. Den Ur-
sprung dieser sogenannten Differenzen glauben verschiedene
Schriftsteller in den ungenügenden Kenntnissen mancher un-
musikalischen Sänger zu finden, welche die Psalmmelodien
bald in einem hohem, bald in einem tiefem Ton geschlossen
hätten; doch wird wohl die allmählige Ausbreitung des Ge-
sanges zur Entstehung derselben beigetragen haben. Nach
Forkel sollen schon in der vorgregorianischen Zeit sogenannte
Tropen bestanden haben.
Jeder Psalmtropus hatte eine ihm eigenthümliche Bezeich-
nung. So hiess der Tropus
des ersten Tones: Adam primus homo; derselbe hatte fünf
Differenzen ;
Noe secundus, ohne Differenz;
Tertius Abraham mit drei Differenzen;
Quatuor Evangelistse mit vier Differenzen y
Quinque libri Mosis mit einer Differenz;
Sex Hydriaö positse mit einer Differenz;
Septem scholae sunt artes mit fünf Diffe-
renzen;
anischen Gresangsweise den Namen der prosaischen (cantus prosaicus). Die
Zwischengesänge wurden auch bald Tropus oder Prosa genannt, je nachdem
man die refrainartige Wiederkehr der Gresangsweise als einer Art des Res-
ponsoriengesangs' oder deren und der ihr angepassten Texte unmetrische Con-
struktionen mehr hervorheben wollte. Die Texte waren meistens den Psal-
men oder der heiligen Schrift entnommen und wurden seit dem neunten
Jahrhundert hauptsächlich beim Introitug und Graduale angebracht." A. a.
O. S. 93.
zweiten
dritten
vierten
fünften
sechsten
siebten
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~ 21 —
des achten Tones: Sed octo sunt partes mit drei Differenzen ^).
Ambros und andere Historiker halten die gewöhnliche An-
nahme, dass der Gregorianische Gesang sich in gleichwerthigen
Tönen bewegt habe, im Gegensatz zum Ambrosianischen, wel-
cher die Quantitäten der Silben berücksichtigte, für nicht
ganz zutreffend. Abgesehen davon, dass die Psalmen, CoUec-
ten, Episteln, überhaupt die BrCsponsorien und Antiphonen in
mehr recitirender Weise gesungen wurden und nur gegen
Schluss derselben sich die Stimme etwas gehoben oder ge-
senkt habe, enthält das Antiphonar Bomanus (siehe unten)
eine Menge Vortragszeichen, welche der unterschiedslos glei-
chen Dauer der Töne des Gregorianischen Gesangs, wie ge-
wöhnlich angenommen wurde, widerspricht*). Wir werden
weiter unten ausfuhrlich hierauf zurückkommen.
Gregor gründete auch die erste Singschule in Eom ; denn
wenn auch schon dem Pabst Hilarius (461 — 468) die Er-
richtung eines solchen Cantorats zugeschrieben wurde, so war
auf jeden Fall Gregor der erste, welcher eine Sängerschule
zu dem Zweck gi'ündete, den Gesang einheitlich nach be-
stimmten Gesetzen zu regeln, wodurch sich deren Einfluss
mit der Zeit über die Kirche des ganzen Abendlandes er-
streckte. Er wies derselben zwei Gebäude zu; das eine be-
fand sich in der Peterskirche, das andere beim Lateran. In
beiden Schulen ^) wurden mit guter Stimme begabte Knaben
1) Zu diesen acht Tropen gesellte sich noch ein neunter, der sogen.
Pilgerton auf den Psalm: „Da Israel aus Aegypten zog*^. Nach sanctgall-
ischen .Antiphonaren hatte der erste Kirchen ton neun Differenzen, der
zweite zwei.
2) Siehe auch Schlecht S. 14 und 20 sowie Beilage Nro. 1 S. 219
desselhen Werkes.
3) Nach Schlecht a. a. O. S. 27 enthält ein altes Buch römischer
Verordnungen über diese Schulen folgende Bestimmungen. Erstens werden
in jede dieser Schulen Knaben aufgenommen, welche gut Psalmen singen;
dann werden sie in der Sängerschule verpflegt und endlich der päbstlichen
Kammer einyerleibt. Sind die Knaben aber adelig, so werden sie sogleich
in der päbstlichen Kammer verpflegt und erhalten von dem Erzdiacon die
Ermächtigung auf einem mit Franzen versehenen Ueberzuge zu sitzen, wie
man ihn gewöhnlich über die Pferdesättel legt. Endlich werden sie, wenn
sie in der Schule verbleiben, nach Inhalt des Sakramentariums bis zum
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— 22 —
anfgenommen. Gregor soll den Schülern seiner Anstalt selber
Unterricht ertheilt haben und noch im neunten Jahrhundert soll
im Lateran das Ruhebett gezeigt worden sein, auf welchem er
liegend die Knaben unterwies, sowie der Stock, mit welchem
er die Lässigen züchtigte.
Im Laufe der Zeit wurden dann auch von auswärtigen
Klöstern und grossen Kirchen selbst Singschulen errichtet.
Die Schüler erhielten in denselben unentgeltlich Wohnung
und Nahrung. Der Vorstand oder Leiter einer solchen Schule,
zugleich in manchen Orten auch der erste Sänger, wurde
Primicerius, Prior scholae cantorum, auch Archi-
cantor genannt, und es hatte derselbe im Gesang und im
Lesen der heiligen Schrift zu unterrichten. Er intonirte auch
in der Messe häufig den Introitus, das Gloria, sowie die
Antiphonen, überhaupt bestimmte er die Wahl der Gesänge
u. s. w. Ausser diesem Primicerius waren noch vier Aelteste
in der Singschule, welche primus, secundus, tertius und
quartus scholae genannt wurden. Die Singknaben hiessen
pueri cantores.
Die von Gregor errichtete Sängerschule gelangte bald zu
grosser Berühmtheit und die Fürsten und Bischöfe aus ver-
schiedenen Ländern Hessen sich römische Cantores kommen,
um den Gesang in ihren Ländern resp. Diöcesen nach Art des
römischen einrichten oder verbessern zu lassen. Die Reform-
versuche waren jedoch nicht immer von bleibendem Erfolge
begleitet. Namentlich bei den Galliern und Deutschen stiess
die Einführung eines geregelten Kirchengesanges auf grosse
Schwierigkeiten und die griechischen und römischen Schriftsteller
sind voller Klagen über Stimpae und Sprache beider Völker.
Kaiser Julian verglich den Gesang der Gallier mit dem
Krächzen der Raben, und jener unserer biedern Vorfahren
kam noch schlimmer weg. So berichtet uns Diacon Johannes
in seiner Lebensbeschreibung Gregors, dass zur Lebenszeit
dieses Pabstes die Gallier und Allemannen sehr oft Gelegen-
heit gehabt hätten, den römischen Gesang zu erlernen. Aber
Bubdiaconat befördert, aber nie durch öffentliche Ordination zum Diaconat
oder Presbyterat.
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— 23 -
unter allen Völkern Europa's wären sie am wenigsten fähig
gewesen, denselben in seiner Reinheit zu begreifen, sei es
nun, dass sie aus Leichtsinn immer etwas von dem ihrigen
dazu mischten, oder dass ihre von der Natur ererbte Wild-
heit sie daran hinderte. Ihre rohen, wie Donner brüllenden
Stimmen seien keiner sanften Modulation fähig gewesen, weil
ihre an den Trunk gewöhnten und ungebildeten Kehlen jene
Biegungen, die eine zarte Stimme erfordert, nicht zuliessen,
so dass ihre abscheulichen Stimmen nur solche Töne hervor-
zubringen fähig gewesen wären, die dem Gepolter eines von
einer Anhöhe herunterrollenden Lastwagens ähnelten, und die,
statt die Herzen der Zuhörer zu rühren, vielmehr angeeckelt
hätten. Diese Schilderung dürfte wohl etwas übertrieben sein,
und in der Eitelkeit der römischen Sänger ihre Ursache finden.
Im Jahr 604 sandte Gregor die römischen Sänger und
Glaubensboten Augustin und Mellitus, welche die christliche
Lehre in England ausbreiten sollten, in verschiedene Kirchen
des Abendlandes, um den römischen Gesang daselbst einzu-
führen. Unter Vitalian (660) erschienen aber schon wieder
andere, darunter Johannes und Theodor, in Gallien, um den
Gesang in seiner ursprünglichen Reinheit wieder herzustellen.
In England waren die Bestrebungen der römischen Sendboten
von grösserem Erfolge begleitet, da schon in der zweiten
Hälfte des siebten Jahrhunderts der Gregorianische Kirchen-
gesang dortselbst zu hoher Ausbildung gelangt gewesen sein
soll ; besondere Verdienste erwarben sich namentlich Theodor
von Canterbury und Wilfrid, Bischof von York.
Bei der Anwesenheit des Pabstes Stephan II. in Paris im
Jahr 754 Hess König Pipin seine Franken durch die in der
Gefolgschaft des Pabstes befindlichen Geistlichen im römischen
Gesang unterrichten; doch schon vier Jahre später bat Pipin
den Pabst Paul wiederum, geschickte Singlehrer schicken zu
wollen. Der Pabst sandte den Secundicerius der römischen
Singschule, Simeon, welcher seinen Unterricht hauptsächlich
mit den Mönchen des heiligen Remigius begann ; derselbe
musste jedoch bald wieder nach Rom zurück, um die durch
den Tod des Primicerius Georg erledigte Leitung der dortigen
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— 24 -
Singschule zu übernehmen. Le Beuf i) berichtet, dass erst
gegen Ende des achten Jahrhunderts römische Melodien die
Gesänge der alten gallikanischen Kirche zum Theil verdrängt
hätten;" doch seien noch so viele Ueberreste vom alten Gre-
sang darin enthalten gewesen, dass die Abweichung vom
Gregorianischen Gesang noch bedeutend genug gewesen wäre.
Der gallikanische Gesang verbreitete sich hauptsächlich nach
Spanien, wie aus der Verordnung des vierten Toledanischen
Concils hervorgeht, dass der Gesang in Spanien dem gallischen
conform zu sein habe *).
Auch in Deutschland wurde von den römischen Send-
boten keine Mühe gescheut, einen geordneten Kirchengesang
einzuführen. So errichtete der heilige Bonifacius f 754, wel-
cher zu Rom selbst die dortigen Singschulen und deren Ein-
richtung kennen gelernt, ähnliche Anstalten zu Fulda, Eich-
stätt und Würzburg. Die bedeutendsten Singschulen in Deutsch-
land waren diejenigen von St. Gallen und Eeichenau.
Karl der Grosse, geb. 742 gest. 814, machte es sich zur an-
gelegentlichen Aufgabe, in seinen Ländern den Kirchengesang
zu reformiren. So wurde die Einfübrung des Gregorianischen
Gesanges sowohl durch eigene Befehle als durch die Provinzial-
concilien zu Aachen (803) und Thionville (805) streng ein-
geschärft. „Ich will, dass man Gott auf eine würdigere Weise
diene* sollen seine Worte bei der Thronbesteigung gewesen
sein. Auch Gesangübungen soll er an seinem Hofe abge-
halten haben , welche er nach dem Vorbilde Gregorys mit
seinem Stabe selbst leitete. Kam ein des Gesanges unkundiger
Geistlicher zu Hofe, so musste er wenigstens die Grimassen eines
Singenden nachahmen, bis ihn der höchlich ergötzte Kaiser
aus seiner Angst befreite ^). Die von ihm an seinem Hofe
errichtete Schule, an welcher ein Alkuin, Eginhard, Diacon
Paulus und Peter von Pisa unterrichteten, nahm sich ebenfalls
der Verbesserung des Kirchengesangs auf das Wärmste an und
es war ein eigener Lehrer der Singkun^t Sulpicius mit Namen
1) Trait^ historique sur le chant eccl^siastiqne.
2) Gerbert: De oant. I. 268.
3) Ambros II S. 93.
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— 25 —
an derselben tbätig. Alkuin^ in seiner Beschreibung dieser
Schule, erwähnt des letztern in folgender Weise :
„Sulpiz fährt unterrichtend mit sich die heiteren Schäaren,
»Sie durch gewisse Accente, damit sie nicht irren, zu lehren.
„Bildet Idythnus Knaben sofort in den heiligen Gteeftngen;
„Lernen der Tonkunst Numerus, Rythmus und Füsse sie kennen. '^
Auch an andern Orten errichtete Karl der Grosse ähn-
liche Schulen und es wi^ ihm ein wichtiges Anliegen, dass
überall der Gregorianische Gesang in seiner Beinheit vorge-
tragen werde, denn so wie die Völker durch das gleiche Band
des Glaubens festgehalten seien, so solle auch der Kirchen-
gesang überall ein einheitlicher sein. Ja er war für den
römischen Gesang derart eingenommen, dass er in Mailand
alle ambrosianischen Gesangbücher aufkaufen und verbrennen
liess, sowie verordnete, dass bei Strafe kein anderer Gesang
als der Gregorianische gelehrt werden dürfe. So mussten sich
auch die Geistlichen, ehe sie zum Priesterstand zugelassen
wurden, einer Prüfung im Gesänge unterziehen.
Bei einer seiner öftem Beisen nach Born nahm er einige
seiner fränkischen Sänger mit, um zu erfahren, ob ihre Melo-
dien mit den römischen übereinstimmten. Da sich hiebei be-
deutende Abweichungen vom Gregorianischen Gesang ergaben,
so liess Karl zwei seiner Kleriker zurück, damit dieselben an
der Quelle sich die genaueren Kenntnisse des römischen Ge-
sanges anzueignen vermöchten. Da jedoch der erhoffte Er-
folg, sei es an der Unfähigkeit der fränkischen Sänger oder
an deren Eigensinn, scheiterte, so bat der Kaiser im Jahr 787,
als er zum vierten Male in Bom war, den Pabst, ihm einige
tüchtige Sänger mitzugeben. Pabst Hadrian I. (772 — 795)
gab ihm die beiden gesangskundigen Sänger Theodor und
Benedict mit, welche authentische und mit der römischen Ton-
schrift versehene Abschriften des Antiphonars mit sich führten,
und von welchen der eine in Metz, der andere in Soissons
lehrte.' Auf Befehl Karls hatten alle Sänger ihre Antiphonare
denselben zu übergeben, um eine möglichste Einheit des
Kirchengesangs herzustellen. Nach dem Vorbilde dieser Schulen
wurden ähnliche in Orleans, Sens, Toul, Dijon, Cambrai, Paris
und Lyon errichtet. In Deutschland entstanden solche in St.
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— 26 -
Gallen, Eeichenau, Mainz, Hersfeld, Corvey, Trier sowie die
zu Fulda, welche unter der Leitung des gelehrten Rhabanus
Maurus, eines Schülers Alcuins, stand, welcher im Jahr 847 den
erzbischöflichen Stuhl von Mainz bestieg. Derselbe war ein
so eifriger Pfleger und Gönner der Tonkunst, dass er bei der
Besetzung der Lehrstellen in seiner Klosterschule den in der
Musik Bewanderten den Vorzug gab, denn die Musik sei eine
so edle Wissenschaft, dass man ohne sie nicht im Stande sei,
ein Lehrer- oder Priesteramt zu verwalten.
Doch alle die durch Karl's Bemühungen errungenen Er-
folge waren von keiner langen Dauer, und so trat im Kirchen-
gesang bald wieder die grösste VerwiiTung ein, so dass er im
Jahr 790 sich von Hadrian wiederum zwei Sänger ausbitten
musste, um den abermals in Verfall gerathenen Kirchenge-
sang zu reformiren. Der Pabst sandte Petrus und Roman
mit zwei authentischen Abschriften des Antiphonars nach Metz.
Der auf der Reise auf den rhätischen Alpen am Fieber er-
krankte Roman erreichte nur noch mit Mühe mit seinem
Antiphonar das Kloster St. Gallen, woselbst er freundlich auf-
genommen und verpflegt wurde. Nach dessen Genesung be-
fahl ihm der Kaiser im Kloster zu bleiben und die Mönche
im römischen Gesang zu unterrichten. Die authentische Ab-
schrift des von Roman mitgebrachten Antiphonars wurde in
St. Gallen neben dem Altare der Apostel aufgestellt und sei
lange dortselbst Einheimischen und Fremden gezeigt worden,
um ihre Gesänge nach demselben zu verbessern ^). Die Ton-
schrift desselben bestand aus den Neumen, und nach Schubiger
sollen die in allen grössern Bibliotheken Europas noch vor-
handenen zahlreichen Antiphonarien aus dem 9. — 12. Jahr-
hundert sich durch ihre üebereinstimmung als mittelbare oder
unmittelbare Abschriften von Gregorys Antiphonarium erweisen,
so dass darüber kein Zweifel mehr bestehen dürfte, dass Gregor
1) Vergleiche hierüber: Leipziger Allg. Mus. Ztg. Jahrg. 1828 Nro. 25
sowie Lambillotte: Antiphonaire de S. Gregoire, fac-simile du manuscrit
de Saint-Gall. Brnxelles 1867. Schabiger erklärt sich gegen die Authen-
ticität dieses Godexes, dessen Entstehung derselbe in das 10. Jahrhundert
verlegt und für eine Abschrift des ersten Exemplars hält.
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- 27 —
sich schon der Neumenschrift bedient. Wahrscheinlich hatte
sie ihren Ursprung in den Accenten der gewöhnlichen Schrift.
jjWie diese nämlich in sprachlicher, so veranschaulichten die
Neumen in musikalischer Beziehung dem Auge das Steigen
und Fallen und die Beugung der Stimme. Der scharfe Accent
(A. Acutus) als Arsis, der tiefe Accent (A. Gravis) als Thesis,
endlich der gedehnte Accent (A. Circuraflexus) erscheinen als
die Grundformen des Neumensystems. Wie der scharfe Accent,
so deutet das neumatische gleichgeformte Tonzeichen der Virga
das Steigen der Stimme; der tiefe Accent gleichgeformt wie
der neumatische Punkt (liegende Virga) das Fallen der Stimme;
endlich der gedehnte Accent, wie das Neumenzeichen der
Clinis, das anfängliche Steigen und wieder Sinkenlassen der
Stimme an. Dieser letzte Accent erscheint aber auch in um-
gekehrter Form, wodurch er anfanglich sinkt und dann in
die Höhe steigt und durch das neumatische Tonzeichen des
Podatus ausgedrückt wird. Auf diese Grundformen lässt sich
das ganze Notensystem der Neumenschrift zurückführen, da
die meisten übrigen Tonzeichen nur durch verschiedenartige
Zusammenstellung der vorgenannten entstanden sind^ ^).
Nach der Bedeutung der verschiedenen Neumenzeichen
gewinnen die verschiedenen Bedenken, ob der ursprüngliche
Gregorianische Gesang nur in gleichwerthigen Tönen sich be-
wegt habe, an Berechtigung. So finden wir unter den Neumen-
zeichen ^) einen Pes sinuosus, welcher zwei aufsteigende Töne
und dann einen absteigenden kurzen und zierlichen Verbindungs-
ton umfasst ; einen Pes flexus strophicus, welcher nach den drei
ersten Tönen noch einen zierlichen Nachschlag auf der Ton-
höhe der vorangehenden Note enthält; einen Epiphopus, wel-
cher aus einem tiefem und einem hohem Ton besteht, wobei
der letztere als kurzer Verzierungston vorgetragen wird. So
bestand auch die Clinis aus einem kurzen und einem langen
Ton; der Podatus aus einem kurzen und einem langen, der
Climacus aus einem langen und zwei kurzen Tönen, der
Scandicus aus zwei kurzen und einem langen Ton u. s. w.
1) Schubiger S. 6; siehe daselbst auch die historischen Belege.
2) Siehe hierüber Lambillotte a. a. O. S. 197—211; Schelle
S. 135 u. ff. sowie Schubiger a. a. O.
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— 28 —
Nur noch ein Beispiel: befanden sich auf zwei Virgen zwei
Häckchen^ so sind nach unserm Tonsystem die zwei ersten etwa
als zwei Viertel; die andern als zwei Achtel zu behandeln;
der Pressus, eine kleine Wellenlinie in horizontaler Lage mit
einem Punkt unter den Biegungen bedeutet, dass auf den be-
treffenden Ton ein Druck vermittelst eines Tremolo auszu-
üben ist, welcher sich in einen kurzen Triller oder einen
Mordent auflöst, wenn jene Wellenlinie mit Biegung ohne
Punkt in senkrechter Lage steht.
Ambros will die eigentliche Bedeutung der Gleichdauer
der Bewegung des Gregorianischen Gesanges weniger in dem
taktmässigen, gleich langen Aushalten jeder Note finden, son-
dern darin, dass alle Silben ohne Eücksicht auf die Prosodie
für völlig gleichbedeutend genommen wurden, dass also nach
den Bedürfnissen des Rythmus die prosodisch lange Silbe auch
in der Geltung einer kurzen genommen werden konnte und
umgekehrt, und nur die Gesetze einer natürlichen Declamation
berücksichtigt wurden. Es däucht uns dies doch eine gar zu
künstliche Interpretation, welche um so hinfälliger wird, als
wir oben ausgeführt haben, aus welchem Grunde die Bezeich-
nung Cantus planus entstanden sein könnte.
Die 28 neumatischen Tonzeichen, welche Schubiger an-
flihrt, waren diejenigen, nach welchen BrOman in der Schule
zu St. Gallen unterrichtete und mit vollem Recht zieht Schub-
iger schon aus der Thatsache, dass sie in dieser Form noch
heute in den ältesten Gradualien und Antiphonarien St. Gallens
und seiner Umgebung angetroffen werden, den Schluss, dass
hieraus mit Evidenz die Beschaffenheit der alten Gregor'schen
und Boman'schen Tonzeichen hervorgeht.
Boman fügte den neumatischen Tonzeichen zur Erleichte-
rung des Unterrichts erklärende Buchstaben nach der Reihen-
folge des Alphabets an. So bedeutete z. B. der Buchstabe a
(altiufl), dass die Stelle, wo derselbe sich befand, mit erhöhter
Stimme zu singen sei; b (bene) bedeutete eine Verstärkung,
c (celeriter) einen schnelleren Vortrag, d (deprimatur) ein
Sinken der Stimme u. s. w. ^) Diese sogenannten Romanischen
1) 8chubiger a. a. O. Monmnenta 3 u. 4 sowie Lambillotte
ß. 212—214.
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- 29 —
Buchstaben boten dem Sänger insofern eine Erleichterung, als
sie ihm doch wenigstens einen ungefähren, zum mindesten
einen viel grösseren Anhaltspunkt als die Neumen boten, wie
weit ungefähr seine Stimme zu steigen oder zu fallen habe.
Roman benutzte 23 solcher Buchstaben. Jedoch war nicht
immer durch einzelne Buchstaben, sondern auch durch aus-
geschriebene Worte angezeigt, ob der Vorsänger höher, tiefer
oder im gleichen Tone, wie der Gesang beendet wurde, zu in-
toniren habe. Schubiger führt folgende in der sanctgallischen
Handschrift vorkommenden Ausdrücke auf:
Incipe jusum = Beginne (nämlich die zu wiederholende
Antiphone) tief, Altius = höher, Inferius = tiefer, Equaliter
= im gleichen Ton, Jusum mediocriter = etwas tiefer, Altius
mediocriter = etwas höher.
Auch aus dem verdienstvollen Werke Schubigers geht her-
vor, dass zur Zeit Romans und noch mehrere Jahrhunderte
später die Kirchengesänge nicht in Tönen von gleicher Dauer
vorgetragen wurden. Man richtete sich nach der Bestimmung
der musikalischen Metrik, welche mit der poetischen grosse
Aehnlichkeit besass. Wie nämlich ein Gedicht aus Versen, die
Verse aus Versfüssen, diese endlich aus einer oder mehreren
Silben bestanden, ebenso theilte man auch einen Gesang
in sogenannte Distinctionen ein, welche aus einer grössern
oder kleinern Neumengruppe (Notengruppe) bestanden, eine
Distinction in Neumen (Notenzeichen) und diese endlich in
einen oder mehrere Töne ab. Auf diese Weise entsprach
einem metrischen Verse die musikalische Distinction, einem
metrischen Fusse das musikalische Neuma und einer Silbe
der Ton i). Erst mit der Entstehung des Liniensystems und
der viereckigen Choralnote (Ende des 13. oder Anfang des
14. Jahrhunderts), welche an die Stelle der Neumen trat, ver-
lor sich diese Art von metrischer Beschaffenheit der Gesänge
und erhielten alle Töne die gleiche Dauer.
In St. Gallen erkannte man die Tonarten an gewissen
1) Schubiger S. 17.
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— 30 —
den Gesängen am Bande beigefügten Buchstaben ; so bezeich-
nete der Buchstabe
a den ersten Kircheuton,
e jj zweiten ^
i J5 dritten ^
o ^ vierten j^
V ^ fünften j^
H „ sechsten
Y jp siebten
0) jj achten ^
oder vermittelst der irgend einer der acht Tonarten eigenthüm-
lichen Psalmmelodie. Die ältesten Antiphonare der Klöster
Beichenau und Einsiedeln sollen ebenfalls mit diesen Buch-
staben versehen sein ^).
Die Tonarten des Introitus und der Communion waren in
St. Gallen wieder anders bezeichnet; hatte z. B. das erste
Tonzeichen des Psalmverses einen Podatus , so wusste der
Sänger sofort, dass derselbe dem sechsten Kirchenton ange-
höre, u. s. w. Auch die Diflferenzen hatten in der St.
Gallener Schule eigenthümliche Bezeichnungen. So bedeutete
a den regulären Schluss des ersten Kirchentones, ab die erste
Differenz des ersten, o den regulären Schluss des vierten
Kirchentons, oc die dritte Differenz desselben u. s. w.
Trotz air dieser Hülfsmittel hätte der ursprüngliche
Gregorianische Gesang sich nicht lange erhalten können,
wenn die mündliche üeberlieferung und die verschiedenen
Schulen, welche immer zahlreicher wurden und im Lauf der
Zeit fast an allen bischöflichen Sitzen 'und in vielen Klöstern
entstanden, nicht dafür gesorgt hätten, dass die betreffenden
Gesänge und Melodien den Schülern fest eingeprägt und durch
dieselben andern wieder mitgetheilt werden konnten.
Petrus in Metz machte sich ebenfalls um die Hebung
des fränkischen Kirchengesangs verdient. Demselben werden
die sogenannten lubilus zugeschrieben, ausgedehnte Melis-
men, welche der letzten Silbe des dem Graduale folgenden
1) Siehe für das Folgende Schubiger. a. a. O.
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— 31 —
AUeluja unterlegt und eine Weiterbildung der Neumen (siehe
oben) waren. Die zwei noch bekannten lubilus von Petrus
wurden nach der Kirche, an welcher derselbe lehrte, j^Met-
tenser* genannt und zwar die kürzere Mettensis minor,
die längere Mettensis major. Roman benannte seine zwei
lubilus „Romana* und j^Amoena**. Wie wir noch sehen werden,
legte Notker denselben später Texte unter ^).
In St. Gallen, der wichtigsten Culturstätte der damaligen
Zeit, wurde der Kirchengesang hauptsächlich gepflegt und
dasselbe übte mehrere Jahrhunderte hindurch auf die Ent-
wicklung des Kircbengesangs einen um so grösseren Einfluss
aus, als es viele Männer hervorbrachte, welche durch ihre
Hymnen, Sequenzen, Tropen, Litaneien wie durch ihre Ge-
sänge „die Kirche Gottes in allen Gegenden von einem Meere
zum andern mit Glanz und Freude erfüllten. Da ertönten
tagtäglich in mannigfacher und genau geordneter Abwechs-
lung die ehrwürdigen Weisen der alten Psalmodie; da er-
öffnete in mitternächtlicher Stunde der Feierklang des In-
vitatoriums: Venite exultemus domino, den Dienst der Nacht-
vigilien; da wechselten die ausgedehnten, fast trauernden Melo-
dien der Responsorien mit dem einförmigen Vortrage der Lecti-
onen ; da wiederhallten in den Räumen des Tempels an Sonn-
und Festtagen als Schluss des nächtlichen Gottesdienstes die er-
Jiebenden Klänge des Ambrosianischen Lobgesangs; da be-
gannen mit der aufsteigenden Morgenröthe die Gesänge des
Morgenlobes (matutina laus) aus Psalmen und Antiphonen,
Hymnen und Gebeten bestehend; ihnen folgten in abgemessener
Unterbrechung die übrigen kanonischen Tagezeiten ; da ward das
Volk täglich durch den Introitusgesang zur Theilnahme an den
heiligen Mysterien eingeladen ; da hörte es in lautloser Stille die
um Erbarmung rufenden Töne des Kyi'ie, erfreute sich an den
Festtagen am Gesänge einst von den Engeln angestimmt; da ver-
nahm es beim Graduale die Melodien der Sequenzen, die in hoch-
1) Die Mettensis minor theilt Sc hu biger a. a. O. mit dem von Not-
ker unterlegten Text unter Exempla I unter dem Titel Sequentia de S. Oth-
maro mit. Ebenso sind die beiden romanischen Jubilus noch erhalten und
unter Exempla II und III bei Seh üb ig er mitgetheilt.
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— 32 —
jubelnden Wechselchören die damaligen Festtage verherrlichten
und darauf die einfachen recitativähnlichen Klänge des Symbo-
lums; da fühlte es sich beim Sanctus hingerissen; ins Lob des
Dreimalheiligen einzustimmen und die Erbarmung jenes göttlichen
Lammes anzuflehen, das die Sünden der Welt hinwegnimmt* ^).
Diese Beschreibung mag manchem Leser gar zu über-
schwenglich wenn nicht übertrieben erscheinen ; sie gibt uns
jedoch ein getreues Abbild davon, wie damals und in den dar-
auf folgenden Jahrhunderten die üblichen Gesänge beim
Gottesdienst benützt wurden.
Die damaligen St. Galler Klostersatzungen ertheilten auch
genaue Vorschriften über deutliche Aussprache und über die
Art des Vortrags. Dreierlei Vortragsweise wurde unterschieden;
eine feierliche für die höchsten Feste, eine mittlere für die Sonntage
und Feste der Heiligen und eine gewöhnliche für die Ferial-
tage. Die erstere trug einen gewissen freudigen Character,
die letzteren waren von geringerer Tonhöhe und das Tempo
derselben wurde etwas rascher genonjimen. Die Psalmodie
war für alle Tage die gleiche und der Ruhepunkt zwischen
jedem Psalmenvers genau zu beachten. Wegen der oft sehr
ausgedehnten melodischen Sätze über einzelne Silben bei
den Besponsorien , Antiphonen, Gradualien, Alleluja u. s. w.
wurde dieser Gesang Cantus gravis (schwerfälliger Ge-
sang) genannt. Die Antiphonen, Responsorien, Psalmen und
Hymnen pflegte gewöhnlich ein Sänger im langsamen Tempo
zu intoniren, wjDrauf der Chor da einfiel, wo der Sänger auf-
gehört hatte. Alle fremden Zuthaten waren streng verpönt
und sogar mit Ausschliessung aus der Kirche bedroht.
Nach dem Tode Romans brachte die St. Galler Schule
in den nächsten Jahrhunderten noch viele um die Kirchen-
musik hochverdiente Männer hervor, deren Einfluss auf die
Entwicklung des abendländischen Kirchengesangs ein bedeu-
tender war. Wir nennen unter Anderen einen Werembert,
Schüler des berühmten Rhabanus Maurus, Iso, Möngal
(Marcellus), Ratpert, Notker, Tutilo, Hartmann,
Waltram und Salomon.
1) Schubiger S. 25.
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— 33 —
Als Tonsetzer kirchlicher Gesänge zeichnete sich nament-
lich Eatpert f 900, aus. Seine Litanei „Bex sanctorum
angelorum*, deren vier erste Verse in fac-simile Schubiger
unter Monumenta 29 mittheilt, wurde viele Jahrhunderte hin-
durch gesungen ^). Er schrieb auch einen Gesang zur Com-
munion ^Landes omnipotens^ , einen solchen auf das Fest
des heiligen Gallus, einen Hymnus auf den heiligen Magnus
sowie ein deutsches Lied auf den heiligen Gallus, welches
folgendermassen anhub:
„Jetzt will ich beginnen — ein Lied in frohem Jnbelschall
Frommer lebte keiner — als einst der heilige Gall
Irland hat den Sohn gesandt — Schwaben Vater ihn genannt. '^
Noch grösseren Ituhm erwarb sich Notker.
Notker mit dem Beinamen ßalbulus, der Stammler
auch der Aeltere genannt, wurde 840 in Heiligöwe im jetzigen
Kanton Zürich geboren und starb 912. Er war ein Schüler
Möngals und hat sich grosse Verdienste durch seine Thätig-
keit für die Verbesserung und Verbreitung des Kirchengesangs
und der Kirchenmusik in Deutschland, namentlich durch seine
Sequenzen erworben, auch zeichnete er sich als Hymnen-
dichter aus.
Diese Sequenzen, welche in melodischen Phrasen von
ungleichen Dimensionen bestanden und von welchen alle
ähnliche Schlusscadenzen besassen, waren für die Entwicklung
der Melodik und des Gesanges überhaupt von grosser Bedeu-
tung. Sie sind, wie wir schon oben kurz berührten, aus den
sogenannten Neumen entstanden, aus welchen sich, wie wir
ebenfalls bereits sahen, die Jubilos entwickelten. Die Aus-
dehnung der letzteren hatte jedoch mit der Zeit derart zuge-
nommen, «dass es nachgerade schwer wenn nicht unmöglich
wurde, sie im Gedächtniss zu behalten. Notker unterlegte
nun 50 solcher Jubilos mit Text, welche alsdann Sequenzen
genannt wurden, entweder weil sie dem AUeluja folgten (se-
quentes) oder dem dem AUeluja folgenden Neuma (sequentes
1) Dieselbe wurde später in die Werke der neueren Notation aufgenom-
men und ist vollständig abgedruckt bei Schubiger unter Exempla 4.
Sittard, Gompendinm. ^
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— 34 —
neumas) angehängt waren, oder weil ihnen das Evangelium
folgte (sequebatur). Er versah zugleich eine jede Sequenz
mit einem eigenen Titel, welcher theils dem Lande oder
Wohnort des Verfassers oder den Anfangsworten der Verse
ihres Graduals entlehnt waren. Die denselben zu Grunde
liegenden Melodien sind aus dem Hesponsorialgesang, also aus
der volksmässigen Psalmodie hervorgegangen, und so könnte
man dieselben in gewissem Sinne Kirchenlieder heissen.
Den ersten Anstoss zur Abfassung dieser Sequenzen gab
ein Priester aus einem fränkischen Kloster, welches durch die
Normannen verwüstet worden war. Derselbe brachte ein An-
tiphonar mit nach St. Gallen, welches bereits Sequenzen mit
unterlegten Worten enthielt. Die fehlerhafte Behandlung der-
selben empörte Notker und er fasste den Entsichluss, Sequenzen
nach der Weise dieses Antiphonars zu verfassen. Die Regel
bei Abfassung derselben war die, dass auf jede Textsilbe ^)
eine Note kam. Dieselben nähern sich der Liedform insofern,
als die erste und letzte, auch wohl eine mittlere Strophe eine
eigene Melodie besitzen musste, welche nicht wiederholt wurde.
Hie und da begegnen wir auch in den Mittelstrophen einem
Motiv der ersteren, wie auch oft die letzte Strophe in eine
höhere Lage versetzt ist. Kam das Alleluja in einer solchen
Sequenz refrainartig vor, so wurde dasselbe syllabisch ge-
sungen. „Jede Sequenz besteht aus einer Anzahl musikalischer
Phrasen oder Choräle, die entweder unmittelbar oder auch in
einer gewissen Ordnung nacheinander wiederkehren und unter
sich in der Weise ein Ganzes bilden, dass der einzelne Choral
für sich keinen abgeschlossenen musikalischen Gedanken aus-
ijpricht, sondern jeder erst in seiner Beziehung zu den übrigen
melodische Bedeutung erhält* *). ,
1) Die Sequenztexte waren ursprünglich in ungebundener Rede abgefasst
und wurden Prosen, auch Laudes genannt, weil sie Grottes Lob verkündigten,
später in metrisch- strophischer Weise. Auch diese Sequenzen sind Hymnen
im eigentlichsten Sinne. Dieselben vermehrten sich bald so, dass man an
manchen Orten für jede Messe eine eigene Sequenz und für manche Feste
sogar mehrere hatte. Siehe Luft a. a. O. II S. 111.
2) Siehe KarlSever inMeister: Das katholische deutsche Kirchen-
lied. Freiburg, Herder. I 1862; sowie Schubiger a. a. 0.
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— 35 —
Später verfasste man auch Sequenzen nach beliebten
Melodien oder wurden sie denselben angepasst. So geht z. B.
nach der Melodie des j^Victimae paschali laudes^ die Sequenz
jjVirgini mariae laudes intonent christiani*, und unter den
strophischen geht nach der Melodie der Sequenz „Laudes
crucis attolamus* von Adam de St. Victor die berühmte Se-
quenz „Lauda Sion* u. s. w. ^).
Wie in St. Grallen, scheinen die Sequenzen auch anderswo
von zwei Chören gesungen worden zu sein; so fordert z. B.
die Sequenz auf den Samstag vor Septuagesima nach Schubiger
die Sänger also auf: „Nun, ihr Grefahrten, singt freudig
Alleluja, und ihr, o Knäblein, antwortet immer AUelnja, nun
singet Alle insgesammt^. Es scheinen also Männerchöre (d. h.
Unisono-Chöre, ein mehrstimmiger Gesang bestand ja damals
noch nicht) mit Knabenchören abgewechselt zu haben. An
manchen Orten scheinen selbst Frauenchöre mit Männerchören
abgewechselt zu haben. So soll noch im Jahr 1260 am Feste der
heil. Fides im Frauenmünster zu Zürich der Brauch bestanden
haben, dass der eine Vers der Sequenz von den Stiftsdamen,
der andere von den Chorherren gesungen wurde.
Die. Sequenzen waren sowohl in Deutschland, als in
Frankreich und England verbreitet ; nur in Italien wurden sie
als gefährliche Neuerung angesehen und unter Pabst Pius V.
1568, als eine neue Ausgabe des Breviars veranstaltet wurde,
auf fünf *) jetzt noch in der katholischen Kirche übliche
beschränkt, da die römische Kirche denselben, wegen ihres
volksthümlichen Characters, nicht günstig gestimmt war ^).
Von Notker rührt auch das weitberühmte und durch ganz
Europa gesungene Lied : ^ Media vita in morte sumus*' (Mitten
1) Wolf a. a. O. S. 293.
2) Die Ostersequenz : „Victim» paschali laudes '^ , die Pfingstsequenz :
„Veni sancte spiritus" (Dem König Robert von Frankreich 944 — 1031 zuge-
schrieben), die Frohnleichnamssequenz : „Lauda Sion salvatorem*^ (von
Thomas von Aquino 1224 — 1274), die Sequenz planctus beat» virginis, „Sta-
bat mater dolorosa*^ (Pabst Innocenz III. zugeschrieben) und das „Dies ine**
von Thomas von Celano (1250) gedichtet.
3) Die Synode zu Köln (1536) entschied sich schon für Weglassung der
Sequenzen.
3*
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— 36 —
wir im Leben sind). Er soll dasselbe gedichtet und in Töne
gesetzt haben, als er einstens in die Schlucht beim Martins-
tobel hinuntersah und Bauleute erblickte, welche gerade im
BegriflF waren, über den Abgrund an gefährlicher Stelle eine
Brücke zu bauen. Der alte Ostergesang: ,jCum rex gloriae
Christus*, ein bis zum 17. Jahrhundert überall gesungenes
Lied, rührt ebenfalls von ihm her. Sein oben berührtes Lied:
^Media vita*, welches zum allgemeinen Volksgesang wurde,
(der heutige Choral : „Mitten wir im Leben sind* besitzt eine
selbständige, mit der ursprünglichen nichts gemein habende
Melodie) veranlasste das Concilium von Köln im Jahr 1316
zu dem Beschluss, dass Niemand dasselbe ohne Erlaubnis»
seines Bischofs singen dürfe. Es wurde demselben nämlich
die abergläubische Wirkung beigelegt, dass das Singen dieses
Liedes vor dem Tode sichere und dem Feinde den Untergang
bereite. Das Basler Plenarium oder „Evangelybuoch, Summer
und Winterteyl* (1514) enthält dasselbe als Lied vor der
Predigt in folgender deutschen Uebersetzung :
„In Mittel unsers Lebens Zeit
Im Tod seind wir umbfangen,
Wen suchen wir der uns Hilfe geit,
Von dem wir Huld erlangen,
Dann dich Herr alleine,
Der umb unser Missetat
Rechtlichen zürnen tust.
Heüiger Herre Got,
Heiliger starker Got
Heüiger und barmherziger Heilmacher Got,
Lass uns mit Gewalt tun des bittern Todes Not.''
Die Notkerschen Sequenzen verbreiteten sich wie schon
bemerkt in Deutschland, Frankreich und England und bildeten
bis zum 16. Jahrhundert den Hauptgesang an den Festtagen.
So lässt sich nun auch von Entstehung der Sequenzen an
der lateinische Kirchengesang in Hymnen und Sequenzen ein-
theilen. Alle Völker des Abendlandes haben zu diesen Ge-
sängen beigetragen, obwohl man von den wenigsten die Ver-
fasser kennt ^).
1) Eine Sammlung alter Hymnen und Sequenzen bei Mone: Latei-
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— 37 —
Tutilo, ebenfalls ein Schüler Marceirs, versah die
Neumen der Messgesänge zwischen den einzelnen Textgliedem
mit Texteinschaltungen und melodischen Zusätzen^, welche
Interpolationes oder Tropen genannt wurden, die späteren
sogenannten Farcies. Einige derselben sind bis auf unsere
Zeit gekommen, so der Tropus: „Hodie cantandus est^ *).
Tutilo soll sich seine Gesänge in der Kirche mit dem
Psalterium, einem harfenartigen Instrument, welches aus einem
dreieckigen Bahmen bestand, in welchem die Saiten auf-
gespannt waren, begleitet haben. Uebrigens scheint die An-
wendung musikalischer Instrumente zur Begleitung des Ge-
sanges keine Neuerung Tutilo's gewesen zu sein, da die
Angelsachsen schon im siebten Jahrhundert in ihren Kirchen
sich des Psalteriums und der zehnsaitigen Leyer bedienten.
Mit Metz stand St. Gallen stets in regem Verkehr, ebenso
mit Fulda, woselbst ein Mönch Johannes, Schüler Rhaban's,
der erste gewesen sein soll, welcher in Deutschland Kirchen-
gesänge componirte.
Als solche, welche sich um den Kirchengesang in dieser
Zeit noch verdient machten, nennen wir:
Ekkehard L, f 996 sowie Notker Physikus, welcher
einige, noch im 17. Jahrhundert gesungenen Antiphone com-
ponirt haben soll.
Unter Jenen, welche es sich angelegen sein liessen, die
verschiedenen Gesänge schriftlich zu sammeln , ist zunächst
Sintramzu erwähnen, von dessen Hand nicht nur St. Gallen,
sondern auch viele Orte jenseits der Alpen, Gesangbücher
besassen. Zu gleicher Zeit schrieb Go deschal cus sein „Anti-
phonarium Missae", welches alle zur Messe gehörenden Ge-
sänge enthält. Femer sind noch zu nennen Kunibert,
Hartker und Luiter, sämmtliche dem zehnten Jahrhundert
angehörend. Im elften Jahrhundert sind zu nennen Notker
Labeo sowie Ekkehard V. (f 1036), welcher von Erzbischof
Aribo nach Mainz berufen wurde, um die Leitung der dortigen
Sängerschule zu übernehmen und dem wir die meisten Nach-
nische Hymnen des Mittelalters. 3 Bände. Freiburg, Herder; sowie Daniel
a. a. O.
1) Siehe Monumenta 31 and Exempla 41 bei Schub iger.
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richten über den Kirchengesang in St. Gallen von 883 — 970
▼erdanken ^).
Anch das Kloster Beichenau erwarb sich Verdienste um
den damaligen Kirchengesang. Ausser Berno, f 1048, welcher
sich nicht nur als musikalischer Schriftsteller, sondern auch
als Tonsetzer von Antiphonen, Responsorien, Orationen, Tropen
u. 8. w. (er ist auch der Componist des Meinradusliedes) her-
vorthat, ist namentlich Herrmann Contractus — also ge-
nannt, weil seine Glieder gelähmt waren - — Lehrer an der
Beichenauer Klosterschule zu erwähnen. Derselbe war ein
Sohn des Grafen von Vehringen und wurde zu Saulgau in
Schwaben im Jahr lÖ 13 geboren; er starb schon 1054. Ausser
einer practischen Singschule *) schrieb er viele Sequenzen
und Hymnen ; er soll auch der Verfasser .der heute noch in
der katholischen Kirche gesungenen Antiphonen: „Salve re-
gina^ •) und „Alma redemptoris* sein.
Der Einfluss der St. Galler Schule namentlich auf Deutsch-
land war ein bedeutender; so versah sie unter Anderem fast
sämmtliche süddeutschen bischöflichen Sitze und Klöster mit
Vorstehern, welche in ihrer Schule ausgebildet worden waren.
Deutschland hatte derselben die alten ächten Gesangweisen zu
verdanken, da die in der Schule Roman's erzogenen Lehrer
streng darüber wachten, dass die Reinheit des kirchlichen
Gesangs nirgends durch 'fremde Zuthaten gestört werde, und
so -«fraren die Hymnen, Sequenzen, Litaneien und Tropen im
elften Jahrhundert schon in allen grösseren Kirchen Deutsch-
lands eingeführt und übten nicht nur einen grossen Einfluss
auf die weitere Entwicklung des. deutchen Kirchengesangs,
sondern auch auf den Volksgesang aus.
1) Es macht einen höchst betrübenden Eindruck, dass diese Pflegstätte
achter Knnst in kurzer Zeit so tief sank, dass im Jahr 1291 das ganze Ka-
pitel mit seinem Abte nicht schreiben konnte. Siehe Arz: Geschichte von
8t. GaUen I 470.
2) Monnmenta 32 bei Sehn biger.
3) Wie die Schiffer früher die Yenns, die Gottin der Liebe, die Schaum-
geborene, um glückliche Schifiahrt anriefen, so übertrugen sie dies nun auf
die Jungfirau Maria und sangen ihr Lieder ; so namentlich das Salve regina
bei Sturm und Wetter, welche Weise aus diesem Grunde auch den Namen
Schifferlied erhielt.
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— 39
Zu erwähnen sind auch noch die Sequenzen von einem
gewissen Möndh Heinrich, welcher an einer unbekannten
süddeutschen Klosterschule Lehrer der Tonkunst war. Zu
grosser Berühmtheit gelangte dessen Sequenz: ^Ave praeclara
maris Stella.* Endlich sei noch Wipo, ein Zeitgenosse Herr-
mann's von Keichenau, angeführt, der Verfasser des berühmten
Ostergesangs: „Victimae paschali laudes.* Derselbe war Prie-
ster und Hofcaplan unter Konrad II., sowie Heinrich III., und
ein Schüler Bruno's, eines Elsässers, welcher Kapellan bei der
kaiserlichen Kapelle war, später zum Erzbischof von Toul ge-
wählt wurde und bald darauf als Leo IX. den päbstlichen Stuhl
bestieg; er starb 1054.
Wipo's Sequenzen halten insoweit die Notker'sche Form
noch bei, als der erste Satz mit einer selbständigen Melodie
auftritt und die übrigen Sätze je zwei und zwei einander
vollkommen entsprechen; nur schliesst Wipo seinen Gesang
ohne einen selbständigen Satz ab, welches Verfahren von
seinen Nachfolgern auch eingehalten wurde. Die oben an-
geführte Ostersequenz Wipo's wurde namentlich bei der litur-
gischen Feier der Auferstehung als Wechselgesang zwischen
Magdalena und dem Chor gesungen. Das im 13. Jahrhundert
entstandene Lied „Christ ist erstanden* ist eine Nachbildung
der Wipon'schen Sequenz. In der katholischen Kirche wird
diese Sequenz heute noch in der Liturgie benützt, und in der
evangelischen Kirche wurde sie die Grundlage des Chorals:
j, Christ lag in Todesbanden.*
Ausser diesen Sequenzen entstanden um diese Zeit auch
geistliche Volksgesänge, welche vom Volk bei Bittgängen,
kirchlichen Umzügen u. s. w. gesungen wurden und eine Mittel^
Stellung zwischen Volkslied und Sequenz einnehmen. Wir
werden im letzten Abschnitt hierauf zurückkommen.
Das Singen und Psalmodiren galt flir eine Aeusserung
grosser Frömmigkeit. Es wurden sogar Stiftungen gemacht
zu dem Zweck, dass in der betreffenden Barche beständig
fortgesungen werde und Mönche wie Kleriker angestellt wurden,
die sich im Psalmsingen Tag und Nacht ablösten. ^Man Hess
es nicht dabei bewenden, während der Communion in der
Kirche zu singen, man sang auch ausser der Kirche, während
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das Brod zum Messopfer bereitet und gebacken wurde. In
den früheren Zeiten mussten sich die Mönche mit mancherlei
Handarbeiten in ihren Klöstern beschäftigen und während der
Arbeit einen beständigen Gesang unterhalten. Kurz es wurde
so viel gesungen ; dass nothwendig theils schädliche^ theils
thörichte Missbräuche daraus entstehen mussten. Wenn z. B.
ein Kranker mit dem Tode rang und wenig Hoffnung zu
dessen Wiedergenesung übrig war, kamen die Geistlichen vor
sein Sterbebette, und sangen ihm so lang Lieder vor, bis er
seinen Geist aufgab. Während dem Singen nahmen sie ihn
aus dem Sterbebette heraus, legten ihn auf ein im Zimmer
ausgebreitetes haarichtes Tuch (cilicium) und fuhren so lange
mit ihrem Gesänge fort, bis ihm die Seele ausfuhr. Wenn
sie zu lange verweilte, entfernte sich zwar ein Theil der
geistlichen Sänger, einige mussten aber beständig bei dem
Kranken bleiben und ihren Psalmengesang ununterbrochen
fortsetzen. Man hatte besondere Gesänge, die zu diesem
Gebrauche ausdrücklich vorgeschrieben waren. Ein Kranker,
der sich vielleicht wieder erholt hätte, wenn er in Ruhe ge-
blieben wäre, konnte auf diese Weise leicht zu Tode ge-
sungen werden.
Wenn er gestorben war, wurde bis zu seiner Beerdigung
noch immer fortgesungen. Gewöhnlich wurde der Leichnam
in die Kirche gestellt und ebenfalls dabei gesungen. Gerbert
(de cant. et mus. sacr.) führt eine Ordnung aus dem 11. Jahr-
hundert an, worin genau bestimmt ist, wie lange eine Leiche
in der Kirche stehen und wie die Eintheilung der singenden
Mönche gemacht werden musste. Einiges von diesen Ge-
bräuchen hat sich noch bis in die neueren Jahrhunderte, sogar
in der protestantischen Kirche erhalten.
Man begnügte sich in diesen Zeiten aber nicht damit,
bei vielen Gelegenheiten zu singen, man wollte sogar ewig
singpn. Es wurden daher ordentliche Stiftungen gemacht, um
einen solchen ewigen Gesang in gewissen Kirchen und Klöstern
einzuführen. Es wurden so viele Mönche und Geistliche an-
gestellt, dass sie einander im Psalmsingen Tag und Nacht
ablösen konnten. In Burgund wurde schon im sechsten Jahr-
hundert ein solcher ewiger Chorgesang vom König Sigismund
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— 41 —
gestiftet. Die Wuth zu singen war so gross, dass sich gewisse
Personen gar nicht satt singen konnten. Die heilige Radegunde,
eine Königin von Frankreich im sechsten Jahrhundert, war
ein merkwürdiges Beispiel hievon. Ihr Lebensbeschreiber bei
Mabillon (Act. Ord. S. Bened. Saec. I p. 332) rühmt von
ihr, dass sie ganze Nächte hindurch und so lange gesungen
habe, bis sie einschlief, und dass sie selbst im Schlafe noch
fortsang, welches wir auch hätten hören mögen* *).
Dass übrigens in Deutschland keine geringen Anforder-
ungen an den Sänger gestellt wurden, beweist folgende, auch
heute noch sehr beherzenswerthe Vorschrift des berühmten
Bhabanus Maurus, Erzbischof von Mainz. j^Der Psalmist muss
in Stimme und Kunstfertigkeit sich dermassen auszeichnen,
dass er durch süssen Reiz die Gemüther in Erregung setzt.
Seine Stimme darf nicht rauh, nicht heisser, nicht misstönend
sein, sie muss vielmehr einen vollen Klang entfalten, muss
lieblich und hell tönen, zugleich biegsam sein und die Fähig-
keit besitzen, die Töne und Melodien so wiederzugeben, wie
es die Heiligkeit der Religion verlangt, nämlich ohne tragische
Exclamationen, und in ihrer Modulation die christliche Einfach-
heit abspiegeln. Auch soll sie nicht den Character der welt-
lichen Musik oder gar der theatralischen Kunst verrathen,
sondern vielmehr das Gefühl der Zerknirschung im Hörer
erzeugen. Eine vollkommene Stimme muss hoch, hell und
angenehm sein; hoch, damit sie steigen kann, hell, um ndit
ihrem Klange die Ohren zu erfüllen, angenehm, um der
Seele des Hörenden zu schmeicheln. Die Alten enthielten
sich, wenn sie singen mussten, schon den Tag vorher der
gewöhnlichen Speisen; sie nahmen, um ihre Stimme gut zu
erhalten, nur einige magere Gemüse zu sich, wesshalb man
die Sänger Bohnenesser zu nennen pflegte. Wenn schon die
Heiden so etwas thaten, um ihre Stimme zu schonen, um
wie viel mehr wäre es die Pflicht der Christen, sich aller
sinnlichen Lust zu enthalten, da sie nicht nur fllr ihre Stimme,
sondern auch für ihre Tugend Sorge tragen sollen* ^). Ob
1) Forkel II §. 24.
2) Schelle a. a. O. S. 152 u. 153.
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_ 42 —
diese Verordnung etwas genützt haben wird^ dürfte billig zu
bezweifeln sein. So viel steht jedoch fest, dass der Gregori-
anische Kirchengesang^ dessen Einfluss sogar auf die Gesänge
des Volkes sich erstreckte, im elften und zwölften Jahrhundert,
Dank den Bemühungen der Päbste, Bischöfe und Klöster,
sowohl in Deutschland als in Italien, England und Frankreich
festen Fuss gefasst und den Grund zur gleichartigen Ent-
wicklung der europäisch-abendländischen Musik gelegt hat.
n.
Die Entwicklung der Notenschrift. Hucbald- Guido
von Arezzo. Solmisation. Die Orgel. Farciesgesänge
Wenn auch die Zeichen der antiken Tonschrift, welche
äusserst complicirt waren und ein förmliches Studium bean-
spruchten, die angedeuteten Töne mit ziemlicher Sicherheit
erkennen liessen, so war die Neum'enschrift, obwohl sie letzteres
nicht vermochte, doch ein entschiedener Fortschritt gegenüber
der antiken Bezeichnungsweise, da sie das Steigen und Sinken
der Töne sinnenföUig darstellte und ausdrückte, und sich die
neuere Notenschrift aus ihr entwickelte, was sie aus der an-
tiken nie vermocht hätte. So entstand z. B. aus der auf-
rechten Virga die Longa (lange Note), aus der liegenden
Virga die Brevis (kurze Note), aus dem Punkt die noch
kürzere Semibrevis.
Die Neumen boten jedoch den Sängern keinen sicheren
Anhaltspunkt, wie weit er steigen oder fallen dürfe, und war
der Mangel einer allgemein fasslichen Notenschrift auch die
Ursache, dass der Gregorianische Gesang, wenn auch wie wir
eben sahen, von einzelnen Klosterschulen gepflegt und weiter-
geführt, um so mehr ausarten musste, als der Unterricht in
den Schulen oft äusserst dürftig und mechanisch ertheilt wurde.
Die Unzuverlässigkeit der Neumenschrift zeigte sich am
schlagendsten darin, dass keine Schule die betreffenden Neumen
auf gleiche Weise sang. „Sagt einer — so berichtet Johann
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— 43 —
Cottonius, der Commentator Guidos«: — so hat mich's Meister
Trado gelehrt, so wendet der Zweite ein, so habe ich es von
Meister Albinus gelernt und der Dritte schreit, Meister Salomo
singt ganz anders. Wo einer die kleine Terz oder die Quarte
singt, lässt ein Anderer die grosse Terz und die Quinte
hören; es stimmen wunderselten nur ihrer Drei überein, weil
sich jeder auf seinen Lehrer beruft und es endlich so viel
Singmanieren in der Welt gibt als einzelne Singmeister* ^).
Wie wir schon gesehen, fehlte es nicht an Versuchen,
das Lesen der Neumen zu erleichtern. So Roman, welcher
den Neumen kleine Buchstaben beifugte, deren Bedeutung
aus dem von Schubiger mitgetheilten Briefe Notker Balbulus
an seinen Freund Landpert hervorgeht. So bedeutete z. B.
e (equaliter) dass derselbe Ton anzugeben sei; t (tonus) der
Ganzton; ts (tonus cum semitono) die kleine Terz; tt (duotoni
ditonus) die grosse Terz; D (Diatesseron) die Quarte u. s. w.
Hucbald, gelehrter und durch mehrere Werke musik-
wissenschaftlichen Inhalts berühmt gewordener Mönch aus dem
Kloster St. Amand in der Diöcese Tournay in französisch
Flandern, geboren gegen das Jahr 840, gestorben 930 oder
932, versuchte ebenfalls die Neumenschrift durch eine bessere
und practischere Notenschrift zu ersetzen. Seine verschiedenen
Anweisungen zur Notation waren jedoch wenig praktisch.
Zunächst nahm er aus der griechischen Semiotik des Boethius
gewisse Buchstaben, welche er zur Bezeichnung der Töne
unter die Texte setzte. So sollte z. B. I die Mose ^ A
(den mittlem Ton des griechischen Systems), M die Lichanos
meson ^ G, P die Parypate ^ F, C die Hypate meson ^ E
u. s. w. bezeichnen.
Seinem zweiten Notirungsversuche legte er das alte Zeichen
des Spiritus asper zu Grunde, welches er mit dem Buchstaben
S und C theils oben am Kopf, theils unten am Fuss verband,
wodurch dieses Zeichen Aehnlichkeit mit dem Buchstaben F
erhielt. Diese Tonbezeichnung war wenn auch deutlicher so
doch noch unbehilflicher als die erste ^).
1) Gerbert: Scriptores eccl. de mus. sacr. II. 258.
2) Wir verweisen Jene, welche sich näher für diese Notation, die wir
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— u —
Zu seiner dritten Notirungsweise zog er Hilfslinien, zwischen
welchen er die Textessilben schichtete, während er durch die
Buchstaben T und S links am Bande andeutete, ob von einer
Linie zur andern der Schritt einen ganzen oder einen halben
Ton bedeute und kurze Diagonalstriche das Auge von einer
Linie zur andern leiten; z. B.
T
ta
T
V\
lus
TEk\
l8ra\ / in
quo\ (
)/ no
IS oe\
/ he
do/
on
T
vere/
est
T
Er verband des Weitem seine Linien mit seiner Zeichen-
schrift, indem er seinen Archoos gravis, Deuteros gravis u. s. w.
als Schlüssel links an den Band setzte. Ambros macht über
diese Notirungsart mit Becht die Bemerkung, dass diese
Schreibart etwas ungemein Unbehilfliches und Schwerfälliges
an sich habe und dass Auge und Sinn, auf solche Weise un-
aufhörlich über die Linienstufen auf- und abgeflihrt, bald
eine Ermüdung fühlen jener ähnlich, die man empfinde, wenn
man in einer alten Bitterburg oder einem alten Kloster über
fusshohe Treppenstufen steigen muss. Doch war immerhin
die Anwendung des Liniensystems mit vorangestellten Schlüssel-
zeichen ein entschiedener Fortschritt, und hätte Hucbald die
Stelle des Tones auf den Linien durch einen Punkt bezeichnet
und nicht bloss die Zwischenräume, sondern auch die Linien
selbst in solcher Weise benützt, so wäre die Grundlage un-
serer heutigen Notenschrift gegeben gewesen. Uebrigens soll
Athanasius Kircher in einem ebenfalls dem zehnten Jahrhundert
angehörenden Manuscript in der Bibliothek des Klosters St.
Salvator bei Messina eine der Hucbald'schen ähnliche No-
tirungsweise gefunden haben, welche derselbe in seiner Musur-
gia mittheilt. Es waren acht Linien gezogen, denen am Bande
hier nur andeuten können, interessiren , auf Ambros II 129 — 132 , sowie
auf Forkel II §. 55, Cousemaker: Trait^ sur Hucbald und Schlecht
a. a. O. Beilage 3—5 Seite 223—225.
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— 45 —
eben so viele Buchstaben entsprachen; nur war das Auf-
und Absteigen der Stimme auf den Linien in Punkten an-
gedeutet *).
Erst-Guido von Arezzo, Mönch des Klosters Pomposa
im Grossherzogthum Toskana^ geboren zu Arezzo gegen Ende
des zehnten Jahrhunderts^ verdankt die Musikgeschichte die
Grundlage der heutigen Notenschrift. Er sah zuerst ein, dass
die Kirchensänger zu ihrer Ausbildung nicht der philosophischen
und mathematischen, sondern einer einfachen, vernünftigen
und practischen Methode bedürfen. Er polemisirt sowohl gegen
die Unbeholfenheit und Ignoranz der Singlehrer als der Sänger
und klagt darüber, dass wenn der Gottesdienst gefeiert werde,
es oft klinge, nicht als ob man Gott lobe, sondern als ob
man untereinander in Zank gerathen sei. Die Schwierigkeit
und Schwerfälligkeit der Methode, oder vielmehr der gänz-
liche Mangel einer solchen, führte ihn zu einem vereinfachten
Verfahren, nach welchem er in seinem Kloster die Novizen
und Knaben mit solchem Erfolge unterrichtete, dass er den
Neid der übrigen Mönche erregte, welche ihm beim Abt durch
boshafte Verläumdungen zu schaden trachteten, so dass er
vorzog, das Kloster zu verlassen. Nachdem er nach ver-
schiedenen Wanderungen sich in's Benedictinerkloster zu Arezzo
zurückgezogen hatte, traf ihn dortselbst die Aufforderung des
Pabstes Johann XIX (1024—1033), welcher von seinen Er-
folgen im Gesangunterricht gehört und seine Methode kennen
lernen wollte, nach Rom zu kommen. Gleich in der ersten
Lection erkannte der Pabst die grossen Vortheile der Methode,
welche ihn in Stand setzte, nach kurzer Zeit den Ton einer
Antiphone zu finden und zu singen. In Rom traf er auch
den Abt seines früheren Klosters, welcher, nachdem er sich
ebenfalls von der Vortrefflichkeit seiner Arbeiten und Ver-
suche überzeugt, ihn bat, wieder in sein Kloster zurück-
zukehren. Ob er dieser Aufforderung gefolgt oder nicht, wissen
wir so wenig als seine weiteren Lebensumstände.
Guido *) werden alle möglichen Erfindungen zugeschrieben,
1) Siehe Ambros II 134, sowie Forkel II.
2) Siehe Forkel H §. 28—46.
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_ 46 —
doch steht nur soviel historisch fest, dass er das Liniensjstem
mit Benützung der Zwischenräume (Spatien) vervollkommnete,
eine practischere Unterrichtsmethode für den Gesang schuf,
die practischen Hülfsmittel des ut re mi fa sol la in den
Singschulen einführte, die Grundlage der Solmisation legte
und das System der Hexachorde (sechsstufige Tonleiter
aus vier Ganztönen und einem Halbton bestehend, welch' letz-
terer zwischen der dritten und vierten Stufe der Scala sich be-
finden musste) begründete ^). Sein Haupt verdienst besteht darin,
dass er, anstatt wie bisher die Neumen dem blossen Augenmasse
sowohl des Abschreibers als des Sängers zu überlassen, Linien
anwandte und den zwei früher schon bekannten Linien noch
zwei hinzu fügte. Man besass nämlich schon vor Guido in
Oberitalien die rothe Hülfslinie, welche quer durch die Neumen
gezogen wurde und den Ton F bezeichnete; die Neumen über
der Linie waren höher, die unter derselben tiefer. Dieser
rothen Linie fügte man eine zweite gelbe, auch oft grüne
Linie hinzu, welche die Dominante C bedeutete. Guido fügte
diesen beiden Linien noch zwei hinzu, und nunmehr konnten
die Neumen ziemlich genau bezeichnet werden. Die Erfindung
des Punktes als Note gebührt ihm nicht, wenn er auch die-
selbe zuweilen anwandte. Nach Forkel wird in den Annalen
des Benedictiner Klosters von Mabillon aus einer alten Chronik
erzählt, dass die Erfindung des Punktes als Note zuerst im
Kloster Corbie in Frankreich gegen das Jahr 986 gemacht
worden sei. Diese Tonzeichen, von welchen Forkel ^) eine
Probe mittheilt, kommen der Gestalt unserer Note ziemlich
nahe. Auch Kircher behauptet, im Kloster Vallombrosa im
florentinischen Gebiet alte, vor Guido entstandene Chor-
bücher vorgefunden zu haben, in welchen die Melodien eine
rothe Linie sowie Punkte darüber und darunter enthalten.
Mit Sicherheit darf jedoch angenommen werden , dass Guido
und seinen Zeitgenossen eine brauchbare Notenschrift (Men-
suralnote) sowie das verschiedene Zeitmass der Töne un-
bekannt war.
1) Ueber dessen Weiterbildung des Hucbald'schen Organums siehe den
folgenden Abschnitt.
2) Forkel a. a. O. S. 274.
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— 47 -
Aus den beiden oben angeführten farbigen mit F und C
bezeichneten Linien entstanden unsere F und C Schlüssel ^ da
man später^ als die Linien nicht mehr gefärbt wurden , diese
beiden Buchstaben denselben vorausstellte und sie mit dem
GriflFel in das Pergament eingrub und wie die Neumen
schwärzte. Die Neumen behielten ihre Formen bei; erst
später bezeichnete man die Töne durch Punkte, durch qua-
dratische oder rautenförmige Figuren. Uebrigens wurde die
Notation noch lange nicht zu einer überall gleichmässigen,
sondern dieselbe war nach dem Lande und den Schulen eine
verschiedene. So setzte man noch lange nachher die Buch-
staben, welche die Töne andeuteten, neben einander; auch
suchte man das Steigen oder Fallen der Stimme durch die
Stellung der Buchstaben zu versinnlichen. In der Regel
setzte man dieselben nebeneinander über die Textsilben.
Für den ersten Gesangunterricht, ehe der Schüler es zur
richtigen Intonation gebracht, bediente Guido sich des Mo-
nochords, eines schon im alten Griechenland bekannten
Instruments, welches aus einem einfachen Brett oder länglichen
Kasten bestand, dessen Länge und Breite durch die darüber
zu spannende Saite bestimmt war. Die den einzelnen Intervallen
entsprechenden Saitentheile waren genau bestimmt, und konnten
durch einen verschiebbaren Steg so abgegrenzt werden, dass
die Saite jenen Ton, welchen man gerade wollte, angab.
Nach Guido's Zeit kam die sogenannte viertheilige Figur des
Monochords auf. Diese bestand nach Ambros darin, dass in
ähnlicher Art, wie auf manchen Thermometerscalen die Grade
nach Beaumür und Celsius zur Vergleicbung nebeneinander
gestellt sind, auf dem Brett des Monochords auf vier, mit
der Saite parallel laufenden Linien, die Grade angegeben
waren, nach denen man die Tonstufen des ersten, des zweiten
u. s. w. Kirchentones nacheinander hören lassen konnte, wenn
man den beweglichen Steg auf diese Grade hinführte. Jede
Linie enthielt die Intervalle von zwei Kirchentönen, des authen-
tischen mit seinem Plagalton; mit Hilfe der ersten konnte
man daher die Scala von A — d, auf der zweiten von H — e
u. s. w. zu Gehör bringen ^).
1) Ambros II S. 194.
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— 48 —
Wir kommen nmi zur Solmisation. Hieranter versteht
man die Benennung der sechs ersten Töne der Tonleiter und
zwar gebrauchte Guido hiezu^ zugleich um seinen Schülern ein
leichteres Treffen der Töne beizubringen ^ die Anfangssilben
der sechs Halbverse des dem im achten Jahrhundert lebenden
Paulus Diaconus zugeschriebenen Hymnus auf den heiligen
Johannes^ welcher Hymnus als wirksames Palliativ gegen
Heiserkeit galt.
Ut queant laxis Besonare fibris
Mira gestorum Famuli tuorum
Solve poUuti Labii reatum
Sancte Johannes.
Dass Guido sich dieser Silben beim Unterricht bediente ^),
geht aus seinem Brief an seinen Freund Michael im Kloster
Pomposa hervor, worin er demselben mittheilt, dass er sich
beim Unterricht folgender Melodie bediene:
CDFDED DDCDEE
Ut queant la-xis Besonare fibris
EFlJ ETfE GT> FGaG FED D
Mi- ra gestorum Famuli tu- o - rum
G'l'G EFGD aGaFGlia
Sol- ve poUuti Labii reatum
Oy D DCE. D
Sancte Johannes.
Es sollte dies ein Hilfsmittel sein, um dem Schüler die
Intervallverhältnisse der verschiedenen Kirchentöne einzuprägen.
Sieht der Schüler z. B. den Ton a in irgend einer Melodie,
so hat er sich da^ Labii reatum, beim Ton G das Solve
poUuti in's Gedächtniss zurückzurufen. j,Du siehst, (schreibt
Guido seinem Freunde) dass dieser Gesang in seinen sechs
Abtheilungen mit sechs verschiedenen Tönen anfangt. Wenn
nun jemand den Umfang einer jeden Abtheilung so gelernt
hat, dass er einen jeden derselben, welchen er will, sogleich
mit Sicherheit angeben kann, so wird er auch diese sechs
1) F^tis in seiner Biogpr. oniv. art. Guido führt an, dass die Deutschen,
Englftnder und Franzosen sich schon in der ersten Hälfte des elften Jahr-
hunderts dieser Silhen hedienten und dass letztere schon vor Guidos Zeit
dazu gedient hätten, die sechs Töne der Kirchentonarten zu hezeichnen.
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— 49 —
Töne, wo er sie findet, nach ihren Eigenschaften leicht an-
geben können. Wenn Du irgend ein nicht in Noten gesetztes
Neuma hörst, so untersuche, welche von den Partikeln mit
* dem Ende des Neuma am besten übereinstimmt, so dass die
Endnote des Neuma mit der Partikel im Einklang steht, und
glaube sicher, dass das Neuma aus demjenigen Tone geht,
in welchem die damit übereinstimmende Partikel anfängt. Wenn
Du aber einen unbekannten in Noten gesetzten Gesang singen
willst, so siehe zu, dass Du jedes Neuma recht endigst und das
Ende eines jeden Neuma auf einerlei Art mit dem Anfang
der Partikel, die in der nehmlichen Note anfangt, in welcher
das Neuma endigt, verbunden werde. Auf diese Art wirst Du
im Stande sein, nicht nur jeden neuen Gesang nach Noten zu
singen, sondern Du wirst auch einen, der nicht in Noten ge-
setzt ist, sogleich aufschreiben können; hiezu wird Dir diese
Eegel sehr behtilflich sein* i).
Die Solmisation theilte sämmtliche Töne in Gruppen von
sechs Tönen in der Weise, dass der Halb ton immer, wie schon
bemerkt, von der dritten zur vierten Stufe zu liegen kam.
Da die damalige Gesangspraxis schon unser erniedrigtes h, das
sogenannte weiche b im Gegensatz zum harten b (unser h)
kannte, so konnte man nicht bloss von G und C, sondern auch
von F aus ein mit dem ersteren vollständig übereinstimmendes
Hexachord herstellen. Dasjenige Hexachord welches mit dem
Ton C begann, also: C D ET" G A, wurde das natürliche
(natura), das mit G beginnende: G A HJ3 D E das harte
(b-durum) und das mit F beginnende: F G A B C D das weiche
(b-molle) genannt. Nun bestand das damalige Tonsystem aus
folgenden Tönen:
r A B C D E F G a b c d e f g aa bb cc dd ee, so dass
sich folgende sieben Hexachorde ergaben:
1) Forkel II 266.
Sittard, Gompendium.
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— 50
ee
• •
.
la ]
dd
.
la '
sol
cc
. .
sol
fa
bb
, ,
fa
mi
'
aa
la ]
mi
re
g
sol
re
ut
Hartes Hexaehord
f
fa
ut
, ,
Weiches
97
e
\ 'lal
mi
d
la
sol
re
'
c
sol
fa
ut ^
,
^ ,
Natürliches
)}
b
fa
mi
a
la '
mi
re
G
BOl
re
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,
, ,
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Hartes
71
F
fa
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,
, ,
, ,
Weiches
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E
la ]
mi
D
sol
re
C
fa
ut ^
• • •
, ,
. •
^ ^
Natürliches
7)
B
ml
A
re
r
ut
,
• •
,
, ,
,
Hartes
97
Die Schwierigkeit des Solmisatioussystems bestand in der
sogenannten Mutation, worunter man den Uebergang einer
Melodie von einer Sechstonreihe zur andern verstand, wobei
jener Ton, welcher in das andere Hexaehord überleitete, schon
im Sinne des letztern benannt werden musste. Solcher Mu-
tationen gab es 28. Eine grosse Scharfsinnigkeit ist dem System
der Solmisation nicht abzusprechen; indem dasselbe jedoch
Schwierigkeiten beseitigen wollte, setzte es nur noch grössere
an deren Stelle. Trotzdem erhielt sich dasselbe bis zu An-
fang des vorigen Jahrhunderts und die Mutation wurde nur
^das Kreuz der armen Singknaben^ (crux tenellorum puer-
orum) genannt, ^dieweil solche Art singen zu lernen nicht
allein auss der Maassen schwer, sondern auch gar sehr ver-
wirret ist, darüber denn mancher wie ein elender Hund
sich muss bläwen und schlagen lassen, und kommet doch
wohl nicht zur gewüntzschten Ende der singe Kunst. ^ Butt-
stett meint jedoch: ^Ob nun wohl dieses eine Kunst und schöne
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— 51 —
Wissenschaft ist, welche keinem auf einem Buttei-fladen oder
mit dem Brei kann eingestrichen werden, so ist es doch auch
keine Tortura, sondern ist durch einiges Nachdenken und
Exercitium zu erlangen* *). Mattheson in seiner Streitschrift
gegen Buttstett sorgte jedoch dafür, dass diese ^schöne Wissen-
schaft* ein seliges Ende fand.
Zur Erleichterung des Anfangers und behufs besserer
Einprägung der Töne entstand die sogenannte Guidonische
Hand. Man fand nämlich, dass die menschliche Hand, die
Fingerspitzen eingerechnet, gerade so viele Gelenke zähle,
als die Guidonische Scala Töne in sich fasst, wenn das b als
ein Ton genommen wird. Sie war also ein mnemotechnisches
Hülfsmittel, da durch dieselbe der Schüler das Solmisations-
schema in seiner linken Hand stets bei sich habe; die linke
Hand wählte man, weil dieselbe dem Herzen näher liege und
desshalb bequemer zum Unterricht sei. ,, Diese Hand war Im
grössten Ansehen, ohne sie durfte niemand hoffen den Gesang
je richtig zu erlernen, wogegen ihre Kenntniss allein, wie
man meinte, hinreichend war, die volle Einsicht in das Wesen
des Gesanges zu verschaffen. Sie allein schuf den kunstge-
bildeten Sänger; wer ohne sie sang, war ein Naturalist, ein
Kunstvugabund* ^).
Die ersten Schüler Guido's waren Johannes Cotton
und Aribo Scholasticus. Letzterer war ein Deutscher
und soll im Bisthum Freising gelebt haben, ersterer ein Eng-
länder gewesen sein. MendeFs Lexikon hält Cottonius und
Johannes Scholasticus für ein und dieselbe Person, während
nach Ambros letzterer in der Abtei St. Mathias bei Trier als
Mönch gelebt haben soll ').
In Deutschland, Frankreich, England, Ungarn sowie bei
den cisalpinischen Völkern wurden die Noten mit den Guido-
nischen Silben bezeichnet und nur in den Niederlanden fanden
die Guidonischen Lehren erst - im zwölften Jahrhundert durch
1) Ambros II S. 172. .
2) Ambros II 176.
3) Auch Gerbert in seiner mus. sacr. II hält Beide für ein und
dieselbe Person, welche gegen 1047 gelebt haben soll.
HARVARD UNIVB^ITY
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CAMBRIDGE 38, MASS.^OOgle
— 52 —
einen Geistlichen Namens Rodulph in der Diöcese von
Lüttich Eingang.
Im zehnten und elften Jahrhundert fand auch die Orgel
eine grössere Verbreitung, ohne jedoch, wie dies später der
Fall war, einen wesentlichen Bestandtheil der Kirchenmusik
zu bilden. Man könne sie, ohne ein Sacrilegium zu begehen,
wohl entbehren, meinte der Bischof Baldrik von Dol in der
Bretagne *). Wo solche sich wie in Kathedral- und Kloster-
kirchen befanden, wurden sie nur an den hohen Festtagen
benützt. Uebrigens war die Beschaffenheit des Instruments
noch höchst primitiver Natur. Das im Jahr 951 von Bischof
Elfeg für die Kirche von Winchester angeschaffte Werk, von
einem Benedictinermönch und Sänger der dortigen Abtei ge-
baut, soll 400 Pfeifen und 26 Blasbälge gehabt haben, zu
deren Behandlung man 70 Mann *) gebraucht habe, welche,
wie Wolstan berichtet, ungemein schwitzten und sich gegen-
seitig zur Arbeit aufmunterten, während sie rastlos die Arme
rührten.
Gewöhnlich besorgten zwei Organisten das Orgelspiel,
von denen jeder sein Alphabet, das heisst jene Partie dea
Klaviers, welche der andern entsprach, bearbeitete, ein Spiel
zu vier Ellenbogen, wie Ambros es nennt. Da nämUch bia
zum 14. Jahrhundert jede Taste imgefahr eine Elle lang,
ftLnf bis sieben Zoll breit und l^/s Zoll dick war, so wurde
sie vom Spieler ungefähr einen Fuss tief niedergeschlagen
oder durch den Ellenbogen niedergedrückt. Die erste Orgel
in Deutschland wird wohl diejenige zu Aachen gewesen sein,
welche Kari der Grosse im Jahr 812 nach dem Modell der-
jenigen in Compifegne erbauen liess, welche König Pipin vom
griechischen Kaiser Constantin Kopronymus etwa 50 Jahre
früher erhalten hatte'). Im zehnten Jahrhundert besassen
München, Erfurt, Magdeburg und Halberstadt bereits be-
1) Forkel II 374.
2) F^tis in seiner Histoire de la mus. T, IV 428 bezweifelt die Rich-
tigkeit dieser Zahlenangabe.
3) Siehe Chrysander's Jahrbücher für musikalische Wissenschaft
Bd. n 8. 67,
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— 53 —
deutende Orgelwerke. ^Ln elften Jahrhundert erhielt sogar
Magdeburg eine bedeutende zweite Orgel mit sechszehn Tasten
und bald darauf vervielfachte man jeden Ton um zwei,
drei und noch mehr Pfeifen entweder in der Quinte oder
Octave, später auch in der Terz und Decime. Durch diese
Bereicherung wurde die Orgel in eine Mixtur verwandelt und
blieb es Jahrhunderte lang, bis man auf den Gedanken kam,
eine Scheidung des Pfeifenwerks vorzunehmen* *).
Die Einführung der Orgel stiess lange auf den Wider-
spruch der kirchlichen Obern, was bei der mangelhaften Be-
schaffenheit des Instruments, welches sieh, da jeder ange-
schlagene Ton zugleich seine Oberquinte und Octave wie wir
sahen miterklingen liess, durch ein intensives Geschrei aus-
gezeichnet haben mag, wohl zu begreifen und zu erklären
ist. Sie konnte in diesem primitiven Zustande höchstens dazu
benützt werden, den Gesang der Priester zu unterstützen,
d. h. seinen Intonationen den richtigen Ton anzugeben, oder
es schlug der Orgelbändiger mit seinen Fäusten die Choral-
melodie. Erst im vierzehnten Jahrhundert wurden die Tasten
schmäler und durch die Erfindung des Pedals und sonstige
Verbesserungen wie die Anbringung von chromatischen Tönen
und Vervollkommnung der Claviatur, so dass die Tasten nun-
mehr von den Fingern niedergedrückt werden konnten, wurde
die Orgel auch von der Kirche gestattet und als das für das
Gotteshaus passendste Instrument empfohlen; nur die sixtinische
Kapelle besitzt bis heute noch keine Orgel. Die Erfindung
des Pedals wurde bis vor kurzem Bernhard dem Deutschen
zugeschrieben ; doch fand man beim Abbruch einer alten Orgel
in Beeskow bei Frankfurt a/Oder in zwei Principalpfeifen des
Pedals die Jahreszahl 1418, also fünfzig Jahr früher als
Bernhard die Erfindung gemacht haben soll, welcher diese
Neuerung wohl in Venedig eingeführt haben wird und in
Italien als der Erfinder alsdann ausgegeben wurde. Das Pedal
war jedoch noch nicht selbständig, sondern der tiefsten Octave
des Manuals angehängt. *) —
1) Chrysander a. a. O. S. 67.
2) Chrysander a. a. O. S. 69.
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— 54 —
Wir sahen schon oben wie Guido über den Verfall des
Gesanges sich beklagte ^ und es ist leicht verständlich ^ dass
bei der keinen sichern Anhaltspunkt bietenden Notirungsweise
und der grossen Unwissenheit der Sänger der Gregorianische
Kirchengesang in seiner Ursprlinglichkeit wohl nur an wenigen
Orten noch bestand. Manche Gesänge wurden für gregorianisch
gehalten und als solche verehrt, welche es schon längst nicht
mehr waren. Die Zeit von Hucbald bis Guido ist zwar für
den Historiker in Dunkel gehüllt, doch sollen im zwölften
Jahrhundert z. B. in Frankreich die verschiedenen Gesang-
bücher gar nicht mehr untereinander gestimmt haben , was
den Cisterzienserabt von Citeaux bestimmte, die Singschule
zu Metz um eine Copie des durch Pabst Hadrian I. auf den
Wunsch Kaiser Karls dorthin gesandten Antiphonar's zu bitten.
Er forderte hierauf den heiligen Bernhard von Clairveaux so-
wie die vornehmsten Sänger der Cisterzienserklöster auf, die
Gesangbücher ihrer Abteien nach« dieser Copie zu vergleichen
und die nöthigen Verbesserungen anzubringen. Da jedoch das
Metzer Manuscript eine grosse Anzahl Verzierungen und lange
Reihen von Tönen über einer Silbe enthielt, so waren der
heilige Bernhard und die übrigen Sänger von Citeaux der
Ansicht, dass dieses Manuscript den reinen Gregorianischen
Gesang nicht (? es würde dieser Umstand ja gerade für die
Aechtheit des Antiphonars gesprochen haben) enthalte und
die heiligen Väter erklärten den in demselben enthaltenen Ge-
sang für das Gotteshaus entwürdigend. Sie merzten nun viele
Verzierungen aus den Gesängen aus, beschränkten die langen
Notenreihen über eine Silbe bei den Offertorien und Com-
munionen, indem sie dieselben um die Hälfte bis zu drei
Viertheilen kürzten; ebenso vereinfachten sie die Gesänge des
Introitus und der Gradualresponsorien. Diese vereinfachte Ge-
sangsweise blieb zunächst auf die Gesangbücher des Cister-
zienserordens beschränkt, da diejenigen des dreizehnten Jahr-
hunderts diese sogenannten Vocalisen noch vollständig enthalten
sollen, also wahrscheinlich auch gesungen worden sind. Erst
im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert seien die alten
kirchlichen Gesänge bedeutend abgekürzt worden , wie die noch
erhaltenen Manuscripte ausweisen, in welchen Centimeter von
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— 55 —
Vocalisen wie von einem Schwamm weggewischt erscheinen
sollen ^).
Da der Cisterzienserorden sehr ausgebreitet war, — zählte
derselbe doch im 13. Jahrhundert über 160 Klöster, welche
durch ganz Europa verbreitet waren — so darf angenommen
werden, dass die meisten Kirchen und Klöster, zumal die Ge-
sangbücher des 14. Jahrhunderts ähnliche Aenderungen ent-
halten, die Antiphone der Cisterzienser angenommen hatten.
Sogar in Italien war dies der Fall mit Ausnahme der Mai-
länder Kirche, welche Immer noch zum Theil wenigstens den
Ambrosianischen Gesang gepflegt haben soll. In Frankreich
wurde dieser vereinfachte Gesang zunächst in den Diöceßen
Sens, Langres, Eouen, Lyon, Chälons u. s. w. eingeführt*).
Uebrigens hatten zu jener Zeit die verschiedenen Klöster
wieder ihre eigenen Gesänge ; so gab ' es Gesangbücher der
Dominikaner, Augustiner, Kapuziner u. s. w.
Vom 15. Jahrhundert an fieng man allgemein und zwar
unter Billigung und Zustimmung der kirchlichen Behörden
an, ganze Phrasen wegzustreichen und die Gesänge überhaupt
zu ändern. So beschloss das Concil von Cameracense im
Jahr 1565, dass wenn die Musik auch dem Zweck der Kirche
dienen soll, man doch jene Weitschweifigkeit meiden solle,
welche nicht zur Sache gehöre, mit welcher am Ende der
Antiphonen in Cathedralen Missbrauch getrieben werde. So
verordnete auch das Concil von Eheims im Jahr 1564, dass
das Neuma nur noch bei den letzten Antiphonen der Vespern,
Nocturnen, Magnificat's und Benedictus gesungen werden soll,
und dass, wenn eine Silbe mehr Noten als dahin gehören, ent-
halte, der Gesang möglichst gekürzt werde •).
Eine eigenthümliche Art des Gesanges bildeten in Frank-
reich die sogenannten Farcies — epistolae cum farsia, or-
naturae auch Complaintes oder Sermons genannt. — Es
waren dies Gesänge, welche zwischen den Worten der Epistel
eingeschaltet (farcire d. i. entrem^ler, m^langer) wurden.
1) F^tis a. a. O. V S. 98.
2) F^tis a. a. 0.
3 Schlecht a. a. O. S. 63,
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— 56 —
Sie bestanden aus Lob- und Klagliedern auf die Heiligen,
waren meistens nur Paraphrasen der lateinischen Sequenzen
auf diese Heiligen und wurden im Wechselgesang abgesungen,
welche Sitte aus dem gallicanischen Bitus auch nach Einfüh-
rung der römischen Liturgie in Frankreich beibehalten werden
durfte 0.
Zu den lateinischen Farciesgesängeu gehörte auch das zu
Anfang der Messe nach dem Introitus gesungene Kyrie eleison.
Anstatt drei Mal hintereinander Kyrie eleison zu singen, schob
man unter anderm folgende Zwischensätze ein:
Kyrie fons bonitatis, pater ingenite a quo bona cuncta pro-
Qcdunt, eleison;
Christo coelitus adsis nostris precibus, quas pro viribus, ore,
corde, actuque j^allimus, eleison;
Kyrie Spiritus alme, pectora nostra succende, ut digni pariter
proclamare semper possimus, eleison^).
Diese Farciesgesänge, deren Melodien sich von jenen der
Sequenzen dadurch unterschieden, dass dieselbe Melodie bald
ganz, bald theilweise, bald unverändert, bald mit grössern
oder geringern Veränderungen wiederholt wurde, dass sie also
nicht aus einer Reihe verschiedener melodischer Sätze, sondern
eigentlich nur aus einer bald mehr bald weniger variirten
Grundmelodie bestanden, wurden nur an hohen Festtagen ge-
sungen ®).
Kirchengesang in romanischer Sprache treffen wir be-
reits im 12. Jahrhundert an. So wurde z. B. die Epistel
(^pttre farcie) von einem Diacon in der lateinischen, die Para-
phrase vom andern in der romanischen Sprache gesungen.
Oft gieng der Epistel auch ein Prolog in romanischer Sprache
voraus.
Li Deutschland waren seit dem zehnten Jahrhundert, wie
wir bereits sahen, die Sequenzen, jedoch nur in lateinischer
1) Wolf a. a. O. S. 301.
2) F^tis Y. S. 99.
8) In Dufay's Messen findet man auch noch solcher Faroitoren ; siehe
auch Ambros II 412.
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— 57 -
Sprache, in den verschiedenen Kirchen üblich. Das Volk
war überall vom eigentlichen Kirchengesang, das heisst von
der Betheiligung am Gesang innerhalb der Kirche, welcher
nur von den Klerikern und zwar in lateinischer Sprache aus-
geübt wurde, ausgeschlossen.
Ueber die Entwicklung des deutschen Kirchengesangg
und des deutschen Kirchenlieds werden wir im letzten Ab-
schnitt weiter berichten.
IIL
Mensuralmusik, Mensuralnotensclirift. Entwicklung
des melirstimmigen GFesanges. Organum. Discantus.
Mit der Entstehung und Entwicklung des mehrstimmigen
Gesanges — worüber nachher — stellte sich auch das dringende
Bedürfniss einer Notenschrift ein, welche nicht nur die ganz
bestimmte Höhe, sondern auch die genaue Zeitdauer der Töne
fest und bestimmt ausdrückte. Im Ambrosianischen Gesang
besassen die Töne auch verschiedenen Zeitwerth, welcher
jedoch durch die sprachliche Rythmik bedingt und an die
Prosodie gebunden war. Der Gregorianische Gesang, wenn
auch nicht mehr von der Prosodie abhängig, behielt die beiden
Notenzeitwerthe, welche die Länge und Kürze, bei den me-
trisch gegliederten Gesängen die Zeilenabschlüsse bezeichneten,
bei; der Bythmus der gregorianischen Gesänge war somit ein
mehr oratorischer als musikalischer. Mit der Entwicklung der
mehrstimmigen Musik konnte aber die einfache Länge und
Kürze nicht mehr genügen, und wie die Länge in mannig-
fachen Kürzungen verschiedener Art zerlegt wurde, so konnte
auch eine metrisch kurze Silbe lang gebraucht werden.
Die bedeutendsten Mensuralisten sind Franco von Köln,
Walther Odington (ein Mönch von Evesham um 1240),
Hieronymus de Moravia, ein Geistlicher des Prediger-
ordens um 1260, sowie der pseudonyme Verfasser eines dem
Beda venerabilis im siebten Jahrhundert zugeschriebenen Trak-
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— 58 —
tats\ sämmtliche im dreizehnten Jahrhundert lebend. Kiese-
wetter 1) glaubt , dass die Lehren der Mensur durcL üeber-
lieferung sich fortgepflanzt haben mid dass als historisch sicher
angenommen werden könne, dass die letzte Hälfte des drei-
zehnten Jahrhunderts, das Zeitalter Marchettus die Epoche
sei, in welcher die aufgesammelte Kenntniss vom einfachen
Contrapunkt und der Mensur, sowie die Figuralmusik in die
Praxis tibergiengen. Kiesewetter's Ansicht über Entstehung
und Fortgang der Mensural- und Figuralmusik ist die, dass
nach der Verbreitung der Lehren und Methoden Guido's, und
nachdem die Note gefunden und eingeführt (wahrscheinlich
Anfang des zwölften Jahrhunderts), Versuche angestellt wur-
den, das poetische Metrum und selbst die Prosodie dem Sänger
bemerklich zu machen. Die Wahrnehmung, dass eine lange
Silbe zweien kurzen in der Dauer gleich sei , führte dazu, dass
man sich Töne von gleicher Dauer dachte, auf welche zwei
jener einfach langen und vier jener kürzeren kamen u. s. w. ;
so sei oder könnte vielmehr die Mensur entstanden sein.
Zwei Notenfiguren, die 'Longa und B.revis genügten
vorläufig, um die Prosodie und das poetische Metrum im mu-
sikalischen Vortrag zu bezeichnen. Das Bedürfniss jedoch eines
noch längern, gedehnten, beziehungsweise gekürzten Zeitmasses,
welches beim Organum und beim blossen Discantus (siehe unten)
entbehrlich war,. führte zur duplex Longa oder Maxima
und Semibrevis und verdankt seine Entstehung wahrschein-
lich dem gemischten Contrapunkt, von welchem wenigstens
eine Idee vorhanden sein musste , ehe man überhaupt auf die
Mensur verfiel. Die musikalischen Schriftsteller des elften
und zwölften Jahrhunderts wissen aber vom Contrapunkt gar
nichts und erwähnen denselben in ihren Schriften auch dem
Namen nach nirgends ; eben so wenig der Mensur und somit
können die ersten Versuche zur Erfindung eines musikalischen
Zeitmasses höchstens in die erste Hälfte des zwölften Jahrhun-
derts gesetzt werden und die fortgeschrittenen Lehren, welche
Franco mit dem Prädicat antiqui bezeichnet, erst im dreizehn-
1) Siehe den Aufsatz Riesewetters in Nro. 48 — ÖO in der Leipz.
Allgem. Mus. Zeitg. vom Jahr 1828.
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— 59 -
ten Jahrhundert geblüht, somit auch Franco nicht im elften
sondern im dreizehnten Jahrhundert gelebt haben.
Zur Bestimmung der Zeiteinheit wurde die Brevis genom-
men und Mensura temporis oder kurzweg Tempus ge-
nannt. Die Dauer derselben wurde durch einen Schlag mit
der Hand markirt und hieraus dürfte wohl die spätere Be-
zeichnung Taktus (Takt) entstanden sein. Später wurde an
die Stelle der Brevis die Semibrevis (unsere ganze Taktnote)
zur Eintheilungsnote sowohl des geraden als des ungeraden
Taktes genommen. Wurde das Stück im gradtheiligen Takte
ausgeführt, so zerfiel diese Grundnote in Nieder- und Auf-
schlag (Thesis und Arsis), und zwei Minimae; im ungeraden
Takt liegt auf jeder Semibrevis ein einziger Schlag, sofern
nicht der ^/2 Takt eintritt, wo dann die einzelnen Schläge auf
die Minima fallen.
Die Mensur war entweder perfect (vollkommen) oder
imperfect (unvollkommen) ; im ersteren Falle war die Takt-
art eine dreitheilige, ungerade, ('/i Takt), im letztern eine
zweitheilige, gerade und entsprach unserem */i oder */»; dem
alla breve Takt. Das dreitheilige Mass wurde für das voll-
kommenste gehalten, weil in der Zahl drei alle Vollkommen-
heit enthalten sei und dasselbe zugleich an die Trinität er-
innere. Das Tempus imperfectum tritt als selbständiges Mass
erst im vierzehnten Jahrhundert auf.
Im Tempus imperfectum ^) werden sämmtliche Noten-
gattungen zweizeitig gemessen, d. h. die Brevis enthält zwei
Semibreves, die Semibrevis zwei Minimae, eine Minima zwei
Semiminimae, eine Semiminima zwei Fusa u. s. w. ; zwei Breves
sind gleich einer Longa und zwei Longaß bilden eine Maxima.
Die Hinzusetzung eines Punktes auf die rechte Seite einer Note
verlängert dieselbe wie bei unserer Notenschrift um die Hälfte
ihres Werthes; dieser Punkt hiess das Punctum additionis.
Im Tempus perfectum gilt die Brevis drei Semibreves, die
andern Notengattungen unterliegen jedoch der zweitheiligen
Messung. „Es sind also die einzelnen Noten der ^/i Takte,
1) Siebe hierüber Heinrich Bellermann: Die Mensuralnoten und
Taktzeicben des 15. und 16. Jahrhunderts. Berlin 1858.
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_ CO —
wie aach fbr gewöhnlich bei uns zweitheilig (nicht Triolen)
und die Takte sind zu. grösseren zweitheiligen (nicht drei-
theiligen) Perioden verbunden ^ zur Longa mit zwei, und zur
Maxima mit vier dreizeitigen Breves* ^). Um die Dreizeitig-
keit einer Brevis zu erkennen , bestand die Kegel, dass die
Dreizeitigkeit nur gelte, wenn ihr wiederum eine Brevis oder
eine für solche stehende Pause, oder die Note einer grös-
seren Gattung, Longa oder Maxima, folgt; folgen dagegen
kleinere Notengattungen (Semibreves , Minimae u. s. w.) oder
die ihnen entsprechenden Pausen, so ist sie zweizeitig ^).
Die wechselnden Werthe der verschiedenen Notengattungen
wa^n äusserst verwickelter Natur, da der Werth der einzelnen
Note bald ein zwei-, bald ein dreitheiliger war, ohne dass die
äussere Gestalt derselben eine Veränderung erlitt. Ein ge-
naueres Eingehen hierauf würde uns zu weit fuhren und die
Grenze unserer Aufgabe überschreiten; wir verweisen dess-
halb die sich hiefiir Interessirenden ausser auf das schon an-
geführte ausgezeichnete Werk Bellermanns auf die Arbeiten
eines Coussemaker •), Ambros *) sowie Böhme ^).
Erwähnen wollen wir noch die sogenannten Ligaturen
(Bindungen). Schon die Neumen hatte man, wenn mehrere
Noten auf einer Textessilbe zu singen waren, in Gruppen
verbunden ; eine ähnliche Verbindung mehrerer Mensuralnoten
zu einer zusammenhängenden Gruppe nannte man Ligatur a.
jjDer Werth der Ligaturen wird bedingt zum Theil durch ihre
Gestalt, zum grössten Theil aber durch die Stellung des
Striches, ob derselbe an der rechten oder linken Seite, auf-
oder abwärts gezogen ist, abweichend von den einfachen Noten,
wo diess ganz ohne Einfluss bleibt. Eine Ligatur kann aus
zwei, drei oder einer ganzen Reihe von Noten bestehen. Die
erste Note der Ligatur heisst die Nota initialis oder die
Anfangsnote, die letzte die Nota finalis oder die Schluss-
1) Belleimann a. a. O. S. 17.
2) Bellermann a. a. O. S. 17.
3) Coussemaker: Histoire de Tharmonie au moyen-äge. Paris 1 852.
Chap. VIII.
4) Ambros a. a. O. II S. 359 u. flf.
5) Boehme: Altdeutsches Liederbuch. Leipzig 1877. LV.
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- 61 —
note und alle dazwischen liegenden dieNotaemediae oder
die mittleren* ^).
Zur Bezeichnung des zwei- und dreitheiligen Masses hatte
man bestimmte Zeichen. So bezeichnete der Kreis das Tem-
pus perfectum, auch zwei gegeneinandergestellte Halbkreise;
ein nach rechts offener Halbkreis das Tempus imperfectum.
War der Kreis durchstrichen, so war die Bewegung zu ver-
doppeln, war demselben die Zahl 3 beigefügt, zu verdreifachen.
Die Prolatio war ein Punkt im Zeichen des Tempus und
besagte, dass die Semibrevis drei Minima^ gelte; fehlte der
1) Die Regeln hierüber bei Bei 1er mann S. 7 — 15.
Ambros II. S. 509 theilt die von Martin Agric^ola übersetzten Gedächt-
nissregeln über die Ligaturen mit, welcl^p wir hier ebenfalls folgen lassen:
Von den ersten Noten der Ligaturen.
Die £rste ohne Schwantz ist Longa vorwar
So die andere unter sich steiget gar
Die Erst ohne schwantz ist Brevis genant,
So die andere hynauff steigt zur haut,
Die erst niddergeschwentzt an der linken
Thut allzeit nach einer Brevi winken,
Wenn der ersten Schwantz lincks auff thut wandern
So ist sie Semibreff mit der andern.
Von den mittelsten.
Die werden alle mittelste geacht
Zwischen der ersten und letzten gemacht
Igliche Nota ym mittel gesatzt
Wird von den Sengern ein Brevis geschätzt.
Ausgenommen wenn die erst geschwentzt ys
Ist sie und die andern Semibrevis
Wie oben im vierten regel gemelt,
Mercks in allen regeln hernach gestelt.
y on den letzten. i
Die letzt quadrat, so sie nidder steiget
Wird für eine lang angezeiget,
Ist die letzte quadrat hinauff gemalt,
So wird sie für eine Brevem gezahlt
Brevis ist igliche letzt Obliqua
Ein ding ob sie auff oder nidder ga
Mazima dieweil sie ist die gröste
Bleibt sie allzeit ynn yhrem gerüste.
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— 62 —
Punkt, oder war der Kreis durchstrichen, so war die Semi-
brevis imperfect und galt zwei Minimse u. s. w. ^) Die
Pausen entsprachen so ziemlich den heute üblichen ; man unter-
schied Maxima- und Longapausa, Semipausa (Brevis), Sus-
pirium, Semisuspirium.
Die Mensuralnote — viereckige schwarze Note, da die
weisse Note erst in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahr-
hunderts in Frankreich aufkam und von den niederländischen
Tonsetzem in allgemeine Aufnahme gebracht wurde — , welche
sich allmählig aus den Neumenzeichen herausgebildet hatte ^),
ist nicht zu verwechseln mit der römischen Choralnote. Die
Neumen bildeten in den Büchern des römischen Kirchengesangs
noch bis zum vierzehnten Jahrhundert die einzig gültige Noten-
schrift und erst als die Mensuralnotenschrift schon verschiedene
Entwicklungsstadien durchlaufen, Hess man für den Choralge-
sang die Notaquadriquarta, eine der Mensurälnote ähn-
liche viereckige Note gelten. Daher hiess auch die Mensural-
musik mit ihren viereckigen Mensuralnoten im Gegensatz zu
der in Neumen notirten Musica plana — Musica quadrata
und wegen der bunten Figuren, welche die Mensuralnote in den
Ligaturen bildete, Musica figuralis.
Darüber dürfte wohl kein Zweifel mehr bestehen, dass
durch das sogenannte Organum oder Diaphonie das grund-
legende Moment zur Entwicklung der Mehrstimnaigkeit gegeben
war, so roh und unnatürlich auch die Mehrstimmigkeit des
Organums klingen mochte, wenn man solche Parallelfortschrei-
tungen überhaupt mehrstimmig heissen kann.
Unter Harmonie verstehen wir bekanntlich das gleich-
zeitige Erklingen mehrerer Töne, während die Griechen da-
mit die Folge einzelner Töne nach ihrer Tonleiter bezeichneten
und Melodie eine Folge dieser harmonischen Töne nach den
Regeln des Rythmus hiess. Das was wir Melodie nennen, be-
1) Bellermann S. 73; über die Bezeichnung der Taktverhältnisse
S. 65—91.
2) Ueber die allmählige Transformation der Neumen in mensurirte
viereckige Noten siehe Coussemaker: Histoire de l'harmonie au moyen-
äge Ch. 7, woselbst in erschöpfender Weise nachgewiesen wird, dass und
wie die viereckige Note aus den Neumen sich herausgebildet.
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— 63 —
greift somit was die Griechen unter Harmonie und Melodie
verstanden, in sich. Im neunten und zehnten Jahrhundert
bedeuteten Organum und Diaphouie schon das, was wir unter
Harmonie verstehen, obwohl jene Quinten- und Octavenparal-
lelen nichts weniger als harmonische Zusammenklänge sind.
Die Entstehung des Organums wird gewöhnlich dem Satze
der griechischen Musiklehre zugeschrieben , dass nur die
Quarte, die Quinte und die Octave consonirende Intervalle
seien. Es entstand nun die Meinung , dass, wenn die Quarte
mit irgend einem Tone gleichzeitig erklinge , eine angenehme
Symphonie (Akkord) entstehe, dass überhaupt die gleichzeitige
Fortschreitung mehrerer Stimmen in Cousonanzen angenehm
klingen müsse. Hucbald erklärt zweierlei Arten des Or-
ganums, denn dass dasselbe keine Erfindung Hucbald's war
tmd schon zu Anfang des neunten Jahrhunderts existirte,
haben Ambros *) und namentlich üoussemaker *) nachgewiesen.
Schon Isidor von Sevilla, welcher im siebten Jahr-
hundert lebte , spricht von einer musikalischen Harmonie,
unter welcher er theils das Auf- und Absteigen der Stimme,
theils die Uebereinstimmung mehrerer gleichzeitig
verbundener Töne versteht; ebenso definirte Eemi von
Auxerre, welcher zu Anfang des neunten Jahrhunderts
lebte, die Harmonie als eine gleichzeitige Verbindung der
Stimmen ^) ; auch der Philosoph ScotusErigena — Anfang
des neunten Jahrhunderts — erwähnt des Organums als einer
allgemein bekannten Sache.
Hucbald erklärt also zweierlei Arten des Organums. Bei
der ersteren Art giengen eine oder mehrere Stimmen mit der
Prinzipalstimme in Quinten oder in Quinten und Octaven ; die
zweite Art, das sogenannte schweifende Organum, enthielt
ausser Quart- oder Quart- und Octavenparallelen , Secunden und
Terzen, jedoch durften nie zwei Terzen aufeinander folgen.
Letztere Art wurde von Hucbald nur zweistimmig angewandt,
erstere vierstimmig, d. h. die zwei obern oder untern Stimmen
wurden verdoppelt.
1) Ambrog II S. 140—142.
2) Coussemaker a. a. O. und Trait^ sur Hucbald.
3) Gerbe rt Script. I.
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— 64 —
Kiesewetter ^) hält es nicht für glaublich, dass das Or-
ganum in den christlichen Gesang eingeführt worden , noch
überhaupt je gesungen worden sei; eben so wenig, bemerkt
derselbe mit beissender Ironie , wird das Anhören oder Singen
desselben unter den Pönitenzen und Kasteiungen der Ordens-
regel gemeint sein können, da eine solche Strafe doch gar
zu empfindlich gewesen wäre.
Dass die Fortschreitungen des Organums unsem Ohren
barbarisch klingen, Ist nun aber kein Beweis dafür, dass das-
selbe nie gesungen wurde. Den damaligen Ohren wenigstens
muss das Organum äusserst lieblich geklungen haben, da die
verschiedenen Schriftsteller jener Zeit die Süssigkeit desselben
nicht genug rühmen und preisen können. Hucbald selbst hat an
der herrlichen Wirkung des Organums auch nie gezweifelt ; denn
— sagt er — singen ihrer zwei oder mehr mit bedächtiger
Gravität zusammen wie es diese Singweise erheischt, so wirst
du aus der Vermischung der Stimmen einen angenehmen Zu-
sammenklang entstehen sehen ') ; und über das verdoppelte
Organum: mit massigem Zögern gesungen und genau ausge-
führt, wird die Annehmlichkeit dieses Gesanges ausgezeichnet
heissen dürfen. Dass in Quarten und Quinten gesungen wurde,
beweisen nicht bloss verschiedene Schriftsteller, welche da-
von als einer ganz bekannten Sache sprechen, sondern auch
Ausdrücke wie Quintiren, bei den Franzosen* quin toy er,
sowie Diatessaronare für den Gesang in Quarten '), welche
für diese Art des Gesanges ganz gang und gäbe waren. Er-
wähnt doch noch Brant in seinem NarrenschifiT des Quintirens:
,,8ie wiesen als viel vom Kirchen regiren
als müllers esel vom quintiren" ♦).
Seth Calvisius in einem Briefe an Praetorius ^) findet
Anklänge an das alte Organum in dem Gebrauch zweier In-
strumente von der alten Musica, als die Sackpfeife und die
1) Eiesewetter a. a. O. S. 18.
2) Gerbert a. a. O. I. 166.
3) Forkel a. a. O. II. 451.
4) Siehe anoh Gonssemaker a. a. O.
5) Syntagma mus. 11. 100.
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— 65 —
Leyer; ^in denselben klingen besonders für und für eine Con-
sonantia; auf der Sackpfeife nur eine Quinta^ auf der Leyre
aber wohl drei oder vier Saiten, als nämlich eine Quinta
und Octava zugleich durch drei Saiten: Und wird dar-
nach auf andern Ciavieren, welche die vierte Saite anrühren
und treffen , etwas anderes im fliglichen Choral darin
modulirt. Solches ist ohne Zweifel stets in den Kirchen
blieben und man hat auf den Orgeln, zu den Consonantiis
eine andere sonderliche Reihe Pfeifen haben müssen , in
welchen man allezeit die Consonantias gezogen, welche
sich zum Choral Clave schicken und reimen, wie auf der
Leyre geschieht, als c g c oder d a d oder ehe u. s. w.
Dieselben Clav es haben sie stets gehen und tönen lassen
und darnach einen Choral, der aus dem c, d oder e gegangen
und sein Fundament darinnen hat, dareingeschlagen, wie man
auf dem Instrument einen Schäfertanz schlägt* *).
Die muthmassliche Entstehung des Organums hat schon
eine stattliche Beihe von Hj^othesen hervorgerufen. Die
Einen erklären die Entstehung desselben, wie schon oben
bemerkt, aus dem Satz der griechischen Musiklehre, welcher
die Quarte und Quinte als Consonanzen ansah, woraus die An-
nahme leicht entstehen konnte, dass gleichzeitige Fortschrei-
tungen mehrerer Stimmen in solchen consonirenden Intervallen
auch consonirend, wohlklingend sein mtissten. Diese Hypo-
1) Oscar Paul in seiner. Geschichte des Klavierspiels hestreitet die
Annahme einer Mehrstimmigkeit in der Form des Organums als historisch
nicht nachweisbar. Die von Gterbert angeführten Beispiele seien Antiphonien^
welche in der Weise gesungen worden wären, dass Männer und Knaben zu-
sammen eine Melodie vorgetragen und dieselbe auf der Quinte und deren
Oktave wiederholt hätten. Der historische Nachweis seiner Behauptung
dürfte aber Oscar Paul um so schwerer fallen, als gerade die Abhandlungen
Hucbalds über Symphonie und Diaphonie seine Aufstellung direct und
schlagend widerlegen. Einen weiteren, wenn auch indirecten Beweis dafür,
dass das Organum in oben bezeichneter Weise wirklich gesungen wurde,
enthält die weiter unten vollständig mitgetheilte Verordnung Johann XXII,
welcher an Festtagen oder bei feierlichen. Messen einige „melodische Con-
sonanzen" als die Oktave, Quinte, Quarte und dergleichen, da dieselben das
Ohr erfreuen, über dem einfachen Kiroheng esang beizubehalten
gestattete.
5
S i 1 1 a r d , Compendium.
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— 66 —
these hat vieles für sich. Kiesewetter glaubt^ dass das Or-
ganum der Orgel seine Entstehung verdanke. Die ältesten
Orgeln besassen^ wie wir im vorigen Abschnitt sahen ^ einen
halben Schuh breite Tasten, welche entweder mit den Fäusten
geschlagen oder mit dem Ellbogen niedergedrückt werden
mussten. Eine wesentliche Stütze konnte natürlich der Gesang
in einem solch' unvollkommenen Instrument nicht finden und
Kiesewetter meint, dass wie die Sänger oft über einen Orgel-
ton wie über einen Dudelsack ihren Gesang fortführten, viel-
leicht irgend ein Mal ein solcher Orgelbändiger zufallig zum
Grundton die Quinte presste und ob der guten Wirkung in
ein j^angenehmes Erschrecken* gerathen sei *).
Ambros *) vollends führt aus, dass, weil die Geigen der
nordischen Völker mit flachem Stege und mehreren Saiten
versehen waren, dieselben den Spieler nöthigten, mit dem
Bogen sämmtliche Saiten zugleich ertönen zu machen, und so
die tiefern Saiten Grundton und Quinte zur Oberstimme
(Melodie) angaben und das Ohr daran gewöhnt wurde. Eben-
so habe die Orgel zur Entstehung des Organums beigetragen,
wo der Organist mit zwei Fäusten die Orgel und in Erinner-
ung (?) an die Geigeninstrumente (?) ähnliche Wirkungen zu
erzielen versuchte, indem er zu einem mit der linken Hand
gleichsam als Orgelpunkt constant festgehaltenen Ton in der
rechten einige oder vielleicht eine ganze Reihe Noten hören
liess, oder zuweilen einem Tone die Quinte zugesellte.
Wäre es wohl nicht die einfachste und natürlichste Lös-
ung, die Entstehung des Organums in den verschiedenen
Klangweisen der menschlichen Stimme zu suchen? Es ist ja
bekannt, und man kann es heute noch in der katholischen
Kirche beim gemeinsamen Beten sowie überhaupt bei den
Gesängen des Volkes beobachten, dass die verschiedenen
Stimmen sich in Quarten- und Quintenparallelen bewegen.
1) Die Annahme Eiesewetters in seiner Schrift: Die Verdienste
der Niederländer u. s. w. Amsterdam 1829 S. 12 , dass das Organum eine
blosse Nachahmung der Orgelmixtur gewesen sei, ist schon desswegen hin-
fallig, weil die Mixtur erst im zwölften Jahrhundert entstand.
2) Ambros II'^. 123.
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— 67 —
Die Tenorstimme klingt in der Regel eine Quarte höher als
die Bassstimme^ die Sopranstimme eine Octave höher als der
Tenor und die Altstimme eine Quarte tiefer als der Sopran
resp. eine Octave höher als die Bassstimme. Hier hätten wir
das natürliche Vorbild des Organums und dies wäre auch
eine viel natürlichere Erklärung als die vielen künstlichen^
weit hergeholten Entstehungsursachen. Vielleicht könnte der
Wechselgesang zur Entstehung desselben beigetragen haben.
So bestand der Gesang z. B. der Therapeuten, einer jüdischen
Secte, in Wechselchören zwischen Männern und Frauen. Nach-
dem jeder Chor seine religiösen Empfindungen einzeln aus-
gesprochen, mischte sich in den herüber- und hinübertönenden
Weisen, nach den Schilderungen Philo's, zu dem tiefen Ton
der Männer der höhere der Frauen und so bildete sich eine
harmonische und wirkliche Symphonie. Wie wir in der Ein-
leitung sahen, wurden Wechselchöre auch zwischen den Män-
nern einerseits und den Frauen und Kindern andererseits aus-
geführt, und es bestärkt uns dieser Umstand nur noch in der
Annahme, dass die Entstehung des Organums in den Klang-
weisen der menschlichen Stimme seine natürliche Erklärung
finden dürfte.
Das Naturwidrige solcher Parallelfortschreitungen wie
diejenigen des Organums wurde nach und nach doch vom
Ohr empfunden und die Sänger schalteten zwischen zwei oder
drei solcher Parallelen eine Octave oder Sexte ein, schlössen
auch im Einklang. Schon Guido ersezte die Quintenparallelen
durch Quartenparallelen, und liess die Stimmen sich am Schlüsse
nähern und im Einklang schliessen. Im schweifenden Organum
will er ebenfalls die Quarte angewandt wissen; auch andere
Intervalle, wie die grosse und die kleine Terz lässt er als
Durchgangstöne gelten, ja er lässt sogar eine Stimme auf
einem und demselben Ton aushalten, während die Hauptstimme,
wie Ambros sich ausdrückt, taumelnd um denselben sich be-
wegt. In der Eliminirung der reinen Quintenfolgen lag ein
grosser Fortschritt gegenüber dem Hucbald'schen Organum.
Schelle ^) glaubt, dass das freie oder schweifende Organum
1) Schelle a. a. O. S. 180.
5 *
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Guido's in der Kirche in der Weise verwendet wurde, „dass
eS; zumal das Organum mit dem orgelpunktartigen Baas, nach
dem Verse, der in Quarten gesungen wurde, als Schlusscadenz
oder Neuma angehängt wurde. Es milderte somit die Ein-
tönigkeit des Gesangs und hob diesen zugleich durch einen
Effect, der einen um so imponirenderen Eindruck machte, als
das Organum in der römischen Kirche zunächst nur bei ge-
wissen Gelegenheiten gehört wurde. So trugen die Sänger
am Weihnachtstage nach der Messe, während der Mahlzeit
des Pabstes, die übliche grosse Sequenz im Organum vor,
dessgleichen geschah auch am Ostertage, und aus einzelnen Andeu-
tungen geht hervor, dass an bestimmten Festtagen das Organum
auch in der Messe, wenn auch nur sparsam, zur Verwendung
kam. Es liesse sich vermuthen, dass im Munde der römischen
Sänger die Quarte als eine zu grosse Härte sich nach und
nach abschliff, die wohlklingende Terz ihre Stelle einnahm,
fortan dem Cantus firmus als Begleitungsintervall zur Seite
ging, und nur in den Cadenzen (Neumen) vorübergehend
Quinten oder Quartenfolgen als die Reminiscenzen des alten
Organums auftauchten. In solcher Gestalt hat sich das letztere
noch bis auf den heutigen Tag in der päbstlichen Schule
allerdings mit gewissen Modificationen erhalten. Den Cantus
firmus geben die Bässe und Contraalte, die Tenore und So-
prane übernehmen die begleitende Terz. Das Gesetz des Pa~
rallelismus wird dabei in seiner ganzen Strenge befolgt und
der Charakter der Tonarten dergestalt berücksichtigt, dass im
ersten, zweiten, dritten, vierten, siebenten und achten Ton,
wo das b im Schlüsse nicht vorkommt , dieser Halbton in dem
Begleitungsintervall stets vermieden wird, selbst wenn der Can-
tus firmus vorübergehend das b anschlägt und die Gefahr eines
Querstandes unvermeidlich ist oder in Folge des Ganges der
Modulation die übermässige Quarte und die falsche Quinte, diese
gefürchteten Spuckgeister in der alten Kirchenmusik, mit
ihrer Erscheinung drohen sollten.''
JohannesCottonius, welcher nach Guido lebte (siehe
oben), erwähnt auch verschiedener Arten des Organums, welche
gegenüber dem Hucbald'schen einen nicht unbedeutenden Fort-
schritt bezeichnen. Die Diaphonie, berichtet uns derselbe,
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— 69 -
ist ein gleichzeitiges Erklingen verschiedener Töne, dieselbe
wird von mindestens zweien Sängern in der Weise ausgeführt,
dass während der eine die Hauptmelodie singt, der andere die-
selbe mit verschiedenen Tönen umschreibt. Beide Stimmen
schliessen im Einklang oder in der Oktave. Diese Art des
Gesanges nannte man Organum. Er erwähnt noch mehrere
Arten desselben, so z. B. dass während die eine Stimme stieg,
die andere fiel und umgekehrt *).
Neben dieser Art der Diaphonie hatte sich gegen Ende
des elften und Anfang des zwölften Jahrhunderts eine andere
Art von Harmonie entwickelt, welche Discantus (von dis
zwei und cantns Gesang, also Zwiegesang) französisch D behaut
genannt wurde und aus einem gegebenen bestimmten Gesang
— cantus f irmus — und einer hiezu gesetzten Melodie bestand.
Im dreizehnten Jahrhundert verstand man jeden zwei-, drei-,
oder vierstimmigen mensurirten Gesang hierunter.
Der Hauptunterschied zwischen der Diaphonie und dem
Discantus bestand darin, dass letzterer mensurirter Gesang
war, dass derselbe also nicht im gleichzeitigen Erklingen ver-
schiedener gleichwerthiger Töne bestand, sondern vielmehr
eine Art Contrapunkt zweier oder mehrerer Noten gegen eine
oder mehrere ändere war, und die verschiedenen Noten auch
verschiedenen Werth unter sich besassen, die Dauer derselben
also eine verschiedene sein konnte. So definirt auch Franco
von Köln den Discantus als ein harmonisches Ensemble ver-
schiedener Gesänge, welche unter sich durch Longen, Breven
und Semibreven einheitlich verbunden waren. Ebenso J. Tinc-
toris *) : Discantus ist ein durch verschiedene Stimmen und durch
Noten von bestimmtem Zeitwerth hervorgebrachter Gesang.
üeber die Entstehung des Discantus weiss man nichts
Zuverlässiges. Coussemaker *) ist der Ansicht, dass man die
dem Gesang beigegebene zweite Stimme irgend einem Respon-
soriengesang oder sonst einem Gesang entnahm und den ur-
1) Gerbert a. a. O. I. 263. u. Cousseinaker a. a. O. S. 25 u. 26.
2) Joannis Tinotoris „Terminoruha Music» Diffinitorium" , Latei-
nisch und Deutsch mit erläuternden Anmerkungen von Bellermann in Chry-
sander's Jahrbüchern Bd. I S. 55—114.
3) Coussemaker a. a. O. 29.
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— 70 —
sprünglichen Werth der Noten modificirte, indem man die eine
80 lange verlängerte und die andere verkürzte; bis der Gesang
der Hauptmelodie angepasst war ; wollte man noch eine dritte
Stimme hinzufügen , so musste dieselbe sich der gleichen Pro-
cedur unterwerfen.
In Frankreich war der Discantus unter dem Namen D^-
chant schon frühzeitig bekannt. Derselbe wurde zunächst nicht
mensurirt; sondern syllabisch oder in melismatischer Weise
über den gehaltenen Tönen eines Cantus firmus ausgeführt. Es
gab zweierlei Arten des D^chant. Bei der ersten Art sangen
beide Stimmen meistens im Einklang, und nur an einzelnen
Stellen trennte sich die discantisirende Stimme, indem sie um
eine Stufe stieg wenn die andere fiel, oder umgekehrt; ge-
schlossen wurde immer im Einklang. Diese Art von Discan-
tus unterschied sich also vom Organum in keiner Weise. Bei
der zweiten Art führte der Discantisirende über die gehaltenen
Töne des Cantus firmus bunte Passagen, sogenannte Fleurettes
aus, welche meistens der freien Erfindung des Sängers über-
lassen waren. Dieser Discantus, welcher aus dem Stegreife
zu einer Choralmelodie Torgetragen wurde, hiess auch „Con-
trapunctus a mente*, französisch „Chant sur le livre*
im Gegensatz zum ausgearbeiteten Contrapunctus a penna und
bestand neben letzterem noch bis in das fünfzehnte Jahrhun-
dert. Diese Art des D^chant wurde auch oft zugleich in meh-
reren Stimmen und in verschiedenen Intervallen ausgeübt. Eine
weitere beliebte, aber nicht minder geschmacklose Manier im
Ddehantgesang war der sogenannte Schluchzer (Ochetus).
Derselbe bestand darin, dass der Sänger einzelne, durch Pausen
unterbrochene, kurz abgestossene Töne hören Hess. Diese
Geschmacklosigkeiten werden wohl ein Hauptgrund gewesen
sein, dass Pabst Johann XXII. den D&shant gänzlich vom
Kirchengesang ausgeschlossen haben wollte. Zu erwähnen ist
noch jene Art des damaligen französischen Kirchengesangs,
welche unter dem Namen Faux-bourdon, italienisch Falso
bordone längere Zeit geübt wurde. Es war dies eine Art
dreistimmigen Gesangs über bekannte Melodien der Psalmodie
der acht Kirchentöne. Entweder sang der Sopran oder Con-
traalt den Cantus firmus, die Mittelstimme (Tenor oder
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— 71 —
Contraalt) in der Quarte unter der ersten Stimme, die dritte
Stimme; (Bass,, Bourdon oder Tenor) die Sexte unter der
ersten Stimme im Major- oder Minorton nach der diatonischen
Tonleiter. Der Schluss der ersten und dritten Stimme geschah
in der Consonanz, derjenige der Mittelstimme in der Quinte.
Faux bourdon, Falso bordone, falscher Bass wurde diese Art
des Gesanges genannt, weil der eigentliche Bass der Sopran
oder Contraalt war , welcher als höchste Stimme in der Sexte
der als Bass erscheinenden Stimme die eigentliche Melodie des
Cantus firmus sang, daher der Bass oder Tenor — der Bour-
don — , indem er die Sexte von unten sang, in der Terz der
Melodie ging. Am Schluss schritt wie schon berührt, die
Oberstimme in die Oktave, die Mittelstimme in die Quinte
die Unterstimme in den Grundton. Eine zweite, später ent-
standene Art des Falso bordone bestand in der Ausführung
von vier Stimmen im Contrapunkt von lauter Consonanzen mit
Ligaturen in der Cadenz, wo in einer der vier Stimmen, also
nicht, mehr ausschliesslich in der Oberstimme, die Kirchen-
melodie des Cantus firmus lag ^). Eine weitere Art von Falso
bordone, welche im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
in Rom beliebt gewesen sein soll* bestand darin, dass der
Cantus firmus auf der Orgel gespielt wurde, während Sopran
Alt, Tenor und Bass abwechselnd einen Contrappunto alla
mente mit allerlei Arten von Passagen, Trillern und Fiorituren
darüber zum Besten gaben.
Die erstere Art von Falso bordone wurde nach der so-
genannten Avignon'schen Gefangenschaft von den Päbsten in
die päbstliche Kapelle *) zu Rom eingeführt, woselbt^t sich
1) Kandier: Ueber das Leben und die Werke G. P. da Palestrina
nach dem gleichnamigen Werke Baini*s bearbeitet. Leipzig 1834. S. 54.
2) Nach der Verlegung der päbstlichen Residenz nach Avignon unter
Clemens V. im Jahr 1305 war der Vorsteher — Primicerius — der römischen
Sängerschule in Rom zurückgeblieben; als nun nach der Rückverlegung
des päbstlichen Sitzes nach Rom im Jahr 1377 die in Avignon neu ge-
gründete päbstliche Kapelle mit nach Rom übersiedelte, wurde erstere,
welche dem Gregorianischen Kirchengesang treu geblieben war, mit der
Avignon'schen Kapelle vereinigt und erhielt den Namen „päbstliche Kapelle".
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-. 72 —
diese Gesangsweise auch nach Einführung des figurirten Con-
trapunkts erhalten haben soll ^).
Zu den oben angeführten Ausschreitungen des Kirchen-
gesangs kam auch die Unsitte auf, dass zu einem weltlichen
Text die zweite Stimme einen lateinischen geistlichen sang.
Schon Franco von Köln erwähnt derselben: „der Discant
wird entweder mit einerlei Text oder mit verschiedenen Texten
gemacht 9 oder auch zusammen mit und ohne Text. Macht
man ihn mit Text^ so gibt es wieder zweierlei: mit demselben
Text oder mit verschiedenem. Mit einem und demselben Text
macht man den Discant bei Cantilenen^ den Rondellen^ (eine
Art von Kmiou) und im Kirchengesang. Mit verschiedenen
Texten macht man den bei Motetten *), die einen Triplus
(eine dritte Stimme) haben ; oder einen Tenor, der sich mit
einem selbständigen Text geltend macht. Mit und ohne
Text wird der Discant bei den- Conducton ^) gemacht und in
der Art Kirchengesang, der mit dem eigenthümlichen Namen
Organum bezeichnet wird. In allen übrigen Gattungen ,wird
in gleicher Weise verfahren, mit Ausnahme der Conducte;
denn in allen übrigen nimmt man einen schon vorher gemachten
Gesang dazu, der Tenor genannt wird, weil er den Discant
hält (tenet) und letzterer von ihm seinen Ursprung hat. Bei
den Conducton ist es nicht so, hier macht der Tonsetzer den
Gesang (cantus d. i. Tenor) und den Discant. Daher heisst
1) Siehe auch Eiesewetter a. a. O. und Schlecht S. 72.
2) MotettuB wurde der Gesang genannt, wenn über einem in gehaltenen
Tönen sich bewegenden Tenor die anderen Stimmen in schnelleren Noten
sich bewegten. Ambros glaubt, dass die Bezeichnung Motettus daher
kommt, dass dem Tenor gewöhnlich ein Denkspruch (ein Motto, mot) unter-
legt war. Später nahm man Bibelsprüche, Psalmstellen oder Verse aus alten
Kirchenhymnen und nannte alsdann derartige Gompositionen Motetten.
3) Unter Conductus verstand man einen Gesang, in welchem alle Stim-
men mit einem frei gebildeten Tenor sich in aller Freiheit und Mannig-
faltigkeit bewegten; dem Tenor durfte auch ein frei gebildeter Discant —
Gegenmelodie — entgegengesetzt werden, was bei andern Gattungen nicht
der Fall sein durfte, da als Gegenstimme zum Tenor ein bekannter Gesang
genommen werden musste. Ebenso war die Copula eine Art Discantus , wo
eine Stimme in rasch aufeinanderfolgenden Noten einen festgehaltenen Ton
umschrieb.
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— 73 —
der Discant aus zwei Gründen so : einmal weil er der Gesang
verschiedener (dis-cantus wie dis-sensus oder dis-cordia), dann
weil er aus dem Cantus gebildet ist* ^).
In Frankreich wurde zur Verstärkung der Oberstimme
(Triplum) bei feierlichen Gottesdiensten die sogenannte Treble
(eine Art Trompete) angewendet. So heisst es in den Annalen
Ludwig IX. : ^comme devotement il fit chanter la messe et tout
le Service a chant et a dechant a ogre (Orgel) et a treble* *).
Der damalige französische Kirchengesang bestand hiernach
aus dem einfachen Gesang (chant) mit verzierendem Discant
(dechant) mit Begleitung der Orgel und der die Oberstimme
verdoppelnden Trompete. Der Dfehant wurde überhaupt in
Frankreich mit besonderer Vorliebe gepflegt. So wurden an
den Hauptkirchen auch Unterrichtsaüstalten gegründet, wo die
richtige Art des Fauxbourdonisirens und D^chantirens gelehrt
wurde. In diesen Schulen — Maitrisen — wurden vom Sing-
meister — Mattre — die bekanntesten und beliebtesten Gesänge
eingeübt und beim Gottesdienst gesungen. Auch Stiftungen
wurden zu diesem Zweck gemacht; so fundirte Pabst Urban
V. (1362) zu Toulouse einen Singmeister mit sieben Knaben,
welch' letztere beim Hochamt zu singen hatten. Die höchste
Kunst scheint jedoch damals in Frankreich darin bestanden
zu haben, zu einem Tenor während der Ausführung einen
Dechant zu improvisiren und denselben so reichlich wie mög-
lich auszugestalten.
Diese geschmacklosen Gesangsmanieren blieben nicht ohne
Widerspruch und Tadel. So vergleicht unter Andern Joh.
Cottonius die d^chantirenden Sänger mit Betrunkenen, die
zwar glücklich nach Hause kommen, jedoch nicht wissen auf
was für Wegen und Stegen, und Johannes de Muris (im vier-
zehnten Jahrhundert) äussert sich folgendermassen : 3, In unsern
Zeiten suchen Einige ihre Unwissenheit durch eine leere
Phrase zu beschönigen. Dieses, sagen sie, neue Consonanzen
in Anwendung zu bringen, ist die neue Weise zu discantiren;
sie beleidigen den Verstand derer, welche solche Fehler
1) Ambros II 336.
2) Ambros II 339.
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— 74 —
merken und beleidigen das Gefühl; denn während sie Wohl-
gefallen erregen sollen^ erregen sie Missfallen. schlechte
Beschönigung, unvernünftige Entschuldigung. O arger Miss-
brauch, arge Unwissenheit, arge Verthierung, den Esel für
den Menschen, die Ziege statt des Löwen, das Schaf für den
Fisch, die Schlange für den Salra zu nehmen ! Denn die Dis-
sonanzen werden derart mit den Consonanzen vermengt, dass
durchaus keine von den andern mehr unterschieden werden
kann" u. s. w. Pabst Johann XXII. verbot endlich (1322)
den Gebrauch des Discantus in der Kirche. Wir lassen hier
die Verordnung wörtlich folgen, weil sie zugleich ein an-
schauliches Bild des damaligen Kirchengesangs gibt« ^Einige
Zöglinge der neuesten Schule wenden ihre ganze Aufmerk-
samkeit dem Einhalten der Zeitmaasse und allerlei neuen
Noten zu, wobei sie dann lieber ihre eigenen Einfalle als das
wohlhergebrachte Alte vortragen mögen. Die Kirchenmelodien
werden in Semibreven und Minimen ausgeführt und mit kleinen
Noten überschüttet. Denn die Sänger zerschneiden die Me-
lodie mit Hoqueten, machen sie durch Discante üppig, zwingen
ihr zuweilen gemeine Tripla und Motetten auf, so dass sie
mitunter die dem Antiphonare und Graduale entnommenen
Grundlagen geradezu verachten und keine Kenntniss von dem
haben, worüber sie bauen, und die Kirchentöne, von denen
sie keine Kenntniss haben , nicht nur nicht unterscheiden
sondern durcheinander werfen, indem in solcher Notenmenge
das zuchtvolle Aufsteigen, das gemässigte Absteigen des
Choralgesangs, als wodurch sich die Tonarten von einander
unterscheiden, unkenntlich werden. Denn sie laufen ruhelos,
berauschen das Gehör anstatt es zu erquicken, suchen durch
Geberden auszudrücken, was sie vortragen; das Ergebniss ist,
dass die Andacht, um welche es sich ^doch handelt, bei Seite
gesetzt und tadelhafter. Leichtsinn verbreitet wird. Doch wollen
wir damit nicht verboten haben, dass zuweilen, besonders an
Festtagen oder feierlichen Messen, beim Gottesdienste einige
melodiöse Consonanzen als die Octave, Quinte und Quarte
und dergleichen über dem einfachen Kirchengesang angebracht
werden, doch so, dass der letztere vollkommen unangetastet
bleibe und von der wohlgearteten Musik nichts verändert
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— 75 -
werde, da diese Consonanzen das Ohr ^erfreuen,
Andacht wecken und die Seele derjenigen , welche zur Ehre
Gottes singen, vor Abspannung bewahren* ^).
Gibt uns diese Verordnung ein ungefähres Bild des da-
maligen Kirchengesangs, so ist dieselbe doch auch bezeich-
nend für die musikalische Beschränktheit des Pabstes Johann,
welcher mit Gewalt die Entwicklung einer Kunstform zu
hemmen versuchte, welche, wenn auch noch in unbeholfener
und geschmackloser Weise gehandhabt, für die Entwicklung
der contrapunktischen Formen von ungeheurem Werth war.
Auch in den an Frankreich angrenzenden Theilen Deutsch-
lands scheinen die kirchlichen Gesänge der Prosen und
Sequenzen nach Art des D^chant gesungen worden zu sein.
Doch wird der Discantus nur an wenigen Orten in Deutsch-
land ausgeübt worden sein, da der eigentliche Kirchengesang
dortselbst, ähnlich dem römischen Choral, einen eintönigen
Character besass. Auch gab es keine Lehranstalten, an welchen
der Discantus und die Figuralmusik gelehrt worden wäre.
Auch in Italien war der mehrstimmige Gesang aus der Kirche
ausgeschlossen, bis Pabst Urban V. (1362 — 1370) denselben
in der päbstlichen Kapelle einführte.
Der Kirchengesang der damaligen Zeit muss überhaupt
sehr im Argen gelegen sein, da verschiedene Schriftsteller
jener Epoche sich gegen das ^OchsengebrüU* der Sänger
in der Kirche wenden. So hätten in den Kirchen Sachsens
und der Ostseeländer die Sänger j^ganz erschrecklich* losge-
legt und das Concilium von Trier sah sich im Jahr 1227 zu
der Verordnung genöthigt, dass die Kirchenvorsteher nicht
jedem Gassen- oder Bänkelsänger das Singen in der Kirche
gestatten dürften.
Von Frankreich aus verbreitete sich die Kunst des Dis-
cantisirens nach den Niederlanden , woselbst sie wesentlich zur
Entwicklung des Contrapunkts beitrug. Auch die geschmack-
lose Zusammenfligung zweier nicht zusammen gehörender
Gesänge führte in der Folge, bei zunehmender Uebung und
1) AmbroB II S. 347 und ff
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— 76 —
geläutertem Geschmack, zu jeneu meisterhaften Arbeiten mit
doppeltem Cantus firmus.
Eine Art von extemperirtem Contrapunkt ^) finden wir
im fünfzehnten Jahrhundert noch in Italien und es war derselbe
sogar in der päbstlischen Kapelle an den Festtagen unter dem
Namen Canto piano maggiore im Gebrauch. Wie derselbe
beschaffen war, wird uns nicht gesagt; wahrscheinlich war es
ein von den päbstlichen Sängern von Avignon mit nach Ita-
lien gebrachter Falso bordone oder Contrappunto alla mente
(siehe oben), also ein von den Sängern frei improvisirter Con-
trapunkt.
Verdienste um die Entwicklung der Mensuralmusik und
der Harmonie erwarben sich in diesem Zeitraum hauptsächlich:
Marchettus, Marchetto oder Marcheto, von Padua, welcher
Ende des dreizehnten und Anfang des vierzehnten Jahrhun-
derts lebte, sowie
Joannes deMuris (Jean de Meurs) gegen das Jahr
1300 in der Normandie geboren, Mjigister der Sorbonne, Ca-
nonicus und Dekan zu Paris, er starb 1370.
Beide stellten die Fundamentallehre der Harmonie auf,
dass reine Consonanzen wie Octaven Quarten und Quinten
nicht in gerader Bewegung aufeinander folgen dürfen und dass
jede Dissonanz sich in die nächstfolgende Consonanz aufzulösen
habe.
Von Componisten kirchlicher Musik im vierzehnten Jahr-
hundert nennen wir Guillaume de Machau, geboren 1284 im
Dorfe Machau in der Champagne, 1307 Kammerdiener des Königs
Philipp des Schönen von Frankreich, später, 1316, Geheim-
schreiber der Könige Johann und Karl V. ; sein Todesjahr ist
unbekannt, doch soll er im Jahr 1369 noch gelebt haben. Er
schrieb zwei- und dreistimmige französische und lateinische Mo-
tetten und eine Krönungsmesse für Karl V. Ferner
Francesco Landino, auch Francesco cieco, der blinde
Francesco genannt, weil er schon in jungen Jahren die Seh-
kraft eingebüsst hatte; man hiess ihn auch Francesco degli
organi, weil er ein ausgezeichneter Orgelspieler gewesen sein
1) Kandier a. a. O. S. 25.
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— 77 —
soll. Er wurde im Jahr 1325 zu Florenz geboren und starb
dortselbst 1390.
IV.
Weitere Entwicklung des mehrstimmigen Gesangs.
Die Tonsetzer kirchliclier Werke vom 14—16. Jahr-
hnndert.
Wir sahen im vorigen Abschnitt, dass die Kunst des Dis-
cantisirens hauptsächlich darin bestand^ dass die Sänger —
und der Unterricht derselben zielte auch hauptsächlich darauf
hin — dem Cantus firmus eine oder mehrere selbständige
Stimmen gegenüberstellten resp. improvisirten. Man sollte nun
annehmen dürfen, dass Frankreich, wo der Discantus haupt-
sächlich gepflegt wurde und durch die von Coussemaker,
F^tis und Anderen aus dem Staub der Archive zu Tage ge-
forderten Werke der Beweis erbracht worden ist, dass schon
damals eine ausgebildetere Contrapunktik bestand *), welche,
wenn auch von unserem Standpunkt aus noch roh zu nennen,
doch immerhin die Grundlage bildete, auf welcher Dufay und
seine Zeitgenossen weiter schufen, — dass Frankreich der
Boden hätte werden sollen, woselbst sich der mehrstimmige Satz
zu freierer künstlerischer Entfaltung entwickelt haben würde.
Dem ist jedoch nicht so; sondern die Niederlande waren es,
wo jener Keim gelegt, jener a capella Stil ausgebildet wurde,
welcher später in Palestrina und seiner Schule so wunderbare
Kunstwerke schuf. In Rom selbst wurde der mehrstimmige
Gesang, welcher, wie wir sahen, in dem von Frankreich mit
herüber gebrachten Discantus und falso bordone bestand, erst
nach der Rückverlegung der päbstlichen Residenz nach Rom
im Jahr 1377 in die dortige Sängerschule, in welcher bis
dorthin keine Veränderung des einstimmigen Gregorianischen
Gesangs vorgenommen worden war, durch ürban V. einge-
1) Siehe namentlich Conssemaker: L'art harmonique aux XII. et
XIII. Sieles. Paris 1865.
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— 78 —
führt. Im übrigen Italien stand es auch nicht besser. Auch
der in Deutschland bestehende Kirchengesang besass ähnlich
dem römischen Cantus planus einen eintönigen Character und
die Melodien der Minne- und Meistersänger hatten auf die
Entwicklung des Kirchengesangs gar keinen Einfluss^ da ihr
Gesang in einer monotonen Psalmodie bestand. In der kaiser-
lichen Kapelle zu Wien wurde sogar erst im Jahr 1498 ein
Sängerchor errichtet, dessen Sänger ^brabandisch* zu dis-
cantisiren hatten. Auch in den Singschulen beschränkte sich
der Unterricht noch lange ausschliesslich auf den Choralge-
sang und der Figuralgesang wurde nur dort gepflegt, wo der
betreffende Bischof denselben kannte und bevorzugte. Erst
vom 15. Jahrhundert an wurde derselbe nach und nach in^
den Kirchen eingeführt. In England fand die Mensuralmusik
und der mehrstimmige Gesang im 13. und 14. Jahrhundert
Eingang, ohne dass derselbe eine Weiterfiihrung und Weiter-
entwicklung dortselbst gefunden hätte.
So waren es unter allen Nationen nur die Niederländer,
welche sich das grosse Verdienst erwarben, die aus den noch
ziemlich rohen und unbehilflichen Versuchen des Discantus
herausgebildeten und von den musikalischen Theoretikern wie
Franco von Köln, Marchettus und Johannes de Muris in ein
bestimmtes System gebrachten Kegeln in ihren Tonschöpfungen
praktisch verwerthet und organische Kunstwerke geschaffen,
sowie der ganzen Entwicklung der Musik jene Richtung ge-
geben zu haben, welche sie, man kann wohl sagen, bis zur Refor-
mation, wenn auch immer höhere Stufen erreichend, beibehielt.
Wenn auch Franzosen, Italiener und Deutsche hiebei mitge-
wirkt haben, so bleibt doch das Hauptverdienst den Nieder-
ländern, welche überallhin berufen wurden und an den Höfen
von Italien, Frankreich und Deutschland, sogar am polnischen
Hofe ihre Wirksamkeit entfalteten.
Nach Friedrich Arnold ^) wäre freilich schon vor den
Niederländern der Contrapunkt in Deutschland in hoher Blüthe
gestanden. Indem er nämlich aus Gründen, die immerhin be-
1) In seiner Abhandlung über das Locbeimer Liederbuch im 2. Band
der Chrysander'schen Jahrbücher, 8. 28.
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— 79 —
achtenswerth sind, nachzuweisen versucht , dass der Inhalt des
Locheimer Liederbuchs aus dem Jahre 1390 — 1420 herrühren
müsse und die Melodien desselben gegenüber der homophonen
Weise der romanischen Melodien sich durch den polyphonen
Grundcharacter auszeichnen, da jeder Ton der altdeutschen
Melodie zugleich eine bestimmte Harmonie, das heisst, jeder
Tonschritt in der Melodie zugleich einen bedeutsamen Harmonie-
schritt in sich schliesse, zieht Arnold aus dieser polyphonen
Eigenthümlichkeit der altdeutschen Weise den Schluss und
zugleich den sichersten (?) und unumstösslichsten (?) Beweis,
dass die Harmonie n u r in Deutschland entstanden sein könne,
weil sie hier einer innern Nothwendigkeit entflossen sei. Schon
der Herausgeber der Jahrbücher selbst machte jedoch mit
Recht darauf aufmerksam ^), dass Arnold's Annahme, dass die
Deutschen in der Musik alles aus sich selber schöpfen konnten
und kein Bedürfniss gehabt haben sollen, von andern Nationen
zu lernen, im Widerspruch mit dem Gesetz jeder Kunstent-
wicklung stehe, nach welchem ürsprünglichkeit und wahre
Originalität des Stils niemals durch völlige Selbsterzeugung
des Stoffes bedingt ist, sondern sehr wohl ein Nachbilden fremder
Muster verträgt, ja in allen grossen Erzeugnissen anfänglich
auf einen derartigen fremden Anstoss zurückgeht, dessen Be-
wältigung und siegreiche Ueberwindung eben erst wahre Künst-
lergrösse erzeugt und auch nationale Kraft am schönsten zur
Geltung bringt. „Wie enge wäre der Lauf der Kunst, wie
beschränkt das Gebiet ihrer Entwicklung, wenn sie bei Sprach-
und Völkerscheiden ihre Grenzen fände.*
Für uns steht so viel historisch fest, dass, während beim
Discantus die Stimmen nach Willkür zum Cantus firmus von den
Sängern gesetzt resp. improvisirt wurden, die niederländischen
Meister sich bestrebten, die einzelnen Stimmen aus dem Ganzen
organisch herauswachsen zu lassen und denselben, trotz der
scheinbaren Unterordnung untereinander, ihre Selbständigkeit
zu bewahren. Nicht nur am kirchlichen Hymnus vollzog sich
dieser Prozess, sondern auch an dem namentlich in Frankreich
und den Niederlanden schon zu grosser Beliebtheit gelangten
1) A. a. O. S. 233.
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— 80 —
Volkslied, welches, wie Ambros mit Recht bemerkt, ^eben
dem Gregorianischen Gesang die zweite Hauptmacht in der
Geschichte der europäisch-abendländischen Musik bildet, da
gerade das Volkslied von einschneidender Bedeutung und Wich-
tigkeit für die Tonkunst war. Entnahmen doch unsere Meister
des Tonsatzes demselben ihre Melodien, indem sie es theils zu
kunstvollen mehrstimmigen Liedern umbildeten, theils geistliche
Tonstücke daraus schufen.
Die Grundlage der kirchlichen Tonschöpfungen der Nie-
derländer war in der Kegel der gregorianische Choral, nur
dass sie die alten Weisen der Kirche sowie diejenigen ihrer
Volkslieder nach höheren und reiferen Kunstgesetzen verar-
beiteten. Das Bitualmotiv wurde gewöhnlich dem Tenor
(cantus firmus) gegeben, welches jedoch durch die schön leb-
hafter geführten Gegenstimmen in seiner früheren Bestimmt-
heit und Klarheit seiner Melodie nicht mehr erkannt wurde.
Der Cantus firmus wurde dann auch mehr thematisch verar-
beitet, oder man entnahm demselben ein Motiv und ftlhrte
dasselbe in selbständiger Weise durch, oder man umschrieb
auch den ursprünglichen Cantus firmus gleichsam mit Ton-
arabesken. Ebenso verfuhr man mit den zu kirchlichen Cora-
positionen verwendeten weltlichen Weisen.
Darin, dass weltliche Lieder zum Theil kirchlichen Ge-
sangswerken unterlegt wurden — man verwendete eben so
oft kirchliche Weisen für weltliche Texte — , lag durchaus
nichts profanirendes, da die Tonkunst als religiöse Kunst an-
gesehen und ausgeübt wurde ; desshalb standen auch die Com-
ponisten und Sänger, welche sehr oft in einer Person ver-
einigt waren, in hohem Ansehen und nahmen in den für den
kirchlichen Gottesdienst bestimmten Kapellen eine angesehene
Stellung ein. „Die Bessern und Besten unter den Meistern
der älteren religiösen Kunst wurden mit geistlichen Beneficien
belohnt. Dazu machte die Art der Kunstübung eine gründ-
liche wissenschaftliche Bildung nothwendig, der echte Musiker
musste zugleich in seiner Art ein Gelehrter sein. Die ernste,
selbst trockene wissenschaftliche Partie der damaligen Kunst-
bildung half ihn vor den beiden Abwegen bewahren, auf welche
der neuere Musiker so leicht geräth, nämlich vor der mass-
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,— 81 —
losen Steigerung des Subjektivismus, der krankhaften Ueber-
reizung des Gefühlslebens durch ein ganz einseitiges ideales
Treiben, von dem eben desswegen ein rasch abschüssiger Weg
zu den Sümpfen des Lebens herabflihrt, oder aber vor dem
geistlosen Handwerkerthume , das sich künstlerhaft dünkt.
Das wirklich ideale Element in jener alten Kunst erhielt aber
seine Weihe und Kräftigung dadurch, dass es nicht gestalt-
los ins Unbestimmte und Allgemeine verflatterte ; sondern' sich
in der Form des Eeligiösen consolidirte. Für die Griechen,
das geborene Künstlervolk, war der Gottesdienst Kunstschaffen
gewesen, er bestand eben darin, dass Icktinos Tempel baute,
Phidias Göttergestalten bildete; für die Tonmeister des 15. und
16. Jahrhunderts (wie für die Baumeister der hohen Dome,
wie für die älteren Meister der Malerei) war umgekehrt das
Kunstschaffen Gottesdienst. Das ist denn auch ihren Werken
in unverlöschbaren Zügen aufgeprägt* ^).
Mit dem idealen Element war es übrigens nicht immer
so weit her. So hoch die Kunst des Tonsatzes durch die Nieder-
länder gebracht wurde, so wurden doch sehr oft der Kirche
und der Kunst unwürdige Spielereien getrieben und auf den
Text in vielen Fällen nicht die geringste Rücksicht genommen.
Ein Schüler Josquin's muss selbst zugeben, dass viele Ton-
setzer der niederländischen Schule oft nicht einmal die Silben-
quautitäten kannten ; manche sollen sogar den Text erst dann
beigefügt haben, wenn die Composition fertig war. Oft schrieb
man auch nur die Anfangsworte hin, unbekümmert darum, ob
die Silben zur melodischen Phrase ausreichend waren oder
nicht. Man legte auch jetzt noch hie und da, wie zur Zeit des
Discantus, einem mehrstimmigen kirchlichen Tonstück ver-
schiedene Texte zugleich unter, so dass jede Stimme andere
Worte sang, und Josquin soll nach Baini einen vierstimmigen
Satz geschrieben haben, in welchem die eine Stimme das Ave
Regina, die zweite das Regina coeli, die dritte das Alma re-
demptoris und die vierte das Inviolata integra singt. Die^
contrapunktischen Künsteleien wurden oft so weit getrieben,
dass die kirchlichen Tonwerke schon mehr Rechenexempeln
1) Ambros III S. 32.
Sittard, Compendium.
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— 82 — ^
glichen. So Hess man oft den Sänger nicht nur die Eintritte
der widerschlagenden Stimmen, sondern auch die Schlüssel
und die Tonart errathen; statt der Schlüssel schrieb man Frage-
zeichen und trieb ähnliche der Kunst unwürdige Spielereien, wel-
che zudem den Beruf des Sängers ausserordentlich erschwerten.
In der Form der Messe war dem Componisten ein Haupt-
feld seiner Schaffenskraft gegeben. Die Gesänge derselben
sind das Kyrie eleyson, das Gloria in excelsis Deo (Hymnus
angelicus); das Credo, das Sanctus und Benedictus sowie end-
lich das Agnus Dei ; zwischen der Epistel und dem Evangelium
pflegte der Chor auch zuweilen das Graduale (siehe oben) zu
singen. Neben dieser Messe besteht noch die Todtenmesse,
Missa pro defanctis , welche folgende Gesänge enthält : Das
Requiem sßtemam dona eis Domine mit dem Kyrie, das Dies
iraB dies illa, das Domine Jesu Christo rex gloriaB, das Sanctus
und Benedictus und endlich das Agnus Dei mit dem Lux sßterna.
Eine der ältesten Formen des Figuralgesangs ist die Mo-
tette, welche weniger streng an einen besondern Cantus firmus
gebunden und der freien individuellen Empfindung des Com-
ponisten mehr Spielraum gewährte als die fest bestimmten
Formen der Messe. Sie enthielt auch weniger contrapunktische
Spielereien und wirkte im Lauf der Zeit insofern auch reinigend
und läuternd auf die Messe zurück, als die Tonsetzer in letz-
terer, wie Ambros bemerkt, gleichsam verpflichtet zu sein
glaubten, musikalische Mirakel zu wirken. Auch Erzählungen
aus der heiligen Schrift, Stellen aus den Evangelien und der
Apostelgeschichte (Josquin soll sogar die beiden Stammbäume
Christi aus Matthäus und Lucas durchcomponirt haben) wurden
in Motettenform coraponirt. Ebenso gab das Magnificat, der
sogenannte Lobgesang der Maria (Lucas I, 46 — 55) den Ton-
setzem des 15. und 16. Jahrhunderts den Anstoss zu erhabenen
Tonschöpfungen. Auch die Passionsgeschichte nach den evan-
gelischen Berichten wurde von den Meistern dieser Epoche
wenn auch nicht in der spätem dramatischen Weise in Musik
gesetzt; ebenso die Lamentationen (von lamentjitio Klage), die
drei den Klageliedern des Jeremias entnommenen Abschnitte,
welche heute noch in der Charwoche in der römischen Kirche
gesungen werden.
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— 83 —
Vom 14 — 17. Jahrhundert .gab man den Messen nach den
ihnen zu Grunde liegenden Motiven des Cantus firmus ihre
Namen ; und so waren die Messen, welchen weltliche Lieder
zu Grunde lagen, eben so häufig als diejenigen, denen Anti-
phonare und Hymnen unterlegt wurden. Zu besonderer Be-
rühmtheit gelangte das Lied Torame arm^ *), welches in den
meisten Messen der damaligen Zeit contrapunktirt wurde, so
von Dufay, Forestier, Josquin des Prfes, Compfere u. A., ja so-
gar noch von Palestrina und wie Baini berichtet, von Caris-
simi. Ueber das Lied : ^Malheur me bat* schrieben Hobrecht,
Josquin und Agricola, über „fortuna desperata* Hobrecht und
Josquin Messen u. s. w.
Wenn eine Messe keinen solchen Tenor besass, so wurde
sie sine nomine genannt. Später war man freilich auch oft
nicht verlegen, über irgend einen Gassenhauer, sofern derselbe
eine in das Ohr fallende Melodie besass, eine Messe oder Mo-
tette zu schreiben. Doch dachte dabei Niemand an Profa-
nation des Heiligen, da sowohl das kirchliche wie das Volks-
leben eng miteinander verwachsen waren und die kirchliche
Tonkunst an dem urgesunden und kräftigen Volksgesang sich
nur erfrischen und stärken konnte.
Dem Tenor gab man in der Regel das Lied oder Anti-
phon- und Hymnusmotiv in langen, oder in langen und kurzen
Noten, oder man Hess dasselbe mehrere Male hintereinander
auch rückwärts singen, Hess bei der Wiederholung Noten wie
die Minimen weg, oder anstatt terzaufwärts terzabwärts singen
u. s. w. , auch in verschiedenen Tempi, während die übrigen
Stimmen in imitatorischer oder fugirter ^) Weise den Cantus
1) Ein Fragment dieses Liedes ist erhalten geblieben und lautet fol-
gendermassen :
Lome, lome, iome armd
Et Robinet tu m'as
La mort donnde
Quand tu t'en vas. .
2) Canon und Fuge (fuga ligata) bedeuten das gleiche, da unsere heutige
Fuge erst im 17. Jahrhundert entstand. Unter Fuge verstand man nach
der Erklärung Tinctoris die Gleichheit der Stimmen eines mehrstimmigen
Gesanges in Bezug auf den Werth, den Namen und bisweilen auch auf die
6*
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— 84 —
firmitB gleichsam umraiikteii. In deo Werken der älteren nie-
derländischen Schule, welche meistens drei- oder Tierstimmig,
seltener fbnfstimmig — obwohl man die Chöre auch oft bis
zu zwölf, sechszehn und vierundzwanzig Stimmen steigerte —
und natürlich einchörig gesetzt sind^ da erst Adrian Willaert
fbr zwei und mehr Chöre zu schreiben begann^ binnen ent-
weder alle Stimmen zugleich oder wenigstens zwei oder drei,
ohne noch streng thematisch verarbeitet zu sein. Auch die
Imitation ist noch keine streng durchgeführte und der Cantus
firmus ist unverändert beibehalten. Beim dreistimmigen Ge-
sangssatz ist gewöhnlich über dem Tenor die höhere Stimme
(Snperius); unter demselben die Grundstimme (Basis); wurde
letztere zwischen Tenor und Superius gestellt, so biess sie
Contratenor.
Die alten Kirchentonarten lagen diesen Werken noch zu
Grunde; doch konnte die alte gregorianische Gesangsweise
mit ihrer unbeugsamen Diatonik im mehrstimmigen Satz nicht
mehr in der alten Strenge beibehalten werden. Man nahm
desshalb zur sogenannten musica ficta^) Zuflucht, das heisst
Stellang der Noten nnd ihrer Pausen; nur macht Bellermann a. a. O.
8. 90 mit Recht darauf aufmerksam, dass die Erklärung Tinctoris bezüglich
der Gleichheit des Zeitwerths der Noten in den verschiedenen Stimmen eine
zu enge sei, da in den alten Fugen das Kunststück oft gerade darin be-
stand, dass eine jede Stimme die für sämmtliche Stimmen auf einem
System geschriebenen Noten nach einem besondern Werthzeichen absingen
musste.
1) Nach Fink in seinem Tract. mus. wird cantus fictus derjenige Ge-
sang genannt, bei welchem ein Ton auf einer Stufe gesungen wird, auf
welcher er seinem Wesen nach nicht ist, und Tinctoris in seiner Ter-
minorum mus. diff.: „Eine umgebildete oder trän sponirte Musik nennt man
den behufs der regelrechten Transposition der Hand (d. i. der Hexachord-
tabelle) verfassten Gesang*^. Bellermann bemerkt hiezu, dass die alten
Mensuralisten fast ohne Ausnahme ihre Oompositionen in der natürlichen dia-
tonischen Tonleiter ohne Versetzungszeichen, oder im genus moUe mit der
Vorzeichnung eines b niederzuschreiben pflegten und wenn der Umfang der
Stimmen eine andere Intonation verlangte, sie andere Schlüssel wählten, ob-
wohl sie recht gut gewusst hätten, mit Hilfe der Versetzungszeichen die dia-
tonische Reihe auch auf andere Tonstufen zu übertragen und sich alte Stimm-
bücher mit einer Vorzeichnung von zwei und drei Been finden. Alle solche
mit Hilfe dieser Zeicht hervorgebrachten Scalen hiessen toni transportati
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— 85 -
man transponirte die betreffende Tonart auf andere Tonstufen,
indem man Versetzungszeichen — Accidentien — anwandte.
Hatte schon bei der dorischen Tonart der Tritonus F-H zu
«iner Erniedrigung des H geführt, ebenso bei der lydischen,
wodurch letztere zur jonischen wurde, so führte dies mit der
Zeit dazu, sämmtliche Tonarten durch Be- und Kreuzzeichen
zu versetzen. Zunächst entstand das Systema durum, indem
man die Kirchentonarten in ihrer Originallage mit bq = h
notirte, und alsdann das Systema molle, indem man das Auf-
lösungszeichen durch ein b ersetzte, wodurch der betreffende
Kirchenton in die Oberquinte oder Unterquarte transponirt
wurde. So wurde durch letzteres Zeichen z. B. die mixolydische
Tonart zur dorischen, die dorische zur äolischen, die jonische
zur mixolydischen u. s. w. Dann erhöhte man auch den siebten
Ton — Subsemitonium — der dorischen, mixolydischen und
äolischen Tonart (bei der jonischen und lydischen lag schon
die grosse Septime, unser Leitton, in der Tonleiter selbst) und
nur die phrygische behielt ihren ursprünglichen Subsemi-
tonium bei.
In der Regel wurden die kirchlichen Gesangswerke ohne
alle und jede Instrumentalbegleitung, als reine Vocalsätze aus-
geführt; in der päbstlichen Kapelle war ja nicht einmal die
Orgel geduldet. Es sind jedoch auch Anzeichen dafür vor-
handen, dass im 15. Jahrhundert in manchen Kirchen, besonders
in den Niederlanden, kirchliche Tonwerke mit Instrumentalbe-
gleitung — eine selbständige Instrumentalmusik bestand damals
noch nicht — aufgeführt wurden ; dieselbe wird jedoch wohl
nur in der Verdoppelung der Stimmen bestanden haben. Am-
bros ^) führt als Beweis (?) das berühmte Genter Altarwerk
der Brüder van Eyck an, welches auf dem linken Flügel acht
oder toni ficti und ein in einer solchen transponirten Tonart niedergeschrie-
bener Gesang eine musica ficta. *
Coussemaker in rharmonie du moyen-äge S. 39: Ces sign es acci-
dentels qui servaient k Clever ou h baisser une note d'un demi ton, s'ap-
pelaient musique feinte ou musique fausse, „musica ficta, musica falsa",
parce que les notes ainsi alt^r^s ^taient ^trang^res h. la gamme diatonique.
Siehe auch A m b r o s II.
1) Ambros III S. 35.
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Sänger darstelle^ welche vor einem Pulte mit einem jener
grossen Musikbücher stehen, wie sie sich in prächtiger Aus-
stattung als Erbschaft aus der burgundisch-niederländischen
Hofcapelle noch in Wien und Brüssel befinden sollen. Es sei
kein improvisirter Contrapunkt, kein sogenannter Discantus,
meint Ambros, welchen dieselben singen, sondern Figuralmusik,
da der erste Sänger mensuralgerecht mit auf- und nieder-
schlagender rechter Hand taktire; auf dem correspondirenden
Flügel rechts ist die Instrumentalmusik dargestellt. „Voran
die heilige Cäcilia, die Orgel spielend, dahinter Instrumental-
spieler, von welchen ein in entzücktes Horchen versunkener
pausirender Gambaspieler seinem Nachbar, einem Harfenisten,
den Takt mit leichtem Finger vorsorglich auf die Schulter
klopft, damit er den Wiedereintritt nicht vergesse.*?! — ^)
Da die Frauen- und Knabenstimmen, welch' letztere nur
zum Choralgesang verwendet wurden, vom Chorgesaug ausge-
schlossen waren, — die Frauenstimmen sind in der päbstlichen
Kapelle heute noch nicht zugelassen — so wurden die Sopran-
und Altstimmen in den Vocalwerken des 15. und 16. Jahr-
hunderts in den damaligen Sängercapellen von sogenannten
Falsetisten, auch Tenori acuti oder Alti naturali genannt, aus-
geführt. Diese Falsetisten waren keine Castraten, welche erst-
malig im Jahr 1562 in der baierischen Kapelle vorkommen,
sondern Sänger, deren Falset besonders stark entwickelt war.
Spanien lieferte die berühmtesten Falsetisten und der letzte
Falsetist der päbstlichen Kapelle war Giovanni de Sanctos,
welcher 1625 «tarb.
Aus diesem Grunde und aus dem richtigen Gefühl der
alten Meister, dass die höchsten Töne der Discantstimme wie
überhaupt zu hohe, erzwungene Töne, der Würde des Kirchen-
gesangs nicht angemessen erscheinen, ist auch zu erklären,
warum der Umfang der Stimmen in massigen Grenzen sich
hielt. Die Discantstimme bewegtö sich gewöhnlich zwischen
h und e, die Altstimme zwischen e und a , der Tenor zwischen
c und ? und der Bass zwischen F und h.
Die damaligen Sänger banden sich übrigens nicht an die
gegebene Tonart, sondern transponirten dieselbe, wie es ihnen
1) So macht man hie und da historische Beweise.
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— 87 -
eben geschickt war, in der Regel in die höhere Quarte. Als
man später anfieng, die Gesänge mit der Orgel zu begleiten,
war die Kunst des Transponirens für den Organisten äusserst
wichtig und gewöhnlich durch per Quartam de primitur, una
quarta bassa u. s. w. angezeigt ^).
Ausser des Sopran-, Alt-, Tenor- und Bassschltissels be-
diente man sich des F-Schlüssels auf der fünften Linie für
tief gehaltene Bässe; auch besass man einen G-Schlüssel auf
der ersten Linie — der sogenannte französische Violinschlüssel ;
der Discant erscheint auch öfter in unserem Violin- oder Alt-
und Mezzosopranschlüssel (c auf der zweiten Linie), der Tenor
im Altschlüssel und der Bass im Tenor- oder Barytonschlüssel.
Der erste niederländische Meister war
Wilhelm Dufay, nach F^tis zwischen 1350 — 1355 zu
Chimay im Hennegau geboren. Nach Baini gehörte derselbe
als Tenor der päbstlichen Kapelle *) von 1380 — 1432 an, welch'
letztere Bezeichnung, wie schon bemerkt, die römische Sänger-
schule erhielt, als dieselbe nach der Rückverlegung der päbst-
lichen Residenz von Avignon nach Rom unter Gregor XI. im
Jahr 1377 mit der von Avignon nach Rom mitgenommenen
Kapelle verschmolzen wurde. Die Sänger der Kapelle besassen
damals noch keine geschriebenen contrapunktischen Gesänge,
sondern sangen den in Frankreich eingelernten Discantus und
Falso bordone ').
1) Siehe Kandier S. 83 n. 84 sowie Kiesewetter: Schicksale u.
Beschaffenheit des weltlichen Gesanges, Leipzig 1841 XII und Leipziger
AUgem. Musik. Ztg. 1828 Nro. 48.
2) Fr. Arnold a. a. O. bestreitet dies und sucht S. 48—54 sowie
8. 56 u. ff. nachzuweisen, dass der Contrapunktist und der päbstliche Ka-
pellensänger Dufay zwei ganz verschiedene Persönlichkeiten gewesen seien,
die ein halbes Jahrhundert von einander trenne. Der Contrapunktist Dufay
wäre nach Arnold zwischen den Jahren 1400 und 1405 geboren. Seine
Hypothese, dass Deutschland das Land der Erfindung und der Entwicklung
des Contrapunktes sei, würde, wenn die Aufstellung Arnolds sich bewähren
sollte, an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Auf jeden Fall geht so viel aus dem
von Arnold mitgetheilten Locheimerliederbuch sowie der Ars organisandi von
Conrad Paumann hervor, dass der Contrapunkt viel früher als man glaubte
in Deutschland in hoher Blüthe stand, da, wie schon oben berührt, Arnold
den Inhalt der Handschrift als in den Jahren 1390 — 1420 entstanden annimmt.
3) Siehe auch Schelle a. a. O. S. 199.
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Dufay starb im Jahr 1432. Von demselben sind vier-
stimmige Messen ^) erhalten , deren Manuscripte das Archiv
der päbstlichen Kapelle besitzt, sowie drei dreistimmige und
drei vierstimmige, welche im Besitz der königlichen Bibliothek
zu Brüssel sind.
Zeitgenosse Dufay's und nach ihm der berühmteste Com-
ponist jener Zeit ist
B i n c h o i s (Egidius) geboren in Binche im Hennegau
im 14. Jahrhundert ; derselbe trat in den geistlichen Stand und
wurde 1425 zweiter Sänger in der Kapelle Philipps des Gross-
müthigen von Burgund. Sein Todesjahr ist unbekannt. Es
existiren von ihm mehrere dreistimmige Motetten in der Vati-
kanischen Bibliothek sowie eine von F^tis *) in der königlichen
Bibliothek aufgefundene dreistimmige Messe mit farcirtem Kyrie.
Diese schon oben erwähnten Farcituren — Einschubverse
in den Ritualtext — , welche später vom Tridentiaer Concil ver-
boten wurden, finden sich auch in den Messen von J o s q u i n,
Morales, namentlich aber bei den französischen Gomponisten
de la Rue, Gaspard und Richefort. Letzterer führt
z. B. durch die Sätze seines sechsstimmigen Requiems den
Doppel tenor des Canon in der Oberquinte : j^Circum dederunt
me gemitus mortis* ; in dies rituelle lateinische Motiv rufen
nun plötzlich zwei Tenore mit sich steigerndem Ausdruck des
Schmerzes immer einander zu: ^c'est douleur non pareille*;
sowohl dieser Ausruf als* das musikalische Motiv sind einem
weltlichen Lied entnommen, dessen Anfang lautet : ^faulte d'ar-
gent c'est douleur non pareille.*
Zu erwähnen ist noch
Vincent Faugues (Fagus, La Fage). Von seinen
nähern Lebensumständen ist nichts bekannt. Nach Baini wurden
dessen Messen und Motetten in der päbstlichen Kapelle zur
Zeit Nicolaus V. (1447 — 1455) gesungen. Von seiner omme
arm^ Messe hat Kiesewetter in seiner Geschichte der europ.-
abendländischen Musik das Kyrie mitgetheilt.
1) Da unsere Arbeit nur die Geschichte der Kirchenmusik zu behandeln
hat, so werden wir auch bloss diejenigen Werke der Gomponisten anführen/
welche kirchlichen Charakter besitzen.
2) F^tis: Biogr. univ. 2. ^ition. T. I. p. 41^.
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— 89 —
Den Uebergang zur zweiten niederländischen Schule bildete
Anton Busnois, welcher 1467 als Sänger in die Kapelle
KarFs des Kühnen von Burgund trat, später eine Präbende zu
Mons erhielt und zuletzt Dechant zu Voorne in Holland war.
Er schrieb verschiedene Motetten, ein dreistimmiges Magnificat,
verschiedene vierstimmige Messen u. s. w. Der Fortschritt
gegenüber den Werken Dufa/s soll nach Ambros darin be-
stehen, dass nicht nur die reine und klangvolle Harmonie an
Kern und Körper, sondern auch die contrapunktische Behand-
lung an freier und selbständiger Gestaltung gewonnen habe.
C a r o n oder Carontis, nach F^tis, welcher einige seiner
Motetten in moderne Notirung gebracht und in Partitur ge-
setzt hat, ungefähr im Jahr 1420 geboren.
Johann Begis (De Roy) lebte ebenfalls um die Mitte
oder Ende des 15. Jahrhunderts. Ottavio Petrucci *) aus
Fossombrone im Kirchenstaat veröflfentlichte von demselben
fünfstimmige Motetten, sowie ein vierstimmiges Credo.
Das Haupt der sogenannten zweiten niederländischen
Schule ist Johannes Okeghem, auch Ockenheim ge-
nannt, wahrscheinlich zwischen 1420 und 1430 in Flandern
geboren. Im Jahr 146 i finden wir denselben als Sänger am
Hofe Karl VH. und Ludwig XI. von Frankreich; 1476 war
er erster Capellan unter Ludwig XI., 1484 Tresorier an der
Kirche St. Martin in Tours, eine Ehrenauszeichnung, welche
wahrscheinlich mit einer einträglichen Präbende verbunden
1) Der Erfinder des Notendrucks mit bewegliclien Typen , welche Er-
findung eines der wichtigsten Förderungsmittel der Musik in diesem Jahr-
hundert wurde, da durch dieselbe wie durch die Erfindung der Buchdruoker-
kunst die Musik das Gemeingut Aller werden konnte, indem vorher die Kir-
chenmusik in Bücher von ungeheurem Format mit fast zwei Zoll hohen
viereckigen Noten gepinselt wurde. Im Jahr 1501 erschien das erste von
Petrucci gedruckte Werk, eine Sammlung von 96 drei- und vierstimmigen
Compositionen unter dem Titel: Harmonice musices Odhecaton. In Deutsch-
land folgte 1507 Erhard Oeglin in Augsburg, welcher eine Druckerei besass,
mit der Herausgabe der Molopoisa, dem ältesten Notendruck Deutschlands,
Tonsätze zu antiken Oden von Peter Tritonius enthaltend ; im Jahr 1536
Johannes Petrejus in Nürnberg, welcher mit seiner Druckerei einen Noten-
druck mit Lettern, in welchen Noten und Linien vereinigt waren, verband.
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— 90 -
war. Er starb , nachdem er 40 Jahre dem französischen
Königshause gedient, nach F^tis ^) im Jahr 1512.
Was Okeghem von seinen Vorgängern unterscheidet, ist,
abgesehen von der ausgebildeteren contrapunktischen Arbeit
seiner Werke, die grössere musikalische Individualisirung ;
er haucht seinen Werken ^die singende Seele ein und formt
ihr einen tüchtig harmonisch gegliederten Leib, und kleidet
diese in das feine Kunstgewebe sinnreicher schematischer Führ-
ungen, engerer und weiterer Nachahmungen* ^). Kiesewet-
ter ') urtheilt über seine Werke, dass sie nicht mehr so ganz
und gar unberechenbares Ergebniss der contrapunktischen
Operation, sondern meistens schon sinnig mit irgend einer
Absicht angelegt waren, wie sie sich auch durch eine grössere
Gewandtheit im contrapunktischen Verfahren und grössern Reich-
thum der Erfindung im Vergleich zu den Werken der älteren
Schule auszeichnen. Okeghem schrieb verschiedene noch er-
haltene Messen und Motetten. Aus seiner Messe Gaudeamus
hat Kiesewetter a. a. O. das Kyrie und Christe mitgetheilt.
Uebrigens ist derselbe von auf die Spitze getriebenen con-
trapunktischen Künsteleien nicht frei zu sprechen; so schrieb
er einen Canon zu 36 Stimmen, eine Messe (Missa prolationis),
welche aus zwei Stimmen besteht, aus welchen sich durch den
Unterschied des Tempus und der Prolongation die zwei an-
deren Stimmen ergeben ; auch schrieb er eine Messe ohne Ver-
zeichnung eines Schlüssels.
Jacob Hobrecht auch'Obrecht, Obertus, Obreht ge-
schrieben, ist einer der grössten Contrapunktisten des 15.
Jahrhunderts. Derselbe wurde 1430 zu Utrecht geboren, wo-
selbst er im Jahr 1465 Kapellmeister am Dome war; nach dem
Tode Barbirean's wurde er im Jahr 1492 dessen Nachfolger
als Kapellmeister an der Nötredame-Kirche in Antwerpen.
Er starb 1507.
Ambros hält Hobrecht unter den Meistern vor Josquin
1) Fetis a. a. O. VI p. 361; nach Kiesewetter a. a. O. S. 50
im Jahr 1513.
2) Ambros HI 8. 173.
3) Kiese wettet a. a. O. S. 52.
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• _ 91 —
für den grössten. »Der Tonsatz ist bei ihm schon beträcht-
lich entwickelter, die Harmonie volltöniger als bei Okeghem,
mit dem er übrigens alle Eigenheiten der Schule, alle Fein-
heiten, Spitzfindigkeiten und Satzkünste gemein hat* *). Von
seinen Werken gab Petrucci fünf Messen sowie eine Anzahl
von Motetten heraus; ebenso Georg B.haw in seinen Sacr.
hymn. Hb. I; siehe auch Forkel *). Auch eine lateinische
Passion nach Matthäus setzte er in Musik und zwar einschliess-
lich der Eeden des Evangelisten vierstimmig.
Der bedeutendste Schüler Okeghem's ist
Josquin des Pr^s, lateinisch Jodocus Pratensis oder
a Prato, italienisch Giosquino del Prato, der grösste Tonsetzer
seiner Zeit, von welchem seine Zeitgenossen mit der grössten
Bewunderung reden. Sowohl Deutschland wie Frankreich
und Italien streiten sich um seinen Geburtsort; höchst wahr-
scheinlich stammt er aus dem Hennegau *). Sein Geburtsjahr
ist unbekannt; doch wird er wohl nicht später als 1450 ge-
boren sein, da er im Jahr 1484 unter Pabst Sixtus IV. Mit-
glied der päbstlichen Kapelle war ; nach Kiesewetter *) von
1471—1484.
Nach dem Tode des Pabstes Sixtus begab er sich an
den Hof Hercules I. von Ferrara und von dort aus nach
Cambray und wurde 1498 von Ludwig XII. als erster Sänger
in seine Kapelle berufen. Er starb den 27. August 1521 als
Probst des Domkapitels von Cond^.
Kiesewetter ^) sagt von den Werken Josquin's, dass sie
sich von den zahllosen Arbeiten seiner Kunstgenossen und
Nachahmer durch einen Zug des Genius auszeichnen, wenn
auch er die musikalischen Witze und Künsteleien auf eine
übermässige Höhe getrieben habe ^) . Luther nennt Josquin
1) Ambros III 179 und 180.
2) Forkel a. a. O. II 8. 521—537.
3) Siehe F^tis a. a. O. II. S. 472 und 473, Leipziger AUgem. Musik.
Zeitg. 1835 S. 398 u. ff, sowie Coussemaker: Notes historiques sur la
maitrise de S. Quentin etc. Ambros a. a. O. 8. 200 und Forkel II S. 550.
4) Eiesewetter: Schicksale und Beschaffenheit u. s. w. 8. 16.
5) Kiesewetter: Geschichte der europ.-abendl. Musik S. 57.
6) Siehe auch Forkel II 8. 552 und ff.
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_ 92 — •
der Noten Meister; j, diese haben thun müssen wie er gewollt,
andere Componisten müssen thun , wie die Noten wollen.*
Seine Werke seien fein fröhlich , willig, milde und lieblich,
nicht gezwungen noch genöthigt und nicht an die Regel straks
und schnurgleich jgebunden , sondern frei wie des Finken
Gesang.
Die Werke Josquin's zeichnen sich hauptsächlich dadurch
aus, d^ss, da er die Formen unumschränkt beherrschte, der
musikalische Ausdruck der Bedeutung des Wortes mehr an-
gepasst ist, da die Kunst der meisten Tonsetzer vor ihm doch
hauptsächlich darin bestand, einen Cantus firmus mit contra-
punktirenden Stimmen zu umgeben und derselbe in der Regel
zu allen möglichen contrapunktischen Künsteleien und Spitz-
findigkeiten benützt wurde. Seine Melodiebildungen — natür-
lich nicht in der heutigen Bedeutung aufzufassen, nicht die
liedmässige auf Tonica und Dominante gebaute Melodie, sondern
eine mehr melodische Phrase — sind oft von einer über-
raschenden Neuheit. Er ist eigentlich als der Begründer eines
neuen Stiles anzusehen, welcher durch seine Schüler noch
grössere Kraft und Wohlklang erhielt und die Werke eines
Palestrina vorbereiten half.
Von seinen Werken sind hauptsächlich seine Motetten
zu erwähnen ; weiter öchrieb er viele Messen, deren die päbst-
liche Kapelle allein über zwanzig besitzen soll, verschiedene
Ave maria, ein Stabat mater, verschiedene Psalmen u. s. w.
Das vollständige Verzeichniss bei F^tis II. 479 — 482 ^).
War bis jetzt ausschliesslich dem Tenor die Führung
des Cantus firn^us zugefallen, so entstand nun der sogenannte
gemischte Contrapunkt, da jede Stimme gleichberechtigt war.
Auch die Ligaturen sowie die vielen oft schwer zu enträth-
selnden Taktzeichen beginnen immer mehr und mehr zu ver-
schwinden , ebenso die Devisen , Räthsel und Häckeleien der
Fugen ad minimam und wie die verschiedenen contrapunktischen
Künsteleien und Spielereien alle heissen, oder wurden wenigstens
nur noch in beschränkter Weise angewendet.
1) Der sechste Band der Publicationen älterer und theoretischer Musik-
werke enthält von Josquin eine omme armd-Messe sowie sonstige kirch-
liche Compositionen.
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— 93 --
Zeitgenossen Josquin's und Schüler Okeghem's waren
ferner :
Pierre de la Eue, auch Petrus Platensis, Pierchon
(Pierre) genannt; derselbe war gebürtig aus der Picardie
und lebte in der zweiten Hälfte des 15. und Anfang des 16.
Jahrhunderts. Nach Ambros war er schon im Jahr 1477
Sänger in der Kapelle des burgundischen Hofes, in welcher
Stellung er, zugleich im Besitz einer Präbende an der Kirche
St. Aubin in Wamur, bis 1510 verblieb, wo er auf dieselbe
zu Gunsten eines Canonicats in einem CoUegiatstift des Landes
verzichtete. Sein Todesjahr ist ebenso unbekannt wie sein
Geburtsjahr. Er schrieb verschiedene Messen, Motetten, Salve
regina, Stabat mater u. s. w. Ambros bewundert die geistige
Kraft, die aus der kühnen und. reichen Tektonik seines Ton-
satzes spreche.
Antonius Brumel (Bromel). Von dessen nähern
Lebensumständen weiss man nichts, als dass er in Flandern
geboren wurde und im Jahr 1500 noch lebte. Ein vierstim-
miges Laudate dominum , welches Forkel ^) mittheilt , docu-
mentirt seine hohe Begabung ; er schrieb Messen, Motetten und
sonstige kirchliche Werke.
Alexander Agricola, ebenfalls in den Niederlanden
ungefähr gegen das Jahr 1466 geboren ^) lebte in Madrid als
Kapellmeister König Philipps und starb 1526 oder 1527 zu Valla-
dolid. Petrucci hat verschiedene Messen und Motetten von
demselben veröffentlicht.
Gaspard auch Gaspar, sein eigentlicher Name war
Caspar von Weerbeke , ist gegen 1440 in Oudenarde in
Flandern geboren. In Mailand stand er in den Diensten der
Sforza, von wo aus er 1490 in seine Vaterstadt zurückkehrte.
Auch von dessen Werken hat Petrucci verschiedene ver-
öffentlicht.
Loyset Comp^re ist nach F^tis in Französisch
Flandern geboren. Zuerst Chorknabe an der Kirche St.
1) Bd. n 8. 629-647.
2) F^tis I S. 33.
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— 94 —
Martin in St. Quentin j starb er 1518 als Kanoniker und
Kanzler der Kathedrale zu St. Quentin.
Johannes Prioris lebte gegen Ende des 15. und Anfang
des 16. Jahrhunderts.
Von weitern kirchlichen Tonsetzern Ende des 15. und
Anfang des 16. Jahrhunderts und zum Theil Schülern Josquin's,
welche im Geiste der niederländischen Schule wirkten, nennen
wir noch :
de Orto (du Jardin, de Horte), Diritis, auch le Riebe
genannt, Kammersänger des Königs Ludwig XÜ., Lupus,
Andreas Silva, Moulu, Carpentras, Antonius de
Fevin, Mouton, Gombert, Richafort, Verdelot,
Courtois, Benedictus Ducis, Arcadelt.
An Werken kirchlicher Musik war demnach kein Mangel,
obwohl auf Viele das scharfe Urtheil Ambros Anwendung
finden mag, dass neben vorzüglichen Werken man auch flüch-
tigen Sudeleien begegne, wo der Contrapunkt seine Töne rasch
und leicht wie ein Dominospieler seine Steinchen zusammen-
gefügt und zusammengeschoben hat, die aber auch gar
nichts sagen. Hauptsächlich beziehen sich diese Worte auf die
Werke der französischen Kirchencomponisten. ^ Die Messen der
französischen Tonsetzer, soweit sie im Druck erschienen sind,
kommen weder an Zahl noch an Gehalt und Gediegenheit
den niederländischen gleich, und wo sie z. B. in der Todten-
messe einmal recht ernst werden sollen und wollen, gerathen
sie in ihrem Streben nach Einfachheit sehr nahe an den alten
Fauxbourdon, ohne doch in die einfachen Akkorde jenen un-
sagbaren Zauber legen zu können, wie ihn z. B. Palestrina
seinen Improperien gegeben.*
Zu den bedeutendsten französischen Kirchencomponisten
der damaligen Zeit gehören
Pierre Colin mit dem Beinamen Chamault, Kameel,
welcher von 1532 — 1536 als Sänger in der Kapelle Franz I.
wirkte und später Vorsteher der Mattrise an der Kathedrale
zu Autun wurde.
Jacob Arcadelt, in den Niederlanden geboren, 1536
Singmeister der Chorknaben zu St. Peter im Vatican, 1540
päbstlicher Sänger, 1544 Kämmerer (Camerlengo) der päbst-
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— 95 -
liehen Kapelle, trat 1555 als Kapellmeister in die Dienste
des Kardinals von Lothringen, Karl von Guise, mit welchem
er nach Paris zog, woselbst er 1575 starb.
Jean Richafort von 1543 — 1547 Kapellmeister an
der Kirche Saint Gilles in Brüssel; Dominique Phinot
u. A.
Schon zu Okeghem's Zeit begegnen wir in ^Deutschland
einem bedeutenden Tonsetzer, nämlich
Heinrich Isaac (Isac, Ysac, Yzac) auch Isaac von
Prag, von den Italienern Arrhigo Tedesco genannt, stammt
wahrscheinlich aus Böhmen und zwar aus Prag und wurde
im Jahr 1440 (?) geboren. Er hielt sich zu gleicher Zeit
mit Josquin, Hobrecht u. A. am Hofe Lorenzo's in Florenz auf,
woselbst er 1475 Kapellmeister an der Kirche San Giovanni
war; später 1493-- 1519, soll er eine eben solche Stellung
am Hofe Kaiser Maximilian's eingenommen haben ^). Glareau
in seinem Dodekachordon Basel 1545 rühmt dessen kirch-
lichen Werken eine besondere Kraft und Erhabenheit, sowie
grossen Harmoniereichthum nach, entgegen dem Urtheil Bur-
ney's — welches oft ein höchst befangenes und einseitiges
ist — welcher seiner Melodie und Harmonie die Anmuth und
Schönheit abspricht, da sie hart, eckig und unbeholfen sei.
Ambros ^) zählt ihn den grössten Meistern der Tonkunst aller
Zeiten bei.
Er schrieb viele Messen, sowie Motetten, welche ganz
den niederländischen Character seiner Zeit tragen und sich
auch in der Ausführung den Spitzfindigkeiten der nieder-
ländischen Schule anschliessen sollen, wenn er es auch ver-
schmähe , den Leser durch räthselhafte Notirung zu fixiren,
1) Nach Ambros III S. 389 soll dies der Bischof Georg von Slat-
konia gewesen sein, so dass man nicht weiss, wo Isaac sein Leben beendete.
Auch nachEitner im 4. Band der ,,Pablicationen älterer nnd theoretischer
Musikwerke'* S. 61 soll Isaac das Amt eines kaiserlichen Kapellmeisters
nie bekleideit haben, da derselbe in allen alten Druckwerken mit dem Titel
^yMusicus** belegt sei; Eitner verlegt dessen Tod spätestens in das Jahr
1517 oder 1518.
2) Ambros III S. 880.
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— 96 —
wie es damals Sitte war, sondern deutlich niederschreibe, was
er haben will *).
Sein Hauptwerk ist die Bearbeitung der Officien für alle
Sonn- und Festtage des Kirchenjahres, — Motetten mit dem
Cantus firmus in der Bassstimme. Proske *) nennt dasselbe
eines der allerkostbarsten Denkmale musikalischer Vorzeit,
das einen Schatz der lehrreichsten Muster für Studien des
gregorianischen Chorals und des figurirten Contrapunkts in
sich schliesst. Erwähnen wollen wir auch noch sein Lied:
jplnspruk ich muss dich lassen,^' welchem Herrmann
Schein 1627 den Text: ^O Welt ich muss dich lassen*
unterlegte und das heute noch als Choral: j^Nun ruhen
alle Wälder* in der evangelischen Kirche gesungen wird.
Nach seinem Tode erschien eine Sammlung, in welcher
die Liturgie des ganzen Kirchenjahres behandelt ist und die
eine Harmonisirung der Psalmen enthält.
Dessen Schüler und einer der bedeutendsten Componisten
des 16. Jahrhunderts ist Ludwig Senfl, Senfel, Senffei,
Senffl, der Schweizer, wie er sich unterschrieb. Sein Geburts-
ort ist unbekannt; er ist wahrscheinlich Ende des 15. Jahr-
hunderts zwischen 1480 und 1483 ^) geboren. Zuerst Chor-
knabe in der Kapelle Kaiser Maximilian's I., stand er im
Jahr 1526 in Diensten des Herzog's Wilhelm von Baiem;
1530 wurde er Kapellmeister zu München und verblieb in
dieser Stellung bis zu seinem wahrscheinlich 1555 erfolgten
Tode, da die vom 31. Januar 1556 datirte Vorrede des fünften
Theils der Forster'schen Liedersammlung ihn ^her Ludwig
Senffl seliger* nennt.
Das Hauptfeld seiner Compositionsthätigkeit war die
Motette, hier leistete er Grosses und Schönes. Auch um die
vertieftere contrapunktische Ausgestaltung der Melodien des
Gemeindegesangs hat er sich grosse Verdienste erworben;*
seine diesbezüglichen Werke wurden sowohl durch ihre An-
lage wie durch das tiefe Erfassen des Inhalts als der tief-
1) Eitner im 4. Bande der Publicationen älterer und theoretischer
Musikwerke S. 62.
2) Dr. C. Proske: Musica divina, Ratisbon» 1853. I. S. XV.
3) Siehe Eitner im 4. Bamd der Pablicationen u. s. w. S. 71.
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- 97 -
sinnigen canonischen und contrapnnktischen Bearbeitung, wo-
durch seine kirchlichen Tonschöpfungen eine Macht und Ge-
walt des Ausdrucks erhielten wie bei nur Wenigen seiner
Vorgänger, ein Vorbild sowie ein Wegweiser ftir die spätem
polyphonen wunderbaren Gesänge eines Eccard und Bach.
Luther schätzte ihn sehr und liess sich dessen Motetten in
seinem Hause am liebsten singen. Von seinen geistlichen
Liedern, namentlich von dem vierstimmigen: j^Ewiger Gott,
aus dess Gebot der Sun kam hie auf Erden** (in den 121
newn Liedern), sagt Ambros, dass aus denselben eine Glaubens-
kraft, eine Reinheit und Tiefe der religiösen Empfindung
spreche, wie sie wenigstens in keinem der Gesänge der da-
maligen Zeit tiberboten erscheine. „Mit seinen mächtigen
Harmonien, seiner reichen und doch so ernst-anspruchslosen
Durchführung ist dieses nicht lange Stück ein bedeutendes
Denkmal dessen, was damals die Besten und Edelsten in
Deutschland belebte, es ist eines jener im grossen Sinne
historischen Lieder, in denen sich der Geist einer ganzen
Epoche gewaltig ausspricht* *). Ausserdem schrieb er noch
verschiedene Psalmen und Mariengesänge sowie eine Messe*).
Zu erwähnen sind noch
Heinrich Finck; derselbe ist am 21. März 1527 zu Pirna
in Sachsen geboren und starb wahrscheinlich zu Wittenberg im
Jahr 1558 oder 1559 '). Unter seinen kirchlichen Compo-
sitionen ist namentlich ein fiinfstimmiges : ,, Christ ist erstanden*^
imd ein vierstimmiges: j^In Gottesnam so faren wir* hervor-
zuheben. In beiden lebt eine urgewaltige Kraft, der Schluss
des Pilgergesanges mit dem breit austönenden Kyrie eleison
erinnert geradezu an die erhabenen Chöre und Chorschlüsse
Handelns *). Eine Bearbeitung von 22 lateinischen Kirchen-
hymnen enthält Ehau's Sacr. hyiim. lib. I. Wittenberg 1542,
Stephan Mahu; derselbe lebte zu Anfang des 16. Jahr-
hunderts und soll Sänger in der Kapelle des nachmaligen
1) Ambros III S. 409.
2) Die ersten Bände der „Publicationen'^ u. s. w. enthalten ausser
weltlichen auch verschiedene geistliche vierstimmige Lieder von Senfl n. Isaac.
3) Siehe „Publicationen« n. s. w. Bd. VIII.
4) Ambros III 8. 370.
Sittard, Compendimn. ■
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— 98 -
Kaisers Ferdinand I. gewesen sein. Sein Hauptwerk sind
seine vierstimmigen Lamentationen ^), deren Stil ihn gewisser-
massen als einen Vorläufer Palestrina's erkennen lässt; zu er-
wähnen ist noch die fbnfstimmige Motette: ^Ecce Maria
genuit nobis,**
Weiter sind noch zu nennen:
Paul Hofheimer 1459 — 1537, der Componist der
Originalmelodie eines weltlichen Liedes, welche später dem
Choral: ^Aus tiefer Noth* unterlegt wurde; Adam von
Fulda 1460—?, Johann Galllculus, Wilhelm Breiten-
gasser, Sixt Dietrich, Arnold von Brück, Leon-
hard Paminger, Jacob Gallus, u. s. w. sämmtlich im
16. Jahrhundert lebend.
Wir schliessen diesen Abschnitt mit dem grössten und
zugleich dem letzten Meister der niederländischen Schule, zu-
gleich Zeitgenossen Palestrina's, nämlich
Orlandus Lassus, italienisch Orlando di Lasso, deutsch
Boland Lassus genannt; sein ursprünglicher Name war Eoland
de Lattre. Derselbe ist zu Mons im Hennegau 1520 geboren.
Zuerst Chorknabe in der St. Nicolauskirche zu Mons, ging
er, zwölf Jahre alt, mit Ferdinand von Gonzaga, General
des Vicekönigs von Sicilien nach Mailand ^), woselbst er seine
Studien fortsetzte, und dann nach Sicilien. Ln 18. Jahre be-
gab er sich mit Constantin Castriotto nach Neapel und ver-
blieb dortselbst drei Jahre in Diensten des Marquis della
Terza, im Jahr 1541 nach Rom, woselbst er im Palast
des Erzbischofs von Florenz freundliche Unterkunft fand,
um nach einem halben Jahr die Stelle eines Kapellmeisters
an der Kirche S. Giovanni im Lateran zu übernehmen. Im
Jahr 1548 verliess er Rom, um in seine Vaterstadt zurück-
zukehren; da er seine Eltern jedoch nicht mehr am Leben
traf, durchreiste er mit einem Kunstfreund Namens Brancaccio
England und Frankreich und nahm alsdann einen zweijährigen
1) Siehe die Abhandlung Carl X>reher*8 in den Monatsheften für
Musikgeschichte Bd. VI sowie Ambros III S. 389—390.
2) Siehe F^tis V S. 209—214 sowie Dehn: Biographische Notiz über
Roland de Lattre von Heinrich Delmotte. Berlin 1837.
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— 99 —
Aufenthalt in Antwerpen. Von hier aus berief ihn 1556
Albert V. von Baiern nach München und übertrug ihm 1562
die Leitung seiner Kapelle ^). In der letzten Zeit seines
Lebens^ welches reich an grossen Ehren war, — Kaiser Maxi-
milian verlieh ihm und seinen Nachkonmien 1570 die Adels-
würde und Pabst Gregor XIII. 1571 die Würde eines Ritters
des goldnen Sporns — wurde sein Geist von düsterer Schwer-
muth umnachtet; er starb den 15. Juni 1594.
Proske*), wenn auch etwas übertrieben, sagt über ihn:
^Orlandus de Lassus ist ein universeller Geist. Keiner seiner
Zeitgenossen besass eine solche Klarheit des Willens, übte
eine solche Herrschaft über alle Intentionen der Kunst, dass
er stets mit sicherer Hand erfasste, was er für seine Tongebilde
bedurfte. Vom Contemplativen der Kirche bis zum heitersten
Wechsel profaner Gesangweisen fehlte ihm nie Zeit, Stim-
mung und Erfolg. Gross im Lyrischen und Epischen würde er
am grössten im Dramatischen geworden sein, wenn seine Zeit
diese Musikgattung besessen hätte. In seinen Werken finden
sich Züge episch dramatischer Kraft und Wahrheit, dass man
sich vom Geiste eines Dante und Michelangelo angeweht fühlt.
Gross in der Kirche und Welt hatte Lassus das Nationale
aller damaligen europäischen Musik dergestalt in sich aufge-
nonmien, dass es als ein characteristisches Ganze in ihm aus-
geprägt lag und man das speciell Italische, Niederländische,
Deutsche und Französische nicht mehr nachzuweisen vermochte.
Niemand war ihm hierin so ähnlich, als der grosse Händel,
und wie in diesem der deutsche, italische und englische Genius
des 18. Jahrhunderts, so war in Lassus die ganze Herrlich-
keit der germanischen und romanischen Kunst seiner Zeit in
einer grossen Erscheinung vereinigt.*
Etwas übertrieben finden wir dieses Urtheil, da Lassus in
seinen Werken doch nicht so ganz die niederländische Schule
abgestreift hat und das melodische Element sich unter dem
Druck der contrapunktischen Combinationen nicht immer
1) Die Kapelle war eine der besten Europas und zählte gegen 90 Mu-
siker; hierunter 12 Bassisten, 15 Tenoristen, 13 Altisten, 16 Eapellknaben,
6 Kastraten sowie 30 Instrumentalisten.
2) Proske a. a. O. LH.
7*
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- 100 —
frei und ausdrucksvoll in seinen Werken entfaltet. Die
Venetianische Schule — worüber im nächsten Abschnitt —
war auch nicht ohne Einfiuss auf sein Kunstschaffen geblieben.
In seinen Motetten weicht er von seinen Vorgängern insofern
ab, als er denselben dadurch eine neue Form schuf, dass
er nicht wie bisher üblich, dieselben über einen gegebenen
Cantus firmus, sondern oft über ein selbsterfundenes Thema
aufbaut. Seine Werke, deren Zahl auf 2000 geschätzt wird,
zeichnen sich hauptsächlich durch harmonischen Eeichthum
und die imposante Gesammtwirkung der Chorsätze aus. Da»
Verzeichniss seiner gedruckten Werke theilt Dehn a. a. O.
mit; siehe auch F^tis V, S. 215 — 222. Dieselben umfassen
Messen, Motetten, Hymnen, Psalmen u. s. w. Eines seiner
bedeutendsten und berühmtesten Werke sind die sieben Buss-
psalmen, von welchen Ambros sagt, dass sie zu jenen grössten
Denkmalen der Kunst gehören, an denen der Zeitenstrom, der
das Geringere bringt und wegspült, machtlos vorüberrollt.
Diese Gesänge haben, abgesehen von der meisterhaften Factur,
eine ganz eigene Färbung geistiger Hoheit, etwas unsagbar
Edles und Grosses, und ein zauberhafter Duft von Schönheit
schwebt über ihnen. Der Ausdruck ist ein tief und gewaltig^
ergreifender, er erschüttert, aber er erhebt und tröstet auch
in wunderbarer Weise.
V.
Die Kircheninusik vom 16—19. Jahrhundert
Mit Orlandus Lassus hatte die niederländische Schule,,
welche so bedeutend zur Entwicklung der Tonkunst beige-
tragen, ihren Abschluss gefunden. Adrian Willaert und seinen
Schülern, der sogenannten venetianischen Schule war es vor-
behalten, der Kunst neue Bahnen anzuweisen, auf welchen
eine Weiterbildung derselben erfolgen konnte.
Wie wir bereits erfahren, waren die Tonstücke der nie-
derländischen Meister vier- bis fiinfstimmig und nur selten
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— 101 —
kam es vor, dass für mehr Stimmen geschrieben wurde; auch
waren dieselben nur für einen Chor bestimmt. Bei Willaert
und seinen Schülern finden wir zum ersten Male zwei odejc
noch mehr Chöre , welche zunächst noch aus Knaben- und
Männerstinfunen bestanden , selbständig gegeneinander gestellt,
welche dem Ausdruck der Worte entsprechend, nach der
Weise der alten Psalmodie, einander abwechseln und nur bei
gewissen Stellen, bei Halb- und Ganzschlüssen sich vereinigen.
Zu kunstvoller Schönheit veredeltes Psalmodiren nennt äusserst
trefi*end Ambros diesen Gesang.
Während die Niederländer Note gegen Note- setzten,
wird hier Harmonie gegen Harmonie gestellt. An die Stelle
des mensurirten Gesanges tritt der syllabische, das Wort und
dessen Bedeutung gelangt mehr zur Geltung und wie sich
eine selbständigere musikalische Rythmik namentlich in den
kirchlichen Tonstücken entwickelt, so erfährt auch die Har-
monik, deren Bedeutung jetzt immer mehr und mehr erkannt
wird, eine grössere Ausbildung und mussten natürlicherweise
auch neue und reichere Klangcombinationen entstehen. Ferner
wurde für die weitere Entwicklung der Kirchenmusik die
Pflege des kunstmässig weltlichen Gesanges sowie das Mad-
rigal ^)j als dessen Begründer Willaert angesehen werden darf,
von grosser Wichtigkeit, da durch dasselbe — in der Poetik
ein 8 — 12zeiliges, die Liebe oder die Natur verherrlichen-
des Gedicht — , dessen Melodie im Gegensatz zur Motette
oder der Messe, welche an ein gegebenes Thema gebunden
waren, eine frei erfundene und dem Sinn des Wortes ange-
messene zu sein hatte, nicht nur die rythmische und melodische
Entfaltung und Gestaltung, sondern auch die Entwicklung, nament-
lich des Einzelgesangs, wesentlich gefördert werden mussten.
Das Madrigal, dessen Behandlungsweise übrigens die gleiche
wie bei der Motette war und das ebenso aus kurzen imitirenden
Sätzen bestand, führte weiter zu einer freien Behandlung der
1) Madrigal leitet Winterfeld in seinem Werk: Joh. Gabrieli und
sein Zeitalter. Berlin 1834, 3 Bände, von materialia ab, das heisst, das Ma-
drigal behandelte weltliche Gegenstände; den vielen geschraubten und ge-
künstelten Ableitungen gegenüber, scheint uns diese Definition die einfachere
und näherliegendere zu sein.
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— 102 —
alten , streng an die Diatonik gebundenen Kirchentonarten und
zur Chromatik^ wodurch Melodie und Harmonie sich nur um so
reicher entfalten konnten.
Der Gründer der venetianischen Schule ist
Adrian Willaert, auch Wigliart, Wigliar, Vuig-
Hart genannt, zu Brügge in Flandern Ende des 15. Jahrhun-
derts, etwa gegen 1490 geboren i). In Paris studierte er zu-
nächst die Rechte ; doch überwog die Neigung zur Musik und
er nahm Unterricht bei Jean Mouton, einem Schüler Josquin's.
Im Jahre 1516 begab er sich nach Eom, von dort nach Ferrara,
um alsdann als Sänger und Kapellmeister in die Dienste
Ludwigs n., Königs von Böhmen und Ungarn, zu treten. Nach
dessen im Jahr 1526 erfolgten Tode begab er sich nach Vene-
dig, woselbst er am 12. Dezember 1527 zum Kapellmeister an
der Markuskirche gewählt wurde, an welcher Kirche schon
Ende des 15. Jahrhunderts ein zahlreicher Chor sowie zwei
Organisten für die zwei Orgeln angestellt waren. Seine Or-
ganisten führte Venedig bis zum Jahr 1318 zurück. Willaert
starb dortselbst den 7. Dezember 1562 *).
Er war der Erste, welcher den Gesang der Psalmen in
Wechselchören — den alten antiphonischen Gesang — wieder
einführte ; die Chöre wechselten je nach der Bedeutung der
Worte in ganzen und halben Versen ab. So berichtet Zarlino ^),
Schüler WiUaerfs, dass die Psalmen bei der Vesper oder
andern Theilen des Gottesdienstes mit zwei oder mehr Chören,
zu vier oder mehr Stimmen gesungen zu werden pflegen, die
theils miteinander wechseln, theils, wo es schicklich ist, sich
vereinigen. „Solche Chöre werden am Besten so eingerichtet,
das» jeder Chor für sich selbständig und wohlklingend ist , als
sei er ein wohlgesetzter vierstimmiger Gesang. Diese Art mit
getheiltem Chor (a coro spezzato) hat der vortreffliche Adrian
erfunden.^
Ambros *) ist der Ansicht, dass Willaert durch die auf
1) F^tis Vm p. 470.
• 2) Fdtis vm p. 472; nach Winterfeld a. a. 0. 1563.
3) Siehe Winterfeld a. a. 0. I S. 71.
4) AmbroB III S. 504.
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— 103 —
eine zufällige architektoHische Eigenthümlichkeit der MarkuB-
kirche gegründete venetianische Uebung auf den Gedanken für
mehrere Chöre zu schreiben gekommen sei. In der nach by-
zantinischer Bauweise angelegten Markuskirche gliedert sich näm-
lich der verlängerte östliche Kreuzarm in drei AbsideU; deren grosse
mittlere den Hauptaltar enthält; während rechts und links in der
Höhe der kleinem Seitenabsiden, in gleicher Flucht mit dem
Schiffe ; also einander gegenüber blickend; zwei Musikgallerien
mit zwei Orgeln angebracht sind, flir welche seit 1490 ein
Msßstro del organo primo und del organo secondo bestellt war.
Eesponsorien mögen schon damals mit wechselnder Begleitung
der beiden Orgeln auf den beiden Musikchören gesungen
worden sein.
- Zarlino führt folgende von Willaert komponirten vier- und
fünfstimmigen Psalmen für mehrere Chöre an: j^Confitebor
tibi,* ^Laudate pueri,* j,Laudate Jerusalem,* j^De profundis,*
^Memento Domine David,* j^Dixit Dominus,* ^^Laudate Do-
minum omnes gentes," „Lauda anima mea,'' „Laudate Do-
minum" ^).
Die alte Kirchenmelodie beginnt bei Willaert schon zu
verschwinden, und steht höchstens noch am Anfang; ebenso
macht er von der kanonisch-contrapunktischen Satzweise nur
massigen Gebrauch, da er bei den Fortschreitungen der Stim-
men in seinen Chören hauptsächlich nur auf compakte Har-
moniefolgen sich beschränkt. Auch macht sich bei ihm schon
eine Emancipation von den alten Kirchentonarten bemerkbar,
da gewöhnlich der eine Chor zur Dominante hinaufführt, der
andere zur Tonica zurückkehrt, womit die Grundlage unseres
heutigen Tonsystems eigentlich schon gegeben war.
Willaerts Schüler und Nachfolger ist
Cyprian de Köre (van Rore), geboren zu Mecheln im
Jahr 1516. Er kam in früher Jugend nach Venedig, wo-
selbst er als Sänger an der dortigen Markuskirche angestellt
wurde, und zugleich bei Willaert Unterricht genoss. Eine
Zeit lang in Diensten des Herzogs von Ferrara, Hercules H.,
kehrte er nach dessen 1559 erfolgtem Tode nach Venedig
1) Ein Verzeichniss seiner Werke bei F^tis VIII S. 472—474.
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— 104 —
zurück und versah die Stelle eines zweiten Kapellmeisters bis
zum Tode Willaerts, welchem er in seinem Amte als erster
Kapellmeister folgte. Er verblieb jedoch bloss 18 Monate in
dieser Stellung, um das Amt eines Kapellmeisters beim Herzog
von Parma und Piacenza, Octave Farnese, zu übernehmen;
in dieser Stellung starb er schon 1565, erst 49 Jahre alt.
De Rore macht in seinen Werken von den chromatischen
Tonfolgen und Intervallen einen ergiebigen Gebrauch und
bahnte hiedurch eine freiere, subjective Empfindung und leiden-
schafüicheren Ausdruck in der Musik an, wie er auch dem
tieferen, bedeutungsvollen Ausdruck des Wortes gerecht zu
werden sucht ^). Winterfeld *) findet in dessen Werken den
frühesten Keim des declamatorisch-recitativischen Gesanges.
Unter seinen Werken befinden sich achtstimmige Wech-
selchöre, vier- fünf- und sechsstimmige Messen, sowie zwei
Passionsmusiken.
Fra Costanzo Porta, geboren zu Cremona, ebenfalls
Schüler Willaert's, starb im Jahr 1601 als Kapellmeister an
der Domkirche zu Padua *). Er schrieb Psalmen, Hymnen
sowie vier- und sechsstimmige Messen.
Claudio Merulo, 1532 in Corregio geboren, 1557
Organist an der zweiten Orgel der Markuskirche in Venedig,
1566 an der ersten. Sein Euf als glänzender Orgelspieler
veranlasste den Herzog ßanucdo Famese, denselben 1584 als
Organist der Kirche der Steccata in Parma zu berufen, in
welcher Stellung er bis zu seinem am 4. Mai 1604 erfolgten
Tode verblieb. Seine Werke, worunter Messen, Litaneien,
Motetten u. s. w. sollen sich durch ihre machtvolle Harmonik
auszeichnen.
Wir nennen noch Bäldassarre Donato, 1510 geboren,
welcher 1590 Nachfolger Zarlino's — dessen Werke mehr theo-
1) Man kannte schon vor Cyprian die Töne b, eis, gis und es; die
Gründe und Ursachen, welche zu diesen doppeltgestalteten Tönen führten,
tun hiedurch Leittöne für Kirchentonarten zu gewinnen, ist hier nicht der
Ort, auseinanderzusetzen; Cyprian fügte denselben die Erhöhungen und
Erniedrigungen der Töne d und a bei.
2) Winterfeld a. a. O. I S. llö.
3) Siehe Proske a. a. O. II S. XLVI.
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— 105 -
retischen Inhalts waren — als Kapellmeister an der Markus-
kirche wurde; er starb 1603.
Ihren Höhepunkt erreichte die venetianische Schule in
Andreas und Johannes Gabrieli.
Andreas Gabrieli ist in Venedig gegen das Jahr 1510
geboren. Seine musikalischen Studien machte er unter Willaert;
trat 1536 als Sänger in die Kapelle des Dogen, wurde 1566
Nachfolger Merulo's als zweiter Organist der Markuskirche und
starb im Jahr 1586 als erster Organist dieser Kirche.
In seinen meistens dreichörigen Werken weiss er wunder-
bare Klangeffecte zu erzielen ; jedoch nicht des blossen Effects
willen; sondern er benüzt die ihm zu Gebot stehenden Massen-
und Klangfarbenwirkungen zur musikalisch-poetischen Wieder-
gabe des Textes. So besteht häufig ein Chor nur aus hohen
Knabenstimmen, der zweite aus Männer- und Knabenstimmen,
der dritte nur aus Männerstimmen; oder der höchstliegende
Chor wird von Sopran, Alt — natürlich Knaben — Tenor
und Bass ausgeführt, zwischen beiden ein solcher von tiefen
Sopran, Alt, Tenor und Bassstimmen.
Proske ^) urtheilt über denselben: „Mehr als seine Vor-
gänger besass er die Kunst, in herrlichen Tonmassen zu bil-
den; vielstimmige, mannigfach gegliederte Chöre wusste er
miteinander zu verbinden und zu immer neuen, höheren Effecten
auszuprägen. So prachtvoll diese Wirkungen aber sind, so
beschränken sie sich keineswegs auf eiteln. Sinnesprunk, son-
dern diese Pracht schloss den hohen Ernst religiöser Würde
und Begeisterung nicht aus, der Venedigs Verfassung und
Volksgesinnung eigen war. Und hierin ragte Andreas Ga-
brieli über seine venetianischen Zeitgenossen weit hervor,
majestätisch, feierlich, oft tief beschaulich setzte er sich nie-
mals über die hohen Anforderungen der Kirche hinaus und
verdient vor allen Venetianern mit dem damals in Rom mäch-
tigen Gestirn verglichen, der Palestrina Venedigs genannt zu
werden. Das würdigste Zeugniss seiner kirchlichen Künstler-
grösse bieten die sechsstimmigen Busspsalmen, welche in ab-
weichender Auffassung von der Behandlung früherer Componisten
dieser Psalmen, den Gipfel heiliger Ausdrucksweise erreichen*.
1) A. a. 0. I. LV.
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— 106 —
Johannes Gabrieli, Neffe und Schüler des Vorigen,
ist 1557 geboren, wurde im Jahre 1585 Nachfolger Merulo's
als Organist an der Markuskirche und starb am 12. August 1613.
Seine Werke, in welchen er die Mehrchörigkeit bis zu
vier Chören steigert, zeichnen sich durch characteristische
musikalische Wiedergabe, durch die Farbenpracht der Har-
monien und durch eine Stimmgruppirung aus, deren Klang-
wirkungen oft von wunderbarer Schönheit sind. Ein subjectiv
innerlicher Zug durchweht seine Werke , wir schauen gleich-
sam mit was er gesehen, wir empfinden mit, was er gefühlt;
auch eine gewisse Dramatik lässt sich manchen derselben nicht
absprechen, so wenn er z. B. eine Stimme einzeln oder auch
mit Instrumentalbegleitung ^), oder auch zwei Stimmen mit-
einander singen und die Chöre alsdann mit aller Macht wieder
einsetzen lässt. „Zwei- drei- auch vierstimmige Chöre bauen
sich so zu einem überschwenglich prächtigen Ganzen auf, und
so erreicht das von Willaert erdachte System der getheilten
Chöre hier seine letzte Vollendung. Endlich genügt aber all
dieser Beichthum noch immer nicht: Johannes Gabrieli zieht
— wenigstens in seinen späteren Compositionen — auch noch
den blendenden Glanz der Instrumente — Posaunen, Cornetti
imd Geigen — mit ihrer starken sinnlichen Klangwirkung
heran. Dass er aber nun diese Mittel immer noch mit reinem
künstlerischen Maasse in Bewegung setzt und nirgend in rohe
Massenhäufung hineingeräth, sondern alles feinsinnig und so
gegen einander stellt, als könne es nicht anders sein und sei
eben das Kechte, kennzeichnet den wahrhaft grossen Meister" ^).
Seine Werke, welche aus Messen, Motetten, Psalmen,
Magnificats, Vespern, Miserere u. s. w. bestehen, findet man
bei Winterfeld a. a. O. zusammengestellt.
Zu nennen sind noch
Marco Antonio Ingegneri, 1545 zu Pordenone im
venetianischen Friaul, nach Fötis *) zu Cremona geboren, wo-
1) Die damals gebräuchlichsten Instrumente waren die verschiedenen
Arten yon Greigen, dann Fagotte, Zinken, Cornetten, Posaunen, Flöten und
Querpfeifen.
2) Ambro s m S. 528.
3) F^tis IV S. 398.
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— 107 —
selbst er auch Kapellmeister an der Kathedralkirche war;
später stand er in Diensten des Herzogs von Mantua. Unter
seinen kirchlichen Compositionen befinden sich u. A. auch
16stimmige Motetten.
Leone Leoni geboren 1560, Kapellmeister an der
Kathedrale zu yicenza, schrieb ftinfstimmige Psalmen und "zwei-
t>is achtstimmige Motetten.
Giulio Cesare Martinengo in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts zu Verona geboren, zuerst Kapellmeister
zu üdine in Friaul, seit 1609 an der Markuskirche zu Venedig;
er starb bereits 1613.
Giovanni Giacomo Gastoldi zu Caravaggio um
die Mitte des 16. Jahrhunderts geboren, Kapellmeister am
Dome zu Mailand.
Giovanni Croce 1560 zu Chioggia bei Venedig ge-
boren, ein Schüler Zarlino's und 1603 Donati's Nachfolger
als Kapellmeister an der Markuskirche; er starb 1609. Am
berühmtesten sind seine sieben Busspsalmen.
Durch Hans Leo Hasler, einen Schüler von Andreas
Gabrieli und Heinrich Schütz, Schüler des Johannes
Gabrieli, sowie durch italienische Meister aus der venetianischen
Schule wie Tiburzio Massaini, welcher eine Zeit lang am
Höfe des Kaisers Eudolf H. zu Prag sich aufhielt, Camillo
Zanotti, Vicekapellmeister Rudolfs II. und Andere, gewannen
die Einflüsse der venetianischen Schule auch in Deutschland
Eingang.
Hans Leo Hasler, welchem wir später nochmals be-
gegnen werden, ist zu Nürnberg im Jahr 1564 geboren und
genoss den ersten Unterricht in der Musik bei seinem Vater
Isaac Hasler; hierauf begab er sich im Jahr 1584 nach Venedig,
woselbst er bei Andreas Gabrieli seine Studien fortsetzte ; 1585
wurde er Organist im Fugger'schen Hause in Augsburg, 1601
trat er als Hofmusikus in die Kapelle des Kaisers Rudolf Tl.
und endlich 1608 wurde ihm die Hoforganistenstelle in Dresden
übertragen; er starb 1612. Da wir auf seine Bedeutung für
das evangelische Kirchenlied noch zurückkommen werden, er-
wähnen wir hier, dass er nicht bloss einer der bedeutendsten
Orgelspieler seiner Zeit war, sondern auch auf dem Gebiete der
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— 108 -
Motette Unvergängliches geleistet hat. Hervorzuheben sind
namentlich seine fUnf- bis achtstimmigen geistlichen Festgesänge
— 28 lateinische Motetten; ausserdem schrieb er vier-, fünf-,
sechs- und siebenstimmige Messen und sonstige 4 — 16stimmige
Gesänge. Proske sagt über Hasler, dass seine Schreibart im
Figuralsatze das Höchste und Schönste in sich vereinige, was
deutsche und italienische Kunst jener Zeit zu leisten ver-
mochte. „Bei reichster Gedankenfülle sehen wir ihn immer
klar, bestimmt und fest; innerlich gehaltvoll, schwunghaft
und wirksam nach aussen, besonders im mehrchörigen Satze.
Neuere Bahnen betrat er vorsichtiger als der jüngere Gabrieli;
er hielt zwischen diesem und dem gemeinsamen grossen Lehrer
Andreas Gabrieli die Mitte. Ein edler Wetteifer dieser jungen
Künstler unter sich ist jedoch nicht zu verkennen; den sicher-
sten Beweis davon liefert eine Sammlang ^) der grossartigsten
Musiksätze, welche nach dem Tode dieser Meister erschien,
deren Kunstgehalt zu solcher Höhe gesteigert ist, dass man
vor Staunen und Bewunderung nicht zu entscheiden vermag,
welchem von Beiden der Preis gebührt.*
Auch seine beiden Jüngern Brüder, Jacob, geboren 1566,
welcher als Organist des Grafen von HohenzoUern zu Hechingen
starb, und Kaspar, geboren 1570, gestorben 1618 als Organist
in seiner Vaterstadt Nürnberg, thaten sich durch kirchliche
Oompositionen als Messen, Magnificats, Psalmen u. s. w. her-
vor. Von Letzterem enthält die Symphoniae sacrae^) 4- bis
16stimmige Tonsätze.
Heinrich Schütz, auf welchen wir ebenfalls noch in
den beiden näcl^sten Abschnitten zu sprechen kommen werden,
ist am 8. Oktober 1585 zu Köstritz im sächsischen Voigtland
geboren. Im Jahr 1599 trat er als Kapellknabe in die Hof-
kapelle des Landgrafen Moriz von Sachsen; auf den Wunsch
seiner Eltern sollte er sich jedoch der Kechtswissenschaft wid-
men, und so bezog er die Universität Marburg. Im BegriflF
sich zur Promotion vorzubereiten, bot ihm der Landgraf Moriz,
1) Reliqui» sacrorum concentuum Giov. G-abrielis et Leoni Has-
leri etc. motettse 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14, 16, 18, 19 Yocum. Nürnberg 1619.
2) Erster Theil Nürnberg 1698, zweiter Theil 1600.
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— 109 — . *
welcher schon längst seine hohe musikalische Befähigung er-
kannt hatte, im Jahr 1609 auf zwei Jahre ein jährliches
Stipendium von 200 Gulden an, damit er bei Johannes
Gabrieli sich weiter ausbilde. Er nahm das fürstliche An-
erbieten an und blieb in Venedig bis nach dem erfolgten Tode
Gabrielas. Hierauf kehrte er nach Deutschland zurück, wurde
Organist des Landgrafen und im Jahr 1617, nachdem er in-
zwischen des Oeftern auf den Wunsch des Churfürsten von
Sachsen, Johann Georg, längern Urlaub vom Landgrafen er-
halten hatte, um die churfürstliche Kapelle zu dirigiren i),
definitiv als Churfiirstlich Sächsischer Kapellmeister angestellt,
in welchem Amte er volle 55 Jahre bis zu seinem Tode
verblieb.
Hier erwähnen wir nur, dass er geistliche Tonstücke für
mehrere Chöre schrieb, mit Begleitung von Geigen, Cornetten
und Posaunen, so die ^Psalmen Davids sampt etlichen Moteten
und Concerten mit acht und mehr Stimmen nebenst anderen
zweyen Capellen, dass dero etliche auflF 3 und 4 Chor nach
Beliebung gebraucht werden können ; wie auch mit beigefügten
Basso continuo (siehe unten) vor die Orgel, Lauten u. s. w.*
Anzuführen sind u. A. noch
Jacob Gallus, HähneVauch Handl genannt, geboren 1550
zu Krain, starb als kaiserlicher Kapellmeister am 4. Juli 1591
zu Prag. Derselbe gehört zu den vorzüglichsten deutschen
Tonsetzern; seine Compositionen sind flir 4, 8, 12 und noch
mehr Stimmen gesetzt, ein Gesang sogar für 24 Stimmen,
in 4 sechsstimmige Chöre getheilt.
Adam Gumpeltzhaimer 1560 zu Trostberg in Ober-
baiern geboren, trat 1575 als Musiker in die Dienste des
Herzogs von Württemberg und bekleidete von 1581 bis zu
seinem Tode, welcher Anfangs des 17. Jahrhunderts erfolgte,
die Stelle eines Cantors in Augsburg. Er schrieb hauptsäch-
lich mehrstimmige geistliche Lieder.
Christian Erbachzu Algesheim in der Pfalz geboren,
im Jahr 1600 Organist des Max Fugger in Augsburg, später
an der dortigen Domkirche.
1) Vergl. Dr. W. Schäfer: „Sachsen-Chronik«, 1. Serie. Dresden 1854,
in welcher der Briefwechsel der beiden Fürsten veröffentlicht ist.
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_ 110 —
Melchior Franck geboren 1580 zu Zittau in der
Lausitz, 1603 Kapellmeister am Coburg'schen Hofe, woselbst
er am 6. Juni 1639 starb. Sein ältestes Werk ist: Sacrae
melodiae 4, 5, 6, 7 et 8 vocum, München bei G. Willer;
ausserdem schrieb er Psalmen und Motetten.
Gregor Aichinger 1565 in Augsburg geboren, aus-
gezeichneter Orgelspieler und Kirchencomponist, stand ebenfalls
in Diensten der reichen Fugger; er schrieb 3 — lOstimmige
Messen, Offertorien und Magnificats u. s. w. Sein bedeutend-
stes Werk sind die Liturgica sive sacra officia ad omnes festas.
Augsburg 1593.
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf England, so
hatte die Mensuralmusik und der mehrstimmige Gesang im
13. und 14. Jahrhundert wohl Eingang dortselbst gefunden,
ohne jedoch ersichtliche Fortschritte zu machen. Die dortige
Kirchenmus^ weist übrigens geübte Contrapunktiker auf, doch
überwogen bei denselben immerhin die contrapunktischen
Künsteleien, und von ihren Werken haben sich fast keine bis auf
unsere Zeit erhalten. Zu erwähnen sind folgende englische Meister :
Thomas Tallis, Organist der Kapelle unter Heinrich VIII.,
Eduard VI., den Königinnen Maria und Elisabeth ; erstarb 1585.
Unter seinen kirchlichen Tonwerken, welche meistens im Mo-
tettenstil gehalten sind, soll sich auch eine 40stimmige Com-
position für 8 Soprane, 8 Mezzosoprane, 8 Cantra-Tenöre, 8
Tenore und 8 Bassstimmen, nebst Bass continuo, befinden.
William Bird, Schüler Tallis', 1538 geboren, starb
4. Juli 1623. Im Jahr 1563 erhielt er die Organistenstelle
an der Kathedrale zu Lincoln, 1569 trat er in die Kapelle
der Königin Elisabeth ein, wurde Stellvertreter seines Lehrers
und nach dessen 1585 erfolgtem Tode wahrscheinlich auch
dessen Nachfolger. Er schrieb 5-, 6- und 8stimmige Motetten,
Hymnen, Psalmen u. s. w.
Thomas Weelkes, dessen Geburtsort und Geburts-
jahr unbekannt sind, doch wird letzteres wohl in die siebziger
Jahre des 16. Jahrhunderts fallen, da er in einem seiner 1598
gedruckten Werke erklärt, dass er noch nicht volljährig sei ^).
1) FdtiB a. a. O. Vm S. 437.
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- 111 -
Er war zuerst Organist in Winchester, später an der Kathe-
drale in Chichester. Nach F^tis enthält ein handschriftliches
altes Orgelbuch von Adrien Baten, welches im Besitz von
Josef Warren (ein geschätzter englischer Organist dieses Jahr-
hunderts) sein soll, verschiedene 4- und 5stimmige Tedeum, Jubi-
late, Offertorien, Kyrie, Credo, Magnificat und Nunc dimittis.
In Frankreich wurde in diesem Zeitraum mehr die welt-
liche Musik gepflegt.
War durch die Meister der venetianischen Schule die
Harmonik zu hoher Entfaltung gelangt und durch den welt-
lichen Kunstgesang, namentlich durch das Madrigal, der
Kirchenmusik eine Kunstform zugeführt worden, welche nicht nur
dem Künstler ermöglichte, das was ihn innerlich bewegte, durch
Töne dem Gefiihl auch wieder zu vermitteln, sondern auch die
Fesseln einer künstlichen Contrapunktik sprengte, welche einen un-
mittelbaren Gefühlsausdruck nicht aufkommen lassen konnte, und
somit das melodische Element zu einer hohem Entwicklung
geführt wurde : so erklomm in Palestrina und der von ihm
gegründeten römischen Schule die kirchliche Tonkunst nach
einer ganz andern Richtung hin eine ungeahnte Höhe und
man darf wohl diese Periode als die klassische Zeit der
katholischen Eorchenmusik bezeichnen. Aus der französisch-
niederländischen Schule hervorgegangen repräsentiren die
Werke Palestrina's und seiner Schule die höchste Blüthe,
den Abschluss einer zweihundertjährigen Entwicklung. Wie
das Madrigal sowie die Theilung der Stimmen in verschiedene
Chöre auch auf die römische Schule von Einfluss waren, so war es
auch die emporblühende dramatische Musik. Schon bei Allegri
machen sich die Einflüsse der Letztern geltend, wie auch die
Diatonik durch die Chromatik, wenn auch noch in bescheidenen
Grenzen sich haltend, durchbrochen ist. Ebenso fängt das
subjective Empfindungsleben an, gfich in die ^unnahbare Hoheit^
des frühern Kirchenstils einzudrängen und die Modulation sich
in grösserer Freiheit zu bewegen. Vom Anfang des 17. Jahr-
hunderts beginnen beide Schulen die venetianische und die
römische sich allmählig zu amalgamiren. Die neue Melodik
und Chromatik sowie der concertirende Stil, all' die Elemente,
welche einen grössern Gefühlsausdruck ermöglichen, über-
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— 112. —
tragen sich mit der Zeit auch auf die Schüler der römischen
Schule.
Als Vorläufer Palestrina's können betrachtet werden:
Costanzo Festa in Florenz geboren^ trat 1517 als
Sänger in die päbstliche Kapelle ein und starb als solcher
am 10 April 1545. Er schrieb Messen^ Motetten, Litaneien
u. 8. w. Sowohl Burney als Baini erklären denselben für
den grössten Contrapunktisten der vorpalestrina'schen Epoche
und Kiesewetter hält ihn ebenfalls für den frühesten des Namens
würdigen italienischen Contrapunktisten.
Christofano Morales, 1520 zu Sevilla geboren, war
ebenfalls Sänger der päbstlichen Kapelle. Von seinen Werken
sind hauptsächlich die über die Melodien des gregorianischen
Kirchengesangs nach den acht Kirchentönen componirten Magni-
ficats, sowie die 4-, 5- und Gstimmigen Klagelieder Jeremia's
zu nennen; ausserdem schrieb er 4-, 5- und 6stimmige Messen.
In der niederländischelb Schule erzogen, bildete sich in seinen
Werken schon jener ^Idealstil,* wie Ambros ihn. nennt, aus,
welcher in Palestrina seine höchsten Triumphe feiern sollte.
Palestrina's Lehrer war:
Claude Goudimel, nach Fftis ^) gegen 1510 in der
Franche-Comt^ geboren. Derselbe gründete gegen 1540 in
Rom eine Musikschule, aus welcher ein Palestrina, Gio-
vanni Animuccia, Steffano Bettini, Giovanni
Maria Nanini hervorgiengen. Er schrieb Messen und
Motetten für 5, 6, 7, 8 und 12 Stimmen, deren Manuscripte
im Vatican und im Kloster delF Oratorio zu St. Maria in
VaUicella sich befinden sollen. Seine Werke besitzen nach Am-
bros einen eigenthümlichen Beiz und gegenüber den mannhaft
kräftigen Compositionen Morales' einen zarten, fast -mädchen-
haften Zug.
Giovanni Pierluigi da Palestrina*) ist nach
Baini I Proske und F^tis im Jahr 1524, nach Kandier und
Schelle 1514 in Palestrina, dem alten Präneste geboren, daher
1) F^tis IV S. 66.
2) Siehe für das folgende auch Kandier a. a. O. sowie Schelle
234 und ff.
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— 113 —
er sich auch Giovanni Pierluigi da Palestrina nannte. Ueber
seine frühesten Lebensumstände ist nichts Näheres bekannt^
als dass er gegen 1540 nach Eom kam, um dortselbst Musik
2u studieren. Im Jahr 1551 wurde er als Singmeister der
Knaben in der Kapelle Giulia angestellt. Pabst Julius II.
(1505 — 1513) hatte nämlich vermittelst einer Bulle vom 19.
Februar 1513 verordnet, dass, da durch das fortwährende Her-
beiziehen von Fremden die Musik nie einheimisch werden
könne, in der Kapelle Giulia, welche ständig zwölf Sänger
zu unterhalten hatte, eben so viele Knaben erzogen und von
zwei Meistern gründlich unterrichtet werden sollten, um die
fremden Sänger in der päbstlichen Kapelle zu ersetzen.
Auf den Wunsch des Pabstes Julius III. legte er diese Stelle
nieder und trat am 13. Januar 1555 als Sänger in die päbst-
liche Kapelle ein, welches Amt er jedoch schon am 30. Juli
desselben Jahres mit noch zwei andern Sängern verlassen
musste, da der Nachfolger Julius' Paul IV. eine Verordnung
erliess, wonach die drei ^verheiratheten Individuen, die zum
Scandal des Gottesdienstes uiid der Kirchengesetze mit den
päbstlichen Kapellensängern zusammenleben^, aus dem Collegio
ausgestossen werden sollen. Am 1. October wurde ihm jedoch
die Kapellmeisterstelle im Lateran übertragen , in welcher
Stellung er bis zum Jahr 1561 verblieb, wo er alsdann zum
Kapellmeister der liberianischen Hauptkirche — St. Maria
Maggiore — ernannt wurde und in dieser Eigenschaft bis
1571 wirkte. In diese Zeit fällt seine sogenannte Rettung
der Kirchenmusik vor den ihr drohenden Gefahren.
Auf dem Concil zu Trient waren nämlich die verschiedenen
Missbräuche ^ welche in die Kirchenmusik eingedrungen, zur
Sprache gekommen. Einige Eiferer, welchen nur der Eitus
und nicht die Kunst am Herzen lag, wollten nur noch den
gregorianischen Canto fermo beibehalten und alle Figural-
musik aus der Kirche verbannt wissen ; doch beschloss man in
der 22. Sitzung, nur die weltliche, Aergerniss gebende Musik
aus der Kirche zu entfernen, damit das Gotteshaus nicht ent-
weiht werde. Im Übrigen wurde es in der 24. Sitzung den
Bischöfen und Provincialconcilien überlassen, etwaige noth-
wendig erscheinende Reformen vorzunehmen. In Folge dieses
Sittard, Compendium. 8
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~ 114 —
Beschlusses ernannte Pias IV. am 2. August 1564 eine Con-
gregation von acht Cardinälen^ zu deren Berathungen auch
acht Sänger der päbstlichen Kapelle zugezogen wurden^ welche
diesem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit zuwenden sollten.
Nach mehreren Sitzungen wurde eine Einigung über folgende
drei Punkte erzielt:
1) dass weder Motetten noch Messen mit Vermischung von
fremden Worten gesungen werden dürften;
2) dass keine Messen, welche über weltliche Themen und
Lieder verfasst seien, mehr gesungen, und
3) Motetten über von Privatpersonen erfundene Worte
auf immer von der päbstlichen Kapelle ausgeschlossen
bleiben sollten.
Es entspann sich auch eine Discussion darüber, wie es mög-
lich gemacht werden könnte, dass die vom Chor gesungenen heil-
igen Worte deutlicher verstanden werden könnten. Die Sänger
machten hiegegen geltend, dass dies in der polyphonen Musik
nicht immer möglich sei, namentlich nicht bei grösseren Stücken
wie das Gloria, Credo u. s. w. Die Cardinäle hielten hierauf
mit einem definitiven Beschluss zurück und es wurde zunächst
Palestrina beauftragt, eine Messe zu schreiben, welche als
Muster aufgestellt werden könnte ; würde dieselbe den ge-
stellten Anforderungen genügen, so wolle man von weiteren
Verfügungen im Sinne des Trientiner Concils abstehen.
Palestrina schrieb hierauf 3 Messen, welche am 28. April
1565 im Palast des Cardinais Vitellozzo in Gegenwart der
Cardinäle obenerwähnter Commission vorgetragen wurden. Die-
selben erklärten sich nach Anhörung namentlich der dritten
Messe, welcher Palestrina den Namen Missa papae Marcelli
gab, für befriedigt und beschlossen, indem sie demselben
empfohlen hatten, in diesem Stile fortzufahren, dass die
Kirchenmusik keiner Veränderung unterworfen werden solle,
die Figuralmusik also bestehen bleiben dürfe. Von nun an
stand der Ruf Palestrina's fest, und verbreitete sich über den
ganzen katholischen Erdkreis.
Zwei Monate später wurde die dritte Messe während der
heiligen Handlung in Gegenwart des Pabstes Pius IV. auf-
geführt, welcher am Schluss entzückt ausgerufen haben soll:
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— 115 —
35 Hier gibt ein Johannes im irdischen Jerusalem uns eine
Vorempfindung von jenem Gesänge ^ den der heilige Apostel
Johannes im himmlischen Jerusalem einst in prophetischer
Entzückung vernahm.^ Palestrina erhielt hierauf den neuge-
schaffenen Posten eines Tonsetzers der päbstlichen Kapelle.
Er starb den 2. Februar 1594 und wurde in der Peterskirche
vor dem Altar der Apostel Simon und Judas begraben.
Seine künstlerische Fruchtbarkeit war eine ungeheure.
Er schrieb allein 78 Messen, eine grosse Anzahl Motetten auf
alle Feste des Jahres, Hymnen, Lamentationen, die berühmten
noch heute in der Charwoche in Rom gesungenen Improperien ^,
Offertorien, Magnificats, geistliche Madrigale u. s. w. Eine
vollständige Ausgabe seiner Werke erscheint zur Zeit bei Breit-
^ köpf und Härtel in Leipzig.
Gross, gewaltig und erhaben stehen Palestritia's Tonschöpf-
ungen vor unserm geistigen Auge, und wenn er sich auch in
den complicirtesten contrapunktischen Formen, aber überall
mit der grössteü Freiheit und Ungezwungenheit bewegt: aus
allen weht uns der geistige Hauch des Genies entgegen.
Im gregorianischen Gesaqg wurzelnd, unter Beibehaltung der
Diatonik — die Chromatik wendet er selten an — und der alten
Kirchentonarten, mit Ausschluss aller Instrumente, auch der
Orgel , enthalten seine Meisterwerke , trotz ^gewisser Herben,
unvergängliche Schönheiten; sie sind ein eben so getreues
als grossartiges Abbild eines reichen innem Seelenlebens, ein
Zug wahrhaft grosser Genialität ist allen aufgeprägt und sie
werden bleiben ein herrliches Denkmal menschlichen Geistes-
und Gemüthslebens , und ihr Werth wird nicht erblassen und
verwelken, so lange eine Kunst bestehen bleibt, und so lange
es Menschen geben wird, welche in einer roh - sinnlichen, nur
für das Aeusserliche zugänglichen Zeit für das einfach Grosse
und Erhabene ein offenes und warmes Herz haben.
Nach Palestrina ist einer der bedeutendsten Meister der
römischen Schule:
1) Es sind dies Gesänge, welche am Charfreitag, während die Gläubigen
sich dem enthüllten Kreuze nähern, um demselben ihre Verehrung darzu-
bringen, ertönen.
8*
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— 116 —
Giovanni Maria Nanini, gegen 1540 zu Vallerano
geboren. Derselbe machte seine Studien ebenfalls unter
Goudimel und kehrte alsdann in seine Vaterstadt zurück,
woselbst er die Stelle eines Kapellmeisters erhielt. Im Jahr
1571 wurde er Kapellmeister an S. Maria Maggiore in Eom,
woselbst er mit Palestrina eine Musikschule eröffnete; 1575
legte er sein Amt als Kapellmeister nieder und trat am 27.
October 1577 als Sänger in das päbstliche CoUegium ein.
Er starb 11. März 1607.
Als schaffender Künstler — er war nämlich auch ein be-
deutender Musikgelehrter — hält Proske Nanini für einen
Stern erster Grösse, dessen Werke, wenn auch sein Genius
nicht die reichen Schöpfungskräfte eines Palestrina besass,
ihrer klassischen Ausprägung und vollendet reinen Form
willen unmittelbar den Schöpfungen eines Palestrina ange-
reiht zu werden verdienen.
Eines seiner berühmtesten Tonstücke ist das sechsstim-
mige: j,Hodie nobis coelorum rex", welches *noch heute am
Weihnachtstage in der päbstlichen Kapelle gesungen wird.
Er schrieb weiter 3-, 4-, 5-, 6- und Sstimmige Motetten, vier-
stimmige Lamentationen, Tedeums und achtstimmige Litaneien.
Giovanni Bernardo Nanini, ein jüngerer Bruder
des Vorigen, ist ebenfalls in Vallerano geboren und wurde
von seinem altern Bruder in der Composition unterrichtet.
Ueber seine nähern Lebensumstände weiss man nur so viel,
dass er Kapellmeister in Damaso war. Proske, welcher vier
Psalmen von demselben in Partitur veröffentlicht hat, rühmt
dessen Werken, deren Manuscripte wie diejenigen seines Bruders
zum grössten Theil in den Archiven Koms liegen, den Wohl-
laut in Melodie und Harmonie, Fluss und Bundung der Modu-
lation, rythmische Präcision und die vollendete Reinheit de&
Stils nach ^). Er ist der erst^ aus der römischen Schule her-
vorgegangene Meister, welcher Tonstücke mit Begleitung der
Orgel schrieb, so unter Anderm ein ^Venite, exultemus
Domino* für drei Stimmen mit Orgelbegleitung. Der Abt
Santini in Rom soll von diesem Meister die Manuscripte von
1) Proske a. a. O. III p. XV.
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— 117 —
achtstimmigen Motetten und Psalmen, sowie ein zwölfstimmiges
jpSalve regina* besitzen ^).
Bedeutend in seinen kirchlichen Tonschöpfungen ist
T omaso Ludovico daVittoria, spanischer Priester
aus Avila, 1573 Kapellmeister am CoUegium germanicum, 1575
an der ApoUinarikirche zu Bom; später kehrte er in sein
Vaterland wieder zurück und erhielt den Titel ^^Kaiserlicher
Kapellan.* Sowohl seine Landsleute Escobedo und Morales
als der Umgang mit Palestrina und Nanini dem Aeltern wer-
den fruchtbar auf sein künstlerisches Schaffen eingewirkt haben.
Unter seinen Werken befinden sich Psalmen, Motetten, Hym-
nen, sowie die Turbae (Volkschöre) zu den zwei Passionen
nach Matthäus und Johannes, welche heute noch von der
päbstlichen Kapelle aufgeführt werden. Hervorzuheben ist
sein sechsstimmiges Officium Mortuorum, welches er 1605 für
die Exequien der Kaiserin in Madrid schrieb und drucken
Hess. Proske fand die Stimmen dieses Werks im Musik-
archiv der spanischen Nationalkirche zum heiligen Jacob in
Rom und setzte sie in Partitur. Derselbe *) urtheilt über
diesen Meister, dass in ihm sich die edelsten Eigenschaften
spanischer und römischer Kunst vereinigt finden. jjVon allen
Angehörigen der römischen Schule hat nächst Palestrina keiner
so sehr auf die vollendete Beinheit des Kirchenstils geachtet
als Vittoria; ja es lag in seinem Wesen, das Liturgisch- Ob-
jective. Typische noch inniger festzuhalten, als selbst Palestrina
nöthig fand. Dennoch fehlte ihm nicht eine reiche Originali-
tät und subjective Ausdrucks weise, so dass er bei grösster
Mässigung im Gebrauch seiner Kunstmittel stets eigenthüm-
lich von jedem Zeitgenossen, und in allen unter sich noch so
wesentlich abweichenden Compositionen gleich erkennbar bleibt.
Ohne der Klarheit seiner Melodie und Harmonie den mindesten
Eintrag zu thun, prägt sich in seinen Gesängen eine ernste,
hocherhabene Mystik aus, welche der reinsten Frömmigkeit
des Gemüths, das nur heilige Gefühl der Andacht ohne alle
Beimischung weltlicher Eindrücke zu athmen scheint, ent-
1) F^tis VI. S. 279.
2) Proske I. p. LIII und LIV.
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— 118 —
Sprüngen ist und ihn unfähig machte; andere als geistliche
Compositionen zu schaflFen. Wärme und lebendige Selbstauf-
fassung; Milde und Zartheit^ innigster Fluss der kunstreichsten
und strengsten Tonsätze, endlich ein hoher festlicher Auf-
schwung und die würdevollste Majestät vereinigen sich in
diesem priesterlichen Spanier zu einem Bilde, das vom Sternen-
himmel der Vorzeit wunderbar auf uns hertiberleuchtet.*
Durch ihn wurde die römische Schule nach Spanien ver-
pflanzt, wo zugleich auch ein anderer bedeutender Meister, Fer-
nando de las Infantas lebte, spanischer Priester zu Cordova.
Aus der römischen Schule gingen femer hervor:
Feiice Anerio, 1560 zu Rom geboren; derselbe wurde
nach Palestrina's Tode von Cardinal Aldobrandini an die Spitze
seiner Kammermusik gestellt und noch im selben Jahr von
Pabst Clemens VIEL, zum Tonsetzer der päbstlichen Kapelle
ernannt; Anerio war der letzte, welcher mit dieser Würde
betraut wurde. Er componirte zahlreiche Messen, Motetten,
Psalmen u. s. w.
Francesco Giovanni Anerio, ein jüngerer Bruder
des eben Genannten, ist 1567 zu Rom geboren, war eine Zeit
lang Kapellmeister des König Sigismund III. von Polen, dann
Musikdirector an der Kathedrale zu Verona, von 1600 — 1603
Musikmeister am päbstlichen Seminar und Kapellmeister an
der Kirche San Giovanni im Lateran; sein Todesjahr ist un-
bekannt. Er war einer der Ersten, welche in ihren Com-
positionen kleinere Notenwerthe, wie Achtel- und Sechszehn-
theile und zum Theil obligat eingreifende Instrumente an-
wandten; seine Werke bestehen in Motetten, Litaneien u. s. w.
Giovanni Andrea Dragoni, geboren zu Meldola im
Kirchenstaat gegen 1540, von 1576 bis zu seinem 1598 er-
folgten Tode Beneficiat und Kapellmeister zu S. Giovanni im
Lateran.
Giovanelli Rugiero, gegen 1560 zu Velletri geboren,
1587 Kapellmeister an der Kirche San Luigi de Francesi,
später an jener des CoUegium germanicum in Rom, und nach
dem Tode Palestrina's, dessen Nachfolger an der Peterskirche ;
sein Todesjahr ist unbekannt. Er schrieb 5 — 8stimmige Mo-
tetten, Messen und Psalmen.
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— 119 -
Francesco Soriano, zu Rom 1549 geboren, erhielt
1587 die Kapellmeisterstelle an S. Maria Maggiore, welche
er 1589 mit der zu S. Luigi vertauschte; im Jahr 1599 er-
hielt er die gleiche Stellung an der Laterankirche und 1603 an
der Kapelle des Vaticans; er starb 1620. Unter seinen Wer-
ken — 4-, 5- und 6stimmige Messen, Magnificats u. s. w. —
soll sich auch eine vierstimmige Passionsmusik befinden, welche
jedoch wie die oben angeführte von Vittoria nicht im drama-
tischen Stil und Ton der spätem protestantischen Passionen
gehalten, sondern nur für den liturgischen Gebrauch in der
Charwoche bestimmt war.
Vincenzo ügolino, zu Perugio in der Mitte des
16. Jahrhunderts geboren, war 1603 Kapellmeister an Maria
Maggiore zuEom, 1615 an S. Luigi, 1620 an der Kapelle des
Vaticans; er starb 1626. Ausser 8- und 12stimmigen Motetten,
12stimmigen Psalmen, «oll er auch 1 — 4stimmige Motetten mit
BasBO continuo (siehe unten) geschrieben haben.
Einer der bedeutendsten Schüler der römischen Schule ist
Gregorio Allegri, ein Nachkonmie des berühmten
Malers Antonio Allegri, in Rom 1586 geboren. Von seinen
äussern Lebensumständen ist nichts Zuverlässiges bekannt, als
dass er ein Tröster und Wohlthäter der Armen und Ge-
fangenen war; er starb als Sänger der päbstlichen Kapelle
den 18. Februar 1652.
Seine Berühmtheit verdankt er seinem grossen Miserere,
welches heute noch in der Charwoche in der Sixtinischen
Kapelle zu Rom aufgeführt wird. Li dieser Composition,
welcher der 51. Psalm zu Grunde liegt, wechselt ein
fünf-, ein vierstimmiger, sowie ein in Octaven unisono
auf denselben Ton gleichsam psalmodirender Chor ab, gegen
Schluss vereinigen sich beide Chöre. Ueber dieses durch die
Tradition berühmt gewordene Miserere ^) spricht sich Mendels-
sohn ^) in folgender Weise aus:
1) Auf Abnahme einer Copie desselben stand der Kirchenbann ; nach-
dem Jedoch Mozart das Miserere nach zweimaligem Anhören mit Hülfe seines
riesigen Gedächtnisses aufgeschrieben hatte und dasselbe 1771 in London im
Druck erschien, wurde das Verbot werthlos und Clemens XIII, soll 1773 dem
König von England mit einer Abschrift des Originals ein Greschenk gemacht haben.
2) Mendelssohn: Keisebriefe Band I. 8. Auflage 8. 144.
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— 120 -
^Die Folge des Miserere ist eine einfache Akkordfolge,
auf die entweder Tradition, oder, was mir wahrscheinliclier
ist, ein geschickter Maestro, Verzierungen für einige schöne
Stimmen ^) und namentlich für einen hohen Sopran , den er
hatte, gegründet hat; diese Verzierungen kehren bei denselben
Akkorden in gleicher Weise wieder, und da sie gut ausge-
dacht und sehr schön für die Stimmen gelegt sind, so freut
man sich immer, sie wieder zu hören. Das Unbegreifliche,
üeberirdische habe ich nicht finden können ; es ist mir auch
ganz genug, wenn es begreiflich und irdisch schön ist.*
Zahlreiche Psalmen, Motetten, Messen, Concerti (siehe
unten), Improperien, Lamentationen u. s. w. rühren von ihm
her. Ueber letztere urtheilt Ambros *), dass mit den Lamen-
tationen von Palestrina zusammengehalten, sie mehr als irgend
ein anderes Werk Aehnlichkeit und Unterschied beider Meister
erkennen lassen. j,Die reine, keusche Hoheit des wie in Licht
getauchten Stiles, die Factur, die überall aufs Einfach-Grosse
geht, oder vielmehr deren technisch vollendete Durchbildung
sich hinter anscheinend einfachen Formen birgt, der edle Aus-
druck, die massvolle Schönheit, Haltung, Form und Färbung
des Ganzen geben die Aehnlichkeit. Aber durch alle Zucht
und Strenge klingen jene schärferen Accente der Empfindung
durch, welche andeuten, die Musik befinde sich auf dem Wege
vom Objectiv-gottesdienstlichen gegen den Ausdruck subjectiver
Empfindung. AUegri lässt dissonirende Vorhalte herber und
öfter verklingen als Palestrina, jenen musikalischen Schmerzens«
schrei, dessen früheste Anwendung allerdings schon auf Josquin
zurückdatirt werden muss, von dem aber erst jene spätere
Zeit des stark betonten, in den bildenden Künsten sogar bis
zum Masslosen souverän gewordenen Affectes auch in der
Musik öfter und absichtlicher Gebrauch zu machen anfing,
wie er denn insbesondere für die damals emporblühende drama-
tische Musik ein kostbarer Fund war. Auch die strenge Dia-
1) Nach der Versicherung Baini^s hat ein Originalmanuscript niemals
existirt, sondern nur eine Bassstimme von 18 — 20 Takten und alles Andere
soll erst mit der Zeit im Vortrag der Sftnger ^urch Tradition sich gestaltet
und gehildet hahen.
2) Ambros IV S. 91.
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— 121 —
tonik erhält durch modulatorische Wendungen, welche durch
chromatische Schritte motivirt sind, eine besondere Färbung.*
Wir nennen noch
Luca Marenzio, geboren in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts; starb als Mitglied der päbstlichen Kapelle
den 22. August 1599; Antonio Cifra, Francesco Valen-
tini, Francesco Foggia, Giuseppe Pitoni u. s. w.
Unter denjenigen Ausläufern der römischen Schule, welche
sich im mehrchörigen Satze auszeichneten — Palestrina ist
nie über 3 Chöre und 12 Stimmen hinausgegangen — dabei
aber oft in das Ungeheuerliche verfielen, da die Stimmen-
häufung nachgerade zur Manier wurde, sind zu nennen :
Antonio Maria Abbatini, 1595 in Tiferno geboren,
welcher Kapellmeister an verschiedenen Kirchen Rom's war
und 1677 starb. Er componirte Messen, Motetten und Psal-
men zu 4, 16, 32 und 48 Stimmen, Antiphone für 12 Soprane
und 12 Alt, auch solche für 12 Tenöre und 12 Bässe. Ebenso
Paolo Agostini 1593 — 1629, Dbmenico Allegri,
weiter
OrazioBenevoli, ein natürlicher Sohn des Herzogs
Albert von Lothringen und Schüler Ugolini's oder des Jüngern
Nanini. Derselbe war von 1650 bis zu seinem 1672 erfolgten
Tode Kapellmeister an S. Peter in Rom. Er war ein Meister
des vielchörigen Satzes; mit 16 Stimmen zu schreiben war für
ihn beinahe schon der j, familiäre^ Stil, er hat eine ganze Zahl
solcher Messen, sogar 24stimmige componirt. 35 An die Stelle
der einzelnen Stimme, Discant, Alt u. s. w. tritt hier ein ganzer
selbst wieder aus Discant, Alt, Tenor und Bass gegliederter
Chor — eine sechschörige Messe ist gleichsam eine sechs-
stimmige Messe , aber mit in ganze Chöre zerlegten einzelnen
Stimmen, oder, wenn man will, umgekehrt mit zu einzelnen Stim-
men zusammengefassten Chören. Die fugirten Eintritte, sonst
den Einzelstimmen zugetheilt, erfolgen hier, ganz folgerichtiger
Weise, in ganzen Chören, d. h. es tritt immer ein ganzer Chor
zugleich mit allen vier Stimmen ein, das Motiv und die har-
monische Combination des früher in ähnlicher Weise einge-
tretenen Chores nachahmend. Dieses hindert selbstverständ-
lich nicht, an andern Stellen dem einzeln Chore mit seinen vier
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— 122 —
Stimmen^ Fugeneintritte der altern einfachen Art zuzutheilen^
oder statt vier Stimmen acht und noch mehr einzelne Stimmen
mit imitatorischen Eintritten nacheinander einzuführen. Da nun
aber ein stetes Durcheinanderarbeiten und Durchkreuzen aller
oder doch sehr vieler Stimmen bald den Zuhörer verwirren oder
ermüden mtisste, so wird fftr lichtere, durchsichtigere Stellen
gesorgt, sei es, dass einen Satz nur ein Chor solo singt, im
nächsten Satze dann erst ein zweiter, ein dritter u. s. w. hinzu-
tritt, und so Steigerung und Milderung der Tonstärke in mannig-
fachsten Combinationen wechselt, sei es, dass der eine Chor in
langen Noten, in piano ausgehaltenen Akkorden, in einer Art
choralmässiger Harmonie gleichsam den einfarbigen Hintergrund
bildet, auf welchen ein zweiter Chor ein feines, melodisch
figurirendes Stimmengewebe aufsetzt, sei es, dass die Chöre in
Zurufen, in Bede und Gegenrede wechseln, dann wieder voll-
kräftig zusammentreten und mit ihren Tonmassen nach jenen
lichteren, milderen Stellen durch imposante Kraftentwicklung
erschüttern* i).
Benevoli dehnte übrigens die Vielstimmigkeit und die
Mehrchörigkeit zu einem Grade aus, wo die Kunst aufhört
Kunst zu sein, und spielende Künstelei beginnt. So schrieb
er Stücke fiir 12 Soprane, ein fugirtes Kyrie zu 16 Stimmen
u. 8. w. sowie eine Messe, deren Partitur aus 54 Noten-
systemen besteht und welche Ambros ein Glanzstück Bene-
voli'scher Zukunftsmusik nennt, wo in den Sturm der Men-
schenstimmen es geigt und paukt, flötet und trompetet, und
zwei Orgeln brausen.
Solche Ausschreitungen sind immer ein Symptom des
Verfalls und Ambros sagt mit Eecht, dass nicht dasjenige
Kunstwerk am höchsten zu stellen ist, welches den grössten
Luxus verschwenderisch entwickelt, oder die virtuosenhafte
Geschicklichkeit des Künstlers zur Hauptsache macht, sondern
dasjenige, welches seine Idee am reinsten und klarsten mit
den allein angemessenen Mitteln ausspricht.
Von den Meistern, welche sich im vielstimmigen und
mehrchörigen Satz auszeichneten, erwähnen wir noch:
1) Ambros IV.
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— 123 —
Giuseppe Ercole Bernabei^ Schüler Benevoli's,
1620-^1687 sowie AgostinoSteffani 1655-1730. Eines
seiner schönsten Werke ist sein grosses Stabat mater für
6 Stimmen, 2 Violinen, 3 Violen, Violoncell und Orgel ^).
Nachdem die musikalischen Formen, die melodischen,
harmonischen und contrapunktischen Gesetze, wie wir in Kürze
weiter oben gesehen, bis zu einem gewissen Grad ausgebildet
worden waren, musste der innere Entwicklungsgang der Kunst
nothwendigerweise dahin führen, neue, aus der Kunst selbst
herauswachsende, durch sie organisch bedingte Momente auf-
zusuchen, vermöge deren eine weitere musikalische Steigerung
ermöglicht werden könnte. Wie nun die Erzeugnisse einer
jeden Kunst einem innem, seelischen Trieb des Menschen
ihren Ursprung verdanken, und die Hauptaufgabe namentlich
der Tonkunst es ist, das den Menschen innerlich Bewegende
auszusprechen, so mussten, nachdem die formalen Elemente
einen gewissen Entwicklungsgrad erreicht, die Kunst des
Tonsatzes ausgebildet war, neue Kunstmittel und Darstellungs-
formen gefunden werden, um dem Worte einen intensiveren
Ausdruck verleihen zu können, der reichen Scala der ver-
schiedenen Gemüthsbewegungen zu ermöglichen, sich in Tönen
gleichsam abzuspiegeln.
Fanden wir nun schon in den Werken der letzten grossen
niederländischen Meister, noch mehr in den Erzeugnissen der
Tonsetzer der venezianischen und römischen Schule das Be-
streben, die musikalische Form durch die Idee zu beleben
und zu durchgeistigen, so führte die gegen Ende des 16.
Jahrhunderts sich erhebende und zum Theil berechtigte Op-
position — wenn sie auch durch die vollständige Verwerfung
des durch Jahrhunderte lange rastlose geistige Arbeit Er-
rungenen in das Masslose sich steigerte — gegen den Contra-
punkt mit seinen künstlichen Stimmverflechtungen und sonstigen
schon oben berührten Ausartungen, welche einen musikalischen
Wortausdruck nicht aufkommen, die einzelnen Stimmen nicht
zur Geltung gelangen, die Textesworte unverständlich erscheinen
1) Näheres über diesen Meister bei Gbrysander: F. G. Händel £
313—353.
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— 124 —
lassen^ wie überhaupt durch die contrapunktische BehandluDgs-
weise der richtige Accent verloren gehe und die Rhythmik auf-
gelöst werde, zur weitern inneren Entfaltung des Tonlebens.
Der Hauptsitz jener, von welchen die Reaction gegen den
Contrapunkt ausging und deren Bestreben darauf gerichtet war,
eine Gesangsweise herzustellen, welche einen grössern musikal-
ischen Ausdruck, eine ausgesprochenere Rhythmik sowie ein bes-
seres Verstehen und Erfassen der Textesworte ermöglichen dürfte,
war Florenz, woselbst sich ein Verein feingebildeter Männer
bildete, welche unter dem Eindrucke der durch die Erfindung
der Buchdruckerkunst Jedermann zugänglich gewordenen Werke
des klassischen Alterthums , namentlich Plato's und Aristoteles,
für die Wiederbelebung des Musikdramas im antiken Sinne,
eine innigere Verbindung von Musik und Poesie wie flir
die Reform des Gesanges eifrig bemüht waren. Zu diesen
Männern, welche sich zuerst in dem Hause des Giovanni
Bardi und nach dessen 1592 erfolgter Berufung an den
Hof Clemens VHl. als maestro de camera bei Jacob Corsi
sich vereinigten, gehörten u. A. Vincenzo Galilei (Vater
des berühmten Astronomen), Pietro Strozzi, Giacomo
Corsi, Emilio del Cavaliei^e, Giulio Caccini,
J a c o p o P e r i. Ihre erhoffte Wiedergeburt der antiken Musik
war natürlich nur eine Chimäre, aber die Reformversuche
wurden der Ausgangspunkt einer ganz neuen Entwicklung
der Musik, durch welche sie in ganz ungeahnte Bahnen ge-
lenkt werden sollte. Und wiederum war es das Madrigal,
welches, — wie wir schon oben ausführten, im Gegensatz
zur Messe und Motette, welche an einen gegebenen Cantus
firmus gebunden waren, nach freier Erfindung componirt
wurde und eine ausdrucksvollere Behandlung der Textesworte
ermöglichte — den Anstoss zu' einer Weiterentwicklung der
Tonkunst gab, denn aus demselben entstand der Einzelgesang,
die sogenannte Monodie.
In Florenz war es nämlich üblich, die Oberstimme eines
vier oder noch mehr Stimmen enthaltenden Madrigals durch
einen Sänger vortragen, und die übrigen Stimmen durch In-
strumente wiedergeben zu lassen. Dies gab den Anstoss zur
Erfindung von eigentlichen Cantilenen mit einem bestimmten
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— 125 —
Ausdruck, Monodie im eigentlichen Sinne, welche aus dem
Contrapunkt herauswuchs, wie man, um ein Gleichniss von
Ambros anzuwenden, in alten Bilderbibeln aus der Seite des
schlafenden Adam die Gestalt Eva's herauswachsen sieht.
Vincenzo Galilei und Caccini waren die Ersten,
welche Gesänge für eine Stimme mit Begleitung eines In-
struments componirten; doch dürfte wohl Caccini — Galilei
war nur Dilettant — derjenige sein, welcher die Monodie ge-
schaffen. Rühmt er sich doch selbst in der Vorrede zu seinen
gesammelten Gesängen, welche im Jahr 1601 unter dem Titel :
jjLe nuove musiche* erschienen , Gesänge „d'una voce
sola sopra un semplice strumento^ zuerst erdacht zu haben ^).
jjDurch Caccini und dessen ,Nuove musiche* tritt der Sänger
zum erstenmale wirklich als Solist auf; er trägt vor, er de-
taillirt und nüancirt, sein Gesang ist nicht mehr herausgerissenes
Bruchstück eines eigentlich untrennbaren Ganzen, er ist selber
ein Ganzes, belebt von Ausdruck, von Empfindung — er
wird individuelle Gefühlssprache. Die Poesie, welche im Ge-
webe der Contrapunktik verschwunden war, tritt wieder her-
vor ; sie wird wahrnehmbar ; die Musik wird zwar zur Dienerin
der Poesie und muss sie schmücken, aber dafür erklärt das
wieder hör- und wahrnehmbar gewordene Wort der Poesie,
was die Musik in ihrer Weise ausdrücken will. Takt, Tempus
und Prolation hören auf, den Sänger in Banden zu halten;
sie ordnen und gmppiren wohl die Noten und regeln deren
Bewegung, aber statt der Hand des Taktschlägers folgen zu
müssen, darf jetzt der Sänger den Bewegungen seines er-
regten Gemüthes folgen; streng im Takte melodisch fort-
schreitender Gesang darf mit freiem Vortrag, mit beschleunig-
ter, mit zurückgehaltener Recitation wechseln* *).
Caccini theilte seinen ^Nuove musiche* in zwei Theile,
wovon der eine Madrigale und der andere Arien enthielt.
Letztere sind als die ersten schüchternen Versuche der Arien-
1) Siehe Kiesewetter: Schicksale und Beschaffenheit des weltlichen
Gesanges u. s. w. S. 25.
2) Ambros IV S. 179 und 180. Vergleiche auch die musikalischen
Beilagen 42, 43 und 44 bei Kiesewetter a. a. 0., aus welchen hervor-
geht, auf welch hoher Stufe der damalige Kunstgesang schon stand.
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— 126 —
form anzusehen; wie überhaupt durch die Monodie und die
damit verbundene ^ dem Sinn des Wortes Ausdruck gebende
Becitation der Keim zur spätem grossen Arie gejiegt wurde.
Aber nicht nur in der weltlichen Musik erfolgte die Reac-
tion gegen den Contrapunkt; sondern auch auf dem Gebiet
der kirchlichen Tonkunst ^).
Ludovico Viadana^ geboren zu Lodi im Mailändischen
gegen 1565 ') , über dessen Lebensumstände nichts Näheres
bekannt ist, als dass er, nachdem er verschiedene Kapell-
meisterstellen in Mantua^ in Fano im Herzogthum Urbino und
in Concordia im Venetianischen bekleidet; im Jahr 1644 zu
Mantua in hohem Alter noch lebtC; ist der Erste, welcher die
Monodie in die kirchliche Tonkunst einführte. Er componirte
Stücke für eine oder mehrere Solostimmen mit beigefügtem
Orgelbasse ; welche unter dem Titel: ^Cento concerti eccle-
siastici (geistliche ConcertC; soviel als religiöse Gesänge im
melodischen Stil) a una, a due, a tre e quattro voci; con il
basso continuo per sonar nelF organo^ 1602 erschienen. In
der Vorrede führt er die verschiedenen Gründe an, welche
ihn zu dieser Compositionsweise geführt. So hätten die Can-
toren, wenn sie zwei, drei oder auch eine Stimme zur Orgel
singen lassen wollten, sich genöthigt gesehen, aus einem vor-
handenen fünf, sechs, sieben oder noch mehrstimmigen Motett
zu solchem Zweck drei, zwei oder eine Stimme auszuwählen.
Nun standen aber diese Stimmen mit den übrigen durch
Nachahmungen, Umkehrungen u. s. w. im genauesten Zu-
sammenhang, und desshalb mussten derartige Auszüge und
herausgerissene Einzelstimmen, welche auf den Zusammen-
1) Das musikalische Drama, dessen Entwicklung hier zu verfolgen nicht
unsere Aufgabe ist und dessen Einfluss auf das geistliche Drama, das Ora-
torium, dem nächsten Abschnitt vorbehalten bleibt, trug auch wesentlich
zur Entwicklung der Instrumentalmusik bei. Zunächst bestand die Begleitung
aus einem Instrument. Peri's Eurydice war bei der ersten Aufführung von
Clavicembalo, Zither, Lyra und Laute begleitet. Bei Monteverde gesellen
sich zu den Saiteninstrumenten, — und zwar bedient er sich schon der Contra-
bässe, Celli, Bratschen und Geigen, — Flöten und Rohrwerke. In manchen
Tonsätzen treten die Streichinstrumente nicht mehr begleitend, sondern in
ziemlich selbständiger Weise auf.
2) F^tis Vm S. 334.
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— 127 —
hang des Ganzen berechnet sind^ in dem sie Bestandtheile
von Fugen, Cadenzen u. s. w. waren, eine schlechte Wirkung
machen und zwar um so mehr, als sie voll langer und wieder-
holter Pausen, ohne ordentliche Cadenzen, ohne angenehmen
Gesang, die Harmonie zerrissen u. s. w. ; lauter Momente,
welche eine solche Art des Gesanges höchst widerwärtig er-
scheinen Hessen und den Sängern selbst grosse Schwierigkeit
verursachten. Diese neue Compositionsgattung blieb länger in
Gebrauch, bis später die Motette eine ähnliche Gestalt erhielt
oder die geistliche Cantate an deren Stelle trat.
Eine wichtige Neuerung Viadana's war die Beifügung
eines obligaten Basses, eines sogenannten Basso continuo.
Man pflegte zwar schon lange vor Viadana, namentlich in
den Kapellen der Fürsten, die Singchöre mit der Orgel zu
begleiten; die Regeln der Begleitung waren jedoch die des
reinen Satzes ^). Der Organist war daher genöthigt, die ver-
schiedenen Singstimmen sich zusammen zu schreiben — in
Tabulatur ^) (auch Partitur genannt) bringen — welche keiner
weitern Ausfüllung und Vervollständigung bedurften, da sie
die vollständige Harmonie schon enthielten. Doch hatte man
der Orgel schon insofern eine gewisse Selbständigkeit zu geben
versucht, als man sie zur Unterstützung des Gesanges in ab-
weichender Weise führte, also nicht bloss die betreffenden
zusammengesetzten Singstimmen der Vocalwerke spielen liess,
so dass sie mit der Zeit nur den Grundbass mit den darauf er-
bauten Akkorden übernahm, welche durch gewisse Ziffern
xmd sonstige Signaturen angedeutet wurden; man bezeichnete
dies mit dem Namen Generalbass.
Viadana wendete nun dieses Verfahren auf den minder-
stimmigen und Einzelgesang an, indem sein Basso continuo
die harmonische Ausfüllung übernahm und den Singstimmen
gegenüber mit einer gewissen Selbständigkeit auftritt. „Die
Neuheit der Erfindung Viadana's liegt in der Art der Com-
1) Siehe hierüber: Allg. Mus. Zeitung 1831 Nro. 17.
2) Vergleiche den Aufsatz Kiesewetters: Die Tabnlaturen seit Ein-
führung des Figuralgesangs und Gontrapunkts in der Leipziger Allg. Mus.
Zeitg. 1831 Nr. 3.
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— 128 —
positioD; Melodien und Arien zu setzen^ ohne auf Vollständig-
keit der Harmonie in den Stimmen Kücksicht zu nehmen und
diese durch die Orgel zu vervollständigen" ^).
Der neue von Florenz ausgehende dramatische Stil übte
auf die Kirchenmusik und den Kirchengesang in Italien zu-
nächst keinen heilsamen und fördernden Einfluss aus. Es
wurde zum guten Ton, den Palestrinastil für eine Barbarei
zu erklären und den neuen Stil in die Kirche einzudrängen
und dieselbe zum Concertsaal zu erniedrigen. ,,An die Stelle
der hohen Gesänge Palestrina's traten bald vor Empfindung
schmelzende^ bald mit Brillantcoloratur überladene Arien —
bald Herzenskizel, bald Ohrenkizel — ein sehr zweifelhaftes
Appelliren an die höhere Natur des Menschen durch die Zwi-
Bchenstation der niedern sinnlichen hindurch" ^).
Namentlich in Bom, welches kaum einen Palestrina her-
vorgebracht, war die Kirchenmusik und der Kirchengesang
tief gesunken. Die Kirche war der Ort des Ohrenschmauses
und des Sinnenkizels geworden; die Sänger gaben förmliche
Concerte in der Kirche, und wenn es vollends eine Nonne
war, welche durch ihre Gesangskünste glänzte, so drängte
sich Alles hin. Mit der Entstehung der Monodie war näm-
lich auch die „musikalische Emancipation" des Weibes erfolgt.
Wir sahen schon oben, dass flir Sopran und Alt, Falsetisten
oder Singknaben benützt wurden; nun wurden auch Frauen-
stimmen herangezogen, welche nur in der päbstlichen Kapelle
nie Zutritt fanden. Dagegen trefi^en wir mit dem Anfang
des 17. Jahrhunderts die, ersten Castraten dort, welche wohl
auch früher schon in den fürstlichen Kapellen (siehe Seite 99)
unterhalten worden sein mögen.
Der weltlich dramatische Musikstil hatte unterdessen, na-
mentlich jdurch Monteverde und dessen Schüler Fran-
cesco Colleto, genannt Cavalli, bedeutende Fortschritte
gemacht und indem die neuen Kunstmittel und Formen durch
tüchtige Tonkünstler in ihren kirchlichen Werken angewandt
wurden, erhielten dieselben eine höhere Weihe.
1) Schlecht a. a. O. S. 127. Hieronymus Kapsberger war in Rom
1600 bis 1633 nach dieser Richtung hin ebenfalls thätig.
2) Ambros FV S. 310.
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- 129 ~
Zunächst ist zu nennen :
Giacomo Carissimi, gegen das Jahr 1604 zu Marino
bei Kom, woselbst er auch seine musikalische Ausbildung erhielt,
geboren. Erst zwanzig Jahre alt, erhielt er die Kapellmeister-
stelle zu Assisi, und nach seiner im Jahr 1628 erfolgten Rück-
kehr nach Rom diejenige an der mit dem Collegium germani-
cum verbundenen Apollinarikirche. In dieser Stellung verblieb
er bis zu seinem 1674 erfolgten Tode ^).
Carissimi's Hauptthätigkeit liegt auf dem Gebiet der Kam-
mercantate und des Oratoriums.
Verstand man unter Cantate — auch Odencantate genannt,
eine einfach vierstimmig durchcomponirte Ode — früher einen
kurzen lyrischen Erguss, so wendete Carissirai nun auf dieselbe
die neuen Formen der dramatischen Musik an, indem er sie mit
Recitativen, — welch' letztere er auch insofern weiterbildete,
als er dem Recitativ einen flüssigeren Gang verlieh und auf den
richtigen Accent mehr Sorgfalt verwendete — und ariosen En-
semblesätzen versah. Diese Form, welche die Bezeichnung
Cantate, Kammercantate, Cantata da camera erhielt und wie die
geistlichen Concerte in die Kirche eindrang, übte, wie auf das
ganze Kunstschaffen überhaupt, so namentlich auf die spätere
Gestaltung des Oratoriums, in welches wie in die Oper, die
Kammercantate sich mit der Zeit auflöste, einen wesentlichen
Einfluss aus, da die einzelnen Stimmen, wenn auch keine drama-
tischen Personen, doch bestimmte musikalische Charactere aus-
drückten. „Verzichtete die Cantate auf den grossen Bühnen-
effect, so begnügte sie sich darum doch nicht mit einer ge-
ringern Plastik der Tongestaltung und niederer Wahrheit des
Ausdrucks. Vielmehr musste sie in Form und Ausdruck nach
um so klarerer Anschaulichkeit und um so treffenderer Charak-
teristik streben, als ihr ja die sichtbare Bühnendarstellung nicht
zu Hülfe kam, sondern nur die Tonkunst allein es war, wo-
durch ein Bild von dem ganzen innern Hergang in der Seele
des Hörers erweckt werden sollte. Und erreichte sie die Oper
nicht nach Seiten der dramatischen Schlagkraft, so übertraf sie die-
selbe doch hinsichtlich der kunstmässigen Durchbildung, indem
1) F^tis II S. 189.
Sittard^ Compendium .
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. — 130 —
sie hier durch eine fein ausgeschliffene Melodik ^ Bedeutsamkeit
der Stimmenver webung, Keinheit des Stiles, sorgfältige Aus-
arbeitung der Form und schöne Eurythmie des ganzen Baues
zu ersetzen suchen musste, was ihr dort abgieng" ^).
Die Begleitung bestand bei Carissimi aus Bass und Clavi-
cembal; doch kamen, da die Gesangskunst durch den Einfluss
der Cantaten und geistlichen Concerte sich immer höher ent-
wickelte, die Bogeninstrumente immer mehr zur Anwendung,
zumal die Eeinheit der damaligen Blasinstrumente vieles i\x
wünschen übrig Hess.
Seine Werke, deren Zahl eine sehr grosse ist, bestehen
grösstentheils aus Oratorien, Cantaten, Kirchenconcerten, Messen,
Motetten, mit welch' letzteren er Instrumentalmusik verband
und in die Kirche einführte. Er schrieb auch eine zwölfstimmige
Messe über das Lied „omme arm^."
Die Tonsetzer des südlichen Italiens, welche hauptsächlich
den Cantaten- und Oratorienstil weiter ausbildeten, schlössen
sich zunächst im Kirchenstil der römischen Schule an, wenn
sich derselbe auch im Allgemeinen von dem ruhig ernsten
der römischen und dem sinnlich-prächtigen der venetianischen
Schule durch einen mehr heitern , lebensfrischen Charakter un-
terscheidet. Doch lässt sich nicht läugnen, dass die Meister der
neapolitanischen Schule zum Verfall der Kirchenmusik und des
Kirchengesangs in Italien wesentlich beigetragen haben. Wäh-
rend den Werken Scarlatti's der kirchliche Character durch den
Anschluss an die alte Hymnenweise noch gewahrt blieb , sehen
wir bei seinen Schülern die alten Formen durchbrochen. Die
Contrapunktik ist nur noch äusserlich, die neue Melodik domi-
nirend; die rein sinnliche Wirkung wurde immer mehr mass-
gebend, wozu der von der neapolitanischen Schule zu bedeuten-
der Höhe ausgebildete Kunstgesang, sowie das Kastratenthum ihr
Wesentliches beitrugen. Gründer der neapolitanischen Schule ist
Alessandro Scarlatti ^) 1649 (?) in Trapani auf Sicilien
geboren und 1725 zu Neapel gestorben. Seine nähern Lebens-
verhältnisse sind nicht bekannt. Seine ersten musikalischen
1) Üommer a. a. 0. S. 288.
2) Vater des berühmten Clavierspielers und Claviercomponisten Domenico
Soarlatti.
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— 131 ~
Studien soll er in Parma und später bei Carissimi in Rom ge-
macht haben. Im Jahr 1680 ward er Kapellmeister der Königin
Christine von Schweden, welche in Neapel ihren Aufenthalt ge-
nommen hatte, und nach deren 1688 erfolgtem Tode Kapell-
meister des Königs von Neapel; zugleich war er Lehrer der
Composition an den Conservatorien von S. Onofrio, dei Poveri di
Gesü Christo und Loretto. Er war zugleich einer der besten
Klavierspieler, Harfen virtuosen und Sänger seiner Zeit.
In seinen kirchlichen Tpnwerken ist der Einfluss Pale-
strina's und Carissimi^s nicht zu verkennen. Im Gegensatz zu
der florentinischen Schule , welche unter der Prädominanz der
Poesie stand und vorzugsweise die recitativische Form pflegte,
döminirt bei Scarlatti die Melodie, der Gesang. Er beherrschte
alle contrapunktischen Kunstmittel, — er schrieb unter Anderem
auch eine Missa quatuor vocum ad canoues — doch ist die
Polyphonie seiner Arbeiten von einem Blüthenkranze herrlich-
ster Melodik umgeben. Auch die Arienform bildete er weiter
aus, indem sie den nur recitativisch gehaltenen Cantilenen eines
Peri, Caccini und Monteverde gegenüber bereits die dreitheilige
Form aufweist: Hauptsatz, Mittelsatz und die Wiederholung
des Hauptsatzes, und dieselbe dadurch zu einer selbständigen
Kunstform erhob. Auch das Recitativ bildete er weiter aus,
indem er den grösstmöglichen Ausdruck zu erreichen suchte.
Scarlatti werden über 1000 Werke zugeschrieben; hierunter
200 Messen, gegen 400 Can taten, verschiedene Oratorien, viele
Psalmen und Hymnen, Motetten u. s. w. Unter seinen kirchlichen
Werken sind hervorzuheben die schon oben angeführte Missa
quatuor vocum ad canones col basso per organo, die zweichörige
zehnstimmige Pastoralmesse, sein Requiem für vier Stimmen
und Orgel und namentlich die doppelchörige Motette „Tu es
Petrus'^ mit Basso continuo und Orgel.
Viele seiner kirchlichen Tonschöpfungen sind mit Orchester-
begleitung versehen ; mit besonderer Vorliebe begünstigt er die
Streichinstrumente, welchen er den grössten Theil der instru-
mentalen Thätigkeit zuweist.
Einer der bedeutendsten Meister der neapolitanischen
Schule, zugleich Schüler Scarlatti's, ist
Francesco Durante, 1684 zu Frattamaggiore im
9*
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— 132 —
Königreich Neapel geboren. Er erhielt seine musikalische Er-
ziehung in den Conservatorien Neapels und wurde 1718
Kapellmeister an seiner ehemaligen Lehranstalt S. Onofrio
uiid im Jahr 1742 Nachfolger Porpora's am Conservatorium
Santa Maria di Loretto; in dieser Stellung starb er den
13. August 1755. Er schrieb ausschhesslich für die Kirche
(wenige Stücke für Kammermusik abgerechnet); er kann je-
doch, was Erfindungskraft betrifft, mit Scarlatti nicht wett-
eifern, im Ganzen zeichnet sich sein vielstimmiger Satz durch
Vollklang, Sangbarkeit und eine gewisse feierliche Er-
habenheit aus. Ausser im a capella Stil gehaltenen Werken
schrieb er auch solche mit Orchesterbegleitung und wusste
hier durch Zuziehung von Blasinstrumenten wie Oboen, Flöten,
Fagotte, Hörner und Trompeten, ein wirksames Ensemble her-
zustellen. Ein starker Zug zum Weltlichen lässt sich übri-
gens manchen seiner Compositionen nicRt absprechen, obwohl
deren Stil im Vergleich zu jenem seiner Nachfolger immer-
hin noch ein ernster und würdiger zu nennen ist.
Von seinen Werken heben wir ausser zahlreichen 4 — 8-
stimmigen Messen, Hymnen und Psalmen, sein vierstimmiges
Magnificat in D, sowie die von Violinen, Violen und Hörnern
begleiteten Lamentationen hervor. Vielfach gesungen wird sein
„Misericordias Domini."
Leonardo Leo, 1694 im Neapolitanischen geboren,
erhielt seine musikalische Erziehung zu Neapel und setzte
seine Studien in Eom unter Pitoni fort. Nach Neapel zurück-
gekehrt, wurde er zweiter Kapellmeister am Conservatorium
de la pietä de' Turchini, seiner ehemaligen Lehranstalt und
1717 an der Kirche Santa Maria della Solitaria; er starb 1746.
Von seinen für die Kirche und meistens mit Orchesterbe-
gleitung geschriebenen Werken nennen wir sein achtstimmiges
Miserere a capella, ein Tedeum mit Orchester, ein Ave Maria
für Sopran, Streichinstrumente und Orgel; ausserdem schrieb
er noch Messen, Cantaten, Lamentationen, Oratorien u. s. w.
Francesco Feo, ebenfalls zu Neapel im Jahr 1699 ge-
boren, wurde 1740 Vprsteher an der von seinem Lehrer Domenico
Gizzi gestifteten berühmten Gesangschule zu Neapel, in welcher
Stellung er bis zu seinem 1752 erfolgten Tode blieb. Für
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- 133 —
die Kirche schrieb er mehrere Messen (darunter eine zehnstimmige
mit Orchesterbegleitang); verschiedene Psalmen, Litaneien u. s. w.
Zu erwähnen sind noch :
Gaetano Greco 1680 — ?. Emanuele Astorga 1681
auf der Insel Sicilien geboren, genoss seine musikalische Er-
ziehung im Kloster Astorga im Königreich Leon und starb nach
einem wechselvollen Leben in einem Kloster zu Prag am 21.
August 1736; sein Hauptwerk ist das berühmte jedoch über-
schätzte Stabat mater.
Giovanni Battista Pergolese 1710 — 1737. Er
schrieb verschiedene Messen, darunter eine zehnstimmige für
zwei Chöre, Cantaten, Miserere u. s. w. ; sein bekanntestes Werk
ist das für zwei Frauenstimmen mit zwei Violinen, Bratsche,
Bass und Orgel gesetzte Stabat mater.
Nicolo Jomelli 1714— 1774 u. A.
Wenden wir uns noch in Kürze zur sogenannten Jüngern
veuetianischen Schule.
Dieselbe zeichnet sich im Gegensatz zur neapolitanischen
Schule durch eine grössere Innerlichkeit aus, ihr Bestreben ist
mehr auf Vertiefung des musikalischen Gedankens, auf präg-
nante Characteristik gerichtet. Während aber die Altvenetianer
mit grossen, geschlossenen Harmoniemassen operirten, lösen die
Jüngern Meister dieselben in freier Gestaltung auf, die Stimmen
erhalten freiere und ungezwungenere melodische Bewegung
und der fugirte Stil war von entscheidendem Einfluss auf den
Character der Werke der Jüngern veuetianischen Schule.
Zunächst anzuführen ist
GiovanniLegrenzi, Lehrer Lotti^s, 1625 zu Clusone
bei Bergamo geboren. In letzterem Orte machte er seine
musikalischen Studien und versa)i dortselbst eine Zeit lang
die Organistenstelle an der Kirche Santa Maria magglore ; im
Jahr 1664 ging er nach Venedig, woselbst er 1672 Director des
Conservatoriums dei mendicanti und 1685 Kapellmeister an der
Markuskirche wurde. Er starb 1690.
Verdienste erwarb er sich durch Ausbildung des Recitativ's,
wie er auch bemüht war, die Melodie freier zu gestalten; ebenso
bildete er die Instrumentalmusik weiter aus, indem er zu den
Gesangstimmen concertirende Instrumente einführte. Das Or-
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— 134 —
ehester der Kapelle der Markuskirche, welches durch ihn eine
Reorganisation erfuhr, bestand aus 34 Instrumenten, nämlich
8 Geigen, 11 kleinen Geigen, 2 Bratschen (Viole da braccio),
3 Violen da gamba (Celli), 4 Theorben (eine Art Laute), 2 Cor-
netten, 1 Fagott und 3 Posaunen.
Sein bedeutendster Schüler ist
Antonio Lotti, gegen 1667 in Hannover geboren, wo-
selbst sein Vater (ein geborner Venetianer) Kapellmeister am
churfürstlichen Hofe war. Zuerst einfacher Chorsänger in der
Markuskirche, wurde er im Jahr 1692 Organist an der zweiten
und 1704 an der ersten Orgel dortselbst. Im Jahr 1736, nach-
dem er inzwischen einige Jahre in Dresden als Leiter der
dortigen Oper zugebracht, wurde er zum Kapellmeister an
S. Marco ernannt und starb den 5. Januar 1740.
Seine kirchlichen Werke zeichnen sich durch eine oft
grossartige Dramatik, Wahrheit und Lebendigkeit des Aus-
drucks und tiefe Empfindung aus. An einen gegebenen Cantus
firmus band er sich nicht mehr, sondern ersetzte denselben
durch selbst erfundene Thema's. Die Behandlung der Stimmen
ist frei imitirender Art. Wir heben hervor sein vierstimmiges
Benedictus und Miserere, beide im a capella Stil, und das acht-
stimmige Crucifixus in C moll, eine tief ergreifende Composition.
Ausserdem schrieb er drei-, vier- und noch mehrstimmige Messen,
Salve regina's, Magnificat u. s. w. ^).
Antonio Caldara, 1678 zu Venedig geboren und eben-
falls Schtiler-Legrenzi's. Im Jahr 1714 Kapellmeister am Hofe
vonMantua, erhielt er 1718 einen Ruf als Vice-Hofkapellmeister
nach Wien, in welcher Stellung er bis 1738 verblieb, um dann
nach Venedig zurückzukehren, woselbst er 1763 starb. Unter
seinen aus vier- und fiinfstimmigen Messen mit Orchesterbe-
gleitung, zwei- und dreistimmigen Motetten, Psalmen, Hymnen,
verschiedenen Oratorien u. s. w. bestehenden Werken ist ein
16stimmiges Crucifixus besonders hervorzuheben.
BenedettoMarcello ist zu Venedig am 24. Juli 1686
geboren und 1739, nachdem er verschiedene Staatsämter be-
1) Schlesinger hat von demselben ein zehnstimmiges Crucifixus und ein
vierstimmiges Sanctus Dominus herausgegeben.
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— 135 -
kleidet , als Schatzmeister zu Brescia gestorben. Seinen fünfzig
1-, 2-, 3- und 48timmigen Psalmen mit beziffertem Bass für Orgel
oder Klavierbegleitung verdankt er hauptsächlich seine Be-
rühmtheit, jedoch mit Unrecht; da wir in das Lob, welches den-
selben heute noch gespendet wird, nicht einstimmen können, da
auch sie wie seine sonstigen Werke den Dilettanten nicht ver-
läugnen. Dann fehlt es seinen Compositionen an tieferem Ge-
halt, wenn ihnen auch eine gewisse einschmeichelnde Melodik
nicht abgesprochen werden kann.
Unter seinen Nachfolgern macht sich bereits der neapoli-
tanische Einfluss stark geltend, das Virtuosen thum und das
Theater halten ihren Einzug in die Kirche, der a capella Stil
verschwindet immer mehr und die Messen, Cantaten und
Hymnen, welche fortan ertönen, tragen fast durchgängig den
Stempel des Profanen. Der Chorgesang ist Nebensache ; statt
dessen dominiren die süss-weichlichen von Castraten und Prima-
donnen gesungenen Melodien der Arien und Duette mit ihren
Coloraturen und Schnörkeln, Das 19. Jahrhundert hat hierin
keine Aenderung und Besserung gebracht, und die Kirchen-
musik in Italien liegt mehr denn je Im Argen, und auch die kirch-
lichen Tonwerke eines Rossini, Verdi u. A. tragen den Character
des Opernhaften. Der einzig nennenswerthe italienische Kirchen-
componist dieses Jahrhunderts, welcher übrigens den grössten
Theil seines Lebens in Frankreich zubrachte, ist
Luigi CheruVini, am 14. September 1760 zu Florenz
geboren, 1842 als Director des Pariser Conservatoriums ge-
storben. In seinen kirchlichen Tonschöpfungen nahm er sich
die alten Meister zum Vorbilde und bekundet ein tiefes Stu-
dium und Verständniss derselben; und wenn auch nicht alle
seine Werke dem entsprechen, was wir unter kirchlicher Musik
verstehen, so sind sein Requiem in C möU sowie das grosse dop-
pelchörige Credo im a capella Stil, Werke von bleibendem Werth.
Ein Beispiel davon, in welchem Zustand die Kirchenmusik
in Italien Anfang dieses Jahrhunderts sich befand — und heute
ist es auch noch nicht viel besser — gibt Kandier ^). Derselbe
berichtet, dass er in Venedig, Mailand, Neapel, selbst in Eom so
viele Opern- und Balletmusik in den Kirchen und gerade bei dem
1) Kandier a. a. O. S. 35.
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— 136 —
wichtigsten Theil des Gottesdienstes, der Messe, habe ver-
nehmen müssen, dass es ihm für die Zukunft schlechterdings un-
möglich erscheine , gegen diesen Unfug mit Nachdruck irgend
etwas unternehmen zu können. So hörte Kandier im Jahr 1822
in einer der ersten Kirchen Roms, alsPius VII. dortselbst einen
feierlichen Einzug hielt, ßossini's Ouvertüre zur diebischen
Elster vom Organisten, darauf aber eine achtstimmige Messe
von Ottavio Pitoni. Als er dem Kapellmeister Fioravanti für
die schöne Messe dankte, hinsichtlich der Ouvertüre jedoch
bemerkte, dass im schlechtesten Dorfe Deutschlands ein solcher
Scandal nicht zu finden sei, wie er in Eom in Gegenwart des
Pabstes und seiner Cardinäle ungeahndet stattfinde, antwortete
ihm derselbe, dass er diese Musik auch nicht billige, aber die
Cardinäle liebten sie und da helfe keine Opposition.
Der Einfluss Italiens auf die katholische Kirchenmusik
Deutschlands, namentlich Süddeutschlands und Oesterreichs
— die norddeutsche protestantische Kirchenmusik stand auf
selbständigen Füssen — machte sich auch bald merkbar. Die
handwerksmässige Schablone und das rein sinnliche Element
drangen immer mehr ein, ebenso der Kunstgesang. Die kirch-
lichen Tonwerke wurden nicht mehr in Eücksicht auf den
heiligen Ort, sondern für die kunstfertigen Kehlen der Sänger
und Sängerinnen geschrieben. Hiezu kam noch der Umstand,
däss im vorigen und noch zu Anfang dieses Jahrhunderts die
Organisten und Chorregenten nicht nur 'die Kirchenmusik zu
dirigiren hatten, sondern auch, um nicht an Achtung einzu-
büssen, gleichsam verpflichtet waren, die für den Gottesdienst
nöthige Kirchenmusik zu componiren, wenigstens einmal im JalÄ*
eine kirchliche Comgosition zu liefern und so wurden die
Werke Legion, auf welche die Bezeichnung ^Fabrikat" die
allein zutreffende sein dürfte.
Auch dem grössten Theil der kirchlichen Compositlonen
eines Josef Haydn ^) — und davon machen seine ^Sieben
1) Haydn schrieb die erste deutsche Messe („Hier liegt vor deiner
Majestät*^), auf welche eine ganze Legion von Gesangbüchern und deutschen
Messen mit und ohne kirchliche Approbation erschien, darunter Mach-
werke in Dichtung und Musik, deren Aufführung in der Kirche eine wahre
Entwürdigung des Heiligthums wäre. (Schlecht S. 61.)
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— 137 —
Worte* keine Ausnahme — und . Mozart's — sein Requiem
nicht ausgenommen — kann, wenn auch der Geist des Genius,
namentlich bei letzterem, sich auch in diesen Werken nicht
verläugnet, streng kirchlicher Character nicht zugesprochen
werden; sie sind meistens in der damals üblichen Schablone
gehalten und tragen mehr den galanten Stil der damaligen
weltlichen Musik. Auch Schubert hat in seinen Messen die
Form festgehalten, wie sie durch die neapolitanische Schule
ausgebildet und von Haydn und Mozart beibehalten worden
war, wenn auch seine ausgeprägte Individualität, eine Em-
pfindung bis in die äussersten Consequenzen zu verfolgen, sich
,auch hier nicht verläugnet; namentlich seine As Dur Messe
ist reich an grossen Schönheiten, aber streng kirclilicher Cha-
rakter kann derselben nicht zugesprochen werden.
Eine Ausnahme macht Michael Haydn, der jüngere
Bruder Josef Haydn's, 14. September 1737 in Eohrau ge-
boren. Im Jahr 1745 trat er als Chorknabe in das Kapell-
haus zu St. Stephan und erhielt seinen ersten musikalischen
Unterricht von seinem Bruder. Nach der Mutation seiner
Stimme trat er im Jahr 1755 aus dem Kapellhaus aus und
lebte von Unterrichtsstunden bis er 1757 als Kapellmeister
des Bischofs nach Grosswardein in Ungarn berufen wurde;
1762 kam er als Orchesterdirector nach Salzburg und erhielt
später vom Staat den Titel Concertmeister und Domorganist;
er starb den 10. August 1806. Seine Werke umfassen Offer-
torien, Messen, Gradualien u. s. w., und zeichnen sich durch
ihren edlen kirchlichen Stil und musikalischen Gehalt aus.
Schlecht^) gibt folgendes drastische, jedoch richtige
Bild der katholischen Kirchenmusik Ende des 18. und Anfang
des 19. Jahrhunderts: „Ein etwas religiöses Kyrie mit unter-
mischten Soli's und einigen durch Violinsägerei , Trompeten
und Pauken erzeugten Kraftstellen. Ein Gloria, bei dessen
Anfangsworten alles, was klingt und singt und trommelt und
pfeift, fortissime in Thätigkeit gesetzt wird, um von dieser
Höhe des Tones und Lärmen s bei et in terra pax in die
tiefsten Töne herabzufallen. Das Domine gibt gewiss zu einem
schmachtenden Solo Veranlassung, während statt der Fuge
1) Schlecht a. a. O. S. 146.
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— 138 —
aus guten Gründen der anfängliche HöUenspectakel den Schluss
bildet. Am geistlichsten fällt in der Regel das Credo aus,
und es wäre ein trostloses Feld, wenn nicht das Et incarnatus
est zu einem Solo oder Eeligioso, das Passus zu schmerzver-
kündenden Dissonanzen, das Sepultus zu schauerlichen Grab-
tönen Gelegenheiten böten, bis im Et resurrexit alle Instru-
mente zum grösstmöglichen Spectakel zusammen arbeiten , um
wo möglich den in den höchsten Tönen schreienden Stimmen
den Vorrang abzugewinnen; diesem folgen einige wässerige
Stellen, bis das Et vitam nochmals zum würdigen Schlüsse
mit oder ohne Fuge alles zur höchsten Thätigkeit und Lärm-
machen vereint. Das Sanctus erhält einen Anstrich von Gross-
artigkeit, bei dem Trompeten und Pauken Licht und Schatten
geben müssen, die aber im Pleni erst wieder ihre ganze Stärke
zeigen dürfen; das Benedictus ist in der Regel Solo, ebenso
darf das Agnus nicht ganz ohne solches vorüber gehen; das
Dona wird nun entweder und zwar in den gewöhnlichen Fällen
glanzvoller Schluss, oder es muss nach Anschauung Anderer
im ppp ersterben. *
Auch Luft ^) tadelt den üppigen und leichtfertigen Stil
der neuern kirchlichen Compositionen, welche in beständigem
Wechsel von einem Extrem zum andern springen und aller
Ruhe und Würde, alles heiligen Ernsts ermangeln.
Es fehlte jedoch in Deutschland auch nicht an Männern,
welche bestrebt waren und noch sind, die dem gänzlichen Ver-
fall nahegekommene katholische Kirchenmusik, durch Zurück-
gehen auf die alten Meister und deren Werke, neu zu be-
leben und zu kräftigen. Unter diesen sind hervorzuheben:
Kaspar Ett, 5. Januar 1788 zu Erling in Baiern ge-
boren. Er machte seine ersten musikalischen Studien in der Bene-
dictinerabtei Andochs, in welche er als Chorsänger, neun Jahre
alt, trat. Später kam er in das ch urfürstliche Seminar zu
München und wurde 181 G als Organist an der Hofkirche
St. Michael dortselbst angestellt, in welcher Stellung er bis
zu seinem am 16. Mai 1847 erfolgten Tode verblieb. Auch
als Tonsetzer strebte er nach dem Höchsten und Besten.
Joh. Kaspar Aiblinger 1788—1867.
1) Luft a. a. 0. II S. 248.
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— 139 —
Karl Proske, welcher sich besonders durch seine
Musica divina, ein Sammelwerk, welches wahre Perlen unse-
rer klassischen Meister enthält, sowie durch sonstige Samm-
lungen älterer Werke, grosse Verdienste erworben hat, ist
am 11. Februar 1794 zu Gröbning in Oberschlesien geboren.
Ursprünglich Mediciner trat er am 11. April 1826 zu Regens-
burg in den geistlichen Stand, wurde 1827 Chorvicar bei der
alten Kapelle und 1830 Canonicus und Domkapellmeister dort-
selbst. Er starb am 20. Dezember 1861.
Joh. Georg Mettenleiter, geboren 6. April 1812,
Chorregent und Organist an der Stiftskirche in Regensburg,
starb 6. October 1858.
Dominions Mettenleiter, der jüngere Bruder des
Vorigen 1822—1868.
Franz Witt, geboren 9. Februar 1834 zu Walderbach
in Baiern, bekleidete nach einander die Kapellmeister stellen
in Regensburg und Eichstädt und lebt seit 1873 in Passau.
Ein Hauptverdienst erwarb er sich durch die Gründung des
j^AUgemeinen deutschen Cäcilienvereins^ zur Hebung des
Kirchengesangs wie durch seine beiden Zeitschriften für katho-
lische Kirchenmusik: ^Fliegende Blätter*' und ^Musica sacra.^
Was den Zustand der französischen Kirchenmusik be-
trifft, so lässt derselbe ebenfalls Vieles zu wünschen übrig
und ist in mancher Beziehung nicht besser als jener in
Italien. Doch fehlt es auch hier nicht an Solchen, deren
ernstliches Bestreben darauf gerichtet ist, eine Reform de»
Kirchengesangs und der Kirchenmusik herbeizuführen. Wir
nennen u. A.
Charles Joseph Vervoitte, 1822 zu Aire im De-
partement Pas-de-Calais geboren, seit 1859 Kapellmeister an der
Pariser Kirche St. Roch und seit 1862 Direktor und Präsident
der ^Soci^td acad^mique de musique religieuse et classique.^
Jean Louis Danjou, am 21. Juni 1812 zu Paris
geboren. Sein Hauptstreben war auf eine Reform des fran-
zösischen Kirchengesangs gerichtet; entmuthigt jedoch durch
die seinen Ideen und Vorschlägen entgegengebrachte Gleich-
giltigkeit, hat er sich leider von aller Thätigkeit auf diesem
Gebiet zurück gezogen.
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— 140 —
Ueber den gegenwärtigen Stand der spanischen Kirchen-
musik sagt Gevaert ^), dass dieselbe nur noch eine historische
Bedeutung habe und die heutzutage in den Kirchen ausge-
führte Musik einen flachen und opernhaften Charakter an
sich trage und es kaum glaublich erscheinen dürfte, dass in
den Winkeln wurmstichiger Schränke vieler Kirchen die
kostbarsten Schätze kirchlich mehrstimmiger Gesänge ange-
häuft sind, von deren Existenz nur wenige Geistliche wissen.
Der Kirchengesang der bischöflichen Kirche in England
besteht aus Chor- und Gemeindegesang. Der erstere hat die
verschiedenen Responsorien auszuführen, während die Ge-
meinde versificirte Psalmen, welchen Melodien älterer und
neuerer Componisten zu Grunde liegen, singt. Einen kirch-
lichen Gemeindegesang in unserm Sinne besitzt die englische
Kirche nicht. Die von Clement Marot (siehe letzten Ab-
schnitt) übertragenen Psalmen wurden dem dortigen Kirchen-
gesang zum Vorbild. Die erste Ausgabe von 51 Psalmen
ohne Melodien erschien 1549 unter dem Titel: „AU such
psalms of David as Thomas Sternholde late grome of the
Kings Majestys Robes did in his life tym drawe into English
metre;" 1562 erschien eine Ausgabe mit Singnoten , welche
1579 im vierstimmigen Satz herauskam. Im Jahr 1585
wurden die Singweisen des Sternhold'schen Psalmbuchs durch
Cosyns in fünf und sechsstimmiger Bearbeitung herausgegeben
und 1621 und 1623 von Thomas Eavenscroft ein Psalmenwerk,
in welchem jeder Psalm seine eigene Singweise und zwar
englischen, schottischen, deutschen, niederländischen, franzö-
sischen u. s. w. geistlichen und weltlichen Liedern entlehnt,
erhielt. Ein neueres Werk ist die 1831 in zweiter Auflage
erschienene Parochial-Psalmodie , eine Sammlung der belieb-
testen Psalmweisen u. s. w. mit Begleitung des Pianoforte
oder der Orgel von Clarke. ^)
Die griechisch-russische Kirche kennt keinen Gemeindege-
sang; der Gesang wird durch besondere Sängerchöre ausgeführt.
1) Bd. 19 der Yon der Acad^mie royale de Belgique herausgegebenen
Bulletins.
2) Siehe Winter feld: Zur Geschichte heiliger Tonkunst. 1850. I
S. 144—164.
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- 141 - '
VI.
Mysterien, Passion.
Wie der Kirchengesang der abendländischen Kirche nur
von eigens hiezu bestimmten Sängern, welche in der Regel
dem Klerikerstande angehörten, in lateinischer Sprache aus-
geführt wurde, und das Volk von jeder Betheiligung am
geistlichen Gesang innerhalb der Kirche ausgeschlossen war,
so wurden auch die seit dem zwölften Jahrhundert entstandenen
geistlichen Schauspiele, in Frankreich Mysteria, in Deutsch-
land Ludi genannt, deren Aufführung mit Spiel und Gesang
in den Kirchen an bestimmten Festtagen erfolgte, zunächst
ebenfalls nur von Klerikern ausgeführt. Die ältesten sind
lateinisch abgefasst und auch in den deutschen geistlichen
Schauspielen sind zuweilen noch lateinische Reste. Dass die
Geistlichkeit die Urheberin dieser geistlichen dramatischen
Dichtungen war und solche Spiele eine gottesdienstliche Be-
stimmung hatten, beweist sowohl die lateinisch abgefasste
theatralische Anleitung aller deutschen Stücke, als der reli-
giöse Inhalt derselben ^).
Sie entstanden aus den Darstellungen der Leidens- und
Auf er stehungsge schichte,- welche ihren Ursprung wiederum in
den Ceremonien der christlichen Kirche hatten ; denn der Ge-
brauch, dramatische Vorstellungen mit der gottesdienstlichen
Feier zu verknüpfen, dürfte wohl in die ersten Jahrhunderte
zurückzuführen sein. Sie wurden nur von den Klerikern
ausgeführt und zwar in der Regel bei Nacht in der Kirche.
Das Volk durfte nur als passiver Zuschauer sich daran er-
freuen. ;,Die unmittelbare nächste Grundlage der Entstehung
hatten diese Dramen der Kirche in denjenigen Theilen der
Liturgie, die sich auch schon in einem Wechsel von Rede
und Sang und Widersang und in einem Verlauf bewegten,
in den geschmückten Bittgängen durch die Kirchenhallen, in
1) Mone: Altteutsche Schauspiele, Quedlinburg, 1841. 8. 13.
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— 142 -
dem schauspielartigen Prunk des Gottesdienstes überhaupt;
zugleich aber wirkte, unerloschen in der Erinnerung der
Gelehrten , der Vorgang der klassischen Literatur mit ein,
wie schon im zehnten Jahrhundert die Nonne Hroswith ihn
getrachtet hatte fortzuführen, und vielleicht als noch stärkerer
Anlass der Gebrauch des Volkes zur Üster- und Weihnachts-
zeit, seine altheidnischetf Lieder und Gebärdeutänze ebenso
in die Kirche zu bringen wie einst, da um die gleiche Zeit
noch Feste des Heidenthums fielen, in die Tempel, ein Ge-
brauch, den die Geistlichkeit auch hier nur heiligend umzuge-
stalten suchte'^ ^). Einen Beweis für die Richtigkeit dieser
seiner Conclusion findet Wackernagel darin, dass es wohl
Oster- und Weihnachts-, nirgends aber Pfingstdramen gibt,
auch unter dem Volk selbst nur selten Pfingstspiele und diese
dann nur als verspätete Frühlingsfeier.
Schon in den frühesten Zeiten wurde die Leidensge-
schichte lateinisch am Palmsonntag nach Matthäus, am Mitt-
woch nach Lucas und am Charfreitag nach Johannes in der
Weise vorgetragen, dass der Vorleser die Worte Christi nach
Art des üblichen Vortrags bei der Evangeliumsverlesung her-
vor zu heben pflegte und den übrigen Theil einfach recitirte.
Hieraus entwickelte sich jene heute noch in manchen katho-
lischen Kirchen übliche Vortragsweise der Passion , dass drei
Cleriker den Vortrag der Leidensgeschichte übernahmen und
zwar der eine die Worte Christi, der andere diejenigen des
Evangelisten, der dritte die übrigen vorkommenden Personen
wie Pilatus, Petrus u. s. w., jede Person mit einer dieselbe
characterisirenden höhern oder tiefern Stimmlage ; wo mehrere
zusammensprechen, greift der Chor ein. Während bei der
einfachen Ablesung der Passion die ganze Handlung nur
darin bestand, dass der Priester bei der Stelle, welche vom
Tode Christi handelt, niederkniete, wurde beim Absingen
derselben das Hungertuch (velum) über die Altäre niederge-
lassen.
Ebenso wurde die Auferstehungsfeier in der Kirche ge-
feiert, und wie der Text der Passion sich genau dem Evaii-
1) Wilhelm Wackernagel: Geschichte der deutsdien Literatur §. 83,
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— 143 —
gelientext anschliesst, so bestanden auch die Äuferstehungs-
und Osterspiele grösstentheils aus Bibel versen. Den in den-
selben vorkommenden Wechselgesängen, — Antiphonien —
liegen die gottesdienstlichen ßesponsorien , Wechselgesänge
zwischen Priester und Volk, zu Grunde. Diesen Wechselge-
sängen legte man die nothdürftigste Handlung unter, welche
im Gehen, Kommen und Räuchern, sowie in der Uebergabe
der Grabtücher an die Apostel Petrus und Johannes bestand.
Man trifft bei diesen Darstellungen übrigens nicht bloss Chor-
sondern auch Sologesang sowie das Duett, in Ermanglung
des harmonischen Elements natürlich nur im Einklang.
Aus derartigen Darstellungen entwickelten sich die soge-
nannten Mysterien, wie aus der altkirchlichen Passionsform
die Passionsschauspiele, welche sich über Itstlien, England,
Spanien und namentlich über Frankreich und Deutschland
' verbreiteten und beim Volk grosse Beliebtheit erlangten. Sie
behandeln Begebenheiten des alten wie des neuen Testaments
auf Weihnachten, Erscheinungsfest, die Leidenswoche, Ostern,
Himmelfahrt, Frohnleichnam, sowie die Legende und die Ge-
schichte der Heiligen ; unter letztern namentlich die Jungfrau
Maria. (Marienklagen.)
Von den weltlichen Dramen unterscheiden sie sich durch
die Ruhe und Einfachheit der Erzählung. Enthalten sie auch
keine dramatische Entwicklung und sind sie nur in Gesprächs-
form abgefasst, so können sie doch als Vorstufe des Orato-
riums betrachtet werden. Die meisten derselben waren mit
Gesang verbunden. Es war dies kein mensurirter , kein
rhythmischer nach unsern Begriffen, sondern ein sich an den
gregorianischen Gesang anschliessender, also der damals übliche
ritualgerechte Kirchengesang. Der Dialog wurde theils von
einzelnen Stimmen , theils von Chören in psalmodirender Weise
abgesungen, wie dies bei den Passionen heute noch häufig
in der katholischen Kirche üblich ist. Es war also der alte
Psalmen- oder Choralton des gregorianischen Gesangs. Am
Schlüsse wurde in der Regöl das Tedeum, das Sancte deus *),
Gloria in excelsis und vom neunten Jahrhundert an die Se-
1) Mone a. a. O. S. 14.
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— 144 —
quenzen ^), namentlich die Sequenz ^Victimae paschalis* ge-
sungen, sowie auch die theils aus der Bibel entnommenen, theils
frei erfundenen Gesänge nach Art der Sequenzen vorgetragen^
so u. A. die Antiphone ^Regina coeli laetare^ ^).
In Deutschland betheiligte sich das Volk seit dem 13»
Jahrhundert an diesen geistlichen Aufführungen mit Absingen
deutscher Kirchenlieder wi^ ^Christ ist erstanden^, 35 Also
heilig ist der Tag* ; auch wurden die Pausen durch Absingen
deutscher geistlicher Gesänge ausgefüllt.
Diese geistlichen Dramen wurden, wie schon bemerkt,
ursprünglich alle in der lateinischen Sprache gedichtet, später
in der deutschen. Der Uebergang geschah jedoch nicht plötz-
lich, sondern allmählig, und der deutsche geht oft neben dem
lateinischen Töxt einher, wie der lateinische Choral neben
dem deutschen Kirchenlied ^). Wer sich des Nähern über
die Beschaffenheit der alten Passions- und Osterspiele sowie
der Mysterien informiren will, den verweisen wir auf die beiden
schon angeführten Werke Mone's , auf Coussemaker *), Schub-
iger ^) und Hartmann ^).
In St. Gallen und in den meisten Kirchen des fränkischen
Reiches wurde, um nur ein Beispiel anzuführen, die Aufer-
stehungsfeier in folgender Weise unter Mimik und Gesang
begangen '') :
Als handelnde und singende Personen erschienen Christus,
Petrus und Johannes, zwei Engel, Maria Magdalena, zwei
andere heilige Frauen und der Chor. Nachdem am Charfrei-
tage ein Bild des Gekreuzigten in ein weisses Leichentuch
gewickelt und in's heilige Grab gelegt worden war, zogen in
1) Schubiger: Musikalische Spicilegien über das liturgische Drama
im 5. Band der Publikationen älterer theoretischer und praktischer Werke.
Berlin 1876. S. 6.
2) Mone: Schauspiele des Mittelalters, 2 Bände. Carlsruhe 1846. I. S. 23.
3) Deutsche Uebersetzungen seit dem 13. Jahrhundert von Passionen,
welche für den Kirchengesang bestimmt waren, erwähnt Mone a. a. O. 1 S. 61.
4) Coussemaker: Drames liturgiques du moyen-äge. Kennes 1860.
5) Schubiger a. a. O. Siehe dortselbst auch den Musik- Anhang.
6) Volksschauspiele, in Baiern und Oesterreich-Ungarn gesammelt von
August Hartmann. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1880.
7) Sohubiger: Die Sängerschule St. Gallens. S. 69 und 70.
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— 145 —
der Osternacht zwei bis drei Priester oder Diaconen mit der
weissen Cappa und einem Humeral über dem Haupte bekleidet
und jeder mit einem Weihrauchgefasse versehen, zur Grab-
stätte hin. Sie hatten die Aufgabe, jene drei heiligen Frauen
vorzustellen, die am Ostermorgen das Grab des Herrn be-
suchten. Auf ihrem Hergange sangen sie in feierlich ernster
Haltung die Antiphone: ^Wer wird uns den Stein von der
Oeffnung des Grabes wegwälzen? AUeluja.^
Indessen hatten , die Engel vorstellend , zwei andere
Kleriker, in die Dalmatika gekleidet und ihr Haupt dessgleichen
mit dem Humeral verhüllt, das heilige Grab besetzt. Wie
nun die erstgenannten ihren Gesang vollendet , begannen
zwischen Engeln und Frauen (verkleidete Kleriker) folgende
Wechselgesänge :
Engel: Wen suchet ihr im Grabe, o Christinnen?
Die heiligen Frauen: Jesum, den gekreuzigten Naza-
rener, ihr Himmelsboten.
Engel: Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er es zum.
Voraus sagte, gehet und verkündet es, dass er auferstanden ist,
AUeluja.
Kommet und sehet den Ort, wo der Herr hingelegt
war; Alleluja, AUeluja.
Während der letzten Antiphone traten die drei Kleriker,
welche die heiligen Frauen vorstellten, zu jener Stelle hin, wo
das Crucifix lag, welches schon vor der Auferstehungsfeier ent-
fernt worden war und inzensirten den Ort; dann nahmen sie,
zwischen sich ausbreitend das Leintuch sammt den Bauchgei^ssen
und kehrten zum Chore zurück, mit halblauter Stimme singend:
Die heiligen Frauen : ^Nun mögen die Juden sagen, auf
welche Weise die Soldaten, die das Grab bewachten, den König
verloren, da es mit einem Steine verschlossen war. Warum
bewahrten sie den Fels der Gerechtigkeit nicht? Mögen sie
entweder den Begrabenen zurückgeben, oder mit uns den Auf-
erstandenen anbeten und sprechen: Alleluja*.
Zu den Jüngern Christi sich wendend, . sangen sie ferner :
^Wir kamen weinend zum Monumente und sahen einen
Engel des Herrn, der da sass und sprach, dass Christus auf-
erstanden sei.*
S i 1 1 a r d , Compendium. 1
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— 146 —
Auf dieses erschien am Altare ein Priester in rother
Casula mit der Auferstehungsfahne in der Hand, den erstan-
denen Erlöser vorstellend, wie er sich den seligen Frauen zu
erkennen gab.
Die ganze Feier schloss man mit jubelnden Ostergesängen.
In ähnlicher Weise beging man die Auferstehungsfeier in
Narbonne, Ronen, Paris und andern Orten ^). Erwähnen wollen
wir die noch in Frankreich an den eben genannten Orten öfter
aufgeführten Mysterien der ^Vierges sages et vierges foUes* *).
Der Chor singt zuerst eine Art von Sequenz, deren Melodie
sich immer nach je zwei Strophen wiederholt. Hierauf ver-
kündigt der Erzengel Gabriel in fünf Strophen in romanischer
Mundart und in derselben Melodie die Ankunft Christi und er-
zählt, was der Herr um unserer Sünde willen gelitten. Jede
Strophe endet mit einem Refrain, dessen Schluss den gleichen
Gesang wie der erste Vers jeder Strophe enthält. Die thörichten
Jungfrauen bekennen hierauf ihre Sünden und bitten die klugen
Jungfrauen um Erbarmen und Hülfe. Dieser Gesang ist latei-
nisch und besteht aus drei Strophen mit selbständiger Melodie ;
nur der Schlussrefrain, trauernd und klagend, ist in romanischer
Sprache abgefasst. Die klugen Jungfrauen weigern sich jedoch,
von ihrem Oel abzugeben, und ertheilen ihnen den Bath, sich
solches bei den Verkäufern zu holen, welche ihnen jedoch
auch kein Gehör schenken. Am Schlüsse erscheint Christus
und verdammt die thörichten Jungfrauen; die Worte Christi
sind ohne Melodie '). Weiter theilt Coussemaker *) ein in latei-
nischer Sprache abgefasstes Mysterium mit, worin den Juden
und Heiden die Geburt Christi mitgetheilt wird *).
So lange die Geistlichkeit die Sache in der Hand hatte,
blieben die geistlichen Schauspiele in den ihnen gezogenen
kirchlichen Schranken; als aber das Volk sich des Gegenstandes
1) Siehe Coussemaker: Histoire de T Harmonie au moyen Äge. S. 129.
2) Die Dichtung bei Coussemaker a. a. O. 8. 130--133.
3) Das Fac-BimilebeiCou88emaker,Planche8XinNr.3— XVIII Nr. 1.
4) Coussemaker a. a. O. S. 134—37 und Planches XVIII Nr. 2
bis XXin Nr. 1.
5) Siehe auch Pdtis: Histoire g^n^rale de la musique. t. V p. 108
bis 122.
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— 147 —
bemächtigte und durch die grosse Ausdehnung, welche dieselben
allmählig annahmen — manche dauerten oft mehrere Tage ^)
und bedurften hundert und noch mehr Darsteller — , die Kirche
mit den Strassen, Märkten und Kirchhöfen vertauscht werden
musste und die Posse in denselben immer mehr überhand nahm,
»verloren sie auch ihre ursprüngliche kirchliche Bestimmung und
ihren geistlichen Character. So entstanden im 14. und 15. Jahr-
hundert die Fastnachts- und Kirchmessspiele, die Narren- und
Eselsfeste *), welche trotz der kirchlichen Verbote sich im Volk
1) Näheres bei Mono: Schauspiele des Mittelalters, 11. S. 150 ff.
2) Ueber den Ursprung des Eselsfestes — fite de TAne oder das Fest
der vollen Diacone, la fSte des sous-diacres — wird angeführt, dass der Esel,
auf welchem der Heiland in Jerusalem eingezogen , nach dessen Tode den
kühnen Entschluss gefasst habe, das Meer zu durchschwimmen und sich in
Verona niederzulassen. Nach seinem Ableben seien seine Grebeine als Reli-
quien aufbewahrt worden und heute daselbst noch vorhanden. Von hier
aus habe sich das Eselsfest nach Frankreich — Sens, Ronen, Dijon, Paris
u. s. w. — verbreitet. Nach einer andern Version ist der Ursprung dieses
Festes in Constantinopel zu suchen, woselbst das Fest zu Ehren jenes Esels
gehalten wurde, welcher den Heiland auf der Flucht nach Aegypten trug.
Boeh me in seiner Schrift: „Das Oratorium" Leipzig 1861, S. 12 ff., beschreibt
das Fest, welches übrigens nicht überall auf die gleiche Weise abgehalten
wurde, folgendermassen : „Die erste Ceremonie am Neujahrstage bestand in
der Wahl eines Narrenabtes (aus dem niederen Klerus) und eines Bischofs,
Erzbischofs und Pabstes der Narren (sämmtlich ans dem Volk gewählt).
Der (Gewählte wurde in die Kleidung seiner neuen Würde gesteckt und unter
besondem Feierlichkeiten, in Begleitung einer Schaar von Klerikern, die
theils mit Masken versehen, theils mit Hefen bestrichen und in Weibertracht
vermummt waren, auf den Schultern nach seiner Wohnung getragen, wo es
bei Essen und Trinken, Singen und Schreien und Possenreissen fürchterlich
hergieng. Von da begab man sich in Prozession nach dem Chor der Kirche,
wo man während einer abgeschmackten Nachäffung des Gottesdienstes die
unpassendsten Lieder sang, in der Nähe des Celebranten Blut- und Bratwürste
ass, mit Würfel und Karten spielte und Stücke von alten Schuhsohlen in
das Rauchfass warf. Nach Beendigung der Messe, welcher der Narrenbischof
oder Pabst im vollen Priesterornate auf dem gewöhnlichen Bischofssitze bei-
wohnte, zog die schreiende Truppe durch die Stadt, wobei Jeder den Andern
durch Spässe und triviale Witze zu überbieten suchte. Eine bedeutende
Rolle bei diesem Feste spielte der Esel, den man mit einem schönen Mantel
bedeckte und unter einer grossen Eskorte von Klerikern zum Haupteingange
der Kirche brachte. An einigen Orten setzte man auf seinen Rücken ein
junges Mädchen, das in den Armen eine Puppe haltend die Jungfrau mit
dem Jesuskinde vorstellen sollte. Bevor die Vesper anfing, führten zwei
10*
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— 148 —
erhielten. In Paris wurde sogar das Leben Jesu mit Gesang
und Tanz verbunden im 14. Jahrhundert aufgeführt.
Kanoniker den Esel herein zu einem Tische, der in der Nähe des Vorlese-
pultes stand und verkündeten dann die Namen der Bevorzugten, welche
Gäste des Langohrs sein sollten. Hierauf stimmten die Sänger mit aller
Kraft der Lunge die bekannte Prosa an (siehe Cäcilia Bd. 27 S. 176 und
Oulibischeff „Leben Mozarts IL S. 108, woselbst die Musik im Original mit-
getheilt ist). Sie beginnt also :
Orientis partibus Von des Ostens fernem Strand
Adventavit Asinus Naht ein Esel diesem Land
Pulcher et fortissimus Reizend und mit Kraft geschmückt
Sarcinis aptissimus. Und zu Lasten wohlgeschickt.
Hez, Sir asne, hez! etc. Hez, Sir Esel, hez u. s. w.
Der Chor erwiderte mit komischer Ehrerbietung nach jeder Strophe:
„Hez, Sir asne, hez."
Nach dieser Prosa erfolgte ein Vorgesang (Intonation) aus dem Anfange
verschiedener Psalmen zusammengesetat. Die Antwort (Responsum) darauf
war statt Amen der bacchische Freudenruf: evovae! Hierauf stimmte der
Gelebrant die Vesper an, sang das Deus in adjutorem und der Chor endigte
mit einem Alleluja, das durch Zerstückelung der Worte recht misshandelt
wurde. Nun verkündigten 2 Sänger den Anfang des Amtes durch drei
Verse, welche mit Falsett gesungen wurden. Das ganze Amt war eine
Rhapsodie alles dessen , was man im Laufe des Kirchenjahrs sang , ein
bizarres Gemisch von Stücken aus allen Aemtern, Trauriges mit Heiterem,
wirklich schöne Verse mit schnurrigen zusammengewürfelt. Um die lange
Dauer besser ertragen zu können, unterbrachen sich die Sänger und Bei-
stehenden von Zeit zu Zeit damit, dass sie selbst ihren Durst stillten und
den Esel fressen Hessen. Endlich sang man das Magnifikat nach gemeinster
Melodie, führte dann den Heros in das Schiff der Kirche und dort tanzte
das ganze Volk, gemischt mit dem Klerus, um das Thier, dessen liebliches
Geschrei alle nach besten Kräften nachzuahmen suchten. '^
In ähnlicher Weise wurde nach F^tis a. a. O. t. V, p. 128 das Fest
in Beauvais je am 14. Januar gefeiert. Man setzte ein junges schönes
Mädchen, welches die Jungfrau Maria vorstellte und eine das Christuskind
darstellen sollende Puppe im Arme hielt, auf einen Esel , welcher sich mit den
Chorsängern und dem übrigen Volke von der Kathedrale nach der Kirche
St. Etienne begab , woselbst der Esel mit seiner Bürde vor dem Hochaltar
sich aufstellte und alsdann die Messe begann. Der Schluss des Introitus,
des Kyrie, Gloria, Credo u. s. w. wurde regelmässig durch die Nachahmung
der bekannten Laute markirt. Nach Schluss der Messe Hess der Priester
anstatt des Ite missa est den gleichen melodischen Laut ertönen und das
Volk antwortete anstatt mit Deo gratias mit einem dreimaligen hin-han. Im
16. Jahrhundert wurde dieser Unfug in der Kirche durch einen Parlaments-
beschluss untersagt, erhielt sich jedoch noch bis in das 17. Jahrhundert.
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— 149 —
Um geistliche Schauspiele aufzuführen, bildeten sich be-
sondere Gesellschaften ; so in Paris im Jahr 1398 die Confr^rie
de la Passion, in Rom noch früher 1264 die Compagnia del
Gonfalone ^), welche in der Charwoche die Geschichte der
Passion darzustellen hatten. In Deutschland übernahmen die
Meistersinger, Schüler und Chorknaben die Aufführungen, an
andern Orten Bürger, Jongleur's u. s. w. Dieselben bestanden
jedoch mehr aus Dialogen als aus Gesang; doch kamen auch
eingeschaltete Lieder Einzelner wie ganze Chöre, sowie An-
fangs- und Schlussgesänge vor, in welche das Volk mit ein-
stimmte, wie ^Christ ist erstanden,^ j^Nu bite wir den heiligen
geist^, ,j Christ du bist milde unde guot^ u. s. w. Im Allgemeinen
überwog jedoch das Gespräch.
Durch die immer mehr überhandnehmende Verweltlichung
dieser Schauspiele trat, wie schon bemerkt, der kirchliche Cha-
racter immer mehr in den Hintergrund, sie traten in immer
engere Beziehung zum Volksleben ; zu den liturgischen, streng
kirchlichen Bestandtheilen mischten sich immer mehr welt-
liche Elemente, zunächst deutsche Erläuterungen neben dem
lateinischen Bibel- und Kirchenwort, dann wurde die Dichtung
immer selbständiger und erstickte das Kirchliche immer mehr ^),
Nur die altkirchliche Passionsform, die Evangelienlectionen mit
vertheilten Rollen, überdauerten den Verfall der Mysterien und
es entwickelten sich aus Ersteren die Passionen.
Der Gebrauch, die Passionsgeschichte nach den vier Evan-
gelisten in der Charwoche, sowie zu Weihnachten, Ostern und
Himmelfahrt die entsprechenden Evangelienlectionen mit ver-
theilten Rollen abzusingen, war schon, wie wir bereits sahen, in
den frühesten Zeiten üblich. In dieser Form, da die Einzelpartieen
der handelnden Personen im Choralton recitirt wurden und die
Volkschöre — turbae — vierstimmig gesetzt sind, existirt von
Vittoria eine Passion, welche heute noch am Charfreitag in der
sixtinischen Kapelle früh Morgens aufgeführt werden soll.
1) In Rom wurde 1480 ein geistliches Drama: „La conversione di
Paolo" (Bekehrung des Paulus), und zwar auf Karren, welche in drei mit
Teppichen hehangene Stockwerke eingetheilt waren und Himmel, Erde
und Hölle darstellten, aufgeführt.
2) Philipp Spitta: Joh. Seb. Bach, Bd. U, Leipzig 1880, S. 332.
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— 150 —
Neben dieser choralartigen Passion entstanden im 16. Jahr-
hundert auch durchweg mehrstimmig (4 — östimmig) gehaltene
Compositionen der lateinischen Passionstexte, die figural- oder
motettenartig gehalten ^ und in welchen die dramatische Form
aufgegeben war. So schrieb Hobrecht eine solche nach Jo-
hannes; in welcher keine Einzelstimme als solche auftritt; son-
dern alles vierstimmig gesetzt ist und der vierstimmige Gesang
nur hie und da von zwei- und dreistimmigen Gesängen unter-
brochen wird. In ähnlicher Weise schrieben Passionen
Clemens Stephani aus Buchau in Württemberg, Or-
landusLassus u. A. Sogar eine doppelchörige Passion nach
den vier Evangelien, von Jacob Gallus (1587) gibt es, in
welcher der eine Chor mit Frauen-, der andere mit Männer-
stimmen besetzt ist ; ersteren sind die Beden Jesu, letzteren die
des Pilatus, Judas und Hohenpriesters zuertheilt; in der Er-
zählung wechseln beide ab. Volk, Synedrium (hoher Bath)
u. s. w. werden von beiden Chormassen dargestellt ').
Auch .eine dritte Art bestand noch, nämlich die Erzählung
des Evangelisten und die Beden Christi im Choralton, alles
andere mehrstimmig zu setzen.
Die evangelische Kirche nahm aus der katholischen
Kirche den Brauch herüber, die Passion in der Charwoche als
Theil der Liturgie singen zu lassen. Johann Walther (siehe den
nächsten Abschnitt) richtete die Passionsgeschichte nach Matthäus
und Johannes für den Cultusgebrauch ein *), von welchen die
erstere für den Palmsonntag, die letztere für den Charfreitag
bestimmt war ; ebenso setzte er eine Passion, aus den vier Evan-
gelien zusammegestellt, für vier Stimmen in Musik.
Nach Ambros ^) ist die älteste deutsch-protestantische Passion
eine solche nach Matthäus, welche in einem schon 1559 ge-
schriebenen Codex aus der Stadtschule zu Meissen in die Wiener
Hofbibliothek gekommen ist. j^Ihre kurzen vierstimmigen, ganz
simpel falsobordonartigen Chöre sind ganz das Gegenstück der
Turba in den Passionsgesängen der katholischen Kirche. Es
1) Do mm er a. a. O. S. 250.
2) Siebe O. Kade: Der neu aufgefundene Luther Codex vom Jahr 1530,
Dresden b. Klemm 1871.
3) Ambros III, S. 416.
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— 151 —
soll eben mehrstimmig in einer kurzen^ in sich abgeschlossenen
Harmoniephrase zasammenklingen^ von dramatischer Intention
ist keine Spur^ höchstens ist es wie ein vereinzelter Keim zu
künftiger Entwicklung ^ wenn bei dem jjHerr bin ich's* die
Stimmen nach einander fragen.^ Die erste deutsche im Druck
erschienene ist die von Clemens Stephani (1570). ,, Obgleich die
Passion schon früh für den Vortrag geschulter Chöre componirt
ist; blieb doch die einfache Recitation die gebräuchlichste und
natürlichste Weise, deren altherkömmliche Töne von Clemens
Stephani wenn auch nicht zuerst aufgeschrieben, so doch zuerst
in den Druck gegeben wurden. Man sang den einfachen ßibel-
text ab; meistens den Leidensbericht des Matthäus, in grossen
Städten mehrere Evangelisten nacheinander, mitunter auch
die kirchliche Pericope, die alle Evangelisten vereinigt. Die
Gemeinde sang wohl zum Ein- und Ausgang ein passendes
Kirchenlied, sonst verhielt sie sich hörend, auch wurde der
Vortrag der Schriftworie weder durch freie Dichtung, noch
durch kunstmässige Musik unterbrochen* *).
Die deutsche Passion kam als wesentlicher Bestandtheil
der Liturgie in der Charwoche immer mehr in der evange-
lischen Kirche zur Aufnahme, obwohl Luther nicht viel darauf
hielt, da das Absingen derselben nur ein äusserliches Werk sei.
Der oben angeführten folgten weitere in den Jahren 1573 und
1587 *). Erstere, im Keuchenthal'schen Gesangbuch abgedruckt,
beginnt und schliesst mit einem vierstimmigen Chor; der übrige
Theil ist psalmodisch gehalten. Die 1587 im Selneccer'schen Ge-
sangbuch erschienene enthält schon geistliche Lieder, welche
von der Gemeinde zur Einleitung gesungen wurden. Von
Melchior Vulpius erschien 1613 eine Matthäuspassion, von
Thomas Mancinus 1620 zwei Passionen nach Matthäus
und Johannes, von Christof Schultz, Cantor zu Delitzsch
1653 eine Lucaspassion u. s. w.
„Die musikalische Form dieser Passionen ist eine so stereo-
type, dass man es nicht begreifen würde, wie sie so oft haben
gedruckt, und, soweit sich der Ausdruck überhaupt anwenden
1) Fr. Chrysander: F. G. Händel I, 8. 427—428.
2) Winter feld: Der eyangelische Kirchengesang. Leipzig. I. 1843.
S. 311 ff.
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— 152 —
lässt, neu componirt werden können , wenn eben nicht der
Brauch im kirchlichen Leben tiefe Wurzeln geschlagen hätte«
Fast durchweg stehen sie in der transponirten ionischen Ton-
art (F Dur). Die Einzelstimmen recitiren im Choralton, die
melodisch sehr wenig bewegten Tonreihen gleichen sich meist
bis auf unbedeutende Abweichungen. Der Erzähler hält die
Tenorlage, Christus singt Bass, die übrigen Personen werden
durch eine Altstimme vertreten, auch das Weib des Pilatus
und die Mägde ^ obwohl in der Regel der Alt im 16. und
17. Jahrhundert von Männern gesungen wurde. Vereinzelt
findet sich für diese Personen auch ein Solo-Discant, z. B. in
den Passionen von Walther, Schultz und Kramer. Etwas mehr
Entwicklung und Mannigfaltigkeit thut sich in den figuralen
Partieen hervor. Zum Theil sind auch die turbae so einfach
und recitirend gehalten, dass sie kaum den Namen Figural-
musik beanspruchen könnten, wenn nicht hier und da eine
ausgebildetere melodische Wendung, eine characteristische Har-
moniefolge sich bemerkbar machte. Manchmal indessen stösst
man auch auf reichere^ kunstvollere und im 17. Jahrhundert
auf dramatisch belebtere Tonbilder. Melchior Vulpius lässt
die zwei falschen Zeugen, deren Worte gemeiniglich auch vom
vierstimmigen Chor vorgetragen wurden, wirklich zweistinmiig
und gar in Imitationen singen. Er lässt in sehr affectvollen
Situationen die Worte mehrfach wiederholen. Als das Volk
den Barrabas fordert, muss der Chor das Wort j^Barrabam*
sechsmal in syncopirten, leidenschaftlichen Rythmen ausstossen ;
als es zum zweiten Male ruft „Lass ihn kreuzigen*'^, theilt sich
der Chor in zwei Gruppen, die tiefern Stimmen rufen es den
höhern nach, dann vereinigen sie sich. Während im übrigen
Vierstimmigkeit herrscht, ist hier sechsstimmiger Satz ange-
wendet. Aehnliches findet sich an denselben Stellen bei Schultz.
Den Schluss der Passion pflegte ein kurzer Dankgesang zu
machen, auch Gratiarum actio genannt, wie man denn über-
haupt — ein Kennzeichen des altkirchlichen Ursprungs —
selbst die lateinischen Personenbezeichnungen (ancilla, servus,
Pilati uxor, latro, centurio oder miles) in diesen Passions-
musiken fast beständig beibehalten hat. Die Worte der
Danksagung waren: ^Dank sei unserm Herrn Jesu Christo,
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— 153 —
der uns erlöset hat durch sein Leiden von der Hölle." Wenn-
gleich man sie in entsprechender Kürze componirte, so War
hier doch Gelegenheit einer rein lyrischen Empfindung Aus-
druck zu geben, was dann auch zur Entfaltung reicherer Ton-
mittel trieb. Im 17. Jahrhundert genügten oft jene schlichten
Worte für die Innigkeit und Lebendigkeit der Empfindung nicht
mehr. Man findet an ihrer Statt Strophen von Kirchenliedern
in motettenartiger Composition, wie bei Schütz, auch wohl freie
Dichtung in Liedform componirt, wie in sehr ansprechender
Weise bei Schultz. Entsprechend dem Beschluss wurde der An-
fang ebenfalls durch einen betrachtenden Chor gemacht. Hier
dienten als Text nur die ankündigenden Worte: ^Das Leiden
unsers Herrn Jesu Christi; wie uns das beschreibet der heilige
Evangelist" oder : j^Das Leiden und Sterben unsers Herrn Jesu
Christi nach dem heiligen Evangelisten" oder ähnlich. Durch
den Chorgesang sollte die Bedeutsamkeit der Ankündigung
ausgedrückt werden. Durchaus feststehend war aber die Ein-
führung eines Chors weder am Anfang noch am Schluss; es
kam auch vor, wie in der Leipziger Matthäuspassion bei Vo-
pelius, dass im einstimmigen Choralton begonnen und geendigt
wurde" ^).
Weitere Passionen schrieben Johann Steuerlein, Jo-
hannes Mach ol dus, Joachim von.Burgk, Balthasar
Resinarius, Melchior Vulpius, welcher eine Passion nach
den vier Evangelisten schrieb, in welcher ein Tenorist als Evan-
gelist die heilige Geschichte in Form einer Litanei absingt und
die verschiedenen vorkommenden Personen ihre Reden ab-
singen , während dazwischen erbauliche Betrachtungen in vier-
stimmigen Arien, auch Choräle eingestreut sind ; und Andere,
sämmtlich dem 16. Jahrhundert angehörend.
Ehe wir die Entwicklung der Passion weiter verfolgen, in
welcher mit der Zeit, wie wir sehen werden, die kirchlichen
Elemente immer mehr ausgemerzt wurden, indem sich den
Evangelienworten das Gemeindelied und die geistliche Arie
selbständig gegenüberstellten und die neue von Italien herüber-
genommene Kunstform den rein kirchlichen Character immer
1) Spitta a. a. O. II. S. 308 flf.
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— 154 —
mehr abstreifte, — müssen wir die Entwicklung einer andern
Kunstgattung, welche sich aus den geistlichen Schauspielen und
Fassionen herausbildete, betrachten, nämlich die des Oratoriums.
Der Name Oratorium stammt von dem besondern Bet-
saale (Oratorium) des Klosters zu St. Maria in Vallicella, einer
Stiftung des heiligen FilippoNeri, geboren 1515 zu Florenz,
gestorben zu Eom 26. Mai 1595. Derselbe hielt im Betsaale
seines Klosters mit Musik verbundene Andachten, welche wie
die dortselbst abgehaltenen geistlichen Exercitien, die ebenfalls
mit Gesang verbunden waren, die Bezeichnung Oratorii er-
hielten. Derartige Versammlungen fanden zum ersten Male im
Jahr 1564 statt. Zugleich suchte er dem Volk für die während
der Fastenzeit nicht stattfindenden geistlichen Schauspiele da-
durch einen Ersatz zu bieten, dass er seinen Beichtkindern oder
wer sonst daran Theil nehmen mochte, Scenen aus der biblischen
Geschichte in breiterer Ausführung vortrug, und auch hiezu die
Musik heranzog. Der musikalische Theil bestand aus Chorge-
sängen — Laudispirituali — , einfachen hjmnenartigen vier-
stimmigen Gesängen, in welchen mitunter Soliloquien (Einzelge-
sänge) mit dem Chor abwechselten. Giovanni Animuccia
— Schüler GoudimeFs, geboren 1500 zu Florenz, gestorben
als päbstlicher Kapellmeister im März 1571 — war mit Neri
innig befreundet und componirte zu diesen Azioni sacre oder
Oratorien, welche meistens biblische Gegenstände behandelten,
oder deren Stoff dem Legendenkreis entnommen war, soge-
nannte Laudi, von welchen 1565 das erste, 1570 das zweite Buch
im Druck erschien. Auch Palestrina, Vittoria undAsola
schrieben für diese Erbauungsstunden solche Lobgesänge.
Zu dem Zweck, die Gläubigen durch religiöse Ansprachen,
Gebet und Musik zu erbauen, entstand noch unter Neri eine
Verbrüderung — Congregazione deir oratorio — , welche sich
über Italien und Frankreich verbreitete und an vielen Orten
ihre Bethäuser — Oratorien — errichtete, in welchen musi-
kalisch-geistliche Dramen aufgeführt wurden. Dieselben bestan-
den nach Böhme a. a. O. in der Kegel aus versifizirten heiligen
Erzählungen, verbunden mit festlichen Aufzügen und dramatisch-
scenischen Darstellungen, in welche eingeflochtene motetten-
artige Chorsätze und psalmodirender Einzelgesang einige Ab-
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— 155 —
wechslung brachten. Die Dichtung bestand aus zwei Theilen,
zwischen welchen die eine Stunde dauernde Predigt gehalten
wurde. Als später die Predigt wegfiel, trat an die Stelle der-
selben ein Erzähler, welcher die Zuhörer mit der darzustellen-
den Begebenheit bekannt machte und durch recitirende Gesänge
die einzelnen Chor- und Solostimmen verband.
Durch das Madrigal, die Monodie und die von Florenz
ausgehenden dramatischen Reformen wurde auch dieser neuen
Kunstgattung ein neues Moment der Entwicklung zugeführt, in-
dem der neue Stil — stile rappresentativo auch parlante oder re-
citativo genannt — auf das geistliche Drama übertragen wurde.
So führte man im Jahr 1600 im oben erwähnten Oratorio des
Klosters zu St. Maria in Vallicella das musikalische Drama: „La
rappresentazione (die Bezeichnung für die italienischen geist-
lichen Schauspiele, in welchen früher schon Gesänge, auch wohl
ein sprechender Chor, coro parlante, vorkamen) di anima e di
corpo" von Laura Guidiccioni, in Musik gesetzt von Emilio del
Cavaliere auf. „Der Text ist eine Allegorie, in welcher lauter per-
sonificirte Begriffe, lauter Abstractionen die Bühne beschreiten
und tanzen, dazu im stile recitativo singen und sich selbst auf
Instrumenten begleiten, welche sie auf das Theater mitbringen.
Da ist die „Zeit^' (il tempo), das „Leben" (la vita), die „Welt"
(il mondo), der „Körper" (il corpo) u. s. w. Das Ganze ist ein
merkwürdiges Zurückgreifen auf die „Moralitäten , wie sie im
14. und 15. Jahrhundert in Italien gebräuchlich waren" ^).
Durch die Fortschritte, welche unterdessen der dramatische
Musikstil durch einen Monteverde und dessen Schüler Cavalli
gemacht, sowie durch die Herübemahme der neuen Kunstmittel
auf das Gebiet der Kirchenmusik wurde auch eine kunstmässigere
Gestaltung des Oratoriums herbeigeführt. Namentlich ist hier
Giacomo Carissimi anzuführen, dessen Hauptthätigkeit auf
dem Gebiet der Cantate und des Oratoriums liegt, und welcher
den neuen Stil in höhere Bahnen lenkte. Wie das ßecitativ, so
bildete er auch die Arie weiter, welch' letztere sich bisher vom
Recitativ wenig unterschieden hatte , indem er ihr einen mehr
lyrischen Character verlieh. In seinen Chören suchte er zwischen
1) Ambros IV. S. 275.
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— 156 —
der strengen contrapunktisclien Form der Motette einerseits und
der Oper andererseits die richtige Mitte zu halten. Er schrieb
neue Oratorien, in welchen im ariosen Stil gehaltene Solo-
gesänge mit Chören und ßecitativen abwechseln.
Von sonstigen italienischen Oratoriencomponisten nennen
wir noch Antonio Liberati , Scarlatti, Alessandro
Stradella, Steffani, Leo, Jomelli, Pergolese u. A.
Während in Italien das Oratorium sich immer mehr der
Oper anschloss und nur mehr aus ein- und mehrstimmigem Solo-
gesang bestand — der Chor wurde nicht gepflegt — und sich '
schliesslich von der Oper nur dadut-ch unterschied, dass das-
selbe nicht auf der Bühne aufgeführt wurde, nahm dasselbe in
Deutschland einen höhern Aufschwung. Zunächst war es Hein-
rich Schütz, welcher durch die Uebertragung und Anwendung
der neuen Formen auf das Oratorium der Vorläufer HändeFs
und Bach's genannt werden kann.
Unter dessen Werken — auf andere werden wir im nächsten
Abschnitt zu sprechen kommen — sind hervorzuheben das im
Jahr 1623 aufgeführte Oratorium: ^Historia der fröhlichen
und siegreichen Auferstehung unseres einigen Erlösers und
Seligmachers Jesu Christi. In fürstlichen Kapellen oder
Zimmern umb die Oesterliche Zeit zu geistlicher Christlicher
Hecreation füglichen zu gebrauchen^. Dasselbe beginnt mit
einem sechsstimmigen Gesang (zwei Discant, Alt, zwei Tenöre
und Bass) über die Worte : ^Die Auferstehung unseres Herrn
Jesu Christi*' u. s. w. und schliesst mit einem von vier
Violen begleiteten Doppelchor; ,jGott sei Dank, der uns den
Sieg gegeben" u. s. w; ausserdem greift der Chor nur noch
einmal in die Handlung ein. Die Keden der auftretenden
Personen sind zweistimmig in concertirender Weise gesetzt,
die Hohenpriester singen dreistimmig und der Evangelist
recitirt einstimmig im Collectenton.
Die 1645 erschienenen ^Sieben Worte^ enthalten gegen-
über ersterem Werk, welchem eigentlicher Sologesang noch
abgeht, recitativische und ariose Sätze; der Psalmen- und
Collectenton ist nirgends angewendet, sondern die Reden des
Evangelisten und der übrigen auftretenden Personen sind im
ariosen Kecitativstil gesetzt. Die zwei fünfstimmigen, motetten-
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artigen, die kirchliche Gemeinde repräsentirenden Chöre am
Anfang und Schluss sind von ausdrucksvoller Bestimmtheit.
Eigenthümlich und neu ist die Begleitung in diesem Werk,
indem der Evangelist und die andern Personen von der
Orgel, die Reden Jesu von Streichinstrumenten begleitet sind.
Erwähnen möchten wir noch die im dritten Theil seiner
Symphoniae sacrae 1650 enthaltene ,jBekehrung Pauli^.
jjDen Kern bildet ein sechsstimmiger Hauptchor für zwei
Bässe, Tenor, Alt und zwei Soprane, in den aber in bes,on-
dern Höhemomenten noch ein Complex von acht andern
Stimmen (zweimal zwei Bässen und eben so viel Sopranen)
eingreift; zu dieser vierzehnstimmigen Masse gesellen sich
noch zwei Violinen und Continuo (Orgel). Die beiden Bässe
des Hauptchors heben leise an mit dem Rufe „Saul, Saul,
was verfolgst du mich!^, der darauf im Tenor^und Alt, in
den beiden Sopranen desselben Chors, sowie in den Violinen
nachklingt, worauf die ganze Masse im forte einstimmt, doch
sogleich wieder zum piano zurückfallt. Nun mischen sich
einzelne Stimmen hinein mit (Jer warnenden Erinnerung:
jjEs wird dir schwer werden wider den Stachel zu locken*,
wozu der Mahnruf „Saul, SauP^ u. s. w. immer mächtiger
und dringlicher im vollen Chore erschallt , im Tenor lang
aushaltend und stufenweis sich steigernd durch die ganze
Stimmenmenge gewaltig hindurchklingt , bis er schwächer
werdend, endlich im pp nur zweier Stimmen austönt und die
ganze Vision gleichsam wieder verschwindet" *).
In seinen vier. Passionen *) greift er wieder zur altern
liturgischen Form zurück, doch herrscht in den Einzelgesängen
der Choralton nicht mehr durchgängig vor wie z. B. in der
Matthäuspassion, wo bei manchen Stellen Schütz des arios-
recitativischen Gesanges sich bedient; nur die Marcuspassion
ist noch vollständig im alten Choralton gehalten. Die Chöre
sind voll dramatischen Lebens und treffenden Ausdrucks des
Wortes. Instrumentalbegleitung besitzen die Passionen nicht,
1) Dommer, a. a. O. S. 332.
2) Eine Abschrift der vier Passionen besitzt die Leipziger Stadtbibliothek,
C. Riedel in Leipzig hat die verschiedenen in diesen Passionen enthaltenen
Chöre nnd Recitative zusammengestellt und mit Orgelbegleitung versehen.
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doch werden sie wohl eine Begleitung ursprünglich besessen
haben.
In den auf Schütz folgenden Passionen wird das ariose
Recitativ beibehalten, die Instrumentalbegleitung stehend und
die geistliche Arie (nächsten Abschnitt) in die Passion einge-
führt. Zum ersten Male angewandt ist sie in einer Lucas-
passion des Cantors Funcke in Lüneburg, 1683^). Die
1672 erschienene Passion von Johann Sebastiani: ^Das
Leyden und Sterben unseres Herrn und Heylandes Jesu
Christi In eine recitirende Harmonie von fünf singenden und
sechs spielenden Stimmen, nebst dem Basso continuo gesetzt*
u. s. w. Die Psalmodie und der CoUectenton sind durch-
gängig durch das ariose Recitativ ersetzt, welches wie die
Erzählung des Evangelisten von zwei Geigen oder Violen
und Bass hegleitet ist. Die Instrumentalbegleitung — zwei
Violinen, vier Violen, der Bass continuo nebst einer Orgel
und andern jjSubtilen" Instrumenten als Lauten, Theorben,
Violen di Gamba oder Braccia — ist durchgängig ange-
wendet, während in den Werken von Schütz dies nur stellen-
weise geschieht. Die Turbae sind vierstimmig, erscheinen
aber fünfstimmig, da der Evangelist stets im hohen Tenor in
dieselben mit einstimmt. Die Passion von Sebastiani enthält
zum ersten Male vierstimmige, als Arien behandelte Kirchen-
lieder ^) , indem nämlich nur die Oberstimme gesungen und
die übrigen Stimmen von Geigen und Instrumentalbass ge-
spielt werden sollen ; nur in die fünfte Strophe des Schluss-
gesangs haben alle Vocal- und Instrumentalstimmen einzu-
fallen ^). jjDie Weise wie Sebastiani den Choral in seinen
Passionen verwendet, kann selbstverständlich nicht das an-
fangliche gewesen sein. Sie setzt bereits eine Phase der
Entwicklung voraus, in welcher die hier als Arien behandelten
1) Spitta a. a. O. II. S. 316.
2) Nach Boehme a. a. 0. S. 33 soll schon vor Sebastiani in den
Thüringer Kirchen der Gesang geistlicher Liederverse zwischen den einzelnen
Theilen der Kirchenmusik im Gebrauch gewesen sein und sich wahrschein-
lich durch Joachim von Burgk (1545 — 1610) und durch dessen Schüler
Eccard (1553—1611) nach Königsberg verpflanzt haben.
3) Winterfeld III. S. 363.
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— 159 —
Choräle von der ganzen Gemeinde gesungen wurden , wie
solches das Wesen derselben ursprünglich fordert. Eine der-
artige Theilnahme der Gemeinde hat bei der alten choralischen
Passion in der That stattgefunden. Dass die Gemeinde vor
der Passion und mit Anschluss an sie auch nach derselben
ein Lied sang, war schon durch die Ordnung des Gottes-
dienstes gegeben, denn die Absingung der Passion in der
Charwoche stand ja an Stelle der sonntäglichen Evangelien-
lection. Aber hiermit begnügte man sich nicht. Weil die
Absingung lange dauerte, wurden, um die Theilnahme der Ge-
meinde frisch zu erhalten und die erbauliche Wirkung zu er-
höhen, an passenden Stellen Ruhepunkte gemacht, an welchen
die versammelte Christenheit mit einem bezüglichen Liede
eintrat. Wir haben hierfür Zeugnisse, deren Werth dadurch,
dass sie aus späterer Zeit als die Sebastianische Passion
stammen, eher erhöht als vermindert wird. Denn was sich
unter den revolutionären Bewegungen des beginnenden 18.
Jahrhunderts, welche alle echte Kirchenmusik zu vernichten
drohten, kräftig erhalten konnte, ruhte gewiss auf altem, er-
probtem Fundamente. In einem 1709 zu Merseburg erschie-
nenen Passionsbüchlein sind die Erzählungen der Leidensge*
schichte nach den vier Evangelisten in der Form abgedruckt,
wie man sie damals zu Merseburg noch auflFührte. Man sieht
sogleich, dass es in der alten choralischen Form geschah,
man könnte auch sagen in der ältesten, denn die Danksagung
am Schlüsse fehlt und der nur bei der Matthäuspassion ange-
brachte Introitus: j,Höret das Leiden* wird nicht vom Chor
gesungen, sondern vom Evangelisten choraliter recitirt. Arien
sind gänzlich ausgeschlossen, nicht so Choräle. Diese finden
sich aber nicht mit abgedruckt, sondern es wird durch eine
eingeklammerte Angabe des Anfangs der Strophen und meis-
tens auch der Seite im Passionsbuch auf sie verwiesen mit
den Worten: „Hier wird gesungen aus dem Liede* u. s. w.
Gewöhnlich sind es eine oder einige Strophen des Stock-
mann'schen: ^Jesu Leiden, Pein und Tod*, in welchem be-
kanntlich die ganze Passionsgeschichte versificirt ist; mit ihnen
begleitete die Gemeinde den Verlauf der ganzen Handlung.
Es werden aber auch andere fünf-, sechs-, sieben- und zehn-
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— 160 —
stropbige Lieder gelegentlieh angemerkt^ welche vollstäiidig
gesungen werden sollen; gegen SeUuss der Johannespassion
ist gar das 21 Strophen zählende Lied: ^Nnn gibt mein Jesus
gute Nacht^ vorgeschrieben. Ausser diesen Chorälen findet
man dann noch an gewissen Stellen eine oder zwei Lied-
strophen vollständig hingedruckt; vermuthlich sollte diese der
Abwechslung halber der Chor allein vortragen. Auch von
anderer Seite wird eine derartige Theilnahme der Gemeinde
bezeugt. Bei der erstmaligen Aufi^hrung einer madrigalischen
Fassionsmusik in einer Stadt Sachsens sang ein Theil der
Anwesenden den ersten Choral ganz ruhig und andächtig mit,
war aber nachher sehr unangenehm verwundert, da es so
ganz anders kam, als sie es gewohnt waren. Sebastiani selbst
gab 1686 ein Büchlein heraus: ^ kurze Nachricht, wie die
Passion in einer recitirenden Harmonie abgehandelt
und nebst den darin befindlichen Liedern gesungen wird^,
aus tirelchem hervorgeht, dass er es der Gemeinde freistellte,
die Lieder mitzusingen. Und auch als die Passion sich
musikalisch reicher und reicher gestaltete, hielt man hier und
dort noch an der Sitte fest und liess bei den Chorälen die
Gemeinde einstimmen ^). Aber je mehr die geistliche Arie
eindringt, desto mehr musste man hievon abkommen. Seba-
stiani steht schon auf der Grenze. Seine Choräle sind freilich
sämmtlich altem Ursprungs, aber die Art wie sie vorgetragen
werden sollten, ist keine alt-choralmässige mehr. Arienhaft
wurde jetzt der ganze Choralgesang; die neuen Melodien,
die in reicher Anzahl und hervorragender Schönheit in dieser
Periode noch geschaffen wurden , waren Arien" *). Bei Abfas-
sung der Choräle, welche in den Passionen immer häufiger
wurden, dachte man nicht mehr an eine active Theilnahme
der Gemeinde; der Choral trat nunmehr auch an die Stelle
1) „Bisher aber hat man gar angefangen die Passion-Historia, die sonst
80 fein de simplici et piano, schlecht und andächtig abgesungen wurde, mit
Tielerlej Instrumenten auf das Künstlichste zu musiciren, und bisweilen ein
Gesetzgen aus einem Passionsliede einzumischen, da die gantze Gemeinde
mitsinget, alsdann gehen die Instrumente wieder mit Hauffen.** Gerber:
Historie der Kirchenceremonien in Sachsen. S. 283.
2) Spitta n. S. 317—319.
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— lei-
der ankündigenden und danksagenden Worte am Anfang und
Schhiss. Zu dena kam noch, dass die Form des theatralisch-
italienischen Oratoriums auch auf Deutschland zurückwirkte.
So wurde im Jahr 1704 zum ersten Male in Hamburg das
Passionsoratorium: „Der blutige und sterbende Jesus^ von
Hunold, in Musik gesetzt von Reinhold Keiser, einem
der frühesten deutschen Opemcomponisten , aufgeführt; das-
selbe weicht von der bisherigen Form ganz ab und ist im
galanten italienischen Opernstil componirt. Die Dichtung ist
in ganz freier poetischer Form gehalten und die sogenannten
Soliloquien (dramatisirte Monologe wie z. B. die Klage der
Maria , Thränen des Petrus) nehmen die Hauptstelle ein,
während sowohl der Evangelist als Bibelsprüche und Choräle
ausgeschlossen sind.
Diese Neuerung erregte einen gewaltigen Sturm und
grosse Entrüstung auf Seiten der Orthodoxen, und der sich
hierauf entspinnende Federkrieg — auf welchen wir im
nächsten Abschnitte zu sprechen kommen werden — liess an
saftiger Grobheit nichts zu wünschen übrig.
Zu gleicher Zeit trat der Hamburger Rathsherr Berthold
Heinrich Brockes (1680 — 1747) mit einer Passionsdichtung ^)
hervor, welche sich im Ganzen von der Hunold'schen nicht
sehr unterscheidet; doch ist der Evangelist, wenn auch nicht
mit dem Bibelwort, sondern in freier Dichtung auftretend,
beibehalten ^) ; ebenso ist die Gemeinde durch Kirchenlieder
vertreten und ausser Soliloquien enthält die Dichtung zwei
allegorische Personen: j^Tochter Zion* und j^gläubige Seele^,
welche gleichsam die unsichtbare Kirche repräsentiren und in
allgemeinen Gefühlsäusserungen und Betrachtungen sich er-
gehen. Chrysander *) nennt mit Recht die Dichtung geschmack-
los und sinnlos, dieselbe strotze von übertriebenen oder un-
würdigen Bildern, sei aber von grosser sinnlicher Gewalt, die
1) „Der für die Sünden der Welt gemai-terte und sterbende Jesus aus
den 4 Evangelisten in gebundener Rede vorgestellt.** .
2) Bach hat verschiedene Arientexte aus dieser Dichtung in seine Jo-
hannespassion mit herübergenommen.
3^ a. a. O. Ö. 433.
11-
Sittard, Compendium.
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— 162 —
wie ein TheatereflFect sich aufdränge und wie ein solcher die
Hörer überwältige ^).
Keiser setzte auch diese Passionsdichtung in Musik und
dieselbe wurde im Jahr 1712 und 1713 in der Charwoche in
Hamburg aufgeführt. jpAls ein Denkmal aus verkommener
Zeit — so urtheilt Chrysander *) — die sich das Leiden des
Heilandes in der herbsten Gestalt abschilderte und dann in
vornehmer Gesellschaft ein Vergnügen daran empfand; verdient
dieses Oratorium erhalten zu werden und wird es erhalten
bleiben. Ganz dasselbe gilt von Eeiser's Musik. In den Arien
verläugnet sich nicht die ihm angeborne Anmuth, die er dreist
genug mit allen Ueppigkeiten der Bühne ausstattet; die Reci-
tative sind gesucht richtig und mitunter treffend betont; die
lebhaften Bässe sind durchweg characteristich erfunden. Aber
alles geht leichtsinnig obenhin, nicht einem einzigen Satz be-
gegnet maU; der auch nur annähernd an die Erhabenheit des
Gegenstandes hinanreichte. In der Oper ist Keiser ein grosser
Tondichter, im Oratorium ist er ein seichter Melodist mit un-
zulänglichen Kenntnissen*. Sehr treffend und beherzigenswerth
sind die hieran sich anknüpfenden Bemerkungen desselben
Schriftstellers. „Ein kirchlicher Tonsetzer muss vor allem in
die Kunst der Stimmenverwebung und der harmonischen Ent-
faltung eingeweiht sein, denn den Schatz der Gesangweisen be-
kommt er von der Gemeinde zugetragen, und neue Melodien
zu erfinden ist so wenig ein Haupttheil seines Berufes, als es
der eines Predigers ist, neue Wahrheiten zu entdecken. Ein
Oratoriencomponist aber muss ausser der gesammten Ton-
wissenschaft noch eine grosse Seele zu eigen haben, die in
sich selbst die Mittel und Wege besitzt, über zufällige Erbärm-
lichkeiten der Zeit hinweg, wieder zu den Urquellen der
Wahrheit zu gelangen.*
Auch Teleman, Mattheson und Händel •) setzten
1) Siehe auch Winterfeld a. a. O. III. S. 128 und ff.
2} Ghrysander a. a. O. S. 434.
3) Siehe Ghrysander I, S. 440—447. Händel schrieb auch eine
kleinere Passion nach dem 19. Kapitel des Evangelisten Johannes im Jahr
1704. Die grössere nach ^rockes wurde erstmals am Gharfreitag 1867 in
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_ 163 —
1716 die Brockes'sche , 1712 erschienene Dichtung in canta-
tenmässig-dramatisirender Weise in Musik. Wie aber die Kir-
chenwerke der beiden Ersten und diejenigen Keiser's, so sind
auch ihre Oratorien ' längst vergessen und begraben, da sie in
denselben die Kirche mit der Bühne identificirten und den
rein sinnlichen Eeiz der letzteren auf erstere tibertrugen.
Wie Händel das biblisch-dramatische Oratorium *), so
erhob Johann Sebastian Bach das Passionsoratorium zu einer
Vollendung, die von keinem seiner Nachfolger übertroffen
wurde.
Johann Sebastian Bach ist am 21. März 1685 zu
Eisenach geboren, woselbst sein Vater, Ambrosius Bach, Stadt-
musicus war. Nachdem er, erst elf Jahre alt, Waise geworden,
nahm sich zunächst sein ältester in Ohrdruf lebender Bruder
seiner an, welcher ihm auch den ersten Klavierunterricht er-
theilte; zugleich besuchte er das dortige Lyceum und setzte
von Ostern 1700 an seine Studien an der Schule des Michaelis-
klosters in Lüneburg fort, woselbst er auch als Discantist
in den Singchor trat ^). Vom Unterrichtgeben wird er bei
seiner Armuth schon früh haben leben müssen. Im Jahr 1703
erhielt er die Stelle eines Violinisten an der Privatkapelle
des Prinzen Johann Ernst in Weimar , des Bruders des regie-
renden Herzogs. Wenige Monate später übernahm er die
Organistenstelle an, der Kirche zu Arnstadt, 1707 an der
Blasiuskirche zu Mühlhausen, ein Jahr darauf wurde er Hof-
organist zu Weimar, 1717 folgte er einem Rufe als Kapell-
meister an den fürstlichen Hof von Anhalt-Cöthen , und nach
dem Tode Kuhnau's wurde er Cantor und Musikdirector
an der Thomasschule zu Leipzig, in welchem Amte er bis zu
seinem am 28. Juli 1750 erfolgten Tode verblieb ^).
der Stuttgarter Stiftskirche unter Dr. Faisst's Leitung öffentlich aufgeführt
und am Charfreitag 1879 wiederholt
1) Die unserer Arheit gezogenen Schranken verbieten uns näher hierauf
einzugehen, zumal kirchliche Musik im strengen Sinn genommen alles dra-
matische ausschliesst. Auf Handelns Psalmen und Anthemen werden wir im
nächsten Abschnitt kurz zu sprechen kommen.
2) Die damaligen höhern Lehranstalten pflegten auch das musikalische
Studium.
3) Seine Wittwe starb im Jahr 1760 als Almosenfrau zu Leipzig.
11*
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— 164 —
Von den fdnf Passionen, welche Bach allem Anscheine
nach geschrieben, existiren noch drei, eine Matthäus-, Johannes-
und Lucaspassion. Die Authenticität der letztern, deren Partitur
in Besitz des Grossherzoglichen Kammersängers Josef Hauser
in Karlsruhe ist, wird von Spitta *) tiberzeugend nachgewiesen 5
aufgeführt werden nur jene nach Matthäus und Johannes.
Seine Passionen lassen drei Gruppen erkennen : den
Schrifttext mit dem erzählenden Evangelisten , den Reden
Jesu und den übrigen Personen , sowie den Chören der
Jünger, Priester und des jüdischen Volkes; dazu tritt die
christliche Gemeinde, Zion und die Gläubigen, welche sowohl
in Solosätzen als in Chören ihrer Betrachtung und Empfindung
Ausdruck geben und die , die protestantische Gemeinde reprä-
sentirenden und ihrer Stimmung Ausdruck verleihenden herr-
lichen Choräle.
Ein Riesenwerk ist seine Matthäuspassion, welche am
Charfreitag 1720 im Nachmittagsgottesdienst in der Thomas-
kirche zu Leipzig zum ersten Male in die Oeffentlichkeit trat;
dieselbe thürmt sich — so der erste Chor — aus drei Chören,,
zwei Orchestern und zwei Orgeln auf und wird als Denkmal
deutscher Geisteskraft und Geistesgrösse ewig bestehen bleiben.
Auch die Johannespassion, welche im Jahr 1724 am Charfrei-
tag in der Thomaskirche erstmals zur Aufführung gelangte,
enthält der grossartigen Schönheiten viel, wenn sie auch mit
Ersterer sich nicht messen kann.
Wie beide Passionen auf einem kirchlich volksthümlichen
Grund beruhen , verläugnet sich dieser Character auch iu
Bach's Weihnachts-, Oster- und Himmelfahrtömusiken nicht,,
welche ebenfalls den Grundzug der Passionsform an sich
tragen. Das Evangelium wird durch einen Tenor in Reci-^
tativform vorgetragen, ebenso die Reden der andern Personen ;
der Chor tritt ein bei den Worten der Weisen aus dem
Morgenlande, der Jünger, der Hohenpriester und Schriftge-
lehrten. Gerade wie in den Passionen erscheint auch hier die
an allem theilnehmende Gemeinde und das Ganze ist von
herrlichen Chorälen durchflochten, dazu die Orgel, und daa
1) Spitta II. S. 338—346.
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— 165 —
Orchester. Nur sein Osteroratorium (Mysterium, wie Spitta
€s nennt, da die Bezeichilung Oratorium hier nicht zutrifft)
weicht von der strengen Form insofern ab, als der Text sich
der Opernform nähert und Choral wie Bibelwort gänzlich aus-
geschlossen sind.
Das Weihnachtsoratorium , im Jahr 1734 geschrieben,
(Text Lucas 2. V. 1 und V. 3—21 sowie Matthäus 2. V. 1—12)
zerfallt in sechs unter sich abgeschlossene Theile, welche
zur Aufführung für die drei Weihnachtsfeiertage, den Neu-
jahrstag, den Sonntag nach Neujahr und das Erscheinungsfest
bestimmt waren. Dem Himmelfahrtsoratorium liegt die bib-
lische Erzählung Luc. 24, 50 — 52, Apostelgesqhichte 1, 9 — 12
und Marc. 16, 19 zu Grunde ; dasselbe gehört zu den reifsten
Werken des Meisters.
Eine Weiterbildung und Entwicklung hat die Passion seit
Bach nicht mehr erfahren. Passionsmusiken schrieben noch
Emanuel Bach, Graun (^Tod Jesu^ die berühmteste).
Dolos, Homilius und A., doch das kirchliche Ideal trat
immer mehr in den Hintergrund und die Oper bemächtigte
sich auch dieses Stoffes und man übertrug deren Formen auf
die Passion; wir erinnern nur an Graun's 35 Tod Jesu^, Schicht's
jjEnde des Gerechten* u. s. w.
Von neuern bedeutenderen Werken führen wir Liszt's
und KieTs Christus an. Namentlich ersteres Werk ist in-
sofern von Interesse, als dasselbe von der üblichen Form
vollständig abstrabirt und sowohl das Recitativ wie die Arie
ausgeschieden sind, und das Wenige, welches mit Worten er-
zählt wird, im altkirchlichen Collectenton wiedergegeben ist
und auch da wo Solo und Chorgesang auftritt, demselben das
Subjectiv-Dramatische abgeht. Das Ganze ist eigentlich ein
Cyclus von Chorbildern und zerfällt in drei Hauptabschnitt«:
I. Weihnachtsoratorium, II. nach Epiphania, III. Passion und
Auferstehung.
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— 166 —
vn.
Der geistliche und kircMiclie Gesang
in DentscUand
unter besonderer Beräcksicbtigang des evangeliscben Eircbenlieds
und Elrcbengesangs.
Da die lateinische Sprache von der römischen Liturgie
als ausschliessliche Sprache auch für den Kirchengesang vor-
geschrieben war, so wurde nach der Einführung des Christen-
thums in Deutschland — durch Gallus im 7. Jahrhundert
bei den Alamannen, in Mittel- und Niederdeutschland im 8.
Jahrhundert durch Bonifacius — die deutsche Sprache nur bei
der Beichte und der Predigt gestattet, und der Klerus war
dem Gesang in deutscher Sprache um so weniger günstig ge-
stimmt, als derselbe eine wesentliche Stütze des Heiden thums
war. Die Psalmen, Kesponsorien, Antiphone u. s. w. wurden
lateinisch und von eigens hiezu bestimmten, in der Regel dem
Klerikerstand angehörenden Sängern auf dem Chor gesungen.
Eine Sprache aber , welche das Volk nicht verstand, und ein
Gesang, an welchem dasselbe sich nicht betheiligen durfte,
konnten einem gemüthstiefen, religiös reich angelegten Volke,
wie das deutsche es war, nicht genügen ; es wollte seine Ge-
fühle der Andacht und Ehrfurcht vor dem Höchsten auch
selbstthätig ausdrücken, und da dies ihm in der Kirche nicht
gestattet war ^) , so wurden andere Gelegenheiten, wo die
römische Liturgie kein Recht hatte sich einzumischen, benützt,
kirchliche oder vielmehr geistliche Gesänge in deutscher
Sprache zu sirigen, wie bei Bittgängen, bei Wallfahrten, bei
den Jahresfesten der Schutzheiligen, bei Uebertragungen von
Reliquien, auf dem Kirchenwege, beim Eintreiben des Viehes
u. 8. w.
1) Siehe auch F. W. Rettberg: Kirchengeschichte Deutschlands»
n. Band. Göttingen 1848. S. 779-780.
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— 167 —
Von einem deutschen Kirchenlied, das heisst solchen Ge-
sängen, welche einen Bestandtheil des Gottesdienstes bildeten,
erst von Luther an zu reden, ist geschichtlich nicht haltbar,
denn einen deutschen geistlichen Gesang — auch innerhalb
der Kirche, da in die katholische Liturgie schon vor der
£eformation deutsche geistliche Lieder aufgenommen waren
— gab es schon lange vor der Beformation, wie wir noch
sehen werden, und derselbe war nicht etwas von den Eefor-
matoren ganz neu Erfundenes. Im Gegentheil bildet gerade
dieser ältere, deutsche geistliche und Kirchengesang — denn die
Gesänge des Volkes bei Bittgängen, Prozessionen u. s. w.
sind nicht als ausserkirchliche Gesänge streng genommen zu
betrachten, da sie wesentliche Momente des katholischen Got-
tesdienstes sind — die Grundlage des protestantischen Chorals.
Zudem sang man schon vor der Beformation deutsche Kir-
chenlieder vor und nach der Predigt, bei einzelnen Theilen
der Messe u. s. w. ^) Die Reformatoren geben dies auch selber
zu. So sagt Melanchthon in der Apologie der Äugsburgi-
schen Confession beim Artikel 24 (9) von der Messe : „Wir
lassen daneben auch teutsche christliche Gesänge gehen, damit
das gemeine Volk auch etwas lerne und zur Gottesfurcht und
Erkenntniss unterrichtet werde. Der Brauch ist allezeit für
löblich gehalten worden in den Kirchen. Denn wiewohl an
etlichen Orten mehr, an etlichen Orten weniger teutsche Ge-
sänge gesungen werden, so hat doch in allen Kirchen je das
Volk etwas. teutsch gesungen. Darum ists so neu nicht^. So
bestand der Gesang in den lutherischen Kirchen, wie wir
weiter unten noch sehen werden, anfanglich nur in Liedern,
welche aus der katholischen Kirche herüber genommen waren
und nur textlich verändert wurden. Bemerkt doch Luther
selbst in seiner Vorrede zu den „Begrebnisgesengen* vom
Jahr 1542: „Zudem haben wir auch zum guten Exempel,
die schönen Musica oder gesenge so Im Babstumb, in Vigi-
lien, Seelenmessen und begrebnisen gebraucht sind, genom-
men, der etliche in dis büchlein drüken lassen, und wollen
1) Wie reich der Liederschatz der katholischen Kirche schon vor der
Reformation war, beweist das bei Severin Meister a. a. O, S. 36—39 mit-
getheilte Yerzeichniss der kirchlichen Liederdrucke.
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— 168 —
mit der Zeit der selben mehr nennen*. Da« deutsche Kir-
chenlied hat sich überhaupt aus dem lateinischen Kirchen-
gesang ^ dessen Melodien sich bis in die frühesten Jahrhunderte
verfolgen lassen, und aus dem deutschen Volksgesang entwickelt,
da die deutschen Kirchenlieder ^ welche zum Theil üebersetz-
ungen der altern lateinischen Gesänge waren, sich zunächst
an die Melodien der lateinischen anlehnten.
In Bom war man zwar dem Kirchengesang in der Mutter-
sprache nie günstig gestimmt, und nur durch die Macht
der Verhältnisse dazu gezwungen gestattete man denselben.
Noch eine Bulle Alexander's VII. vom 12. Januar 1661 be-
weist, wie Rom über den Kirchengesang in der Landes-
sprache dachte: ^^u unserem grossen Seelenschmerze haben
wir vernommen, dass im gallischen Reiche Einige zu dem
üebermuth kamen, das römische Missale in die gallische
Volkssprache zu übersetzen und es wagten, diese Uebersetzung
durch den Druck zu veröffentlichen. Die Neuerung macht
uns schaudern und wir verabscheuen sie, da sie die Zierde
der Kirche entstellt, Ungehorsam, Unehrerbietigkeit, Frechheit^
Aufruhr und Spaltung hervorruft*. Hierauf folgt der Befehl,
dass alle diejenigen, welche das. in die Landessprache über-
setzte MissaJe in die Hände bekommen oder besitzen, dasselbe
den Inquisitoren zu überliefern hätten, damit es dem Feuer
überantwortet werde.
Bis zum 10. Jahrhundert beschränkte sich der Kirchen-
gesang der Deutschen auf den Ausruf „Kyrie eleison* ^), Herr
erbarme dich, welcher von römischen Mönchen aus Italien,
wohin er durch griechische Christen gekommen war, zu An-
fang des 9. Jahrhunderts in Deutschland eingeführt wurde,
sowie auf die Beantwortung der priesterlichen Intonationen ^).
Der Gesang des Kyrie eleison, eine Art Jubelruf, welcher
sich wie beim AUeluja durch ein längeres Aushalten der
1) Das Kyrie eleison war als Gebetsruf schon im heidnischen Alter-
thum gebräuchlich; so heisst es in Virgil's Aen. üb. XII: „Turne, in te
suprema salus, miserere tuorum"; und weiter: „Faune, precor, miserere mei",
2) Nach Rettberg a. a. 0. finden sich auch Aufforderungen an das
Volk, bei den Responsorien sich zu betheiligen und mit den Priestern das
Sanctus zu singen.
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- 169 —
Töne und Ziehen der Silben, namentlich der Endsilben,
ähnlich dem Pneuma, characterisirt haben mag, war auf Jahr-
hunderte der einzige gottesdienstliche Gesang, an welchem
das Volk sich betheiligte. So verordnen schon die Capitularien
Karl des Grossen und Ludwig des Frommen, dass die Christen
nicht an den Kreuzwegen oder auf den Gassen stehen und
sich mit Erzählungen und weltlichen Gesängen die Zeit ver-
treiben, sondern zu einem frommen Priester gehen sollen,
der Predigt beiwohnen , zur Vesper und zu den Metten
kommen und alle ihr Kyrie eleison sowohl beim Her- als Heim-
gange singen; ebenso wird ihnen bei der Ausübung ihres
Berufs,, sowie beim Aus- und Eintreiben des Viehes das Kyrie
eleison empfohlen. Auch bei Leichenbegängnissen sollen jene,
welche keine Psalmen wissen, mit lauter Stimme Kyrie eleison
und Kriste eleison anstimmen. Kam es vielleicht vor, dass
das Volk auch einen andern Gesang anstimmte, so war der-
selbe bis nach der Mitte des 9. Jahrhunderts ein lateinischer,
von den Priestern eingelernter Psalm oder Hymnus, welcher
in antiphonartiger Weise abgesungen wurde, indem die Männer
und Weiber oder die Vordem und Hintern im Zuge ab-
wechselten. Die für den ausserkirchlichen Gebrauch in deut-
scher Sprache entstehenden Gesänge waren in Strophen ge-
gliederte, welche Einer sang, während am Schluss einer Strophe
die Menge mit Kyrie eleison einfiel. D<er Gebrauch lateinischer
Hymnen oder bloss jener Ausrufung war eben damit nicht
aufgehoben, sondern nur beschränkt; er dauerte fort, die
deutschen Lieder und Leiche *) sogar noch lange überwiegend.
Das Volk benützte natürlich jede sich ihm bietende passende
Gelegenheit ^) , das Kyrie ertönen zu lassen und zwar oft
hundert bis dreihundert Mal hintereinander. Hoffraann ^) er-
wähnt, dass beim Feste der Himmelfahrt Maria auf dem Lau-
1) Wilhelm Wackernagel a. a. O. §. 32 definirt Leich als eiuen
psalmus cantici im Gegensatz zum Lied, welches canticum psalmi hiess. Lai war
die allgemeine Bedeutung von Ton, Gesang und Lied, woraus sich die ver-
schiedenen Arten des Volkslieds entwickelten.
2) Siehe auch F^tis: Histoire g^n^rale de la musique. IV. p. 443.
3) H o f f m ännvonFallersleben: Geschichte des deutschen Kirchen-
lieds. 2. Aufl. S. 8.
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rentiusberge das Volk erst hundert Kyrie eleison, dann hun-
dert Kriste eleison und endlich hundert Kyrie eleison zu singen
pflegte. Bei der üeberführung der Gebeine des heiligen Boni-
facius von Mainz nach Fulda im Jahr 819, sowie bei der
Ueberbringung der Ueberreste des heiligen Liborius von Mens
in Frankreich uach Paderborn im Jahr 836 sang das Volk
Kyrie eleison, während die Kleriker lateinische Hymnen sangen.
Um noch einige Beispiele anzuführen, so sangen die Männer
und Frauen aus dem Sachsenlande, welche im Jahr 836 zu
den Gebeinen des heiligen Vitus nach Corvey wallfahrteten,
Tag und Nacht chorweise Kyrie eleison, und bei der feierlichen
Einsegnung des Prager Bischofs Dethmar (973) rief das Volk
Kyrie eleison, während die Geistlichkeit das Tedeum anstimmte
imd der Herzog von Böhmen Boleslaus II. mit den Grossen
des Landes
Kinädo Christo
Kyrie eleison
unde die heiligen all^ helfant uns
Kyrie eleison
sang. Als zu Anfang des 11. Jahrhunderts in der Diöcese Köln
grosse Hungersnoth und Pestilenz herrschte, Hess der Erzbischof
Heribert feierliche Bittgänge anstellen, bei welchen das Volk
und die Geistlichkeit einstimmig Kyrie eleison sangen ^).
Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu beweisen,,
dass der religiöse Volksgesang bis zum 9. oder 10. Jahrhun-
dert in der Regel nur aus den zwei Wörtern des Kyrie
eleison bestand, welcher Gesang auch unter der Bezeichnung
Kyrieles und Kyrieleis, in Böhmen als Krles, in Frankreich
als Kyrielle vorkommt. Diese Bezeichnungen beweisen, dass-
ähnlich wie bei den Neumen, eine Reihe von Tönen auf diese
Wörter gesungen wurde. Wie nun Notker, wie wir bereit»
im ersten Abschnitt gesehen, den Neumen des AUeluja Texte
unterlegte, so wurden um die Mitte des 9. Jahrhunderts auch
diesen Jubeltönen des Kyrie deutsche Worte beigegeben, und
da die Strophen fast sämmtlicher geistlicher Lieder mit dem
Refrain des Kyrie und Kriste eleison schliessen, so dürfen wir
1) Weitere Beispiele bei Ho ff mann a. a. O.
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— 171 —
in dieser Art von Jubilos den Ursprung des deutschen Kirchen-
liedes erkennen.
Das älteste bekannteste Kirchenlied oder Leich ist fol-
gendes aus dem 9. Jahrhundert:
Ungar trothin hat farsalt
sancte P^tre giunalt
daz er mac ginerian
ze imo dingenten man *)
Kyrie eleison, christe eleison.
Die Singweise dieses Liedes ist zwar erhalten , doch
konnte die Neumennotation derselben bis jetzt nicht entr
ziffert werden. Das Lied hat drei Strophen, von welchen jede,
wie aus dem von Severin Meister *) mitgetheilten Facsimile
hervorgeht, eine besondere Melodie besitzt und nur der Schluss-
refrain des Kyrie eleison, Kriste eleison bei jeder Strophe die
gleiche Schlusscadenz bildet. ^Diesen Leich auf den heiligen
Petrus sangen allä samant (alle zusammen), die einen den Text
mit wechselnder Melodie, die andern oder dann alle den
Refrain, das alttibliche Kyrie, und dies immer nach der gleichen
Weise« »).
Hauptsächlich erwarb sich auch auf diesem Gebiet wie-
derum St. Gallen durch einen Notker Balbulus, Otfried
und Ratpert, welche, wie wir schon oben sahen, den Volks-
gesang eifrig pflegten, grosse Verdienste. Letzterer, im Jahr
900 gestorben, verfasste einen Leich auf das Leben des heiligen
Gallus, damit das Volk denselben singe; es ist dies ebenfalls
einer der ältesten deutschen Gesänge; nach je fünf Zeilen
kehrt stets dieselbe Melodie wieder. Otfried von Weisse n-
burg im Elsass, Benedictinermönch dortselbst, verfasste um
868 ein Reimevangelium, damit es, wie er in seiner Zuschrift
an König Ludwig sagt, gesungen werde. Zwar verstand man
hierunter auch den gehaltenen Vortrag prosaischer Rede.
1) Unser Herr hat
Dem hl. Petrus die Gewalt,
DasB er mag erhalten
Den zu ihm hoffenden Mann.
2) Severin Meister a. a. O. Anhang I.
3) W. Wackernagel a. a. 0. §. 32.
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— 172 —
jj Singen und Sagen waren in Beziehung des mitgetheilten
Stoffes eins, da jeder Gesang eine Sage war, das heisst er-
zählte* 1).
Deutsche Kirchenlieder aus dem 11. Jahrhundert sind
uns nicht erhalten ; doch ist wohl anzunehmen , dass auch
in dieser Zeit solche gedichtet und gesungen wurden. Wippo
im Leben Konrad des Saliers theilt wenigstens mit, dass nach
der Wahl des letztern im Jahr 1024 das Volk dem Könige
zu seiner feierlichen Salbung nach Mainz folgte: jjFröhlich
zogen sie einher, die Geistlichen sangen lateinisch, die Laien
deutsch, jeder auf seine Weise.* Ein ebenfalls höchst wahr-
scheinlich dem 11. Jahrhundert angehörendes Weihnachtslied,
dessen Melodie nicht mehr existirt und das die Scheffen im
Münster zu Aachen in der Christnacht anstimmten, ist folgendes:
Nun siet uns willekomen, hero Kerst,
Die ihr unser aller hero aiet.
Kyrie-leyson.
Nun ist gott geboren unser aller trost,
Der die hölsche phorten mit seinen creutz aufstoes
Die Mutter hat geheischen maria
Wie in allen Kersten bucheren geschrieben steht:
Kyrie-leyson.
Wenigstens berichtet Christian Quix *), dass in der Christ-
nacht die Herren Scheffen auf ihrer Gerichtsstube sich ver-
sammelten und dann in die Münsterkirche giengen, wo sie
die Chorstühle der rechten Seite einnahmen und obiges Lied,
welches vom Chor fortgesungen wurde, anstimmten ^).
Vom 11 — 13. Jahrhundert entstanden Festgesänge auf
Weihnachten, Ostern (Christ ist erstanden), Pfingsten (Nu
bitten wir den heiligen Geist umb den rechten glouben aller
meist, daz er uns behüte an unserm Ende s6 wir sein sule
vare üz diesem eilende, Kyrieleis), und Marienlieder. Mit dem
Aufkommen der Letztern entstand auch der Refrain Sancta
1) W. Wackernagel a. a. 0. S. 62.
2) Christian Quix: Historische Beschreibung der Münsterkirche und
der Heiligthumsfahrt in Aachen. Aachen 1819. S. 119.
3) Siehe auch Hoff mann a. a. O.
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— 173 —
Maria; seit den Kreuzzügen auch Kreuzlieder, Wallfahrtslieder
und Busslieder. Man begann damals auch schon den Text
der lateinischen Singweisen in das Deutsche zu übertragen,
so z. B. die Sequenz Notker's : jjCon gaudent angelorum
chori*, Sieh mit frowend der engein chor, oder die Sequenz
des Mönches Heinrich (1030) ^Äve praeclara maris Stella*,
Ave vil liether merissteren. Es sind uns auch Gesänge,
deren Entstehung in diese Zeit fällt , erhalten wie z. B. :
jplu in die erde leite Aaron eine gerte*', „Er ist gewalik unde
stark, der zu wihenacht geboren wart*. Dass die im 12. Jahr-
hundert entstandenen Lieder auch gesungen wurden, beweist
der ausführliche Bericht zweier Mönche, welche den heiligen
Bernhard von Clairvaux 1147 -auf seinen Wanderungen an
den Ufern des Rheins, woselbst er das Kreuz predigte, be-
gleiteten. So wird von K^öln erzählt, dass bei jedem einzelnen
Wunder das Volk seine Stimme zum Lobe Gottes in folgender
Weise erschallen liess ^) :
Christ uns genäde
Kyrie eleyson
Die heiligen alle helfant uns.
Es gab auch bloss melodische Rufe, in welche die Menge
bei plötzlichen Anlässen religiöser Erregung ausbrach: „sie
begunden alle sament jehen, da waere ein zeichen geschehen,
und erhuoben einen höhen sank* *). In einem Briefe des
Mönches Gottfried an Bischof Hermann von Constanz beklagt
sich derselbe, dass man beim Verlassen der deutschen Gegenden
das Lob Gottes nicht mehr singen höre: j^das romanische
Volk hat nämlich keine eigenen Lieder nach Art euerer
Landsleute, worin es für jedes einzelne Wunder Gott dank-
sagt.* Es geht hieraus hervor, dass in Deutschland damals
schon vom Volk geistliche Lieder gesungen wurden. So be-
richtet uns auch Gerhoh, Probst zu Reichersberg, gestorben
im Jahr 1169, in seiner Erklärung der Psalmen, dass unter
den Deutschen am meisten Christus Lob in Liedern der Volks-
sprache gesungen werde.
1) Siehe Hoffmann B. 40 ff.
2) W. Wackernagel §. 76.
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— 174 -
Es kann nach diesen Zeugnissen mit Sicherheit angenommen
werden, dass im 12. Jahrhundert der blosse Ruf des Kyrie
eleison sich in einen wirklichen religiösen Volksgesang um-
gebildet hatte, welcher aus verschiedenen, unter sich Strophen
bildenden Versen bestand, welche in der Kegel mit Kyrie
eleison schlössen und eine Mittelstellung zwischen dem Volks-
lied und den Sequenzen einnahmen. Einer der ältesten dieser
Volksgesänge ist das in Böhmen vielgesungene Adalbertuslied,
welches seit dem 11. Jahrhundert vom Volk am Adalbertus-
grabe neben dem Prager Dome, wenn Dürre herrschte, ge-
sungen wurde. So wurde es auch üblich vor der Schlacht
Leisen anzustimmen. In der Schlacht bei Tusculum 1167
ertönte als deutscher Schlachtgesang die Leise: „Christ der
du geboren bist.* Ebenso sang man zur See während und
nach der Fahrt geistliche Weisen. Mitte des 12. Jahrhunderts
entstand die Leise j, Christ ist erstanden^^, auch das „österlich
Matutin" genannt.
Von dem Refrain, mit welchem diese Volkssequenzen
gewöhnlich schlössen, nannte man vom 13. Jahrhundert an
alle Kirchenlieder Leisen, Kirleise, Kirleis. Wacker-
nagel ^) hält es zwar auch für möglich, dass Lais, das fran-
zösische Wort für Leich, bei der Namengebung mitgewirkt
habe, da die geistlichen Gesänge nicht bloss Lieder, sondern
auch Leiche waren und noch später Leis und Leich als gleich-
bedeutend galten. Doch entscheidet sich auch Wackernagel
für die wohl allein richtige Ansicht Hoffraann's, dass Leise
oder Leis eine Abkürzung von Kirleise oder Kirleis ist.
Das 13. Jahrhundert mit seinen vorwiegend politischen
Literessen, den Kreuzzügen, dem Aufblühen des Handels und
des Städtewesens, sowie der immer mehr zunehmenden Ver-
wilderung der Geistlichkeit, war dem geistlichen Liede nicht
sonderlich günstig, obwohl auch die lateinischen Gesänge schon
dem Volksmässigen sich zuzuneigen beginnen; es sind haupt-
sächlich Advents-, Weihnachts- und Marienlieder, die, wenn
auch nicht kirchlich sanctionirt, zum Gebrauch des Volkes
bei gewissen kirchlichen Veranlassungen gestattet, und in Folge
1) Waokernagel §. 76.
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— 175 —
ihrer anmuthigen, leicht eingehenden Melodien im Volke so
beliebt und bekannt waren, dass die spätem Herausgeber der
katholischen Gesangbücher oft nur deren Text aufnahmen,
weil sie die Melodie als bekannt voraussetzten ^). Auch das
heute noch gesungene „Christ ist erstanden" war ein im
13. Jahrhundert schon bekanntes Kirchenlied und bildete in
den Osterspielen den stehenden Schlussgesang, wie dasselbe
auch in die Liturgie einzelner Kirchen Eingang gefunden
haben mag. Ebenso war das Pfingstlied: „Nun bitten wir
den heiligen Geist" ein im 13. Jahrhundert schon vielgesun-
genes Lied, in welchem jeder Strophe ein Kyrie angehängt war.
Den damals in Deutschland schon häufig vorkommenden Wall-
fahrten mag ebenfalls manches geistliche Lied seine Entstehung
verdankt haben, wie z. B. das „In Gottes Namen fahren wir",
welches auf Reisen und Pilgerfahrten sowie in der Kreuzwoche
und am Marcustage, auch zu Schiffe gesungen wurde. Ebenso
trugen die Gesänge der Kreuzfahrer sowie Jener, welche über
das Meer fuhren, und jene mit welchen die Schlacht begonnen
wurde, religiösen Character. Wenn aber einer vorsang und
die Uebrigen nachsangen, so war der Refrain immer das alte
Kyrie eleison.
Dass Deutschland durch seine geistlichen Gesänge schon
damals einen Namen besass, haben wir oben aus den Berichten
der Mönche des heil. Bernhard gesehen. Ein weiteres Zeug-
niss und zwar aus dem 13. Jahrhundert ist folgendes *): Als
der heilige Franciskus im Jahr 1221 zur Ausbreitung seines
Ordens einen Missionsversuch in Deutschland unternahm, liess
derselbe durch einen Ordensbruder auf dem Ordenscapitel die
versammelten Mönche also anreden: „Meine Brüder, es gibt
eine gewisse Gegend, Deutschland genannt, worin Christen
wohnen, und recht fromme, welche, wie ihr wisst, oft in unser
Land mit langen Stäben und grossen Stiefeln bei der heftigsten
Sommerhize im Schweisse badend pilgern und die Schwellen
der Heiligen besuchen und Loblieder Gott und seinen Heiligen
singen.*
1) S. Meister a. a. O. S. 123.
2) Hoffmann S. 68.
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— 176 —
Meister a. a. O. theilt die Uebersetzungen folgender
drei Lieder mit ihren Weisen aus dem 13. Jahrhundert
mit : „Nie wart gesungen süezer gesang" (Jesu dulcis me-
moria) „Kum schepfaer, heiliger geist" (Venl creator spiritus),
und „Got sage wir gnäde und 6ren danc" (Hymnum dicamus
domino)^).
Das 14. Jahrhundert mit seinen politischen und kirchlichen
Zerklüftungen war einer Entwicklung des deutschen Kirchen-
liedes wie dem geistlichen Volksgesang überhaupt noch we-
niger günstig; dazu kam noch Pestilenz und Hungersnoth.
Die hiedurch wieder mehr wach gewordene religiöse Stimmung
des Volkes wurde aber am allerwenigsten von der Geistlichkeit
benützt.
Nicht übergehen dürfen wir hier die Lieder der Geisler.
Im Jahr 1349 verheerte der sogenannte schwarze Tod Deutsch-
land auf eine furchtbare Weise; zu Limburg starben allein,
wie uns der Verfasser der Limburger Chronik ^) mittheilt,
„mehr denn 2400 Menschen, ausgenommen die Kind. Da
das Volk den grossen Jammer sähe vom Sterben das auf
Erdreich was, da fielen die Leut gemeinlich in ein grosse
Eeue ihrer Sünden und suchten Poenitentien und thäten das
mit eigenem Willen und nahmen den Bapst und die heil. Kirche
mit zu Hülf und zu Rath. Das grosse Thorheit was und
grosse Unvorsichtigkeit und Versäumniss und Verstopfung ihrer
Seelen. Und verhaften sich die Mannen in den Stätten und
im Land, und gingen mit den Geiselen, hundert, zwei oder
dreihundert, oder in der maass. Und was ihr Leben also,
dass etlich Parthei gingen 30 Tag mit den Geiseln von einer
Stadt zu der andern, führten Kreutz und Fahnen, also in den
Kirchen, und hatten Hut auf, daran stund vornen ein roth
Kreutz, und jeglicher trug seine Geisel vor ihm, und sungen
ihre Laisen also:
1) Siehe auch Hoffmann S. 288 und Nr. 167, 208 und 166.
2) Siehe für das folgende Chrys ander: Jahrbücher, I.Band, woselbst
der poetisch-musikalische Theil der Limburger Chronik von Johannes, nebst
dem Fritzschen Closener's Bericht über die Fahrten der Geisler mit-
getheilt ist. S. 1 15— 146.
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— 177 —
Ist disse Bedefahrt so hehre,
Christ fahr seihst za Jerusaleme,
Und fahrt ein Kreutz in seiner Hand,
Nun helf uns der Heiland«
Der Laise war da gemacht und singet man den noch,
wann man Heilgen trägt. Und hatten sie ihre Vorsinger zween
oder drei, und sungen sie ihnen nach. Und wann sie in die
Kirch kamen, theten sie die Kirch zu, und theten all ihre
Kleider aus, bis auf ihre Niederkleider, und hatten von ihren
Enkeln bis auf ihr Lenden Kleider von Leinentuch, und gingen
umb den Kirchhof üween und zween bei einander in einer
Prozess, als man pflegt umb die Kirchen zu gehen und zu
singen. Und ihr jeglicher schlug sich selber mit seiner Geisel
zu beiden Seiten über die Achsel, dass ihnen das Blut über
die Enkel floss, und trugen Kreutz, Kirtzen und Fahnen vor.
Und ihr Gesang was also, wann sie umbgingen:
Trotten herzn wer husen will,
So fliehen wir die heise Hell,
Lucifei* ist ein höser Gesell,
Wen er hat,
Mit Bech er ihn Iaht.
Das was noch mehr, und in der Final des Gesangs oder Lids
sungen sie:
Jesus ward geiahet mit Gallen
Des sollen wir an ein Kreuz fallen.
Wenn sie ihre Busse verrichtet hatten und weiter gingen,
80 leisen (sangen) ihnen ihre Vorsänger ihre Laisen. Der
Gesang war also:
O Herr Vatter Jesu Christ
Wann du allein ein Herre hist.
Du hast uns die Sund Macht zu vergehen,
Nun gefrist uns hie unser Lehen,
Dass wir heweinen deinen Tod,
Wir klagen dir Herr all unser Noth.
Das (dess, d. i. solcher Verse) war noch mehr. Auch sungen
sie ein ander Lais, der was also:
Sittard, Gompendiam. 1^
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— 178 —
Es ging sich unser Frauwe, Kyrieleison,
Des Morgens in dem Tauwe , Halleluia,
Da begegnet ihr ein Junge, Kyriel.
Sein Bart was ihm entsprungen. Halleluia.
Gelobt seist du Maria. ')
Die althergebrachte Liturgie mit ihren durchaus in der
lateinischen Sprache abgefassten Gesängen blieb übrigens un-
verändert fortbestehen. Die Geistlichen selbst scheinen da-
mals lieber weltliche als geistliche Lieder gesungen zu haben.
jSie singen ihre Tagzeiten nicht; wollte Gott, dass sie sprä-
chen mit Andacht und nicht weltliche Lieder sängen! So aber
singt der eine den Frauenlob, der andere den Mamer, der
dritte den starken Poppe. Der Poppen ist soviel geworden,
dass sie der Gotteshäuser Gut und Ehre verpoppeln* •).
Ausser den Liedern der Geisler und den meisten dieser
Periode angehörenden geistlichen Liedern eines Eckard, Nicolaus
von Basel, Tauler, Nicolaus von Strassburg, Meerschwein u. A.,
von welchen sich übrigens nur wenige als Kirchenlieder längere
Zeit erhielten, haben wir auch noch der Lieder des Mönchs
von Salzburg zu erwähnen, worunter sich 26 Uebersetzungen
befinden'). Meister*) theilt folgende drei Gesänge sammt deren
Weisen mit: j, Salve gruesst bist mueter hailes*, jjWir süllen
loben all dy raine*, ^Sälig sei der seiden tzeit*.
Dem 14. Jahrhundert gehört auch das Osterlied: j^Dü
lenze guot, des järes tiurste quarte* an, von welchem David
Gregorius Corner, Abt, des Benedictinerklosters Göttweig, in
seinem Gesangbuch vom Jahr 1631 Text und Melodie mit-
theilt und hinzufügt, dass Konrad von Queinfurt, Pfarrer
zu Steinkirch am Queiss, gestorben 1382 zu Löwenberg,
diesen Ostergesang verfasst habe. Valentin Triller nahm das-
selbe schon 1559 in sein christliches Singbuch auf, behielt
jedoch nur die Melodie bei, indem er den Text umarbeitete;
1) Wer sich noch weiter informiren will, den yerweisen wir auf schon an-
geführten L Band der Jahrbücher.
2) Aus dem „Handbuch der Natur^, handschriftlich zu München,
Bl. 78 b, bei Hoffmann S. 75.
3) Hoff mann S. 247.
4) Meister a. a. 0.
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— 179 —
den ursprünglichen Text theilt Hoffmann S. 78 — 80 mit.
Ferner gehören dieser Zeit die Lieder: j^Also heilig ist der
Tag*, „Christe Du bist mild und bist gut*, ^Es gingen drei
heilige Frauen*, j^In dulci Jubilo* u. s. w.
Das 15. Jahrhundert war ungemein reich an kirchlichen
Liedern ^), welche sich zum Theil bis heute erhalten haben;
auch verschwand mehr und mehr der lateinische Gesang
unter den Laien, sogar Parodien auf Psalmen und Hymnen
entstanden, welche den Widerwillen des Volkes gegen den
lateinischen Gesang auf das unzweideutigste bekunden. Sowohl
die Beschaffenheit als die weite Verbreitung des geistlichen
Volksgesangs sowie die sich mehrenden Bestrebungen, die
lateinische Sprache durch die deutsche in der Kirche zu er-
setzen, waren die Veranlassung, dass man in manchen Kirchen
neben dem bestehenden lateinischen Gesang der Geistlichen
den deutschen Gesang der Laien einführte. Die Geistlichen
sangen lateinische Texte ab und das Volk antwortete durch
Gesänge in deutscher Sprache; die Gesänge waren in der
Regel prosenartig oder Sequenzen. jjSonderlich wird, an
diesem sehr grossen Fest der kurze Sequentz gesungen, Grates
genannt, und darauff unsere Alten sungen: Gelobet seystu
Jhesu Christ, das du Mensch geboren bist* u. s. w. *).
Von bedeutendem Einfluss auf die Entwicklung des Kir-
chenliedes war nicht nur der Umstand, dass durch die Er-
findung der Buchdruckerkunst die im Volksmund lebenden
Melodien zum Gemeingut Aller wurden und dadurch auch
befruchtend auf Dichter und Sänger wirkten, sondern dass
aich auch allmählig in einzelnen kirchlichen Kreisen die Ueber-
zeugung Bahn brach, dass die Einführung der Landessprache
in die Kirche nothwendiges Bedürfniss sei. Denn das Kirchen-
lied als solches konnte nur dann erst zu reicher Entfaltung
1) Aus dieser Zeit stammt auch die Lieder handschrift des Mönches
Heinrich von Laufenherg, aus dessen Handschrift Meister im An-
hang, Kopie Nr. 4, das n^^Y^ regina**, ^bis grüst maget reine ** und dessen
Weise mittheilt.
2) K. Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von Luther an. Stutt-
gart 1841. S. 92, Nr. 131.
12*
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— 180 —
und wirklichem Gedeihen gelangen, wenn dasselbe als inte-
grirender Bestandtheil des Gottesdienstes anerkannt und zu-
gelassen wurde. Namentlich in Böhmen trat man energisch
für die Einführung der Landessprache beim Gottesdienste ein.
So dichtete Johann Huss mehrere Lieder zum Singen in der
Kirche, welche in die Gesangbücher der mährischen Brüder
tibergingen. Im Jahr 1501 besassen die Böhmen schon ein
gedrucktes Gesangbuch mit 92 Liedern, welche von der Ge-
meinde gesungen wurden.
Von bekannteren, schon vor der Reformation gesungenen
Kirchenliedern führen wir u. Ä. an das Abendmahlslied:
Der heilig Frouleichnam der ist gut,
geit uns ein freis gemüte,
and der ist aUer gnaden vol
wohl durch sein werte gute a. s. w.
welches sich längere Zeit in der katholischen Kirche erhielt *)•
Dann ein Marienlied;
Dich Frau vom himel ruf ich an
in diesen grossen nöten mein.
welches 1525 von Hans Sachs ^christlich verändert und corri-
girt* als jj Christum von Himel ruf ich an* erschien.
Von sonstigen Sing weisen, welche im 15. Jahrhundert
schon vorhanden waren, erwähnen wir folgende:
„Es ist ein Ros entsprungen '^
„Gott der Vater wohn uns bei"
„Gott sei gelobet und gebenedeit"
„Mitten wir im Leben sind"
„O du armer Judas"
„Freu dich du werthe Christenheit"
„Gelobet seist du Jesu Christ"
„Christ fuhr gen Himmel" u, s. w.
sowie eine grosse Anzahl von Kreuz-, Wallfahrts-, Marien- und
Heiligenliedern.
Jedoch nicht bloss bei Bitt- und Wallfahrten, sondern
1) Veesenmeyer: Versuch einer Geschichte des deutschen Kirchen«
gesangs in der Ulmer Kirche. Ulm 1798.
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— 181 —
auch — und zwar vor der Reformation — vor und nach der
Predigt, bei einzelnen Theilen der Messe und bei den Nach-
mittag- und Abendgottesdiensten wurden deutsche Lieder ge-
sungen. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war
hauptsächlich der Gesang weltlicher Lieder ungemein ver-
breitet und auch die Geistlichkeit konnte sich dem Einfluss
derselben nicht entziehen. Sogar in die stillen Klosterzellen
•drangen dieselben, nur wurden die weltlichen Texte entweder
umgedichtet oder bloss die Melodie benützt. Die früher ausser-
halb der Kirche gebräuchlichen Gesänge wurden nun auch
innerhalb derselben gesungen. Die neugedichteten lehnte man
an die schon vorhandenen Singweisen an, ebenso verfuhr man
bei Uebersetzungen, wobei man, damit der Text sich der
Melodie anzupassen vermochte^ oft reimlos und dem Sinn nach
ungenau übersetzte. Man nahm auch aus der weltlichen Lyrik
des Volkes Gesänge in den kirchlichen Gesang herüber, in-
dem man an den Worten und Weisen derselben so ,wenig als
möglich änderte ^). Manche Lieder enthielten auch deutschen >
und lateinischen Text gemischt *).
Es wurden also nicht nur weltliche Lieder umgedichtet,
sondern auch weltliche Volkslieder nachgebildet, aus welchen
dann geistHche Lieder entstanden. Ebenso wurden von den
Volksliedern deren Weisen benützt, und wie man vom 14. bis
in das 17. Jahrhundert z. B. den Messen, wie wir oben sahen,
nach den denselben zu Grunde liegenden Motiven ihren Namen
gab und dieselben sehr oft weltlichen Liedern entnahm, so
verfuhr man nunmehr ebenso beim geistlichen Volkslied. So
heisst es oft^ in der üeberschrift: „im Ton* oder j^in der
Weise* wie man singt j^die schlacht vor Pavia*, „Im Hilde-
brant ton", „der Kukuk hat tot gefallen*, „die Welt die hat
«in dummen mut* u. s. w.
Auch auf die Gesänge der evangelischen Kirche übte der
Volksgesang einen bedeutenden Einfluss aus, und die meisten
Gesänge der neuen Kirche gingen zunächst, sofern nicht ältere
1) Vergleiche die Ffullinger Handschrift auf der Stuttgarter öffentlichen
Bibliothek, theol. und philos. Nr. 190. 4.
2) K. Wackernagel a. a. O, Nr. 763, 766 und 767.
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— 182 —
lateinische Kirchenlieder denselben zu Grunde liegen, aus dem
Volksgesang hervor. Es wiederholt sich hier der ursprüng-
liche Process, und wie die altem Kirchengesänge christlichen
Volksmelodien oder umgekehrt entnommen wurden, so trug
man auch hier kein Bedenken, Melodien des weltlichen und
Volksgesanges herüber zu nehmen, und manche unserer
schönsten Choräle waren ursprünglich Volksmelodien. Ebenso
übertrug man, wie schon bemerkt, ältere lateinische Gesänge
in's Deutsche, oder wurden sie dem Original nachgebildet.
Der Einfluss auf die Gestaltung des evangelischen Kirchen-
lieds war insofern ein bedeutender, als durch die Herüber-
nähme der alten Volksweisen — im Gegensatz zum alten
lateinischen Kirchenlied, welches der rhythmischen Mannig-
faltigkeit entbehrte — dasselbe, abgesehen von der volks-
thümlichen Färbung, eine gegliederte rhythmische Form erhielt,
und die in den Volksgesängen schon bestimmt ausgesprochene
Scheidung der harten und weichen Tonart sich ebenfalls dar-
auf übertrug. Die Kirchentonarten wurden freilich den Ge-
sängen zu Grunde gelegt, doch erhielten erstere durch die
vom Volkslied bedingte rhythmische und harmonische Ausge-
staltung ein neues Entwicklungsmoment. Aus diesem Grunde
bewegte sich der Choral der Reformationszeit nicht wie der
heutige in lauter gleichwerthigen Tönen, sondern derselbe be-
sass eine viel lebhaftere Rhythmik, Accentrückungen und Syn-
copen, die ungerade dreitheilige Taktart, auch gerade und
ungerade Taktart gemischt. Der heutige Choral mit den
gleichwerthigen Noten entstand erst in der letzten Hälfte dea
17. Jahrhunderts, da man, um dem eingerissenen, von Italien
kommenden Unwesen, zu geistlichem Text auf Canzonetten-
und Villanellenart abgefasste Melodien, sogar Opernmelodien
zu singen, dadurch zu steuern suchte, dass man diesen Melo-
dien den geraden Takt, und Noten von gleicher Länge gab.
Wurde der Kunstgesang zunächst im Sinne der alten
Kirche fortgeübt, so erwuchs demselben durch den Gemeinde-
gesang ein Ferment, welches denselben in eigenthümlicher
Weise umgestaltete. Hiezu kamen die Einflüsse der neuen
italienischen Schule, welche den kirchlichen Kunstgesang in
selbständiger Weise fortentwickelte und so, seit dem 17. Jahr-
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— 183 —
hundert^ wieder von grosser Bedeutang und von gewichtigem
Einflass für den Gemeindegesang wurde^ indem die altem Melo-
dien nach den neuen Formen umgeschaffen wurden. Die Um-
gestaltung der Melodien führte nun auch dazu, die altem
Choräle in ähnlicher Weise umzuarbeiten^ und diese Form des
Chorals — gerader Takt und Noten von gleicher Länge —
hat sich bis heute erhalten. Einen Beweis dafür^ dass viele
geistliche Gesänge der Eeformationszeit dem Volksgesang ent-
nommen wurden, liefert u. A. die im Jahr 1627 zu Nürnberg
bei Hanns Hergot erschienene: ^Evangelisch Mess Teutsch^.
Dieselbe enthält geistliche Lieder mit besonderer Hinweisung
auf die Melodien weltlicher mit ihnen in Beziehung stehender
Gesänge. So soll z. B. ein Lied gesungen werden, nach der
Weise: j^Eosina, wo war dein Gestalt?*; einem andern Lied,
in welchem gegen die Anrufung der Heiligen geeifert wird,
liegt die Melodie: j^Es geht ein frischer Sommer daher* zu
Grunde. So sind auch die Melodien der in Wittenberg und
Nümberg erschienenen und von Georg Forster gesammelten
Volkslieder vielen geistlichen Liedern zu Grunde gelegt *).
Mit den ersten beiden Theilen der Forster'schen Lieder-
sammlung erschien 1640 ein geistliches Singbuch in den Nieder-
landen: „Souter liedekens ghemaect ter eeren Gods op alle
die Psalmen van David" u. s. w. bei Symon Cook in Ant-
werpen, welches eine bedeutende Anzahl von Volksweisen —
152 — enthält, die alle für den geistlichen Liedergesang ent-
lehnt sind. Um die gleiche Zeit erschienen 30 von Clement
Marot in das Französische übersetzte Psalmen, welchen man
Melodien von Jagdweisen und Tanzliedern anpasste. Dieselben
erschienen später mit dem Katechismus und der Liturgie der
reformirten Kirche zu Grenf in den von Theodor Beza später
übersetzten Psalmen *). So gab auch Heinrich Knaust ein
Liederbüchlein: „Gassenhauer, Reuter- und Bergliedlein, christ-
lich, moraliter und sittlich verändert" zu Frankfurt am Main,
1671 heraus ^). Unter den ümdichtungen befanden sich auch
1) Siehe K. Wackernagel a. a. O. S. 735 u. ff. sowie Winterfeld
a. a. O. I, S. 45.
2) Winterfeld I, S. 67.
8) .E. Wackernagel S. 786.
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- 184 —
Marienlieder ; das bekannteste bierunter ist jenes, welches Prä-
torius mit der Sing weise: ^^Es ist ein ros entsprungen^^, auf-
genommen.
Wenn aucb nicht alle diese Lieder in die Kirche Eingang
gefunden haben, so sollen doch nach Winterfeld ^) die im
5. — 8. Tbeil der Michael Prätorius'schen Sammlung enthal-
tenen geistlichen Tonsätze, welche von 1605 — 1610 unter devä
Titel „Sionische Muse" erschienen, geistliche Lieder in einfacher
vierstimmiger Satzweise, lauter Lied weisen sein, welche bis
dorthin in die Earche eingeführt worden.
In der Regel war der Tonsatz in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts vierstimmig und die Melodie lag wie in den
frühem lateinischen mehrstimmigen Kirchengesängen im Tenor.
So gaben Johann Eccard sowie Hans Leo Hasler die ge-
bräuchlichsten Kirchenweisen im vierstimmigen Tonsatz heraus,
doch so eingerichtet, dass, wie Letzterer bemerkt, „derselbe
in christlichen Versammlungen von dem gemeinen Manne neben
dem Figural mitgesungen werden könne", oder wie von
Eccard in eine solche Harmonie gebracht, „dass die Gemeinden
Discantu sogleich mit einstimmen und singen können." Denn
obwohl der Kunstgesang neben dem Gemeindegesang fortbestand,
so blieb Ersterer der Gemeinde immerhin fremd und unver-
ständlich und zwar um so mehr, als die Tonsetzer der evan-
gelischen Kirche, wie schon berührt, zunächst die Melodie
nach althergebrachter Weise in den Tenor, also eine Mittel-
stimme verlegten. Ein württembergischer Geistlicher Namens
Osiander war es, welcher, wie wir noch sehen werden, den
ersten Schritt that, den Kunstgesang der Gemeinde näher,
zu besserem Verständniss zu bringen und die Wege zur Ver-
schmelzung des Kunst- und Gemeindegesangs anbahnte. „Eine
Kunst, die in einfachen, grossartigen, lebendigen Zügen den
Geist der Weisen des Gemeindegesangs erschloss, indem sie
durch den Sängerchor ihn trug und stützte, hatte ihn sich ge-
wonnen; ihr war es vorbehalten aus ihm, mit ihm vereint,
und wenn endlich auch in dem Sinne ihm gegenüber, dass sie
für einen Theil ihrer neuen Schöpfungen nur das stille, an-
1) Winterfeld S. 86.
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dächtige Hören, nicht ihre thätige Hülfe ansprach, doch Allen
eingänglich, verständlich, eine schöne, höhere Blüthe zu er-
ringen, eine höhere, weil sie dabei des vollen Beichthums der
Mittel mächtig blieb, mit denen sie zuvor so siegreich ge-
waltet hatte. So entstanden die Choräle, so das Festlied
Eccard's, (siehe unten) des edlen Meisters, in wahrhaft evan-
gelischem und deutschem Sinne, eine ächte Vermählung des
Kunst- und Gemeindegesangs* ^).
Das älteste und bedeutendste Denkmal des evangelischen
Choralgesangsj welcher, wie wir sahen, aus dem lateinischen
Kirchengesang, dem deutschen geistlichen Lied und dem Volks-
gesang hervorgegangen war, ist das Gesangbuch von Johann
Walther, im Jahr 1524 erschienen. Dasselbe enthält 38
deutsche und 5 lateinische, drei-, vier- und fünfstimmig ge-
setzte Lieder. Bald darauf erschien zu Wittenberg ein Sing-
buch, ähnliche zu Nürnberg und Breslau 2). Der neuen
geistlichen Lieder entstanden auch immer mehr, obwohl auf
Viele das Wort Luther's zutreffen dürfte, „dass eben der
Mäuse Mist auch unter dem Pfeffer sein wolle*.
Der ausserordentliche Erfolg, welchen die ersten lutheri-
schen Gesangbücher fanden, veranlasste auch die katholische
Kirche Gesangbücher herauszugeben, da die Beseitigung „der
bereits unter dem Volk eingeschlichenen Gesänge der Häretiker*
wohl das hauptsächlichste Motiv der Herausgabe gewesen sein
dürfte. „Man machte — mit der Zulassung des deutschen Ge-
sanges an Stelle des lateinischen nämlich — eine Concession
der Reformation gegenüber, die wir nicht verhehlen wollen;
eine Concession, die später wohl hie und da wieder beschränkt
wurde, bald aber entschiedener und endlich vollständig zur
Geltung kam, wenn auch stets unter Vorbehalt und Wahrung
des Rechtes des lateinischen Kirchengesangs* ®). Im Ganzen
blieb die lateinische Liturgie bestehen und waren die aufge-
1) Winterfeld I, S. 507.
2) Ein genaues Verzeichniss der verschiedenen Gesangbücher bei
K. Wackernagel a. a. O. S. 718—787 und Winterfeld I, 134 — 144
sowie S. 302—334.
3) Meister S. 58.
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nommenen Lieder zunächst nur znm Gebrauch vor und nach
der Predigt; bei Bittgängen u. s. w. bestimmt; erst vom
17. Jahrhundert an £nden wir das Bestreben; die lateinischen
Messgesänge durch deutsche zu ersetzen.
Das älteste katholische Gesangbuch ist jenes von Michael
Vehe, 1537; die zweite Ausgabe erschien 1567 und enthält
Lieder zur Predigt und ProzessionsgesängO; da es auf ^von
vielen guten Christen fleissiges Ansuchen geschehen und oft
begehrt worden, dass -etliche geistliche; unverdächtliche Ge-
sanglieder würden angerichtet^. Das bedeutendste katholische
Gesangbuch des 16. Jahrhunderts ist das von Johannes
Leisentrit. Im Jahr 1576 erschien das Dilinger Ge-
sangbuch ; ein Auszug aus dem Leisentrit'schen zu dem
Zweck, die vorher in der Kirche üblichen deutschen Ge-
sänge 3, der ein guter theil nit Catholisch sondern verdächt-
lich* waren; theils ganz zu verbannen, theils in ihrer Anwen-
dung zu beschränken. Es wird genau vorgeschrieben; wann die
einzelnen Lieder gesungen werden sollen; nämlich eins ^wann
der Prediger auff die Cantzel steigt*; ein zweites ^wann er
nun die Predig angefangen und darauff ein heilig Vater unser
und den Englisch Gruss gebettet*; ein drittes „nach vollenter
Predig* und ein viertes „nach der Vesper* — und „also durch
das gantze Jahr alle Sonntag; Fest- und Feiertag*. Erwähnt
wird aber ausdrücklich; dass „auss dem H. Ampt der Mess
wege diser Gesang nichts ausgelassen werden sol*. Erwähnen
wollen wir noch das Com er 'sehe Gesangbuch mit 472 deut-
schen und 78 lateinischen Liedern nebst 279 Melodien. Das-
selbe enthält ausser den früher erschienenen Gesangbüchern
entnommenen Liedern alte geistliche Volkslieder und Eufe.
„So sammelte er viele alte RufC; wie sie das gemeine Volk
in Oesterreich zu seiner Zeit noch zu singen pflegte. Wenn
auch nicht AlleS; was er als alt bezeichnet, durchweg alt ist,
so sind doch in den meisten dieser Eufe alte und volksthüm-
liche Bestandtheile. Fast alle sind süddeutscher Herkunft, und
wie die Schnitterhüpfel, achttaktig, zuweilen auch zwölftaktig
und voll volksthümlicher Züge und Kedeweisen. Sie wurden
natürlich nicht wie jene als Tanzlieder, sondern feierlich in
langsamem Tempo gesungen. Sie sind mitunter von unend-
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lieber Länge. Das erklärt sich aus der zu keiner Zeit er-
loschenen Neigung des Volkes zu dichten und zu singen. Das
Volk, dem die überlieferten einfachen Weisen geläufig waren,
wusste leicht Worte dazu zu finden, mochte auch hie und da an
vorhandene Lieder neue Gesätze anhängen und aus verschiedenen
alten Liedern ein neues machen. Diese Rufe im Versmasse und
nach der Weise der Schnitterhtipfel sind eine Eigentbümlichkeit
des alten katholischen Kirchenlieds und zum Theil uralt, wie
die achttaktigen Lieder: ^Erstanden ist der heilige Christ*
u. s. w. Ihre nächste Bestimmung war, bei Wallfahrten und
Bittgängen , besonders zum Lobe und Preise der heiligen
Jungfrau und aller Heiligen gesungen zu werden* *).
Gesangbücher, welche deutsche Messgesänge enthalten,
sind das „Mainzer Cantual* vom Jahr 1605, das „Cöln-
Speierer* Gesangbuch von 1610 und das „Münsterisch*
Gesangbuch von 1677 *).
Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an wurden die Melo-
dien nicht mehr Volksgesängen, sondern den Weisen beliebter
Tonkünstler entnommen. Die letzte dem Volksgesang ent-
lehnte Kirchen weise soll nach Winterfeld ^) der Choral: „Wie
schön leuchtet der Morgenstern* sein, welcher einem ohne
Druckort und Zeit unter dem Titel: „Tugendhafter Jungfrauen
und Junggesellen Zeitvertreib* u. s. w. erschienenen Lieder-
büchlein entnommen ist*), während die Melodie von: „O Haupt
voll Blut und Wunden* einem der von Hasler im Jahr 1601
in Nürnberg bei Paul Kaufmann herausgegebenen „Lustgarten
neuer deutscher Gesang* u. s. w. ihre Entstehung verdankt ^).
1) Hoffmann S. 491.
2) Die Beschreibung der katholischen Gesangbücher bei Meister,
ß. 50-87.
3) Winterfeld I, S. 89. '
4) Wie schön leuchten die Aeugelein Hat mir mein Herz besessen.
Der Schönen und der Zarten mein, Lieblich, freundlich,
Ich kann ihr nicht vergessen. Schön und herrlich,
Ihr rothes Zuckermündelein Gross und ehrlich
Dazu ihr schneeweiss Händelein In ihr Gnaden
Will ich mich befohlen haben.
5) Mein G'müth ist mir verwirret
Das macht ein Jungfrau zart u. s. w.
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Martin Luther , am 10. November 1483 zu Eisleben als
Sohn eines armen Bergmannes geboren^ am 18. Februar 1546
dortselbst gestorben und in der Schlosskirche zu Wittenberg
begraben ; ist als Begründer des evangelischen Gemeindege-
sangs anzusehen. Ihm war es vorbehalten ^ sowohl auf dem
Gebiet des geistlichen wie des Kirchengesangs reformatoridch
einzugreifen, denn die Kirchenmusik und namentlich der
Kirchengesang im 16. Jahrhundert, als Luther erstand, lag
sehr im Argen, wozu die Geistlichkeit übrigens auch ihr Theil
beigetragen hatte. Wenn dieselbe es gestattete, dass man
unter Anderem Esels- und Narrenfeste in den Kirchen ab-
hielt, dann darf man sich nicht wundern, wenn auch beim
Gottesdienste selbst der heilige Ort nicht sonderlich respectirt
wurde. Erasmus von Eotterdam nennt den Kirchengesang der
damaligen Zeit ein wüstes Geschrei und Getümmel verschie-
dener Stimmen, desgleichen man in dem griechischen und
römischen Theater niemals gehört haben dürfte. Auch Luther
spricht von dem wüsten Eselsgeschrei des Chorals, womit, er
das rohe Absingen des lateinischen Chorals in den Klöstern
und Stiftskirchen meint, ^wo sie das Quicunque blocken und
die Psalmen mit eitel Jägergeschrei und mit starken feisten
Succentorstimmen hiuaustönen und also zugleich heulen, mur-
meln und plärren.^
Wie Luther nun nicht nur die Musik ungemein liebte,
sondern sie auch als erzieherisches Moment wohl zu schätzen
wusste, so war er neben seinen kirchlichen Reformplänen auch
stets auf die Verbesserung des kirchlichen und christlichen
Volksgesangs bedacht. Seine musikalische Einsicht, sein selb-
ständiges, stets richtiges und gesundes Urtheil, sowie sein gleich-
sam divinatorisches Erkennen dessen, was dem Volke Noth
that, befähigte ihn in hervorragender Weise, auch auf dem
Gebiet der Tonkunst Schönes und Gutes zu leisten. Wie er
für den Gesangunterricht in den Schulen als einen der wich-
tigsten Unterrichtsgegenstände lebhaft eintrat, und für die
Verbesserung der Singchöre in den Städten zu sorgen sich
angelegen sein liess, so setzte er auch den christlichen Volks-
gesang in sein ihm gebührendes Recht ein. So übertrug er
auch ältere lateinische Gesänge, wie er auch deren selber
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dichtete ; welche iu den evangelischen Gemeindegesang über-
gingen. Es werden ihm zwar gegen 40 selbständige Lied-
texte zugeschrieben, doch ist weitaus die^ grössere Hälfte der-
selben theils altern Datums, theils umgearbeitet, theils sind es
Uebersetzungen lateinischer Hymnen und Psalmen u. s. w. ^)
Wie sich in Allem, was Luther that, ein gesunder, lebens-
kräftiger Conservatismus^) bekundet und wie er nichts von dem
rigoristischen Eifer eines Zwingli ^) an sich hatte, welcher den
Gesang und die Orgel ganz aus der Kirche verbannt wissen
wollte, so Hess er auch den Chor- resp. Figuralgesang, weil
derselbe zur grössern Verherrlichung des Gottesdienstes bei-
trage, neben dem Gemeindegesang fortbestehen.
In den meisten Kirchen der deutschen Schweiz, welche
1) Siehe Meister a. a. O.; Fr. B ollen s: Der deutsche Choralgesang
der katholischen Kirche, Tübingen 1851) sowie Joseph Kehr ein: Katho-
lische Kirchenlieder, Hymnen und Psalmen aus den ältesten deutschen ge-
druckten Gesang- und Grebetbüchlein zusammengestellt. Würzburg 1869. L
S. 14—32.
2) Wie conservativ Luther zu Werke ging, beweisen die Vorschriften,
welche er in seiner Schrift: „Deutsche Mess und Ordnung des Gottesdiensts
zu Wittenberg fürgenommen" 1526, gibt* Üeberall hält er sich hier an die
Gebräuche der alten Kirche, solange sie nicht gegen die Schrift Verstössen.
Zu Anfang derselben soll ein geistlich Lied oder ein deutscher Psalm
gesungen werden: „Ich will den Herrn loben allezeit"; dann soll das Kyrie
eleison dreimal folgen, alsdann eine CoUecte des Priesters und die Epistel»
Nach derselben soll ein deutsches Lied von der ganzen Gemeinde gesungen
werden, zumeist „Nun bitten wir den heiligen Geist", hierauf das Evangelium
gelesen, worauf die Gemeinde das Lied: „Wir glauben alle an einen Gott"
singen soll. Dann folgt die Predigt, die Einsegnung des Sacraments und
Austheilung dessen an die Gemeinde; hiezu soll die Gemeinde das
deutsche Sanctus: „Jesaia dem Propheten das geschah", „Gott sei gelobet"
oder „Jesus Christus, unser Heiland" singen, das Uebrige dieser Lieder zur
Weihe des Kelches ; Gollecte und Segen beschliessen die Feier. Auch der
lateinische Gesang blieb als Lehr- und Erbauungsmittel für die Schüler ge-
lehrter Anstalten bestehen.
3) Von Zwingli wird die Anekdote erzählt, dass als der Rath zu Zürich
Über Beibehaltung oder Abschaffung des Kirchengesangs rathschlagte , er
erschien und eine Bitte um Abschaffung desselben singend vortrug. Als
man ihn frug, was dieses sonderbare Benehmen bedeute, soll er geantwortet
haben, dass dies eben nicht sonderbarer sei, als wenn man Gott seine Bitten
mit Gesang und Orgelspiel vortrage.
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untör Zwingli's Einfluss standen, verstummte sowohl der Orgel-
klang als der Gesang, und noch im Jahr 1597^ als der Schaff-
hauser Eath die dortige Münsterorgel repariren lassen wollte,
erklärte sich die gesammte dortige Geistlichkeit dagegen : ,,sie
(die Orgel nämlich) sei dem Ofen Vulcani zuzuschicken, weil
Orgeln nur des Teufels Trometen und Lockungen zum römisch-
antichristlichen Götziendienst seyen.* In Zürich wurde der
Choralgesang erst im Jahr 1598 durch E. Eglin wieder ein-
geführt, ebenso 1578 in Basel durch den Antistes Simon
Sulz er das Orgelspiel; nach und nach gelang es auch den
unausgesetzten Bemühungen einsichtiger Männer, den Kirchen-
gesang wieder einzuführen, so namentlich Egli und Brei-
tinger.
Calvin war hierin duldsamer und man darf wohl sagen,
dass ein eigentlicher Eirchengesang der Reformirten erst mit
Calvin beginnt. Die durch Mar ot und Beza französisch-
metrisch übersetzten Psalmen wurden von Goudimel 1565
mit vierstimmigen Tonsätzen, deren Melodien Volks- und welt-
lichen Weisen entnommen waren, versehen und in den Kirchen-
gesang der französischen und schweizerischen Calvinisten ein-
geführt. Ambrosius Lobwasser übertrug dieselben im
gleichen Jahre in*8 Deutsche, unter Beibehaltung der Goudi-
meVschen vierstimmigen Satzweise, und sie fanden alsdann in
den deutsch -reformirten Kirchengesang Eingang, wo sie zum
Theil heute noch üblich sind. Man entnahm später auch
dem lutherischen Kirchengesang Gesänge, die man modernen
Psalmübersetzungen (nach Verdrängung der Lobwasser'schen
Uebersetzung) anpasste. Einige Melodien gingen auch in die
lutherische Kirche über, wie z. B. die 42. Psalmmelodie auf
den Choral: „Freu dich sehr o meine Seele,* die Melodie des
140. Psalms auf den Choral: „Wenn wir in höchsten Nöthen
sind.^ Claudin le jeune bearbeitete den französischen Psalter
nochmals und legte bei verschiedenen Psalmen die Melodie
in die Oberstimme, während bei Goudimel die Melodie in
der Regel dem Tenor gegeben ist.
Winterfeld ^) erwähnt auch einer italienischen Nachdichtung
1) Winterfeld I, S. 260.
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dieser Psalmen vom Jahr 1578 und 1621^ deren Autor unbe-
kannt geblieben ist; jedes einzelne Psalmenlied soll mit einer
Singweise versehen sein.
Hier möchten wir auch noch die Gesänge der böhmischen
Brüder anreihen;^ von welchen die erste Sammlung jjverteutsch-
ter Gesänge" im Jahr 1531 mit 156 Liedern und 111 Sing-
weisen erschien; derselben folgte 1566 ^in vollständiges Ge-
sangbuch. Die Melodien sind einstimmig; mehrstimmig wurden
manche später von deutschen Meistern wie Eccard; Samuel,
Bresler, Schein u. A. gesetzt und mehrere derselben in den
lutherischen Kirchengesang herübergenommen. Im Gegensatz
zu den Chorälen der lutherischen Kirche herrscht bei den
Weisen der böhmischen Brüder die Molltonart vor. Unter
ihren Festgesängen befinden sich auch Wechselgesäuge. Ihre
Gotteshäuser besassen nämlich in der Eegel keine Orgeln, und
so leitete der Vorsänger am Pulte den Gesang. Ihr Gemeinde-
gesang war bloss einstimmig und was ihre Wechselgesänge
betrifft, so wurden dieselben in der Weise ausgeführt, dass
bei einem einzigen Liede oft zwei oder drei Strophen ab-
wechselnd von der Gemeinde gesungen wurden, und dann ein
Lob- oder Dankruf, eine Warnung, eine Bekräftigung, von
der ganzen Gemeinde angestimmt, folgte. ,, So hatten sie ihre
besonderen Sequenzen, oft ohne alle Stropheneintheilung, wahr-
scheinlich bloss von einem Chore angestimmt, und ihre beson-
deren Antiphonien, rhythmische Lieder nach Ambrosius Weise,
deren Strophen aus zwei Theilen bestehen. Den Aufgesang
saug irgend eine Abtheilung der Gemeinde als Chor oder der
Liturg ermunternd oder lobsagend, und den Abgesang, die
sogenannte Besponsio, sang die ganze Gemeinde bejahend und
frohlockend. Ueberhaupt zeigt sich bei den Brüdern ein leben-
diges Verhältniss zwischen dem Liturgen und der Gemeinde,
indem diese dem ersteren auf seine in Gesang vorgetragenen
Verkündigungen und Lobgesängen aus der Schrift antwortet,
wie in der katholischen Kirche der Chor dem Priester* ^).
Da der Psalmengesang von jeher im christlichen Kirchen-
1) E. Koch: Geschichte des- Kirchenlieds und des Kirchengesangs.
4. Aufl. II. S. 128.
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gesang eine wesentliche Stelle einnahm ^ so war es natürlich
anch den Bekennem der neaen Kirche von grosser Wichtig-
keit^ denselben in volksthiimlicher Gestalt in den l^irchenge-
sang einznftihren. Namentlich war es Luther^ welcher sehr
darauf drang, die Psalmen in Liedform zu setzen. Der erste
vollständige Psalter mit vierstimmigem Satz erschien Mitte
des 16. Jahrhunderts ; herausgegeben vom württembergischen
Kapellmeister Siegmnnd Hemmel^ ebenso 1553 ein solcher
von Burcard Wallis; dann der durch Lobwasser über-
setzte und von Goudimel mit vierstimmigen Tonsätzen ver-
sehene aus der calvinischen Kirche, dessen Melodien Samuel
Marschall ^), Claude le jeune und im 17. Jahrhundert Johann
Grüger umarbeiteten. Sogar die Katholiken sangen lutherische
Psalmlieder, desshalb erschien als Gegengift 1574: j^Der gantze
Psalter David's nach der gemeinen alten kirchlichen Edition auff
vers und Beimweiss gestellet durch Eutgerum Edingium*,
Köln, sowie 1582: j^Die Psalmen Davids* u. s. w. von Ulen-
berg. Ebenso wurde der Lobwasser'schen Uebertragung des
calvinischen Psalters 1602 eine lutherische entgegengesetzt
durch Cornelius Becker, Professor der Theologie zu
Leipzig, da das Singen aus dem Lobewasser'schen für cal-
vinisch galt.
Durch Luther wurde auch der Motette, welche von den
deutschen Tonsetzern der evangelischen Kirche hauptsächlich
gepflegt wurde und durch Joh. Seb. Bach ihre höchste Voll-
endung erhielt, ihr Platz in der Liturgie angewiesen.
Ob Luther selber componirt und seine eigenen und über-
tragenen geistlichen Lieder mit selbsterfundenen Melodien ver-
sehen oder gar vierstimmig gesetzt habe, ist sehr zu bezweifeln.
Wenn Luther auch tiefes Verständniss und richtiges Urtheil
in musikalischen Dingen besass, so geht doch aus seinen eige-
. nen Worten hervor, dass er kein geübter Tonsetzer war ; be-
kennt er doch Senfl gegenüber, dass all sein Vermögen und
1) „Der gantze Psalter Ambrosii Lobwasser's, mit vier Stimmen*', Leipzig
1594 und Baael 1606. „Psalmen Davids, KirchengesÄnge und Geistliche
Lieder von Dr. M. Luthers und anderer Gottesgelehrten Männer gestellt auf
vier Stimmen'^ u. s. w. Basel 1606.
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Können nicht hinreiche, etwas zu schaflfen, was dessen Werken
nahe komme, ihm sei jedoch dafür die Gabe der Predigt ver-
liehen. Ein directes Zeugniss Luthers, dass er an irgend e^ner
Liedmelodie Antheil gehabt habe, ist weder in seinen Werken
noch in seinen Briefen nachweisbar. Man hat bis noch vor
Kurzem Luthern eine grosse Anzahl von Melodien zugeschrieben,
doch müssen wir nach der gegenseitigen Abwägung der ver-
schiedenen Für und Wider uns dahin entscheiden, dass wir
von keinem der ihm zugeschriebenen Choräle mit Bestimmt-
heit sagen können, dass sie von ihm herrühren. Bis vor Ram-
bach ^) galten 32 Liedermelodien als von Luther componirt;
hat nun schon Eambach dieselben auf 20 und Gerber *), J. E.
Häuser®), F. C. Anthes^) sowie Koch^) auf eine noch ge-
ringere Zahl beschränkt, so hat vollends Winterfeld ^) die-
selben auf drei redücirt und mit überzeugender Kritik die
Haltlosigkeit jener Annahme nachgewiesen, als ob die grosse
Anzahl der Luthern zugeschriebenen Choräle von ihm wirk-
lich herrührten. Doch möchten wir noch weiter gehen und
ihm die musikalische Autorschaft auch dieser drei ihm von
Winterfeld noch gelassenen Choräle — ,, Jesaia dem Propheten
das geschah*, j^Wir glauben all' an einen Gott*, „Ein feste
Burg* — bestreiten. Wenn Winterfeld sich auf das Zeugniss
Walthers beruft, welcher in seiner Biographie''^) davon redet,
dass Luther die Choralnoten j^Octavi Toni der Epistel zu-
geeignet und Sextum Tonum dem Evangelio geordnet*, sowie
die Noten über die Episteln, Evangelien und über die Worte
1) Rambach: Ueber Dr. Martin Luther 's Verdienste um den Kirchen-
gesang u. s. w.
2) H. N. Gerber: Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler.
Leipzig 1790—1792.
3) J. E. Häuser: Geschichte des Kirchengesangs und der Kirchen-
musik. Quedlinburg und Leipzig 1834.
4) F. C. Anthes: Die Tonkunst im evangelischen Cultus. Wies-
baden 1846.
5) Koch a. a. O.
6) Winterfeld I, S. 160.
7) Siehe Mich. Prätorius: Syntagma mus. I, 451 sowie Dr. Otto
Taubert: Geschichte der Pflege der Musik in Torgau. Torgau 1868, S. 10.
Sittard, Gompendinm. 13
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der Einsetzung des wahren Leibs und Bluts Christi selbst ge-
macht; auch die deutschen Choralgesänge meistentheils ge-
dichtet und zur Melodie gebracht, so muss Winterfeld ^) selbst
zugeben, dass man damals unter Choral den liturgischen vom
Priester- und Sängerchor vorzutragenden altkirchlichen Gesang
verstand, die angeführten Episteln und Evangelien u. s. w.
^meist nur erhöhte, bestimmt betonte Bede^ war und nur in
diesem Sinne sich auch Walther des Wortes Choral habe be-
dienen können. Der Choral: „Wir glauben alle an einen Gott*
wird von Walther nirgends erwähnt, und über ,yJesaia dem
Propheten* lässt Walther sich also vernehmen: „wie denn
unter andern aus dem deutschen Sanctus (Jesaia dem Propheten)
zu ersehen, wie er alle Noten auf den Text nach dem rechten
Accent und Concent so meisterlich und wohl gerichtet hat,
und ich auch die Zeit seiner Ehrwürden zu fragen verursacht
ward, woraus oder woher sie doch dass Stücke oder Unter-
richt hätten : darauf der theure Mann meiner Einfalt lachte und
sprach: der Poet Virgilius hat mir solches gelehret,' der also
seine Carmina und Wort auf die Geschichte, die er beschreibet,
so künstlich appliciren kann: Also soll auch die Musica
alle ihre Noten und Gesänge auf den Text richten.*
Aus diesen Worten kann nun nach unserer Ansicht gar
nicht geschlossen werden , dass Luther die Melodie zu diesem
Choral selbst erfunden habe, da ja bloss davon die Rede ist,
wie er die Noten auf den Text nach dem Accent und Concent
gerichtet habe. Sowohl hieraus als aus^dem Schlusssatz geht
hervor, dass Luther . eine vorgefundene Melodie dem Texte
angepasst, j^künstlich appliciret* hat. Was nun den zweiten
ihm zugeschriebenen Choral: jjEin feste Burg**) betrifft, so
sagt Luther's Zeitgenosse Sleidan von diesem nach dem 46.
Psalm gedichteten Lied, dass Luther die zu dessen Lihalt un-
gemein passende und zur Erhebung des Gemüths geschickte
Singweise hinzugefügt — addidit — nicht wie Winterfeld
übersetzt, gemacht habe. Winterfeld muss übrigens selbst
1) Winterfeld I, S. 156.
2) Dass die Weise dieses Chorals dem altlateinischen Hymnus : Exultet
coelum entlehnt sei, ist unrichtig: siehe Meister, woselbst S. 31 die
Melodie dieses Hymnus mitgetheilt ist.
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zugeben^ dass, wenn es heisse^ Luther habe seine Katechismus-
und Psalmlieder in liebliche Melodien gefasset, dies den Sinn
gewinne, dass er diese denselben angepasst habe. Uebri-
gens stammt . die erste Zeile der Melodie des Chorals j^Ein
teste Burg* von Johann Walther, da dieselbe in dessen, im
siebenten Band der jjPublicationen älterer theoretischer und
practischer Werke* von Otto Kade veröffentlichten Gesangbuch
Walthers Note für Note in einem lateinischen Satz unter Nr. 41
S. 98 Zeile 4 Takt 5 vorkommt und zwar erscheint, wie
Kade in der historischen Einleitung bemerkt, dieselbe nicht
etwa in der Stimme, die zur üebernahme entlehnter Motive
meist benutzt ward, wonach der Verdacht einer Entlehnung
nicht auftauchen könnte, sondern in der Bassstimme, die nur
die zweite Gegenstimme zu eitiem gegebenen Cantus firmus
bildet. Die Melodie des dritten von Winterfeld noch Luthern
zugeschriebenen Chorals: „Wir glauben all an einen Gott"
fand Hoffmann in einem Facsimile einer Handschrift der Bres-
lauer Bibliothek aus dem Jahr 1417, also hundert Jahre vor
der Reformation. ^
Johann Walther*), der treue Mitarbeiter Luther's,
ist in Thüringen im Jahr 1496 geboren, war 1524 Bassist
unter Rupf, welcher die Schlosscantorei leitete und mit diesem
von Luther noch im selben Jahre nach Wittenberg berufen
wurde, um die deutsche Messe mit einrichten zu helfen. Im
Jahr 1525 trat er an Rupf s Stelle als „Churfürstlicher von
Sachsen sengemeister." Im Jahr 1530 wurde die Cantorei
aufgelöst, worauf Walther die sogenannte Torgauer Cantorei-
gesellschaft bildete, einen Singchor, welcher beim Gottesdienste
die betreffenden Gesänge ausführte. Im Jahre 1547 ging in
Folge der Schlacht von Mühlberg die Landesherrschaft und
die Churwürde auf Moriz von Sachsen über, welcher eine
eigene Kapelle gründete und Walther beauftragte, Sänger
dafür zu werben; 1554 wurde er in den Ruhestand versetzt
und starb in Torgau 1570 und nicht wie Winterfeld *) an-
gibt, 1555. .
1) Taubert a. a. O.
2) Winterfeld I, S. 170.
13*
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Walther kann Mitbegründer des evangelischen Kirchen-
gesangs genannt werden. Sein Hauptverdienst besteht insbe*
sondere darin, dass er den einfachen Tonsatz, wie er zu welt-
lichen Weisen bestand, zuerst auf das geistliche Lied über-
trug, da vorher dem geistlichen Tonsatz nur die thematisch
contrapunktische Bearbeitung der Hess-, Motetten und Hymnen-
form zu Gebote stand, eine Form, welche auf das geistliche
Lied, sofern dasselbe in den Volksgeist, in das Gemeindebe-
wusstsein dringen sollte, nidbt angewendet werden konnte und
durfte. Dass übrigens die Kunst des Tonsatzes die neuen
Formen ergriff, ist ganz begreiflich und es erwarb sich zunächst
Senfl, welchen wir schon in einem frühern Abschnitt als geist-
lichen Tonsetzer kennen lernten, durch die contrapunktische
Behandlung des Gemeindegesangs grosse Verdienste. Es ist
dessen um so mehr hier zu gedenken, als seine Werke die
Grundlage des sich später immer freier entfaltenden polyphonen
evangelischen Gemeindegesangs wurden. Luther schätzte ihn
sehr, namentlich seine Choralmotetten und er soll einstens,
nach Anhörung einer solchen in die Worte ausgebrochen sein :
„Eine solche Mutete vermöchte ich nicht zu machen, wenn
ich mich auch zerreissen sollte, wie er denn auch wiederum
nicht einen Psalm predigen kann als ich. Darum sind die
Gaben des Geistes mancherlei, gleichwie auch in einem Leibe
mancherlei Glieder sind."
Wir können uns nicht versagen, den Brief Luthers an
Senfl in der vom geistlichen Eath Schlecht verfassten deut-
schen und von Eitner im 4. Bande der „Publicationen" u. s. w.
S. 73 u. ff. mitgetheilten Uebersetzung wiederzugeben.
An den Musiker Ludwig Senfl.
Gnade und Friede in Christus. Wiewohl mein Name
verhasst ist, so dass ich fürchten muss, der Brief, den ich
an Dich sende, könnte nicht ohne Gefahr von Dir bester Lud-
wig empfangen und gelesen werden, so überwindet doch die
Liebe zur Musik, mit der ich Dich von meinem Gott ge-
schmückt und begabt sehe, diese Furcht. Diese Liebe er-
zeugt auch die Hoffnung, dass Dir mein Dir zugehender Brief
keine Gefahr bringen werde. Wer sollte selbst in der Türkei
es tadeln, wenn jemand die Kunst liebt und den Künstler
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_ 197 - _
lobt. Ich lobe und ehre selbst Deine bayerischen Herzoge,
so wenig gerade sie mir geneigt sind, wirklich mehr als die
Uebrigen, weil sie die Musik so ehren und pflegen. Es ist
zweifellos, dass in jenen Gemüthern, welche der Musik zuge-
than sind, viel Samen hoher Tugenden liegt. Jene aber,
welche kein Gefühl dafür haben, halte ich Blöcken und Steinen
ganz ähnlich. Wir wissen ja, dass die Musik auch den bösen
Geistern verhasst und unerträglich ist. Auch ist es meine
vollkommene üeberzeugung, und ich scheue mich nicht zu
behaupten, dass es nach der Theologie keine Kunst gibt, die
mit der Musik sich vergleichen könnte, weil sie allein nach
der Theologie das wirkt, was sonst die Theologie allein be-
wirkt, nämlich ein ruhiges und heiteres Gemüth, aus dem
offenbaren Grunde, weil der Teufel, der Urheber drückender
Sorgen und ruheloser Verwirrungen vor den Tönen der Musik
fast eben so flieht, wie er flieht beim Worte Theologie. So
kam es, dass die Propheten keine Kunst in dem Masse übten,
wie die Musik, indem sie ihre theologische Wissenschaft nicht
auf die Geometrie, nicht auf die Arithmetik, nicht auf die
Astronomie, sondern nur auf die Musik ausdehnten, so dass
bei ihnen Theologie und Musik aufs Engste verbunden waren
und sie die Wahrheit in Psalmen und Gesängen übertrugen.
Aber wie lobe ich nun die Musik, indem ich mich bemühe
auf dem Blättchen Papier einen so erhabenen Gegenstand zu
zeichnen oder vielmehr zu kicksen. Aber meine Leidenschaft
für dieselbe ist so gross und überströmend, dass sie mich oft
erfrischte und von grossen Beschwerden befreite.
An Dich wende ich mich wieder und bitte Dich, dass
Du ein Dir etwa vorräthiges Exemplar des genannten Ge-
sanges (In pace in idipsum) für mich abschreiben und mir
übersenden lassen wollest. Der Tenor dieses Gesanges hat
mich von Jugend auf erfreut und jetzt um so mehr, als ich
die Worte erst (an mir) erkenne. Ich habe diese Antiphon
noch nicht für mehrere Stimmen componirt gesehen; will Dir
aber durch die Mühe, sie zu komponiren, nicht lästig fallen,
sondern setze voraus, dass Du sie schon irgend einmal kom-
ponirt hast. Ich hoffe in der That, dass das Ende meines
Lebens naht. Die Welt hasst mich und kann mich nicht er-
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tragen, ebenso eckelt sie mich an und ich verachte sie. Da-
her habe ich nun angefangen diese Antiphon häufig zu sin-
gen, und möchte sie componirt hören. Für den Fall, das»
Du sie nicht hast, oder nicht kennst, sende ich sie Dir in
Noten geschrieben. Du magst sie, wenn es Dir gefällt, selbst
nach meinem Tode componiren. Der Herr Jesu sei mit Dir
in Ewigkeit, Amen. Habe Nachsicht mit meiner Kühnheit
und Geschwätzigkeit. Grüsse mir ehrerbietig Deinen ganzen
Musikchor.
Coburg den 4. October 1530. Martin Luther.
Als solche, welche sich durch ihre Wirksamkeit in
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts um die Verbreitung
des evangelischen Kirchenlieds Verdienste erwarben, nennen
wir u. A.
Arnold von Brück, nach Ambros *) aus Brück im
Aargau, gegen Ende des 15. Jahrhundierts geboren, nach
Andern aus Brügge in den Niederlanden. Im Jahr 1530 war
er Kapellmeister Kaiser Ferdinand 1. und starb nach F^tis
zu Wien am 22. September 1536 ^) ; den oben bereits ge-
nannten Heinrich Finck, sowie Georg Khaw, geboren
1488 zu Eisfeld, gestorben 1548, zuerst Cantor an der Thomas-
schule zu Leipzig , worauf er in Wittenberg eine Druckerei
eröffnete und sich durch die von ihm herausgegebenen
kirchlichen Sammelwerke grosse Verdienste erwarb. Die-
selben enthalten Tonstücke von Martin Agricola 1486 — 1556,
dem Ersten, welcher in den Kirchen Magdeburgs den deut-
schen Choral einführte, von Benedict Ducis, Thomas
Stolzer, Stephan Mahn, Sixt Dieterich, Georg
Forster, Resinarius u. A.
Bereits oben erwähnten wir, dass wie die kirchlichen
Melodien dem alten lateinischen Kirchen- oder dem Volksge-
sang entnommen wurden, die selbständige Melodieerfindung
1) Ambro 8 III, S. 400; siehe auch ,, Publikationen" u. s. w. Bd. IV^
S. 46.
2) Nach den Biographien in den eben ei-wähnten „Publikationen" IV,
S. 47 soll Brück jedoch in den Registern der kaiserlichen Hof-Musikkapelle
zu Wien von 1543 — 1545 als „Obrister Kapellmeister" verzeichnet sein.
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— 199 —
also noch zurücktrat, die Tonsetzer geistlicher Weisen die
Melodie nach althergebrachter Weise in den Tenor als Cantus
firmus legten und in kunstvoll polyphoner Weise auszuge-
stalten suchten. Dadurch war es der Gemeinde nicht ermög-
licht, die eigentliche Melodie zu erfassen und in dieselbe ein-
zustimmen und diese Gresänge wurden auch in der evange-
lischen Kirche durch bestimmte Sängerchöre beim Gottesdienst
ausgeführt, während der Gemeindegesang durch einen Vor-
sänger oder Cantor geleitet wurde, beide Arten des Kirchen-
gesangs also streng von einander geschieden waren, obwohl
Beide in der volksmässigen geistlichen Weise ein gemein-
sames, verknüpfendes Band erhielten. Diese Trennung von
Kunst- und Gemeindegesang dauerte auch noch in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts fort. Die Chöre wurden in der
Regel auch von der Orgel unterstützt, während erst zu An-
fang des 17. Jahrhunderts die harmonische Begleitung des
Gemeindegesangs durch dieselbe eingeführt wurde. So er-
schienen im Jahr 1637 die durch Theophilus Stade,
Organist zu Nürnberg j^emeuerten und von ihm vermehrten*
Hans Leo Hasler'schen Choralsätze, „welche durch die^ Orgel
die Gemeine bei rechter Melodie, Höhe und Tiefe zusammen-
halten.* Der erste jedoch, welcher Choräle und geistliche
Lieder für den unisono Gemeindegesang mit besonderer Orgel-
begleitung herausgab, war Samuel Scheidt in seinem
jjTabulaturbuch hundert geistlicher Lieder und Psalmen Herrn
Doctoris Martini Lutheri und anderer gottseeliger Männer für
die Herrn Organisten, mit der Christlichen Kirche und Ge-
meine auff der Orgel, desgleichen auch zu Hause, zu spielen
und zu singen* u. s. w. Görlitz 1650. Ebenso erschien im
Jahr 1704 zu Nürnberg ein von Johann Pachelbel ver-
fasst sein sollendes „Tabulaturbuch Geistlicher Gesänge, sambt
beigefügten Choral-Fugen durchs gantze Jahr, Allen Liebhabern
des Klaviers componirt von J. P. Organist zu St. Sebald Nürn-
berg.* Winterfeld ^) äussert sich hierüber: ,jBei Begleitung des
Gesanges der Gemeinen ordnet er (Pachelbel) sich den Bedürf-
nissen derselben unter, doch scheint es, sein Spiel habe sich dabei
1 Winterfeld II, ö. 644.
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- 200 —
nicht aof die BegleitoBg alleiii beschränkt, soodern anch Buhe-
punkte des Gesanges zwischen einzehien Zeilen, zwischen den
Stollen, zwischen Anf- und Abgesang, mit frei und augen-
blicklich erfundenen, doch die Ebenmässigkeit des Granzen
nicht störenden Zwischenharmonieen ansgefäUt.' —
Lucas Osiander, württembergischer Hofprediger, ge-
boren 1534 zu Nürnberg, gestorben 1604 zu Stuttgart, war
es, welcher für den Gemeindegesang neue Wege anzubahnen
versuchte durch sein im Jahr 1586 zu Nürnberg unter dem
Titel: „Osiander, geistliche Lieder und Psahnen mit vier
Stimmen auff Contrapunkts weiss für die Schulen und Kirchen
im löblichen FOrstenthumb Württemberg, also gesetzt, dass
ein christliche Gemein durchauss mit rängen kann' erschienenes
Choralbuch. Er verlegte die Choralmelodie durchgängig in den
Discant und versah dieselbe mit den einfachsten Harmonien.
„Ein Laj, so der Fignrahnusik (unter letzterer verstand man
damab jeden mehrstimmigen Tonsatz) nicht berichtet,'' könne,
wie Osiander sich in der Vorrede ausspricht, „nicht mitsingen,
sondern müsse allein zuhören, derowegen ich Nachdenkens ge-
habt, wie bei einer christlichen Gemeine eine solche Music ein-
zurichten wäre, da gleichwohl vier stimmen zusammen gingen
und dennoch ein jeder Christ wohl mitsingen könnte. Hab'
derwegen, als zur Probe, diese fünfzig geistlichen Lieder und
Psahnen mit vier Stimmen alle gesetzt, dass eine gantze christ-
liche Gemein', auch junge Kinder, mitsingen können und dem-
nach diese Music dameben zur Zierde dieses Gesanges, ihren
Fortgang hat.* Und weiter: „Ich weiss wohl, dass die Com-
ponisten sonsten gewöhnlich den Choral im Tenor führen.
Wenn man aber das thut, so ist der Choral unter andern
Stimmen unkenntlich , der gemeine Mann verstehet nicht, was
es für ein Psalm ist und kann nicht mitsingen. Darum habe
ich den Choral in den Discant genommen, damit er ja kennt-
lich und ein jeder Laye mitsingen kann.^^ Auch sollen die
Schüler sich j^in der Mensur und Takt nach der Gemeinde
richten, und in keiner Note schneller oder langsamer singen,
denn man selbigen Ortes zu singen pflegt, damit der Choral
und Figurata* musica bei einander bleiben." So half Osiander
die Wege bahnen, welche den unisono Gemeindegesang mit
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— 2or —
der mehrstimmigen Satzweise vereinigten und zugleich eine
reichere harmonische Entfaltung ermöglichten. Ebenso gab,
dem Beispiele Osiander's folgend , Samuel Marschall;
öffentlicher Notar, Universitätsmusikus und Organist zu Basel,
die Melodien des Lobwasser'schen Psalters „auf das gemeine
Choral im Discant gerichtet" heraus.
Weiter machten sich um den Kirchengesang in dieser
Periode und nach dieser Bichtung hin verdient:
Mattheus le Maistre, seit 1554 Walthers Nachfol-
ger als Capellmeister des chursächsischen Hofes zu Dresden,
Gallus, Antonius Scandellus, Leonhard Schröter,
Nicolaus Herrmann u. A.
Hervorzuheben sind hauptsächlich:
Sethus Calvisius, zu Gorschieben in Thüringen am
21. Februar 1556 geboren, Chorschüler in Magdeburg, be-
suchte alsdann die Universitäten Helmstädt und Leipzig, war
im Jahr 1582 Cantor in Schulpforta und wurde 1594 als
Cantor und Musikdirector an die Thomaskirche nach Leipzig
berufen, woselbst er 1615 starb. Von ihm sind ein Choral-
werk (Harmoniae cantionum ecclesiasticarum), Psalmen, Motet-
ten und Hymnen.
Bartholomaeus Gesius, gegen 1600 Cantor zu Frank-
furt a. O. Nicolaus Seinecker (Schellenecker) zu Hers-
bruck bei Nürnberg 1532 geboren, starb als Pfarrer zu St.
Thomas in Leipzigs den 24. Mai 1592. Die Choralmelodien :
„Wach auf mein Herz und singe", „Allein Gott in der Höh
sei Ehr" und „Singen wir aus Herzensgrund" sollen ihn zum
Verfasser haben ; auch gab er: „Christliche Lieder und Kirchen-
gesänge" Leipzig 1587 heraus. Lucas Lossius, 1508 — 1582,
gab ein Psalmwerk heraus. Johannes Steuerlein, 1546
— 1613. Von ihm erschien u. A. : „Christlicher Morgen- und
Abendsegen" u. s. w. für 4 Stimmen ; „Teutsche und lateinische
geistliche Hochzeitsgesäng zum Gebrauch in Kirchen und
Schulen" u. s. w. ; der 150. und 117. Psalm für vier Stim-
men u. s. w. Melchior Vulpius 1560 — 1616 und viele
Andere.
Zu erwähnen sind noch die vier Hamburger Organisten
Hieronymus und Jacob Prätorius, David Scheide-
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— 202 —
mann und Joachim Decker^ welche gemeinschaftlich ein
in Hamburg im Jahr 1604 erschienenes kirchliches Gresangs«
werk herausgaben unter dem Titel: „Melodeyen Gesangbuch^
darein Dr. Luther's und ander Christen gebräuchlichsten Ge-
sänge; ihren gewöhnlichen Melodien nach; in vier Stimmen über-
gesetzt; begriffen sind/^ Dasselbe enthält 88 Tonsätze ;;Und
sind in vier Stimmen also abgesetzt; dass den Discant auch
ein jeder Christ; wenn er schon der Musik unerfahren und
nicht schriftkundig; dennoch mit den andern dreien unterschied-
lichen Stimmen fein übereinlautend; gleich mit musicireu; und
neben und sammt ihneu; im süssen und lieblichen Teno Gotte
dem Herrn singen ; und mit Herzen und Mund ihn herrlich
loben und preisen kann. Denn es hat und singet der Discant;
welcher stets oben an stehet; die gewöhnliche und sonderlich
dieser Oerter bekannte Melodey; welche dann auch gar nicht
mit Colorationen und weit umherfahrenden Kunstgängen schwer
gemacht und veirlängert; sondern fein schlecht; wie sie aui
uns kommen sind und dem gemeinen Volke in Kirchen und
Häusern üblich; ohne auch die geringste Veränderung allhie
behalten worden. Ein jeder Christ mag seine schlechte Laien-
stimme nur getrost und laut genug erheben; und also nun-
mehr nicht als das fünfte; sondern als das vierte und gar
fügliche Kad den Musikwagen des Lobes und Preises gött-
lichen Namens gewaltiglich mit fortziehen; und bis an den
Allerhöchsten treiben und bringen helfen."
Hans Leo Hasler hat sich sowohl durch seine Choral-
bearbeitungen als durch seine zu Nürnberg im Jahr 1607 heraus-
gegebenen ;;Psalmen und christliche Gesang mit vier Stimmen
auf die Melodeyen fugweiss componirt" sowie den 1608 erschiene-
nen „Kirchengesäng, Psalmen und geistliche Lieder; auf die
gemeinen Melodeyen mit vier Stimmen simpliciter gesetzt" um
den evangelischen Kirchengesang verdient_gemacht. Sein fünf-
stimmiges ; in seinem ;;Lustgarten neuer teutscher Gesänge"
zu 4 — 8 Stimmen zu Nürnberg 1601 unter Nr. 24 erschienenes:
;;Mein Gemüth' ist mir verwirret; das macht ein Mägdlein
zart" lebt noch in dem Choral ;,0 Haupt voll Blut und Wun-
den" fort.
Gotthard Erythräus 1560—1617 u. A.
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•_ 203 —
Einer der bedeutendsten und in seinen Werken unserer
Zeit am nächsten stehender Meister ist
Johann Eceard. Derselbe ist 1553 zu Mühlhausen
an der Unstrut geboren und soll dortselbst — nach Winter-
feld — von Joachim von Burgk den ersten Unterricht in der
Musik erhalten haben. Später studierte er in München bei
Orlandus Lassus, trat 1578 in 'die Dienste Jacob Fugger's in
Augsburg, wurde 1583 Vicekapeilmeister, 1599 wirklicher
Kapellmeister in Königsberg und erhielt im Jahr 1608 eine
Berufung als churfürstlicher Kapellmeister nach Berlin, wo-
selbst er 1611 starb. Seine Tonsätze zeichnen sich weniger
durch ihre contrapunktische Arbeit, als durch ihre Klang-
schönheit, durchsichtig klare Stimmführung und reiche har-
monische Entfaltung aus. Hervorzuheben sind seine fünf-
stimmigen Tonsätze über 55 Melodien zu Fest-, Zeit-, Katechis-
mus-, Psalm- und andern Liedern (1595), sowie seine „Preussi-
schen Festlieder durchs Gantze Jahr" mit fünf, sechs bis
acht Stimmen (1598). Aus seinem Vorwort zu erstgenanntem
Gesangbuch geht hervor, dass dasselbe das erste in Preussen
war, worin durchgängig die melodieführende Stimme in den
Discant verlegt und das mit einfacher Harmonisirung versehen
war; „denn — heisst es dort — hätten Einige wohl früher
schon die Melodie der gebräuchlichsten Kirchenlieder in eine
solche Harmonie gebracht, dass der Choral, wie er an sich
selbst geht, in der Oberstimme deutlich gehört werde, und die
Gemeine denselben zugleich mit einstimmen und singen könne,
zur Zeit jedoch kein Cantional, darin nach musikalischer Art
was anmuthiges und der Kunst geinässes enthalten wäre, zu
uns anhero in Preussen gelanget."
Die Festlieder Eccard's nöthigen uns zunächst zu einer
allgemeinen Bemerkung.
Die Melodien der Kirchenlieder wurden, wie wir bereits
sahen, von den meisten Tonsetzem des 16. Jahrhunderts als
Grundlage polyphoner Gestaltung benutzt, ohne den Gemeinde-
gesang, bei welchem die strophische Form des Liedes fest-
gehalten wurde, zu berücksichtigen. Diese Beschränkung des
Tonkünstlers, an etwas Gegebenes, nicht selbst Geschaffenes
gebunden zu sein, fiel weg, als der Setzer zugleich auch der
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^ 204 — •
Erfinder der Melodie wurde, wodarcb zugleich die Harmonie
sich selbständiger und reicher entfalten , sowie der kirchliche
Tonsatz sich einfache gestalten konnte. Denn die Melodie,
unter welcher wir die von einem geistigen Mittelpunkt aus
getragene und zu einer bestimmten Zeiteinheit verbundene
Folgenreihe verschiedener Töne verstehen, bildet gleichsam
den Umriss, die Zeichnung, sie ist der Keim, aus welchem
alles andere sich entwickelt, sie ist sowohl das gestaltende als
das bildende Element. Und gerade das melodische Element
ist ein für den Gemeindegesang unentbehrliches. Diese Ein-
sicht mag auch wohl hauptsächlich Ursache gewesen sein, dass
die Tonsetzer und Herausgeber geisthcher Gesangbücher die
Melodie, wie wir sahen, in die Oberstimme zu legen begannen.
Die Tonsetzer der evangeUschen Kirche hatten zudem bis jetzt
die Choralstrophen motettenhaft verarbeitet. Eccard, welcher
einer der Ersten war, die die Melodien zu ihren kirchhchen
Tonstücken selber erfanden , schuf in seinen „Festlieder" eine
neue Form, welche eine Mittelstellung zwischen Motett- und
Liedform einnimmt, — letztere waltet übrigens meistens vor —
wobei die liedartige Melodie in der Oberstimme liegt. Wenn
dieselbe nun auch von den andern Stimmen, durch welche sie
ihre volle Bedeutung erst erhielt, in diesen Sätzen nicht un-
abhängig ist imd einstimmig desshalb nicht gesungen werden
konnte, so war doch hiedurch eine fasslichere Form geschaffen,
wodurch der schroffe Gegensatz von geistlichem und Volks-
gesang gemildert wurde, obwohl immerhin seine Festgesänge,
welche auf der Liedform beruhten, meistens mit einer breitern
fugirten Ausführung schlössen. Im Uebrigen lehnt Eccard
sich als Setzer an die Weisen des allgemeinen Kirchenge-
sangs an.
Mit dem 17. Jahrhundert beginnt eine neue Epoche flir
die deutsche protestantische Kirchenmusik und den kirchlichen
Gesang. Die in Italien entstandene neue Bichtung, welche
wir im fünften Abschnitt besprachen, reagirte, wie schon be-
rührt, hauptsächlich gegen den Contrapunkt, da durch den-
selben, das heisst durch die contrapunktische Behandlung der
Stimmen ; die Einzelstimme nicht zur Geltung gelange und
sowohl der Ausdruck als der richtige Accent verloren gehe.
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- 205 —
Man suchte nun dem Worte eine grössere, bedeutendere musi-
kalische Individualität, der einzelnen Stimme eine melodische
Erweiterung gegenüber der polyphonen Stimmenverflechtung
zu geben, überhaupt die Einzelstimme selbständiger zu ge-
stalten. Nebenbei wurde die Chromatik immer mehr benützt
und angewendet, wodurch die auf der starren Diatonik fussen-
den Kirchentonarten allmählig ausser Gebrauch kamen und
unsere heutigen diatonisch-chromatischen Tonarten nach und
nach sich bildeten.
Der erste deutsche Tonsetzer, dessen Werke zum Theil
unter den Einflüssen dieser neuen Richtung entstanden, ist
Michael Prätorius. Derselbe ist wahrscheinlich 1572
in Kreutzberg an der Werra geboren, seit 1604 Kapellmeister
des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg und starb nach
einem bewegten Leben im Jahr 1621. Er repräsentirt in
seinen Werken den Uebergang des alten zum modernen Stil;
nicht nur die Einflüsse der venetianischen Schule treten in
seinen mehrchörigen , acht- bis zwölfstimmigen Werken —
hierunter auch deutsche Kirchengesänge — hervor, sondern
er trug auch wesentlich zur Einführung und Verbreitung der
neuen Richtung in der Kirchenmusik bei.
Seine Productionskraft war trotz seiner kurzen Lebens-
dauer eine ausserordentliche ; über 2000 Tonsätze hat er theils
componirt, theils bearbeitet und gesammelt. Mehr denn 1200
Gesänge enthält sein wichtigstes Werk, die ^Musae Sioniae"
oder jjgeistliche Concertgesänge über die fürnembsten Herrn
Lutheri und anderer teutscher Psalmen, zugleich auf der Orgel
und Chor mit lebendiger Stimme und allerhand Listrumenten
in der Kirche zu gebrauchen" ; dasselbe erschien in neun
Theilen von 1605 — 1610. Auch das j^Concerto di chiesa*,
jene Compositionsgattung , welche, wie schon im fünften Ab-
schnitt berührt, Viadana in die Kirche einführte und die aus von
einer oder von mehreren Stimmen ausgeführten Cantilenen
bestand, wozu die Harmonie gewöhnlich von der Orgel aus-
gefüllt wurde, suchte er in den evangelischen Kirchengesang
einzuführen.
Unter seinen Werken (bei F^tis sämmtlich mitgetheilt)
erwähnen wir die in der „Polyhymnia panegerica et cadu-
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— 206 —
ceatrix* enthaltenen Tonsätze, „darinnen Solemnische Fried
und Frewden Concert; Inmaassen dieselbe resp. bei Kaiser-,
König-, Chur- und Fürstlichen Zusammenkünften, Auch sonsten
in Fürstlichen und andern Ftirnehmen Capellen und Kirchen
angeordnet und mit 1 — 21 auch mehr Stimmen auf zwei bis
sechs Chor gerichtet, Mit allerhandt Musikalischen Instrumen-
ten und Menschen Stimmen auf Trommeten und Heerpauken
Musiciret und geübt werde." Es enthält auch „unterschiedene
newe Arten und Manieren der Concert-Musik", die in der für
den Musikdirigenten und Organisten „auflF Orgeln, Regalen,
Clavicymbeln , Lauten und Theorben accomodirten General-
bassstimme bei jeglicher Cantion sich verzeichnet, auch mit
Symphonien und Ritornellen gezieret fänden, und welche wohl
zu observiren und in Acht zu nehmen seien."
Dass derartige Tonsätze für die Gemeinde unausführbar
waren, im Gegentheil durch dieselben der Gemeindegesang
zurückgedrängt wurde, dürfte sich wohl von selbst verstehen.
Die von ihm angewandten Instrumente waren: Geigen, Brat-
schen, Lauten und Theorben, hohe Flöten, Cornette, tiefe Flöten,
Posaunen, Zinken und Orgel.
„Einer motettenhaften Stimmenverwebung begegnen wir
nicht mehr bei ihm, wie bei seinen Vorgängern, sondern einer
in sich abgeschlossenen Reihe von Tonbildern, in denen reiner
und begleiteter Gesang, mannichfach gefärbte Töne, verschie-
denartig erzeugte Klänge, Einzelgesänge und Chor, grössere und
mindere Tonfülle, leichtes und starkes Ertönen als Gegen-
sätze überraschen und reizen sollen; wo einzelne melodische
Wendungen nicht allein für kehlfertige Sänger verbrämt, son-
dern auch in mannichfacher rhythmischer Umbildung, in dem
Farbenglanze verschiedenartiger Instrumente strahlend, zum
Ergötzen des Ohres vorübergeführt werden, wo nur der Hörer
als solcher in Anspruch genommen und um seinetwillen die
Wirkung des Effects erstrebt wird, wo nicht mehr wie in
ältester Zeit, der grüblerische Tiefsinn des Meisters in sich
Befriedigung sucht, und den Beifall des kundigen Theilnehmers
in der Ausführung als nothwendige Folge des Geleisteten
voraussetzt." Prätorius Hauptverdienst besteht „in der sinnig
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— 207 —
angewandten Gabe des Setzers ^) ; als Erfinder steht er um
Vieles zurück gegen die Begabteren unter seinen Zeitgenossen.
Mag er jene Gabe, die wir ihm nachrühmen, mit Manchem
unter diesen theilen, mag er, im Einzelnen, selbst von ihnen
übertrofi*en werden; mögen seine Tonsätze, eben weil ihrer
eine so grosse Anzahl ist, weil sie über so manche, nur in
ganz unwesentlichen Zügen verschiedene Singweisen sich ver-
breiten, nicht alle von gleichem Werthe sein: er wird unter
Allen, die sich eine gleiche Aufgabe stellten, immer ausge-
zeichnet dastehen, weil er sie in so grossem Sinne gefasst
hat« 2).
Der bedeutendste deutsche Kirchencomponist des 17. Jahr-
hunderts ist Heinrich Schütz, welcher die neue Richtung
ganz in sich aufgenommen und am erfolgreichsten für die-
selbe gewirkt hat und somit als der Träger derselben er-
scheinen darf. Das Gebiet des geistlichen Liedes und der
Choralbearbeitung betrat er seltener, wie sich seine Werke
überhaupt nicht an die Liedform knüpfen. Zu Dresden, wo-
hin die geistlichen Concerte sich von Cassel aus verpflanzt
hatten, führte er dieselben in die Hofkirche ein. Diese Con-
certe waren durch ganz S chsen verbreitet. Am Braunschweig-
ischen Hofe hatten sie durch Prätorius Eingang gefunden^).
Im Jahr 1619 erschienen zu Dresden seine „Deutsche
Psalmen sammt etlichen Motetten und Concerten mit acht
und mehr Stimmen, Nebenst anderen zwejen Capellen, dass
dero etliche auff drey und vier Chor nach Beliebung gebraucht
werden können"; auch ein ^Continuo vor die Orgel, Laute,
Chitaron" u. s. w. sind dabei. In denselben macht er den
Versuch, die neue declamatorische Gesangsweise, „welcher
Styl bis dato in Teutschland fast unbekannt« auch auf grössere
Tonsätze anzuwenden „wie sich dann zu Composition der
Psalmen meines Erachtens fast keine bessere art schicket,
denn dass man wegen der menge der Wort ohne vielfaltige
repetitiones immer fort recitire". Er bittet ^diejenigen, welche
1) Wir erinnern nur an sein wanderschönes vier stimmiges Lied: „Es ist
ein Kos* entsprungen**.
2) Winterfeld I, S. 388.
3) Winterfeld II, S. 211.
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— 208 —
dieses modi keine Wissenschaft haben^ sie wollen in Anstellung
berührter meiner Psalmen sich im Tact ja nicht tibereylen, son-
dern der gestalt das mittel halten, damit die Wort von den Sän-
gern verständlich recitirt und vernommen werden mögen. Im
widrigen Fall wird eine sehr unangenehme Harmoney und anders
nicht als eine Battaglia di Mosche, oder Fliegenkrieg darauss
entstehen, der Intention dess Authoris zu wider.* Diese Samm-
lung enthält drei- oder vierchörige Tonsätze, welche wiederum
ein oder zwei Hauptchöre enthielten, die Chori favoriti — Fa-
voritchöre — genannt wurden, weil, wie Schütz in der Vorrede
bemerkt, der Kapellmeister „sie am meisten favorisiren und auffs
beste und lieblichste anstellen soll.* Diese Chöre, welche aus
den Haupt- oder concertirenden Gesangstimmen (voces con-
certantes, parti concertate) bestanden und im Gegensatz zum
ganzen Chor aller Vocalisten und Instrumentalisten standen^
nannte man ursprünglich Chorus recitativus. Nach Prätorius *)
wird jener Chor recitativus auch Favorito genannt, zu welchem
man die besten Sänger auswählt, ^die vff jetzige newe Manier
pronunciret vnd gleich als eine Oration vernehmlich daher re-
citiret werden.* Zu den Favoritchören treten zur Verstärkung,,
^zum starken Gethön und zur Pracht* der sogenannte Capellen-
chor — Chorus pro capella, Coro palchetto — also genannt,.
j,weil der ganze Chorus vocalis oder die ganze Capelle den-
selben im Chor und von den andern Choren ganz abgesondert,
musiciret, vnd gleichsam als vff einer Orgel das volle Werk
mit einstimmet. Welches dann ein trefflich Ornamentum, Pracht
und Prangen in solcher Music von sich gibt* ^). Während die
Favoritchöre ausachliesslich für Singstimmen bestimmt waren,
J5 wiewohl (wie Schütz in der Vorrede bemerkt) auch etliche
der Psalmen sich nicht übel schicken, wann der höhere Chor
mit Zinken, Geigen, der niedrige mit Posaunen oder andern
Instrumenten gemacht, und auff jedem Chor eine Stimme dar-
neben gesungen wird*, konnten die Capellchöre auch mit
Instrumenten allein oder mit den Singstimmen zusammen ge-
setzt werden: j^die Capellen, so mit hohen Stimmen gesetzet,
1) Prätorius: Syntagma III, S. 106.
2) Prätorius: Syntagma III, S. 113.
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— 209 —
seynd meistentheils auff Zinken und anderm Instrument ge-
richtet, jedoch wann man auch Sänger dabey haben kann^ ist
so viel desto besser." Man verstand unter Chorus pro capella
auch einen Vocalchor ohne irgend welche Instrumentalbe-
gleitung, „welcher mit Cantoribus und Menschen Stimmen
muss besetzet werden; als wenn in einem Concert der eine
Chor mit Cornetten, der andere mit Geigen, der dritte mit
Posaunen, Fagotten, Flöitten und dergleichen Instrumenten,
doch dass bei jedem Chor zum wenigsten eine Concertat —
das ist, eine Menschen Stimme dameben geordnet: So ist
meistentheils noch ein Chor dabey, wo alle vier Stimmen mit
Cantoribus besetzt werden: denselben nun nennet J. Gabriel
Capellam. Und kann ein solcher Chor oder Capella, weil
sie mit unter die Principal Chor gehöret, durchaus nit aussen
gelassen werden."
Eines seiner bedeutendsten Werke sind die in drei Theilen,
1629, 1647 und 1650 erschienenen Symphoniae sacrae, welche
unter Anderm von obligaten Instrumenten begleitete ein- und
mehrstimmige Solosätze im concertirenden Stil enthalten; im
ersten Theil derselben finden wir auch schon dreitheilige
Arien und zwei- und dreitheilige Duette. Ebenso setzte Schütz
zu dem schon oben erwähnten Becker'schen Psalter 92 neue
Weisen und 11 Tonsätze zu den alten Melodien früherer, von
demselben aufgenommener Psalmlieder; sie schliessen sich
ebenfalls dem Concert- und Madrigalstil an.
Seine Werke zeichnen sich durch Kraft und Bestimmt-
heit des musikalischen Ausdrucks aus, welcher sich oft zu
dramatischer Lebendigkeit steigert; für jede Empfindung, für
jede Bewegung des Gemüths findet er die richtigen ausdrucks-
vollen Töne, ohne dabei je die der wahren kirchlichen Ton-
kunst gezogenen Schranken zu überschreiten; aber auch nur
— um mit Winterfeld zu sprechen — solchen grossen und
vielseitig begabten Meistern wie Heinrich Schütz, in dessen
Seele das Wesen der altkirchlichen Tonkunst noch lebendig in
seiner tiefsten Bedeutung nachklang, blieb es vergönnt, auch
innerhalb ihrer neuen Gestaltungs- und Ausdrucksweise jenen
acht religiösen Sinn in der Kunst zu bewahren und auf die
Nachkommen fortzupflanzen.
Sittard, Compendium. »^
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— 210 —
Unter denjenigen; welche den neuen concertirenden Stil
in der protestantischen Kirchenmusik pflegten und förderten,
sind zu nennen:
Johann HerrmannSchein, zu Grünhain in Sachsen
1586 geboren, 1599 — 1603 Discantist an der Dresdener Hof-
kapelle, 1613 Kapellm^ster zu Weimar, worauf ihm im Jahr
1615 das Cantorat an der Thomasschule in Leipzig über-
tragen wurde, in welchem Amte er 1630 starb.
Seine Tonsätze sind meistens vier- bis zwölfstimmige, nach
Art der geistlichen Concerte gesetzte Kirchenweisen. Wenn
er wie Schütz die italienische Gesangsweise den Deutschen zu
vermitteln suchte, so blieb er in der Melodiebildung doch stets
deutsch und für die Entwicklung des Kunstlieds sind seine
Werke von grosser Bedeutung gewesen. Anführen möchten wir
hier sein 1627 und 1645 in vermehrter Auflage erschienenes
^Cantional oder Gesangbuch Augsburgischer Confession u. s. w.
mit vier, fünf und sechs Stimmen componiret^; verschiedene
in demselben enthaltene schöne und von ihm herrührende '
Melodien sind heute noch im kirchlichen Gebrauch, wie
z. B. ^Mach's mit mir Gott nach deiner Gut*, „Zion klagt
mit Angst und Schmerzen", „Auf meinen lieben Gott".
Johannes Bosenmüller, Anfangs des 17. Jahr-
hunderts in Chursachsen geboren, 1647 CoUaborator an der
Thomasschule zu Leipzig, 1648 Musikdirector eines Chors
neben dem durch Kränklichkeit meistens ausser Thätigkeit
gesetzten Cantor Tobias Michaelis. Wegen sittlicher Ver-
gehen 1655 verhaftet, entfloh er nach Hamburg, von dort
nach Italien, wo er meistens in Venedig sich aufhielt. Von
hier aus wurde er vom Herzog von Braunschweig nach Wolfen-
büttel als Kapellmeister berufen, woselbst er im Jahr 1686
starb. Sein bedeutendstes Werk sind die 1648 und 1653 er-
schienenen : „Kernsprüche mehrentheils aus heiliger Schrift mit
3, 4 — 7 Stimmen sammt ihrem Basso continuo gesetzt." Die-
selben, aus welchen Winterfeld zwei Sätze in Partitur mit-
theilt, sind ebenfalls auf Art der geistlichen Concerte gesetzt,
zum Theil auch mit Begleitung. Sein Hauptverdienst besteht
im Erfinden von Choralmelodien und damit verbundenen mehr-
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— 211 —
stimmigen Tonsätzen *). Die drei Kirchenmelodien : „Welt
ade ich bin dein müde", „Alle Menschen müssen sterben*'
sowie „Straf mich nicht in deinem Zorn'* sollen ihn zum
Autor haben, doch lässt sich dies mit Sicherheit nur von der
ersten behaupten, da das 1682 erschienene Gesangbuch von
Vopelius dasselbe mit ausdrücklicher Nennung seines Namens
enthält*). Weniges nur hat EosenmüUer für den Gemeinde-
gesang gethan, aber für den Kunstgesang in der evangelischen
Kirche ist er um so wichtiger, weil er die damals allgemein
beliebt gewordenen italienischen Formen in acht deutschem
Sinne lebendig ausgestaltet „und ihnen dadurch erst wahres
Bürgerrecht gewonnen; was die spätem grossen Meister des
18. Jahrhunderts geleistet, haben sie zumeist ihm zu ver-
danken" *).
Andreas Hammerschmidt, 1611 zu Brüx in Böhmen
geboren, wurde 1635 Organist an der Peterskirche zu Frei-
berg, 1639 zu Zittau an der Johanneskirche und starb den
29. October 1675. Seine geschichtliche Bedeutung liegt in
seiner Verknüpfung des Kirchenlieds mit dem Kunstgesang,
während bei Schütz und seinen Nachfolgern dieser Zusammen-
hang sich gelockert hatte und die Liedform vernachlässigt und
hintangesetzt worden war. In seinen concertmässigen geist-
lichen Tonsätzen versuchte Hammerschmidt den Dialog an-
zuwenden, und, indem er kirchliche Weisen in den Kunstgesang
hineinverwebte, letzteren dem Gemeindegesang näher zu brin-
gen, und manche seiner auf diese Art behandelten Weisen
gingen in den Gemeindegesang über, wie z. B. „Freuet euch
ihr Christen all" und Andere. Es konnte dies um so eher
geschehen, als die einzelnen Stimmen nicht so organisch unter
sich zusammenhängen, dass nicht die melodieführende Stimme
abgetrennt werden konnte, und so hat er, wenn auch nur mittel-
bar, für den Gemeindegesang fruchtbar gewirkt. Dem ganz in
der Form des geistlichen Concertes redegemäss betonten Schrift-
wort setzt er häufig irgend ein Kirchenlied mit seiner Sing-
1) Winterfeld II, S. 242.
2) Winterfeld II, S. 247.
3) Winterfeld n, S. 248.
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— 212 —
weise ; das er am passenden Ort einschaltet ^ in lebendigem
Oespräch gleichsam als Antwort entgegen. Damit wahrt er
nicht allein die Liedform im kirchlichen Eunstgesang^ sondern
stellt auch eben durch den Oegensatz ihre Bedeutsamkeit in das
hellste Licht. Manchmal setzt er auch ein Kirchenlied einer
von ihm selbst erfundenen kunstmässig ausgestalteten Weise
gegenüber und verflicht die Melodien beider Kirchenlieder.
So gibt er z. B. eine concertmässig von ihm figurirte und von
ihm erfundene Melodie zu dem Kirchenlied : ^, Ach wie nichtige
ach wie flüchtig ist der Menschen Leben'' und verwebt in
dieselbe die alte Kirchenmelodie : ^^Mitten wir im Leben sind'';
die er bald da bald dort imter Posaunenbegleitung eintreten
lässt; oder er gibt zuerst die alte Kirchenweise: ,, Allein zu
dir, Herr Jesu Christ" und verwebt dann in sie eine eigene
concertmässige Behandlung des Schriftworts: „Fürchte dich
nichts ich bin dein Schild und sehr grosser Lohn.^ Dadurch
ist er historisch bedeutsam geworden und viele folgten ihm
im Laufe des Jahrhunderts auf diesem Wege ^). Diese Art
der dialogisirenden Verbindung des Kirchenlieds mit dem
Kunstgesang weist schon auf die spätere Cantatenform hin.
Von seinen Werken führen wir folgende an: „ Geistliche
Concerte*, 1638 und 1641 erschienen; j^Dialoghi spirituali oder
Gespräche zwischen Gott und einer gläubigen Seele*, 1645
und 1658; „Musikalische Gespräche über die Evangelien*,
1655; „Fest-, Buss- und Danklieder*, 1658 sowie „Fest- und
Danklieder*, 1658 und „Fest- und Zeitandachten* 1671; auch
eine grosse Anzahl Motetten und Messen rühren von ihm her.
Speciell für den Gemeindegesang bestimmte Weisen schrieb
er zu Risfs „Musikalische Katechismusandachten* *), welche 38
Melodien von ihm enthalten.
Als solche, welche den kirchlichen Gemeindegesang durch
schöne Melodien und Lieder bereicherten, nennen wir noch
H ei nf ich Albert, einen Nefl^en des berühmten Schütz,
28. Juni 1604 zu Lobenstein im sächsischen Voigtlande ge-
1) Siehe Dr. Anton Tobias: Andreas Hammerschmidt, Zittau 1871
sowie E. Koch a. a. O. IV, S. 137.
2) Winterfeld II, S. 273.
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— 213 —
boren. Er erhielt seine musikalische Ausbildung bei seinem Oheim
und wurde 1631 Organist der Domkirche zu Königsbergs wo-
selbst er am 10. October 1651 starb. Er ist nicht nur Com-
ponist sondern auch Dichter zahlreicher geistlicher Lieder^ von
welchen manche in die Choral- und Gesangbücher übergingen^
wie z. B. „Gott des Himmels und der Erden'', „Unser Heil
ist kommen'' u. s. w. Ersteres wird jetzt noch, wenn auch
mit entstellter Melodie in den Kirchen gesungen.
Johann Crüger, im Jahr 1598 zu Gross- Breesen bei
Guben geboren, Cantor und Musikdirector an der Nicolaikirche
zu Berlin von 1622 bis zu seinem im Jahr 1662 erfolgten
To^e. Er ist einer der vorzüglichsten Liedersänger der evan-
gelischen Kirche und seine Melodien gingen in die meisten
Gesangbücher über. Von den heute noch gesungenen nennen
wir: „Jesus meine Zuversicht", „Herzliebster Jesu, was hast
4u verbrochen", „Schmücke dich, o liebe Seele", „Nun danket
alle Gott" u. s. w.
Georg Neumark zu Mülilhausen in Thüringen 16. März
1621 geboren, war Archivsecretär und Bibliothekar zu Weimar,
woselbst er am 8. Juli 1681 starb; von ihm rührt die Melodie
zu „Wer nur den lieben Gott lässt walten".
Johann Rudolf Ahle ist am 24. Dezember 1625 zu
Mühlhausen in Thüringen geboren, 1646 Cantor an der
Andreaskirche zu Erfurt, von 1649 bis zu seinem 1673 er-
folgten Tode Organist zu Mühlhausen. Von seinen Liedern
erwähnen wir das allerwärts gesungene: „Liebster Jesu, wir
sind hier". Seine geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass
er als Schöpfer der geistlichen Arie betrachtet werden kann.
So verfasste er 120 Liedsätze mit Ausschluss der alten Kirchen-
tonarten und durchgängiger Anwendung der modernen Dia-
tonik, in welcher er die strophische, liedartige Arienform ver-
wandte und selbständig fortbildete, indem er sie dadurch geeignet
machte, in den Gemeindegesang überzugehen; mehrere der-
selben haben sich sogar dauernd in Sachsen und Thüringen
eingebürgert. Sein Sohn, Joh. GeorgAhle, 1650—1706,
war Nachfolger seines Vaters im Organistenamt und Amtsvor-
gänger Joh. Seb. Bach's. Johann Schop oder Schopp,
Anfang des 17. Jahrhunderts zu Hamburg geboren, dortselbst
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— 214 —
Kapellmeister und später zu Lüneburg lebend. Von ihm sind die
Melodien zu den Chorälen: ^^Lasset uns den Herrn preisen'^,
„Werde munter mein Gemtithe", „O Ewigkeit du Donner-
wort", „Sollt ich meinem Gott nicht singen" u. s. w.
Zu nennen wären noch von Solchen, welche sich nach
dieser Richtung hin verdient machten: Jacob Schultz
(Prätqrius), S. G. Stade, W. C. Briegel und viele An-
dere ^). Anführen möchten wir nur noch den schon oben
genannten Organisten Samuel Scheidt, zu Halle an der
Saale gegen 1587 geboren, welcher nicht nur zu den grössten
Orgelspielern seiner Zeit gehörte, sondern auch zu den
Begründern des neuern Orgelstils gezählt werden kann.
Dieser bestand bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts in blosser
Nachahmung des Vocalsatzes. Scheidt's unter dem Titel
„Tabulatura nova" im Jahr 1624 zu Hamburg erschienenem
Orgelbuch, welches nicht nur Choräle sowie geistliche und
weltliche Lieder, sondern auch Fugen, Canons, Toccaten u. s. w.
enthält, ist eine Anweisung zum Vortrag des Chorals beige-
geben, wie derselbe heute noch üblich ist, nämlich die Art der
Ausführung desselben auf verschiedenen Ciavieren mit hervor-
tretendem Cantus firmus in einem Manual oder im Pedal, und
der begleitenden Stimmen auf einem schwächer registrirten
Nebenmanual. In seinen Choralbearbeitungen lehnt er sich
an die künstlichen Formen des Contrapunkts an, welchen er
in allen Formen des einfachen und doppelten anwendet. Dann
Johann Pachelbel, 1653 in Nürnberg geboren, 3. März
1706 als Organist an der Sebalduskirche dortselbst gestorben.
In ihren Choralbearbeitungen kann man Beide die Vorläufer
Baches nennen. Er schrieb auch geistliche, in Liedform ge-
haltene Gesänge zu acht Stimmen, von welchen sich einige
wie z. B. „Was Gott thut, das ist wohlgethan", im evangeli-
schen Kirchengesang eingebürgert haben. Pachelbel war der
Erste, welcher die Euhepunkte zwischen den einzelnen Strophen
und den Auf- und Abgesängen zwischen den einzelnen Zeilen
durch Zwischenspiele ausfüllte.
1) Siehe Winterfeld II, S. 440 — 532. Ein Verzeichniss der kirchlichex^
Melodienbücher des 17. Jahrhunderts 8. 532—610.
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— 215 -
Die von Italien im 17. Jahrhundert nach Deutschland
verpflanzte Oper^ deren Formen namentlich in Hamburg Ende
des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts durch K eiser,
Teleman und Mattheson eine eifrige Pflegstätte fanden,
übte auf den Eirchengesang und die Kirchenmusik keinen
günstigen Einfluss aus. So enthält schon das Frejling-
hausen'sche Gesangbuch, welches sowohl in seinen Liedern,
als in deren Melodien sich dem Geschmack und der Eichtung
der Zeit anbequemte, geistliche Lieder in der Form ernster
Bühnengesänge „solcher gestalt gesetzt, dass darin sowohl
die christlichen Liedern geziemende Lieblichkeit als Gravität
wahrzunehmen sei". Durch die Pflege des Kunstgesangs und
seine Vorrückung in den Vordergrund verfiel sowohl der Ge-
meindegesang immer mehr, als auch der weltliche Volksgesang,
welcher immer befruchtend auf das geistliche Lied zurück-
wirkte, jedoch nunmehr durch den schädlichen Einfluss des Opern-
gesangs zurückgedrängt wurde. Diese Art des Gesanges konnte
aber schon desswegen nicht Gemeingut des Volkes werden, weil
er nicht in der Empfindung des Volkes seine Wurzel hatte, son-
dern ein künstliches, von auswärts geholtes Product war. Dazu
kam noch, dass gewichtige Stimmen, wie diejenige Matthesons,
des eifrigsten Vorkämpfers der neuen Formen, erklärten, dass
der Gemeindegesang — spricht Mattheson sogar von dem
faulen, kalten, schläfrigen Wesen des Chorals — als „nur in
einerlei Führung ungekünstelter Stimmen bestehend, ohne
Takt, ohne Zierrath, auf die einfältigste Weise hervorgebracht"
nur dazu da sei, „damit auch Unerfahrene und Ungelehrte
mit der blossen natürlichen Stimme Gott loben können, der
Kunstgesang aber der allein von Gott gebotene sei" ^). So
haben auch sämmtliche Tonsetzer vom Anfang bis Mitte
1) So machte Mattheson aus dem Choral „Wann wir in höchsten Nöthen
BQjn** einen „sehr tanzbaren Menuet*^, aus „Wie schön leucht* uns'' eine Gavotte,
ans „Herr Jesn Christ, du höchstes Gut*' eine Sarabande, aus «„Werde
munter mein Gemüth'^ eine Bource und aus „Ich ruf zu dir» Herr Jesu
Christ'' eine Polonaise, indem er die Choralmelodie Note für Note beibehielt
und nur im Rhythmus ftnderte, ganz wie Jetzt aus Opern-Arien Märsche,
Walzer und Polkas gemacht werden. Siehe Koch Y, S. 683,
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— 216 —
des 18. Jahrhunderts, ausser Joh. Seb. Bach, für den Ge-
meindegesang nicht geschrieben.
Zur Entnervung des Gemeindegesangs trugen wesentlich
auch die kirchlichen Dichtungen des pietistischen, namentlich
des Halle'schen Dichterkreises bei, indem sich die krankhafte
Gefühlsstimmung desselben auch in der Melodie ausdrückte
und Herder *) schon zu der Klage veranlasste, dass eine be-
kannte fromme Schule Deutschlands den Kirchengesang ent-
nervt und verderbet habe. „Sie stimmte ihn zum Kammer-
gesange mit lieblichen weichlichen Melodien voll zarter Em-
pfindungen und Tändeleien herunter, dass er alle seine Herzen
beherrschende Majestät verlor."
Wie schon bemerkt war der Umstand, dass ausser andern
weltlichen nun auch Opernmelodien mit ihren Tanzrhythmen
in den Gemeindegesang aufgenommen wurden, die Veran-
lassung, dass man die künstliche alte Metrik aufhob oder
wenigstens reducirte, und den Melodien den geraden Takt
statt des dreitheiligen, und Noten von gleicher Länge gab,
sowie die altem Kirchenchoräle in ähnlicher Weise umarbei-
tete ^. So entstanden im 18. Jahrhundert auch blosse Melo-
dienbücher, welche im Inhaltsverzeichniss diejenigen Lieder
angeben, die nach den betreffenden Melodien gesungen
werden könnten; manche ältere Melodie wurde durch diese
Art der Anpassung nicht nur auseinandergerissen, sondern auch
in ihrer ursprünglichen Fassung alterirt, was zur Hebimg des
Gemeindegesangs gerade auch nicht sonderlich beitragen konnte.
Von wesentlichem Einfluss auf den kirchlichen Kunstge-
sang war die Herübernahme der in der Oper gebräuchlichen
Formen des ßecitativs, der Arie, des Duetts und des Chors
(siehe oben Carissimi), sowie der bedeutend ausgebildeten Instru-
mentalmusik; wir verdanken denselben die grosse Kirchen-
cantate.
Als Vorläufer dieser Form lernten wir schon Hammer-
schmidt in seinen geistlichen Dialogen kennen, in welchen er
1) Herder: Briefe über das Studium der Theologie Bd. IV, S. 303.
2) Zuerst durchgeführt in dem vonC. W. Briegel 1687 herausgegebenen
Ihirmstädter Cantional.
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— 217 —
Kirchenlied und Bibelwort miteinander verbindet und in gegen-
seitige Beziehung bringt. Der jetzt entstandenen Kirchen-
cantate liegt in der Regel ein motetten- oder concertmässig
gestalteter Evangelientext zu Grunde^ während die Solostimmen
in Recitativen, Arien und Duetten sich in musikalischen Re-
flexionen über denselben ergehen und das Kirchenlied die Ge-
meinde vertritt.
Diese neue Form des geistlichen Kunstgesangs fand, als
an die Stelle der biblischen Worte, wie bei den Passionen,
die freie Dichtung trat, in kirchlich-orthodoxen Kreisen, so
namentlich in Hamburg, energische Opposition und von beiden
Seiten wurde der Streit in wenig erquicklicher Weise ge-
führt *), aus welchem übrigens der dramatisirende Kirchenstil,
die Cantate, als Siegerin hervorging.
1 ) So antwortete Mattheson auf die Angriffe des Professor Joachim
Meyer in seinem 1726 erschienenen: „UnTorgreifliche Gedanken über die
neulich eingerissene theatralische Kirchenmusik'' u. s. w. in äusserst derber
Weise in seiner Schrift: f,DQT neue Göttingische aber viel schlechter als die
alten lacedämonischen urtheilende Ephorus*' 1727. Die Replik Meyers fiel
wo möglich noch höflicher aus in seinem« anmaasslichen Hamburger critious
sine crisi; ihm gesellte sich ein anderer Göttinger H. Ph. Guden Dr. der
Theologie zu, welcher in der neuen ^rchenmusik „das singende Heidenthnm
und das siechende Christenthura'^ erblickte. Nun waren die Schleussen
geöffnet und Gegenschrift auf Gegenschrift folgte. Das Stärkste leistete
jedoch ein auf Matthesons Seite sich stellender Anonymus, Innocentius
Frankenberg: Meyer hab^ in seinem „Dreck-Thätchen" (Tractätchen) ein
dick-elend-bäutiges Euh-dicium (Judicium) an den Tag gelegt ; er glaube sich
ein Orakel, aber diese Benennung sei wohl mehr im Sinne jenes Dorfküsters
zu verstehen, der sie für ein Schimpfwort und mit „O Räckel" gleichbe-
deutend gehalten habe. Es werde nöthig werden, den Kirchencantaten Tele-
man^s bald ein consilium abeundi aus der Kirche durch den Hunde-Peitscher
geben zu lassen und dafür fein andächtige Motetten zu setzen, „die hübsche
langsame Noten haben, als z. E. in der alten Turbabor, darin der Bass im
Anfange ein maxima von acht Takten hat, und der Bassist in einem Tone
80 fein lange aushält, dass er sich indessen- aller römischen Päbste erinnern
kann.** Die weise Mutter habe vergessen, den Herrn professorem musioes
in der Kindheit genug mit Salz einzureiben, wie vor Zeiten nach Ezechiel
XVI, 4 bei den Israeliten Sitte gewesen. Es sei gar nicht davon die Rede,
einen luxuriösen Theaterstil in die Kirche einzuführen, noch den Compo-
nisten zu erlauben, „ihre Kirchenstücke mit buntkrausen Coloraturen,
unvernehmlicben passagien, abentheuerlichen Manieren, kauderwelschen Ga-
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— 218 —
Durch die Einführung der dramatisch-geistlichen Ton-
paunen-Gelftchtem, zerstümmelten Saalbadereyen, abgeschmackten Variationibos
(da man die Noten zu Sauerkraut, wie Lung und Leber zu Lümmel hacket)
und dergleichen impertinentem Tande zu spicken '^ ; sondern den Text wohl
anzusehen und ihm gemäss die Affekten des Zuhörers zu erregen. Dann
komme es auch auf gute wohlgeschulte Sänger dabei an. Ein Discantist
„mit einer schwachen Fistul, so als ein alt Mütterchen singet, der die Zähne
ausgefallen; ein Altist mit einer kalblauternden Stimme; ein Tenorist, der
wie ein rauhstimmiger Distelfresser schreit ; ein Bassist, der das achtfüssige G
in der Tiefe wie ein Maikäfer im hohlen Stiefel brummt, dass kaum dreissig
Schritt davon ein schlafender Hase erwachen möchte, hingegen das vier-
füssige g wie ein indianischer Löwe brüllet ** ; Sänger solcher Art seien frei-
lich nirgend zu brauchen, zumal „wenn das Unglück dazu schlaget, dass sie
alle vier steife Kehlen haben, als wenn sie Besenstiele hn Halse hätten und
keiner von ihnen einen reinen Triller schlagen kann, sondern sodann wie
eine Ziege meckern.'* Nur rechte Sänger seien geschickt, dem Texte wie
der Musik ihr Recht anzuthun. Oer biblische Text freilich gehe dem Can-
tatentext voran; jener sei der Sonne, die dem Tag leuchte, dieser dem Monde,
welcher die Nacht erhelle und von jener sein Licht entlehne, zu vergleichen.
Warum aber solle Tag und Nacht nicht auch am Elirchenhimmel wech-
seln ? Müsste man ja sonst auch die apocrypha aus der Schrift, die Choral-
Lieder, von frommen Gottesgelehrten gedichtet, aus der Kirche verbannen.
Bei Beschreibung der Kirchen-Cai^taten dürfe nicht alles in einen Topf ge-
hauen und ein Gericht daraus gemacht werden. Es heisse : Fremde Cantaten-
Texte könnten in einer grossen Kirche nicht so wohl verstanden werden als
bekannte Bibelsprüche. Auf das Yerständniss also komme alles an. So
schaffe man denn, dass tüchtige Sänger den aus frommen, von dem gött-
lichen Worte erfüllten Herzen geflossenen Cantatentext durch angemessenen
Vortrag allgemein verständlich ertönen Hessen. Aber auf solche Sänger
müsse etwas gewendet werden und das sei der wenigsten Kirchen- noch
Cämmerey- Vorsteher Sache. An vielen Orten sei zu Erhaltung tüchtiger
Vocalisten zur Kirchenmusik kein dativus, sondern ablativus annus; die
meisten seien nach Dr. Schenken's Ableben so schlimme Donatisten worden,
dass sie den dativum nicht wollen für einen casum erkennen. Grosse reiche
Statisten wenden lieber alles auf ihren Staat; Mammonisten liefen lieber mit
dem Judenspiess, und die Naturmenschen von Brasan hörten lieber das
Bassein des Bratenwenders als eine liebliche Vocalmusik. Da liege der Hase
im Pfeffer. Herr Mattheson erhebe die Kirchencantate und präsupponire dazu
tüchtige Sänger ; Herr Meyer schlage solchen Unterschied der Sänger mit einem
Schlage darnieder, wie der Schneider die Fliegen. Wie ein Unterschied sei
zwischen einem Rechtsgelehrten und Rabulisten, also auch unter einer Kirchen-
Cantaten mit einem wohltemperirten beweglichen Theatral-Styl und wildem
luxuriösem Theatral-Styl und zwischen einem delicaten Cantatensänger und
anbrüchigen Cantaten-Quäler. Dieses sei ultimi analysis dieser controversie.
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Schöpfungen in die Kirche wurde es durch die, kunstfertige Sän-
ger und Sängerinnen yoraussetzenden Arien und Soliloquien
— Monologe, im Gegensatz zum Dialog diejenigen Scenen, in
welchen ein Einzelner seinen Empfindungen Ausdruck gibt —
entschiedenes Bedtirfniss, wenn nicht Castraten, so doch kunst-
gerecht gebildeten Sängerinnen die Betheiligung am kirchlichen
Kunstgesang zu gestatten. So liess Mattheson zum ersten
Male am Weihnachtsfest 1715 drei Opernsängerinnen in der
Kirche auftreten. So erschienen nicht bloss in Hamburg, son-
dern auch im übrigen Niedersachsen bei sonn- und festtäg-
lichen Gottesdiensten vor oder nach der Predigt dramatische,
mindestens in Gesprächsform abgefasste Darstellungen von Be-
gebenheiten der biblischen Geschichte, wobei vom Dichter
selbst erfundene allegorische Personen mit ihrem Gesang die
Bedeutung des Dargestellten aussprachen und an die Stelle
des Schriftworts der frühern gewöhnlichen Kirchenmusiken
traten ^).
Sowohl der Kunst- als der Gemeindegesang erreichte in
Joh. Seb. Bach's Werken seinen Höhepunkt. Wie sich
Baches Werke durch die absolute Beherrschung der musi-
kalischen Form, durch die sorgsamste Ausgestaltung jedes
Werkes bis in das Einzelnste und Kleinste und durch die
grossartige Conception der Gedanken auszeichnen, so besitzen
sie auch eine Tiefe des Gemüths, einen sittlichen Ernst, einen
Gedankenreichthum, welche ihn zu dem grössten Tonmeister aller
Zeiten erheben. Auch der Choralsatz erreicht in Bach die
höchste Blüthe und seine vierstimmigen Choräle sind durch
den wunderbaren Harmoniereichthum und die characteristische
Führung der Bass- und Mittelstimmen von ergreifender Schön-
heit. Er war es auch, welcher klaren Blicks die gemeinsame
Wurzel des Kunst- und Gemeindegesangs erkannte und dess-
halb seine besondere Pflege dem evangelischen Kirchenlied
zuwandte, wenn er auch leider in seinen Bestrebungen ver-
einzelt blieb.
Das was Bach in seinen Werken geschaffen, steht heute
1 Siehe £. Koch a. a, O. Y, S. 635.
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— 220 —
noch unerreicht da, und sowohl mit seinen als Händers Chor-
werken können sich auch diejenigen Mozarfs und Beethoven's,
geschweige diejenigen der neuern Meister nicht messen. Sogar
Schlecht *); welcher die evangelische Kirchenmusik und deren
Meister etwas stiefmütterlich behandelt, sagt über Bach: ^Sein
Biesentalent, das er an den grossen Werken der grossen
Geister des Alterthums (?) bildete, sowie die äusserst sorg-
fältige Bearbeitung seiner Werke waren es, die ihn zu dieser
staunenswerthen Grösse erhoben. Sein Leben und Wirken
war ganz dem Dienste der Kirche geweiht, daher die Orgel
sein Hauptinstrument und seine Compositionen für dieselbe
eröflFnen eine neue, vor 4hm unbekannte Welt. In eben diesem
Grade der Begeisterung wendete er seine Thätigkeit dem
Kirchenliede zu, das er von der einfachsten bis zu der er-
habensten Form der Cantate und des Oratoriums durcharbeitete
in einer Eeichhaltigkeit und Fruchtbarkeit, die staunen macht.
Er ist ein Biese, der alles vor sich niederwirft und den bis
heute noch keiner besiegte" *).
1) A. a. 0. S. 130 und 131.
2) Wie Leipzig den grossen Todten ehrte, geht daraus hervor, dass die
Wittwe Baches als Almosenfrau starb, und seine jüngste Tochter, bei dessen
Tode erst 8 Jahre alt, ebenfalls von Almosen leben musste, bis der edle
Beethoven im Jahre 1801 sich ihrer annahm und aus seinen Mitteln unter-
stützte.
Nach den oben angeführten schönen Worten eines katholischen Schriftstellers
müssen wir das ürtheil Koch's — V, S. 645 — über Bach um so oberfläch-
licher finden, und dasselbe gilt auch zum Theil den Ausführungen Winterfelds,
dass Bach in seinen kirchlichen Werken eben auch der Richtung seiner Zeit auf
die Opernbühne unterlegen sei; er sei wohl ein geistlicher Tonmeister aber kein
kirchlicher und er werde nie ein Mann des Volkes werden. Man beobachte
doch einmal an einem Charfreitag, wenn die Matthäus- oder Johannespassion
vom klassischen Verein in der Stuttgarter Stiftskirche aufgeführt wird, die
andächtig lauschenden und sichtlich ergriffenen Zuhörer und dann spreche
man noch von dem unpopulären Bach. Es ist wahr, Bach will öfter gehört
sein, aber seine wundervollen Choräle und mächtig ergreifenden Chöre wer-
den ihren Eindruck auf die Hörer nie verfehlen, und wer sich eingehender
mit Bach beschäftigt, wird ganz gewiss zu einem andern Resultat kommen,
als der sonst so verdiente Koch. Wie er aber vollends dazu kommt, Bach
als der Richtung seiner Zeit auf die Opernbühne unterlegen zu bezeichnen,
ist uns durchaus unbegreiflich. Bei einem und wir wollen zugeben, sogar
gössen Theil seiner Arien mag dies zutreffen, aber seinem Gesammtschaffen
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— 221 —
Georg Friedrich Händel; der ebenbürtige Eivale
Bach's, ward am 24. Februar 1685 zu Halle an der Saale ge-
boren; von 1703 — 1706 in Hamburg bei der Oper, ging er
nach Italien, 1710 tiach London, wohin er nach einem längern
Aufenthalt in Hannover im Jahr 1712* wieder zurückkehrte
und wo er von 1720 — 1740 seine Hauptthätigkeit der italieni-
schen Oper widmete. Er starb den 14. April 1759.
Seine Hauptbedeutung liegt auf dem Gebiet des Ora-
toriums, dessen Formen er der weltlich-dramatischen Musik
entnahm und das als von ihm dem höchsten KunstbegrifF
nach abgeschlossen betrachtet werden darf. Wir müssen es
uns leider versagen, da es nicht zur Aufgabe unserer Arbeit
gehört, näher auf dessen oratorischfe Werke einzugehen und
uns auf die Bemerkung beschränken, dass er in seinen für die
Kirche geschriebenen Werken die gleiche Grösse und Kraft
wie in seinen Oratorien behauptet. Es sind hauptsächlich
seine Chöre, in welchen er Unvergängliches geschaffen; sie
wirken unmittelbar wie urwüchsige Naturgewalt und ent-
flammen und begeistern den Hörer durch die Grösse und Er-'
habenheit; sowie die gesunde Kraft, welche in denselben
wohnt, und dabei wendet Händel die einfachsten harmonischen
und melodischen Mittel an. Dies ist auch der Grund, warum
seine Chöre sofort den Hörer packen und mit sich fortreissen^
ein volksthümlicher Zug durchweht dieselben, und während
diejenigen Bach's ein öfteres Hören erfordern, um in den
Geist derselben einzudringen, wirkt Händel unmittelbar.
Er schrieb für die Kirche verschiedene Tedeum, hierunter
das Dettinger das berühmteste, Cantaten, Psalmen, Anthem'a
— aus biblischen Sprüchen zusammengesetzte, in Motetten-
oder Cantatenform gehaltene Tonstücke — u. s. w. Auch
eine vierstimmige Messe mit 2 Violinen, Viola, 2 Oboen und
Orgel begleitet soll er geschrieben haben.
So eminent Grosses Bach auf dem Gebiet der Kirchen-
musik geleistet, und so sehr seine Werke dazu angethan waren^
befruchtend und fordernd auf eine gesunde und kräftige Ent-
diesen Vorwurf zu machen, ist oberflächlich und beweist den Mangel an Ver-
ständniss des Bach^schen Geistes.
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— 222 —
Wicklung der Kirchenmusik einzuwirken, so waren den Zeit-
genossen seine erhabenen Tonschöpfungen zu tief und zu
ernst. Man hörte lieber den Kling Klang der Teleman, Graun
und Hasse, und so verfiel die kirchliche Tookunst einer immer
grössern Sinnlichkeit, welcher jede Wärme des religiösen Ge-
fühls fehlte, und die tief-ernste Stimmung eines Bach wurde
durch weinerliche Sentimentalität und italienische Bravourarien
ersetzt. Die Contrapunktik erscheint nur noch äusserlich
und namentlich in der katholischen Kirche dominirte die neue
Melodik vollständig.
Von kirchlichen Werken des begabtesten Sohnes des grossen
Bach, Wilhelm Friedemann Bach, 1710—1784 sind nur
wenige erhalten, welche die Berliner Königliche Bibliothek
besitzt, üeber seine Cantaten urtheilt Winterfeld, dass das
Grübeln nach musikalischen Delicatessen, wie Forkel es ganz
richtig nennt, jede andere Rücksicht überwiege und seine geist-
lichen Kunstgesänge nur als einseitige krankhafte Ausbildungen
einzelner Sonderthümlichkeiten seines grossen Vaters merk-
würdig seien. Ein geistiger Nachkomme desselben in achtem
Sinne dürfe er jedoch nicht genannt werden.
Von kirchlichen Tonsetzern führen wir noch an:
Gottfried August Homilius, zu Rosenthal an der
sächsisch-böhmischen Grenze am 2. Februar 1714 geboren,
starb als Organist, Musikdirector und Cantor zu Dresden,
1. Juni 1785. Johann Friedrich Dolos 1715 zu Stein-
bach im Herzogthum Sachsen-Meiningen geboren, 1756 Cantor
an der Thomasschule, starb 8. Februar 1797. Adam Hill er,
25. Dezember 1728 zu Wendisch-Ossig bei Görlitz geboren,
starb 16. Juni 1804. Johann Gottfried Schicht zu
Reichenau bei Zittau am 29. September 1753 geboren, ge-
storben in Leipzig 16. Februar 1823 und viele Andere.
Während die Ausbildung der Instrumentalmusik eine nie
geahnte Höhe erreichte und auf diesem Gebiet Werke von
unvergänglichem Gehalte ge8chafi*en wurden, blieb die Kirchen-
musik weit hinter den grossen Vorbildern Bach und Händel
zurück. Die Form wurde zwar beibehalten, aber sie ver-
knöcherte, denn der Geist fehlte. Die katholische Kirchen-
musik verfiel der schrankenlosesten Subjectivität, der gröbsten
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— 223 —
Sinnlichkeit und die nunmehr erscheinenden Werke waren
mehr auf theatralisches Schaugepränge als auf Weckung eines
wahrhaft religiösen Gefühls gerichtet. Von diesem Vorwurf
lassen sich auch die meisten kirchlichen Tonwerke eines Hajdn
und Mozart nicht ganz freisprechen; der Geist der Zeit weht
in denselben ; obwohl letzterer in seinem Requiem uns ein
Werk hinterlassen hat, welches von einem tiefern Erfassen
des geistlichen Textes Zeugniss gibt.
Der katholische Kirchengesang ^) erlag den gleichen ver-
derblichen Einflüssen wie der protestantische, ja wir dürfen
sagen, derselbe verweltlichte noch mehr als der letztere, und
die Reformen im evangelischen Gemeindegesang blieben ohne
Rückwirkung auf jenen der Schwesterkirche. Der Grund hievon
liegt darin, dass in der evangelischen Kirche der Gemeindegesang
einen wesentlichen Factor des Gottesdienstes überhaupt bildet,
die katholische Kirche dagegen — wie der um die Geschichte
des katholischen Kirchenlieds hochverdiente Severin Meister *)
sagt — in ihrem reichen glänzenden Cultus dem katholischen
Gemüthe so viele Momente der Erbauung und Befriedigung
bietet, dass etwaige Mängel des kirchlichen Gesangs leichter
verschmerzt werden und die Umkehr sich nicht sowohl bei
dem Volke als vielmehr in der Kirche selbst offenbaren, der-
selben auch die Art der einzuschlagenden Reformen ausschliess-
lich überlassen bleiben musste. Hierin haben wir denn auch
vorzugsweise den Grund dafür zu suchen, dass die Umge-
staltung des katholischen deutschen Kirchenlieds nicht zum
allgemeinen Durchbruch gelangte; dass diese vielmehr der in
kirchlichem Sinne ungleich wichtigeren Frage der Wieder-
belebung des lateinischen Kirchengesanges vorerst noch viel-
fach untergeordnet blieb. Und so erklären sich zugleich die
spärlichen Bemühungen für unsern Gegenstand, so die Er-
scheinung, dass wir heute noch viel unverantwortlicher Frivolität
1) Ende des 18. Jahrhunderts wurde für diejenigen Gemeinden, welche
keinen Sängerchor und Orchester besassen, die sogenannte Wiener Messe ausge-
arbeitet, aus kurzen Liedern bestehend, welche statt der Kyrie, Gloria u. s. w.
gesungen wurden.
2) S. 4—5.
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— 224 —
im GesaDge katholischer Gemeinden begegnen, und dass die
Versuche zum Bessern in einzelnen Diöcesen aus Mangel an
Keuntniss des altern katholischen Liederschatzes nicht immer
von dem glücklichsten Erfolge begleitet waren.
In den Werken der protestantischen Kirchenmusik der
Nachbachischen Periode weht uns der frostige Hauch jenes
dürren Rationalismus entgegen, welcher den Geist tödtet.
Nur ein Werk ist hervorzuheben, welches wie ein Eiese unter
Zwergen dasteht, die Missa solemnis von Beethoven. Die
H-moU-Messe von Bach und die hohe Messe von Beethoven
sind Werke von unendlich tiefem Gehalt, von hoher religiöser
Begeisterung, beide gewaltige Tonschöpfungen, Ergüsse reinster,
und tiefster religiöser Empfindung, wenn auch wieder unter
sich verschieden. Bach steht auf dem Boden des Dogmas,
er interpretirt dasselbe musikalisch; er versenkt sich in den
geheimnissvollen Sinn der göttlichen Offenbarung mit aller
Wärme des Gefühls, welche ihm eigen, während Beethoven,
der Interpret einer geläuterten Gottesanschauung ^), im kalten
Dogma keine Befriedigung findet, somit der kirchliche Text
ihm mehr nur die Form ist um seinen tief religiösen Empfin-
dungen Ausdruck zu geben. Diesem grossartig erhabenen
Werk ist von gewisser Seite schon ^heidnischer Titanis-
mus* vorgeworfen worden, als ob nur diejenige religiöse
Empfindung die ächte wäre, welche sich in gewisse Formeln
bannen lässt.
Von neuem Meistern, welche verdienstvolle Werke auf
dem Gebiet der Kirchenmusik geschaffen, nennen wir u. A.:
Mendelssohn, Hauptmann, Fr. Kiel, Imanuel Faisst,
Christian Finck u. s. w.
An Bestrebungen, den evangelischen Kirchengesang zu
heben, fehlte und fehlt es in Deutschland nicht, wie sich
Letzteres überhaupt vor allen andern Ländern um die Hebung
des Kirchengesangs am verdientesten machte.
1) Ueber seinem Schreibtisch hingen folgende von seiner Hand ge-
schriebene Sprüche: „Ich bin, was da ist *^. „Ich bin alles, was ist, was war
und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben."
„Er ist einzig von ihm selbst, diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein
schuldig."
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— 225 —
H. G. Nägeli, Musikalienhändler in Zürich, war es zu-
nächst^ welcher sich durch Gründung von Sängerchören an
vielen Orten der Schweiz behufs Einführung eines mehrstim-
migen Gesanges in die Kirche, grosse Verdienste erwarb.
Im Jahr 1819 erschien von demselben ein Choralbnch mit
vierstimmigen Compositionen, welches in der deutschen Schweiz
vielfach Eingang fand. Der Choral erschien ihm übrigens
bloss als eine beschränkte Kunstgattung, welche mit der
Zeit durch einen „wohlberechneten Choralstil^ ersetzt werden
müsste, „dessen Melodien so beschaffen, dass sie auch als
Mensuralgesänge im Takte ausgeführt werden könnten, damit
dem Volke der Uebergang vom Choral zum Figural ange-
bahnt und practisch erleichtert wäre"; Orgelbegleitung sei
nur da nöthig, wo ein schlechter Gesang sei. •
Der vor wenigen Jahren erst verstorbene Stuttgarter
Stiftsorganist Konrad Kocher war es, welcher die Nägeli-
schen Principien adoptirte und im Jahr 1823 einen Kirchen-
gesangverein gründete und für denselben wie flir die in der in dem-
selben Jahr erschienenen Schrift: „Die Tonkunst in der Kirche"
H. 8. w. ausgesprochenen Ideen die kirchliche Oberbehörde
zu gewinnen wusste , durch welche nunmehr allen Kirchencon-
venten die Errichtung von Gesangchören und Gesängschulen Er-
wachsener anempfohlen wurde; ebenso sollte in den Schulen
ein gründlicher methodischer Gesangunterricht organisirt wer-
den. Zu diesem Zweck gab Kocher im Verein mit dem
Universitätsmusikdirector Silcher und dem Esslinger Seminar-
musikdirector Frech „vierstimmige Gesänge der evangelischen
Kirche in einzelnen Stimmen" sowie ein vierstimmiges Choral-
buch, 221 Melodien enthaltend, heraus, welches am 12. Februar
1828 an die Stelle des bis dorthin gebräuchlichen Choralbuchs
von Knecht trat. Natürhch mussten die Versuche , einen
vierstimmigen Gemeindegesang mit Ausschluss der Orgel ein-
zuführen, missglücken.
Die Bewegung, an die Stelle des in gleichwerthigen Noten
sich bewegenden Chorals den rhythmischen Choral zu setzen,
ging zunächst von Baiern aus, woselbst Tu eher und Layriz
für die Einführung des rhythmischen Chorals eintraten. So
entstand das Evangelische Choralbuch, eine Auswahl „der
Sittard, Compendiom. 1^
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— 226 —
vorzüglichsten Kirchenmelodien alter und neuer Zeit in den
ursprünglichen Tönen und Bhythmen fUr den kirchlichen und
Privatgebrauch" u. s. w.^ in Verbindung mit Candidat I. Zahn^
Stadlorganiat G. Herzog, Lehrer Fr. Gull bearbeitet und
herausgegeben von W. Ortloph, München 1844, dessen Ge-
brauch vom Münchener Consistorium empfohlen wurde. Ver-
dienste um die Einführung des rhythmischen Chorals, welcher
in vielen Gemeinden Baierns eingeführt ist, erwarben sich
dortselbst Zahn, Tucher, Layriz, Kraussold und A.
Als eine Frucht des Zusammenwirkens namentlich der drei
Erstgenannten erschien 1855 das im Auftrag des Oberconsi-
storiums ausgearbeitete Baierische Landeschoralbuch mit 182
Melodien und einem Anhang von 9 Melodien. Zu gleicher
Zeit erschien ein von Dr. Faisst — , Verfasser des kürz-
lich erschienenen vortrefflichen neuen Choralbuchs für Würt-
temberg — , Tu eher und Zahn im Auftrag des Eisenacher
Kirchentags ausgearbeitetes Choralbuch. Ebenso bemühte man
sich in den übrigen Theilen Deutschlands um die Hebung des
Kirchengesangs, indem man auch ein Hauptaugenmerk auf die
Herausgabe von Choralbüchern richtete, welche dem Gemeinde-
gesang eine würdige Orgelbegleitung darboten.
In neuester Zeit ist es Stadtpfarrer Dr. Köstlin in
Friedrichshafen, welcher einen bereits über ganz Württemberg
verbreiteten Kirchengesangverein gründete, dessen Zweck und
Aufgabe für Württemberg die Förderung und Unterstützung
aller Bestrebungen ist, der Kirche Württembergs einen wür-
digen Chorgesang zu schaffen, überhaupt den evan-
gelischen Kirchengesang zu heben *). Derselbe hat in
den wenigen Jahren seines Bestehens schon recht schöne Er-
folge aufzuweisen gehabt und zählt bereits 62 Einzelvereine
mit 946 Sängern, und 1109 Mitgliedern. Hessen — Vorstand
des dortigen Kirchengesangvereins ist Geh. Rath Hall wachs
1) Nicht unerwähnt dürfen wir an dieser Stelle die trefflichen Leist-
ungen des unter der vorzüglichen Leitung des Herrn Professor Dr. L Faisst
stehenden „Vereins für klassische Kirchenmusik" lassen , welcher die
edelsten und besten Erzeugnisse unserer klassischen Meister in hoher Vollen-
dung aufführt.
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— 227 —
in Darmstadt — folgte dem Beispiele Württembergs und in
Baden — Vorstand ist Stadtpfarrer Dr. Eisenlohr in Gerns-
bach — ist ein guter Anfang schon gemacht. Auf einer am
19. Mai 1880 in Heidelberg stattgehabten Conferenz, zu
welcher Delegirte der evangelischen Kirchengesangvereine von
Baden, Hessen und Württemberg erschienen waren, wurde
eine Einigung der drei Landesvereine angebahnt.
Diese Bestrebungen sind von jedem ächten Freunde des
kirchlichen Gesanges mit um so grösserer Genugthuung zu
begrüssen, als ausser der Pflege eines würdigen Choralgesangs
auch dem Chorgesang wieder eine grössere Sorgfalt zuge-
wendet wird. Diejenigen aber, welche in ihrem einseitigen
Purismus noch immer jeden mehrstimmigen Gesang aus der
evangelischen Kirche ausgeschlossen haben wollen, erinnern
wir daran, dass es in der Schrift nicht bloss heisst: „Singet
dem Herrn alle Welt", sondern auch: „Singet dem Herrn
ein neues Lied."
15*
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Namen- und Sachregister.
(Die Yoranstehende fett gedruckte Zahl zeigt die Hauptstelle an.)
Abbatini; Antonio Maria^ 121.
A caprella, 85.
Accente, hebräische^ 3.
Accentus, 18.
Accidentien, 85.
Adam von Fulda, 98.
Agostini, Paolo, 121.
Agricola, Alexander, 93.
— , Martin, 198.
Ahle, Georg, 213.
— , Joh. Rudolf, 213.
Aiblinger, Joh. Kaspar, 138.
Aichinger, Gregor, 110.
Albert, Heinrich, 212.
AIcuin, 25.
AUegri, Domenico, 121.
— , Gregorio. 119.
Alternirender Gesang, 6.
Alti naturali, 86.
Ambitus, 19.
Ambon, 7.
AmbrosianischeKirchentöne, 10.
Ambrosianischer Gesang, 10. 13.
— Lobgesang, 13.
Ambrosius. 10. 16.
Anerio, Feiice, 118.
— , Francesco Giov., 118.
Animuccia, Giov., 154. 112.
Anthem, 163. 221.
Antiphon, 6.
Antiphonar, Gregorianisches, 15.
— , St. Galler, 21. 26.
Antiphonischer Gesang, 5. 6.
Arcadelt, Jacob, 94.
Archicantor, 22.
Aribo Scholasticus, 51.
Arie, 158.
— , geistliche, 213.
Arioser Gesangstil in die Kirche
eingeführt, 127.
Arrigo Tedesco , siehe Isaac,
Heinrich.
Ars organisandi des Paumann,
87.
Asola, 154.
Astorga, Emanuele d', 133.
Augustin, 23.
Augustinus, 10.
Authentische Kirchentöne, 10.
14. 18.
Authentisch und plagalisch, 18.
Azione sacra , siehe Oratorium.
Bach, Emanuel, 165.
— , Joh. Sebastian, 163. 219.
224.
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— 229 —
Bach, Wilh. Friedemann, 222.
Bardi, Giov., 124.
BasiS; 84.
Basso continuO; 127.
Baten; Adrien, 111.
Becker, Cornelius, 192.
Beethoven, Ludwig van, 224.
Benedict (Sänger), 125.
Benevoli Orazio, 121.
Bernabei, Giuseppe Ercole, 123.
Bernhard der Deutsche, 53,
Berno von Eeichenau, 38.
Bettini, Steffano, 112.
Beza, Theodor, 183.
Binchois, 88.
Bird, William, 110.
Bpnifacius, 24.
Breitengasser, Wilhelm, 98.
Breitinger, 190.
Brevis, 58.
Briegel, W. C, 214.
Brockes, Barthold Heinrich, 161.
Brück, Arnold von, 198, 98.
Brumel, Antoine, 93.
Burgk, Joachim von, 153.
Busnois, Anton, 89.
Buttstett, Joh. Heinrich, 50.
Caccini, Giulio, 124. 125.
Caldara,. Antonio, 134.
Calvin, 190.
Calvisius, Sethus, 201.
Cantate , bei Carissimi , 129 ;
Grosse Kirchencantate, 216.
Cantatenstreit, Hamburger, 217.
Cantica, 4.
Cantional, Darmstädter, 216.
Canto piano maggiore, 76.
Cantorat, 9.
Cantus choralis, 16.
— firmus, 19, 69; weltlicher
in Messen und Motetten, 83.
— Gregorianus, 15.
— gravis, 32.
— planus, 15.
— usualis, 16.
Capellenchor, 208.
Carissimi, Giacomo, 129, 83. 155.
Carl der Grosse, 24.
Carontis, Firmin, 89.
Carpentras, 94.
Castraten, 86.
Cavaliere, Emilio del', 124, 155.
Cavalli, Francesco, 128.
Chant sur le livre, 70.
Cherubini, Luigi, 135.
Choral, rhythmischer, 182.
— , vereinfachter, 182.
Choralnote, im Gregor. Gesang,
19.
— , in der Notenschrift, 29.
Chorus pro capella, 208.
— recitativus, 208.
Chromatik, 104.
Chronik, Limburger, 176.
Chrysostomus, 6. 7. 11.
Cifra, Antonio, 12 1,
Clarke, 140.
Claudin, le jeune, 190.
Climacus, 27.
Clinis, 27.
Cöln-Speierer Gesangbuch, 187.
Colin, Pierre, 94.
Compfere, Loyset, 93. 83.
Complaintes, 55.
Concentus, 18.
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230
Concertirender Stil, dessen Ein-
fluss auf dieEirchenmusik,205.
Concerto da chiesa, 126. 205.
Conductus, 72.
Congregazione deir oratorio 154.
Contrapunctus a mente, Tq.
— a penna, 70.
Copula, 72.
Corner'sches Gesangbuch, 186.
Coro spezzato, 102.
Corsi, Giacomo, 124.
— , Jacob 124.
Cottonius, Job., 68.
Courtois, 94.
Croce, Giov., 107.
Crüger, Job., 213.
Danjou, Jean Louis, 139.
David, 2.
D^chant, 69.
Decker, Joacbim, 202.
Dialogbi spirituali, 212.
Diapbonie, 62.
Diatessaroniren, 64.
Dietricb, Sixt, 98. 198.
Differenzen, 20. 30.
Dilinger Gesangbuch, 186.
Diritis, 94.
Discantus, 69.
Distinctionen, 29.
Doles, Job. Friedrieb, 222. 165.
Donato, Baldassare, 104.
Dragoni, Giov. Andrea, 118.
Ducis, Benedictus, 94. 198.
Dufay, Wilhelm, 87. 83.
Durante, Francesco, 131.
Eccard, Job., 203. 184.
'Eglin, R., 190.
Ekkebard I, 37.
— V, 37.
Epipbonus, 27.
Epistolae cum farsia, 55.
Erbacb, Christian, 109.
Erythräus, Gotthardt, 202.
Eselsfest, 147.
Ett, Kaspar, 138.
Faisst, Imanuel, 224. 226.
Falsetisten, 86.
Falso bordone, 70.
Farcies, 19. 37. 55.
Farciesgesänge, 56.
Farcituren, siehe Farcies.
Favoritchöre, 208.
Faugues, Vincent, 88.
Faux-bourdon, siehe Falso bor-
done.
Feo, Francesco, 132.
Fernando de las Infantas, 118-
Festa, Costanzo, 112.
Festlied, bei Eccard, 203.
Fevin, Antonius de, 94.
Finck, Christian, 224.
— , Heinrich, 97. 198.
Fleurettes, 70.
Foggia, Francesco, 121.
Forestier, 83.
Forster, Georg, 183. 198.
Franck, Melchior, 110.
Franco von Cöln, 57.
Frech, 225.
Fuge mit Canon identisch, 83.
Funcke, 158.
Gabrieli, Andreas, 105.
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- 231 —
Gabrieli, Johannes; 106.
Galilei, Vincenzo, 124. 125.
Galliculus, Johann, 98.
Gallus, Jacob, 109. 98. 150.
Gaspard, 93. 88.
Gastoldi, Giov. Giac., 107.
Geisler, 177.
Gesang, mit mehreren Texten,
8 1 ; kirchlicher mit weltlichem
vermischt, 88.
— , alternirender, 6.
— , Ambrosianischer, 10.
— , antiphonischer, 5. 6.
— , Gregorianischer, 15.
— , Hymnen, 4.
— , Kesponsorial, 4. 5. 6. 7.
— , Symphonischer, 6.
— , Wechsel, 4. 6.
Gesangschulen, vor & zu Gre-
gorys Zeit, 9. 21 ; — Cambray,
25; Corvey, 26; — Dijon,
25; — Eichstätt, 24; —
Fulda, 24; — St. Gallen, 24.
26 ; — Lyon, 25 ; — Mainz,
26 ; — Metz, 25 ; — Orleans,
25; — Paris, 25; — Eei-
chenau, 24. 26 ; — Bom, 21;
Soissons, 25; — Trier, 26;
— Wtirzburg, 24.
Gesius, Bartholomäus, 201.
Giovanni de Sanctos, 86.
Gizzi, Domenico, 132.
Godeschalcus, 37.
Gombert, 94.
Goudimel, Claude, 112. 190.
Graduale, 7.
Gradualresponsorium, 7.
Graun, Carl Heinrich, 165.
Greco, Gaetano, 133.
Gregor der Grosse, 14.
Gregorianischer Gesang, 15.
Guidiccioni, Laura, 155.
Guido von Arezzo, 45.
Guidonische Hand, 51.
Gumpeltzheimer, Adam, 109.
Haendel, G. F., 221. 162.
Hammerschmidt, Andreas, 211.
216.
Hartker, 37.
Hartmann, 32.
Hasler, Hans Leo, 107. 184.
202.
-, Jacob, 108.
— , Kaspar, 108.
Hauptmann, 224.
Haydn, Josef, 136.
— , Michael, 136.
Hebräer, 2.
Heinrich (Mönch), 39.
Heinrich von Laufenberg, 179.
Hemmel, Sigmund, 192.
Herrmann Contractus, 38.
— , Nicolaus, 201.
Hexachord, 46. 48.
Hexachordtabelle, 50.
Hieronymus de Moravia, 57.
Hiller, Adam, 222.
Hobrecht, Jacob, 90. 83. 150.
Hofheimer, Paul, 98.
Homilius, G. A., 165. 222.
Hucbald, 43.
Hunold, 161.
Huss, Joh., 180.
Hymnen, 4. 11.
Hymnengesang, 10.
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232 —
Ignatius^ 6.
Improperien, 115.
InfantaS; Fernando de las^ 118.
Ingegneri, Marco Antonio, 106.
Interpolationen, 37.
Johannes (Sänger), 23.
— (Mönch), 37.
— Cottonius, 51.
— de Muris, 76. 78.
Jomelli, Nicolo, 133. 156.
Josquin des Prfes, 9L 83.
Isaac, Heinrich, 95.
Isidor von Sevilla, 63.
Iso, 32.
Jubilus, 20. 31.
Kapsberger, Hieronymus, 128.
Keiser, Reinhold, 161. 215.
Keuchenthai, Gesangbuch, 151.
Kiel, Fr., 165. 224.
Kirleise, 171.
Knaust, Heinrich, 183.
Kocher, Konrad, 225.
Köstlin, 226.
Krles, 170.
Kunibert, 37.
Kyrieleis, 170.
Kyrieles, 170.
Kyrielle, 170.
Lai, 169.
Lamentation, 82.
Landino, Francesco, 76.
Lassus, Orlandus, 98. 150.
Laudes, 34.
Laudi spirituali, 154.
Layriz, 225.
Legrenzi, Giov., 133.
|Leich, 169. 171.
Leisen, 171.
Leisentrit, Joh., 186.
Leo, Leonardo, 132. 156.
Leoni, Leone, 107.
Liberati, Antonio, 156.
Ligaturen, 60.
Liszt, 165.
Lob Wasser, Ambrosius, 190.
Locheimer Liederbuch, 76.
Longa, 58.
Lossius, Lucas, 201. ^
Lotti, Antonio, 134.
Luiter, 37.
Lupus, 94.
Luther, Martin, 188. 92.
Macheau, Guill. de, 76.
Macholdus, Joh., 153.
Madrigal, 101.
Mahu, Stephan, 97. 198.
Mainzer Cantual, 187.
Maistre, Matth. le, 201.
Maitrisen, 73.
Mancinus, Thomas, 151.
Marcello, Benedetto, 134.
Marchettus von Padua, 58.
Marenzio, Luca, 121.
Marot-Beza'sche Psalmen, 183.
— , Clement, 183.
Marschall, Samuel, 192. 201.
Martinengo, Giulio Cesare, 107.
Masoreten, 3.
Massaini, 107.
Mattheson, Joh., 162. 215.
Maxima, 58.
Melismen, 30.
Mellitus, 23.
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233 —
Mendelssohn, F., 224.
Mensur, 58.
Mensura temporis, 59.
Mensuralnote, 62.
Merulo, Claudio, 104.
Messen, mit weltlichem Cantus
firmus, 83; - — sine nomine,
83 ; Todtenmesse, 82.
Mettenleiter, Domenicus, 139.
— , Joh. Georg, 139.
Mettenser (Jubilus), 31.
Mixtur, in der Orgel, 53.
Modi, 18.
Modus, 19.
Moengal (Marzellus), 32.
Monochord, 47.
Monodie, 124. 125.
Monteverde, 126. 128.
Morales, Christof ano, 112. 88.
Moralitäten, 155.
Motette, 82.
Motettus, 72.
Moulu, 94.
Mouton, 94.
Mozart, 137, 223.
Mtinsterisch Gesangbuch, 187.
Muris, Joh. de, 76. 73. 78.
Musica ficta, 84.
— figuralis, 62.
— plana, 62.
Mutation in der Solmisation, 50.
Naegeli, H. G., 225.
Nanini, Giov. Bernardino, 116.
— , Gioy. Maria, 116- 112.
Neri, Filippo, 154.
Neumark, Georg, 213.
Neumen, 16.
Neumenschrift, 16. 42.
Nota finalis, 60.
— initialis, 60.
— mediae, 60.
— quadrata, 62.
— quadriquarta, 62.
— romana, 62.
Notker, Balbulus, 33.
— , Labeo, 37. *•
— , Physikus, 37.
Ochetus, 70.
Odington, Walther, 57.
Okeghem, Joh., 89.
Oratorium, Entstehung dessel-
ben, 154.
Organum, 62. 67. — , Entsteh-
ung desselben, 65 — 67.
Orgel, zur Geschichte, 52; —
zur Begleitung des Gemeinde-
gesangs, 214.
Orto, de, 94.
Oslander, Lucas, 200. 184.
Otfried von Weissenburg, 171.
Pachelbel, Joh., 214. 199.
Palestrina, Giov. Pierluigi da,
112. 83. 154.
Paminger, Leonhard, 98.
Paumann, Conrad, 87.
Pedal der Orgel, 53.
Pergolese, Giov. Battista, 133.
156.
Peri, Jacopo, 124.
Pes sinuosus, 27.
— flexus, 27.
Petrucci, Ottavio, 89.
Petrus zu Metz, 26. 30.
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— 234 —
Phinot, Dominique, 95.
Pitoni, Giuseppe, 121.
Plagalische Kirchentöne, 18.
Pneuma, 20.
Podatus, 27.
Porta, Costanzo, 104.
Praetorius, Hieronjmaus, 201. :
— , Jacob, 201. I
Ä-, Michael, 205. |
Presaus, 28.
Primiceriua, 22.
Prioris, Johannes, 94.
Prolatio, 61.
Prosa, 19.
Prosen, 19.
Prosodie, 17.
Proske, Karl, 139.
Psalmodie, 4.
Psalmodiren, 3.
Psalmtropus, 20. ^
Psalter, 192.
Psalter ium, 37.
Punctum additionis, 59.
Quintiren, Quintoyer, 64.
Ratpert, 33. 171.
Eavenscroft, Thomas, 140.
Recitativ, dessen Herübernahme
in den kirchlichen Kunstge-
sang, 216.
Regis, Joh., 89.
Reichenau, 38.
Remi von 4uxerre, 63.
Repercussion, 19.
Rösinarius, Balthasar, 153. 198.
Responsorialgesang, 4. 5. 6. 7.
Responsorialpsalm , 7.
Rhabanus Maurus, 26. 41.
Rhau, (Rhaw) Georg, 198.
Rhythmik und Metrik im Am-
brosianischen- 16, Gregorian-
ischen- 16, Volks- 182, und
protestantischen Gemeinde-
Gesang, 182. 216.
Richafort, 95.
Richefort, 88.
Rodulph, 52.
Roman, 26.
Rondellen, 72.
Rore, Cyprian de, 103.
RosenmtiUer, Joh., 210.
Rossini, Giov., 135.
Rue, Pierre de la, 93. 88.
Rugiero, Giovanelli, 118.
Scandellus, Antonius, 201.
Scandicus, 27.
Scarlatti, Alessandro, 130. 156.
Scheidemann, David, 201.
Scheidt, Samuel, 214. 199.
Schein, Joh. Herrmann, 210.
Schicht, Joh.Gottfried, 165. 222.
Schluchzer, 70.
Schlüssel, 87.
Schop, Joh., 213.
Schröter, Leonhard, 201.
Schubert, Franz, 137.
Schulen , neapolitanische, 130
— 133; niederländische, 77
—95; römische, 112—123;
ältere venetianische, 100 —
107; jüngere venetianische,
X33— 135.
Schultz, Christof, 151.
Schultz, Jacob, 214.
Scotus Erigena, 63.
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- 235 —
Schütz, Heinrich, 108. 107. 156.
207.
Sebastiani, Joh., 158.
Seinecker, Nicolaus, 201.
Semibrevis, 58.
Senfl, Ludwig, 96. 196.
Sequenzen, 20. 33.
Sermons, 55
Silcher, 225.
Silva, Andreas, 94.
Simeon, 23.
Sintram, 37.
Soliloquien, 154. 161. 219.
Solmisation, 48.
Soriano, Francesco, 119.
Souter-Liedekens, 183.
Speidel, 2.
Stade, S. G., 214.
— , Theophilus, 199.
Steffani, Agostino, 123.
Stephani, Clemens, 150. 151.
Sternholde, Thomas, 140.
Steuerlein, Joh., 153. 201.
Stil, a capella, 85 ; — recitativo,
155; — rappresentativo 155;
— parlante, 155.
Stolzer, Thomas, 198.
Stradella, Alessandro, 156.
Strozzi, Pietro, 124.
Stufenpsalm, 7.
Sulpicius, 24.
Sulzer, Simon, 190.
Superius, 84.
Symphonie, 62.
Symphonischer Gesang, 6.
Systema durum und moUe, 85.
Tabulatur, 127.
Taktus, 59.
Tallis, Thomas, 110.
Telemann, G. PL, 162. 215.
Tempus, 59.
Tempus perfectum, 59.
— imperfectum, 59.
Teueres, 18.
Tenori acuti, 86.
Theodor von Canterbury, 23.
Tractus, 7.
Tropen, 19. 20. 37.
Tropus, 19.
Tucher, G. von, 225. 226.
Turbae, 117. 149.
Tutilo, 32. 37.
Ugolino, Vincenzo, 119.
Ulenberg, 192.
Usus, 16.
Valentini, Francesco, 121.
Vehe, Michael, 186.
Verdelot, 94.
Versus intercalares, 19.
Vervoitte, Charles, 139.
Viadana, Lodovico, 126.
Virga, 27.
Vittoria, Tom. Lodov. da, 117.
149. 154.
Vopelius,211.'
Vulpius, Melchior, 151. 153.
201.
Wallis, Burcard, 192.
Walther, Joh. 195. 150. 185.
Walther Odington, 57.
Waltram, 32.
Wechselgesang, 4. 6.
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— 236 —
Weelkes, Thomaa, 1 10, j Zahn, 226.
Werembert, 32. .Zanotti, 107.
Wüfnd, 23. Zarlino, 102. 104.
Willaert, Adrien, 102. Zwingli, 189.
Wipo, 39. !
Witt, Franz, 139. '
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Inhalt.
Seite
Einleitung 1 — 8
I. Der Kirchengesang vom vierten bis elften Jahrhundert . 8—42
II. Die Entwicklung der Notenschrift. Hucbald — Guido von
Arezzo. Solmisation. Die Orgel. Farciesgesänge . . . 42 — 57
in. Mensuralmusik, Mensuralnotenschrift. Entwicklung des
mehrstimmigen Gesanges. Organum. Discantus . . . . 57 — 77
IV. Weitere Entwicklung des mehrstimmigen Gesanges. Die
Tonsetzer kirchlicher Werke vom vierzehnten bis sechzehnten
Jahrhundert 77—100
V. Die Kirchenmusik vom sechzehnten bis neunzehnten Jahr-
hundert • 100—140
VI. Mysterien. Passion 141— 166
VII. Der geistliche und kirchliche Gesang in Deutschland unter
besonderer Berücksichtigung des evangelischen Kirchenlieds
und Kirchengesangs • 166 — 227
Namen- und Sachregister 228—236
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(Soeben erfcj^ienen nnb burc^ iebe foUbe löucj^l^anblung gu
be^tel^en:
BufconmjenlieUimg beß
IDiffcnstDürbigftcn aus Sage un6 (ßcfcfjtdjtc
ox)n ben ältepben Betten bte jur ©egetnoort
@in ^onbbud^ mit Slegtftetn )ut Selel^rung, Dttentitung unb
Stcpetition
öon
Dr. Karl nntt^atbt
®in ftarfer 25anb öon 44 a3oacn Dftaö in öortreffltcj^er, l^od&gebiegener
STugftattnng- ©leg- brofdöirt ißrefe 7 2J^arI 50 gjfg. 3n l^od^eleg* Drig.
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bigft gefd^riebene ©efd^d^ttoerf für §auS unb 6d^ulc, ße^irer unb ßernenbe,
HU unb Suna gleid^ unentbel^rlid^^ SJerntöge ibrer genauen Sfianten*, <Baäi^
unb Sßortregtfter fann biefelbe gugleid^ al8 gefd^i^tlid^eS ©onöerfationS«
lejif on gelten* Slel^ntid^ glön^enbe SSeurtl^etlungen tote ba8 9(1 u 1 1^ a r b t ' f c§ e
SBerl l^at tool^I nod^ fein anbereg §anbbud| ber SBeltgefd^id^te erfal^ren*
ä)a8fclbe tourbe bereits in ©eminarien, böl&eren ße^ranftalten u* f* to* öiel*
fad^ eingefül^rt»
^ef($t($te ber hentft^en ^(tttottolTtterfttut
beg neun jel^nten Sal^rl^unbert^.
aJon
Jubrng ^afomon.
©in ftarfer a3anb öon 31 S3ogen grofe Cftaö in glöngenber, l^od&gebie*
gener SluSftattung* Tili 24 öortrefflid^en SPorträtS auf ^tjferbrudfsSßajjier*
Steg, brofd^. $rei8 10 SWarf. 3n bod^etea. Drig. Sßrad&teinbanb $rei8
12 wlaxt Äann aud^ in 10 ntonatli^en Lieferungen h, 1 Tlaxt belogen
toerben* SluSfübrlid^en Sßroj})eft mit Urtl^eilen ber gJreffe überfenbet bie
SJerlagSl^anblung auf SBunfd^ gerne gratis unb franco.
^aS auSgeseid^nete, einen burd^auS obieftiDen (&tanb))unft einnel^menbe
SBerf , beffen SBertb burd^ bie gablreid^ eingeftreuten unb treffenb getoäl^lten
groben nod^ erl^öbt toirb, l^at rafd) einen erften ißla^ auf bem @ebiete
unferer öaterlänbifd^en Literatur errungen» ©elbftonbigeS unb ma^t>ofit^
Urtl^etl, origineller unb feffeinber Slufbau, geift* unb gemütbbotte ^arftellung,
ftrenger ftttlidier ©ruft, abfolute tJormöottenbung — ha^ finb bie Siorgüge,
bie öor atten anberen bem ©alomon'fd^en SBerfe nad^gerül^mt toerben»
SBer ha% Jöebürfnift tmp^nhtt, bie l^errli^en ©d^äfee unferer nationalen
ßiteratur feit ©oetbe'S unb ©dritter'« ^agen fennen unb toürbigen %n lernen
unb ftd^ an benfelben %vl erquitfen, fann ©alomon'S ©efd^i^te ber
beutfd^en Sflationalliteratur beS neungel^nten Sal^rbunbertS,
^ugleid^ eine§er§enSgefd^id^te beS beutfd^en SJoIfeS, nid^tentratl^en*
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SSerlag öon Cet)^ & aRuBer In ©hittgart.
fC^r* 2)urd^ iebc foltbc S3udö]^anblun0 fotoic gegen (Sinfenbung beS
)8etrage§ birelt öon ber SJcrlagSl^anblung gu begießen:
gttngfrattenßretiter.
ffijebjetje tn <4Fretib nni Ceib,
für Sonn:: nnh §e{Uage.
IRebft einer 2lu#Iefe reltgiöfer SJid^tungen.
»on
SRüiiatttr-auögaiöc. @c^toaBa*cr ©d^trift mit fKlöoIIcn Initialen unb SierleijJen. ätocifartigct
2)ru{f. $rac^telni6anb mit @oIbf(]^ttitt.
SßretS 2Ji!. 3. 60. = SrS. 4. 80. = gl. 2. 20. £). SB.
3|re ftonigli^e ^ol^eit bie ^xan ^roPerjogin Don Saben
^ai bie SEBibmung biefeg reijenben, ju ^eftgef^enfen fitr bie meii^
li^e 3ugenb trep^ geeigneten SBerfi^enS an%tnümmtn.
^n ^eaaisansdget fnr S^Mieweetg urtl^eilt über ha^ rfSung:^
fraucnbrcbter'' toic folgt: . . . ♦ @o geiolnnt baS Sungfranenbreöier
einen bleibenben aEgenteinen SBcrtl^ für nnfere grauentoelt, {a für nnfer
nationales ßeben überl^aujjt; benn toer unfere S^öd^ter für ben f)än8ll(3^en
^etS mit feinen mannigfaltigen ^ffid^ten «nb fttUen greuben getoinnt unb
btefelben gu ed^ten beutfd^en afeüttern erstellen bilft, ber ftarlt ha^ beutfdie
tJamilienleben, eine ber Sfeurgeln nnferer SJolfSrraft, unb l^at ftd^ bamit um
baS SSaterlanb »ol^I berbient gemad^t.
i(e0ei: <fattb ntib ^tteet urtl^eilt über ba8 „Sungfrauenbreöier''
tDie folgt: SBir tootten biefeS 23ud^ ben aJlüttern an» §er§ legen. ®8 ift
ein (SrbauunaSbud^, baS toir al8 ©reöier in red^t öiele §anbe gelegt toünfdöen
möd^tem S)ie SSerfafferin berftel^t bie (Sjjrad^ej^eg toeibltd^en ©ergenS %vl
reben, toie eS thm nur eine grau unb eine grau öon fo tiefem ©emütpe
!ann. 3Wßge baS l^übfd^ gu @efd&en!en auSgeftattete a3üd^lein fid^ an öielen
^tx%tn beloül^renl
pie SeliWrifi füt wMtldie SSlfbang urt^eilt f olgenbermaften : S)ag
wSungfrauenbreöier" fül^rt in ein ebleS, frommem toeiblid^eS ©emütl^S^
leben etn, bem eS ein l^eiligeg »ebürfnife ift, bie SBed&felfälle ber ßrbentage
in ber innern Harmonie be8 ©laubenS unb ©ottöertrauenS gu burd^leben,
bie Spflid^ten be» ßeben» in l^eiliger 3ud^t gu löfen unb hit SJämJjfe berfelben
in ber ^aft beS ©eifteS %u beftel^en. 3« ben mannigfaltigen ©rlebniffen
ber gamilie fud^t bie Sungfrau, bie Xod^ter, bie SBraut, 3lu$e, tlarl^eit unb
Äraft in @ott — unb ba8 nid&t ettoa in füfeen ober überfd^ioenglid^en @m*
t)finbunaen, fonbern in fd^lid^ter SBal^rl^eit unb ber etl^ifdien 9?id&tung ber
grömmigfeit, bie fld^ felbft in 3ud^t l^ait unb hit Slufgaben be8 ßebeng rein
löfen »iß 2c.-
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SSerlag Don 8elil| & SRttHtr in Stuttgart.
^urd^ iebe folibe SSud^l^anblung fotote gegen ^tnfenbung beS
Betraget In a3rtcfmarfcn birett öon ber SSerlagS^onblung ftnb bie nad^^tthtn^
ben, öon l^cröonagenben gad&'Slutoritäten berfafeten (Schriften gu begießen«
PÄtt, $Tof. Dr. %x. S)ct rönttfd^e ßitluS unb bic ßitluS^
fpide V- 60
^%et^aafy ?5tof. Dr. ®. gricbtid^ ©il^cltn, ber gto^ Äutfürft . - 60
^ffmann, Ür. SB., DBctl^ofprebiger unb ©cnctalfuperintcn^
bent. Äönig ^cbrid^ SBill^clm IV. ©in gefc^id^tlid^eö
(Sl^atoItcrBilb — 20
3^^enfe% Dr. ©il^clm. Ucbet bie SSiDifeltion, il^re ©cgncr unb
§crtn Slid^atb ©agnct --75
JtS^nn^ Dr. Q. a. 6ari 3Jlaria Don 3Bc6et. fjricbrid^ ©ild^er. — 60
^n%tet, $rof . Dr. 8. ?Kartin Sutl^et; unb gtttnj non ©idingcn — 60
Gattin, Sß\). Wl. SKenfd^ unb SC^ictroelt im §au§l^alt ber
9latur. ©ine Sebenäfrage unferer S^it. 3Som prcÄtifd^en
(Seftd^töpunlt bezaubert — 60
^agefe^ ©ugen. Verlorene bcutfd^e ©tdmme — 60
^iemeifeXj ©anitätsratl^ Dr. $ßaul. Sie Sungenfd^roinbfud^t.
eine „©eifeel" ber cit)ilifirten ©efeOfc^aft 1. —
n. ^atmex, $rof. Dr. 2)ie 6it)ilel^e innerl^alb ber eDttngeli»
fd^cn gl^riftenl^eit — 20
^autUi^j Dr. 3. a)as l^eiltge Sttnb. 5Rad^ eigener Slnfd^auung.
L a;^cii — 20
n. ai^eii - 20
"^antn^, $1^., 2)ireItor. Sol^. %x. gltttti^ ein ©olrateö unferer
Seit — 20
Reiheret, 5ßrof. Dr. D. 3ol^. ®ottI. ^fi^te. Sebengbilb eines
beutfd^en 2)eitfer8 unb ^Patrioten 1. 40
$^neihex^ Dr. ßugen. ®öttcrf|)uren im beutfc^en Solföleb^n . - 60
$^9uBexij $rof. Dr. ®. 35ie ftttUd^^religiöfc »ebeutung ber
focialen grage — 60
^^waBe, $rof. Dr. £. Ueber Soll unb ©prod^e . . . . — 60
^met, Dr. ambrofiuS. 3ft bet menfd^Ud^e SBiOe frei? 3Rit
befonberer 9lüifid^t auf bic ^age ber Suläffigleit ber SCo«
begftrafe - 60
^eitixe^t, Staxl Söag ift'S mit ber ©ocialbemofratie? . • — 60
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Mm 21OJ0
Compendium der Geschichte der Kirch
BDF529?
3 2044 041 163 320
"b
-' 'XA\
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